-𝕋𝕨𝕖𝕟𝕥𝕪 𝕋𝕙𝕣𝕖𝕖-
Ein paar Tage später sitze ich auf meinem Bett, Kathy mir gegenüber in einem Haufen aus Klamotten, bei dem ich das dringende Bedürfnis habe, ihn ordentlich zusammen zu legen.
"Hat er schon geschrieben?", fragt Kathy nun schon zum fünften Mal innerhalb ebenso vieler Minuten.
Ich schüttele den Kopf. "Wenn mein Hintern vibriert hätte, dann wäre das schon längst in mein Bewusstsein gedrungen. Außerdem wärst du ja wohl die Erste, die das erfahren würde."
Sie grinst spöttisch und setzt sich neben mich. "Dein Hintern wird bald von etwas anderem als deinem Handy ..."
Ich halte ihr die Hand vor den Mund. "Keine versauten Sachen, ich bitte dich."
"Na wenn du meinst." Sie zuckt mit den Schultern und scheint irgendetwas entdeckt zu haben. Als sie aufsteht, tue ich es ihr gleich, um meine Beine am Einschlafen zu hindern.
Kurz wühlt sie in einem Stapel und hält schließlich triumphierend eine rote Fliege in die Höhe.
"C, die musst du anziehen! Wenn du das Hemd dort vorn", sie weist auf ein frisch gebügeltes schwarzes Hemd, "dazu anhast - das wird total scharf aussehen!"
Mir ist es noch nicht möglich, ihre Begeisterung zu teilen. Im weitesten Sinne enden wir alle knutschend in irgendeiner Ecke oder tanzend auf dem Tisch. Es geht nur darum, zu sehen, wer mit wem hin kommt und schließlich wieder verschwindet. Das Ganze muss aber unbedingt mit der Geräuschkulisse eines Football-Stadions passieren, am besten mit lauter Musik und Menschen, die letztlich viel zu viel Alkohol im Blut haben.
Keine Ahnung, was daran so toll ist.
Da der Homecoming Ball am Freitag, also in zwei Tagen, stattfindet, wollte Kathy mir heute ein Outfit heraussuchen.
Und da ihres aus einem roten Kleid besteht, dass sie hätte tragen können, wenn sie mit dem Präsidenten gegessen hätte, geht sie davon aus, dass ich gewillt bin, eine rote Fliege zu tragen.
Was ich mich dabei frage: Wann hat Maryse mir die denn untergejubelt? Soweit ich mich erinnern kann, trage ich keine Fliegen. Niemals.
Kathy kommt, die Fliege immer noch in der Hand haltend, auf mich zu, um sie mir umzubinden. Dass ich oberkörperfrei bin, scheint sie dabei nicht zu stören, ich selbst jedoch trete zwei Schritte zurück und stoße dabei gegen das Bett.
Auf ihren fragenden Blick hin erwidere ich: "Ich muss mir vielleicht erstmal etwas anziehen." Leicht empört kneife ich dabei die Augen zusammen.
Sie schnaubt und zeigt auf das Hemd. "Dann zieh' das an", befiehlt sie mir.
Ihrer Bitte nachgehend und das Hemd überstreifend, mache ich eine ausladende Handbewegung in Richtung des Kleiderhaufens in der Mitte meines Zimmers, den Kathy irgendwann in einzelne kleine Haufen gespalten hat. "Was machen wir damit?", frage ich schließlich, als ich dabei bin, die Knöpfe des Hemdes zu schließen.
"Na wegräumen." Sie zuckt erneut mit den Schultern und tänzelt herum wie ein Huhn beim Balztanz.
Die Vorstellung, Kathy sei ein männliches Huhn, bringt mich irgendwie zum Lachen, was mir einen verwirrten Blick von ihr einbringt.
"Warum lachst du?", stochert sie nach, aber ich kann ihr vor Lachen nicht antworten, weshalb ich kurz den Kopf schüttele.
Als ich mich letztlich wieder eingekriegt habe, erkläre ich mein Verhalten: "Ich habe an Hühner gedacht und an den Balztanz, den sie in der Paarungszeit vollführen, um die Weibchen zu beeindrucken. Irgendwie sahst du gerade ziemlich danach aus." Auch sie muss jetzt anfangen zu grinsen.
"Du meinst also, dass ich auf Weibchen-Suche bin, ja?" Sie pikst mir in die Seite.
"Bei dir schließe ich rein gar nichts aus." Ich zucke mit den Schultern.
Ihr Lachen hallt noch eine Weile nach, mindestens so lange, bis mein Handy vibriert.
"Tristan", rufe ich aus und schalte mein Smartphone ein. "Er hat mir ein Bild geschickt."
"Zeig mal!" Wie ein kleines Kind kommt sie zu mir und schaut auf den Bildschirm. "Er sieht wirklich gut aus. Warum müsst ihr nochmal schwul sein?", fragt sie rhetorisch.
Sie hat Recht, Tristan sieht toll aus. Auf dem Bild trägt er ein weißes Hemd mit einem schwarzen Jackett und eine ebenfalls schwarze Chinohose. Außerdem hat er zur Komplettierung des ganzen knallrote Schuhe an.
Im Gesamtbild sieht er fast wie ein Geheimagent aus - natürlich von den Schuhen abgesehen, die wären viel zu auffällig.
Ich nicke. "Ja, er sieht wirklich super aus. Fotografierst du mich, damit er eine Vorstellung meines Aufzugs hat?"
Sie nimmt mein Handy, das ich ihr hingehalten habe und macht ein Foto von mir. Dann scheint sie Tristan etwas zu schreiben, von dem ich wahrscheinlich nicht wissen will, was es ist.
"Hier." Sie lächelt und sieht dabei wie ein Engel aus, ist in Wirklichkeit aber ein kleiner - wirklich kleiner - Teufel. Das wird mir klar, als ich den Chat mit Tristan sehe.
Unter dem Bild von ihm steht - von Kathy geschickt natürlich - ein Emoji mit Herzchenaugen und anschließend das Bild von mir. Dann hat sie noch dazu ein 𝙱𝚒𝚗 𝚒𝚌𝚑 𝚗𝚒𝚌𝚑𝚝 𝚑ü𝚋𝚜𝚌𝚑? hinzugefügt.
Seine Antwort besteht aus einer verwirrenden Reihe aus Emojis, die ich nicht wirklich verstehe. Da ist ein undefinierbarer Gesichtsausdruck, wieder die Herzchenaugen und unterschiedlichfarbene Herzen. Außerdem noch diverse andere, bei denen es mir unmöglich ist, sie zu beschreiben.
"Was heißt das?", frage ich an Kathy gewandt, die augenblicklich anfängt, lauthals zu lachen.
"Das musst du noch nicht wissen, Carterchen."
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Am Donnerstag bin ich der wohl einzige Schüler, der sich nicht freut, hyperventiliert oder super aufgeregt ist. Der wohl einzige Mensch, der keine dieser Tätigkeiten ausführt oder Gefühlsregungen zeigt, bemerke ich schließlich, denn auch die Lehrer scheinen kein Interesse daran zu haben, ihren Unterricht fortzuführen, was möglicherweise an der Horde unmotivierter Gefolgsleute liegen könnte, die entweder schlafen oder rumbrüllen und definitiv nicht daran denken, irgendetwas auch nur ansatzweise Produktives zu erreichen.
Und mitten drin sitze ich und frage mich, wie der Zirkus heißt, in dem ich hier gelandet bin. Ich erinnere mich: Morgan County High School.
Wobei man auch ein Schild mit Mental Healing an die Eingangstür hängen könnte und wir hätten ein nahezu ganzjährig geöffnetes Irrenhaus.
Auch beim Mittagessen in der Mensa geht das Chaos weiter. Die Schülersprecher der Seniors versuchen etwas anzukünden, können sich aber nicht durchsetzen und geben es letztendlich auf.
An irgendeinem Tisch wird Kuchen ausgeteilt, Cindy Chesters aus der zehnten hat heute Geburtstag.
Für einen kurzen Moment scheint alles stillzustehen, dann fällt irgendwem ein Tablett runter und Essen trifft auf den grauen Steinboden der Cafeteria.
Sowas wie ein ganz normaler Schultag.
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"Meinst du wirklich, dass ich das anziehen kann? Wenn ich-"
"Carter, mach' dir keine Sorgen. Selbst wenn du in Lumpen aufkreuzen würdest, wird Tristan dich mitnehmen. So verleihen wir dir eine elegante Note. Das wird ihm gefallen." Sie klopft mir auf die Schulter und richtet sowohl Kragen als auch Fliege.
Ich will noch etwas hinzufügen, werde aber von der Türklingel unterbrochen. Kathy streicht über ihr Kleid und geht mir voran die Treppe herunter.
Als sie die Tür öffnet, steht Tristan in einem Smoking vor der Tür, in dem er aussieht wie ein Pinguin. Ein verdammt scharfer Pinguin mit roten Schuhen.
Tristan umarmt Kathy und flüstert ihr irgendetwas ins Ohr, das ich nicht hören kann, was sie aber zum Lachen bringt. Dann kommt er auf mich zu, nimmt mich in den Arm und küsst mich.
"Hey, Carter", raunt er mir zu, als wir uns voneinander gelöst haben.
Dann ziehe ich ihn erneut zu mir und küsse ihn nochmal. "Hey, Tristan." Wahrscheinlich spiegelt sich das Lächeln in seinem Gesicht auch in meiner Mimik wieder, aber sicher bin ich nicht - seine Augen sind keine wirklich zuverlässige Quelle.
Ein Klatschen seitens Kathy lässt uns zusammen fahren und in ihre Richtung sehen, Tristan wütend, ich die Augenbrauen hochgezogen.
"Lasst uns jetzt endlich los, ihr Trödeltanten." Sie klatscht wieder in die Hände und will schon auf die Tür zu gehen, aber Maryse kommt gerade noch rechtzeitig um die Ecke.
"Erst Fotos. Wenn ihr nachher betrunken her kommt, dann will ich echt keine Fotos mehr von euch." Sie hält ihr Smartphone schon bereit und winkt Kathy beiseite.
Auf ihren verwirrten Blick erklärt Maryse: "Die beiden stehen gerade so schön zusammen. Und jetzt, Jungs, post für die Kamera!", fordert sie uns auf.
Tristan lacht mich an und nimmt mein Kinn in seine Hände. Ein Foto wird so geschossen, das höre ich aufgrund des leisen Klickgeräuschs.
Dann küssen wir uns und noch ein Foto wird aufgenommen. Ein weiteres folgt, als Tristan und ich uns umarmen und - soweit es uns möglich ist - in die Kamera lächeln.
"Der Lidstrich steht dir wirklich gut, Carter", sagt Maryse, als sie sich die vorangegangenen Bilder ansieht.
"Danke." Ich nicke ihr zu und Tristan verschwindet aus meinen Armen. An seine Stelle tritt Kathy.
"Sollen wir uns auch küssen?", fragt Kathy grinsend, was Tristan und mich dazu veranlasst ein gleichzeitiges "Nein!" hervorzubringen. "Dann eben nicht", lacht die Blondine und legt einen Arm um meine Taille. Lockerer als Tristan, aber da sie an meine Schultern nicht rankommen würde - zumindest nicht ohne ihre Zehenspitzen zu strapazieren -, ist das okay für mich.
Auf einem anderen Foto hebe ich sie hoch, was sie so dermaßen zum Lachen bringt, dass das gesamte Foto verschwommen ist und nochmal gemacht werden muss.
Als nächstes bin ich derjenige, der das 'Set' verlassen muss und dafür mit Tristan tausche.
Kathy und Tristan haben ähnliche Motive wie sie und ich, nur das sie ihn dazu überreden konnte, ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. Danach hat er sie sich mit einem Taschentuch abgewischt, da Kathy ihn nicht geküsst, sondern eher angeleckt hat.
Zuletzt lächeln wir alle drei zusammen in die Kamera. Drei Fotos entstehen, jeder einmal in der Mitte. Natürlich habe ich angemerkt, dass der Fairness halber sechs Fotos hätten geschossen werden müssen, aber die anderen haben die Bemerkung mit einem Lachen abgetan, das ich als ein Nein akzeptiert habe.
Jetzt dürfen wir noch ein verrücktes Bild machen, auf dem wir alle irgendwelche Grimassen ziehen, über die wir in zehn Jahren, wenn wir uns die Bilder ansehen, wahrscheinlich auch noch werden lachen können.
"So, jetzt könnt ihr gehen." Maryse steht lächelnd in der Mitte des Flurs und scheucht uns Richtung Eingangstür. Da die Fotos eine jahrelange Tradition ergeben, musste die Session einfach noch stattfinden, das ist wichtig für Maryse, Kathy und mich und da Tristan jetzt mit hinein geraten ist, musste er eben auch mitmachen.
Zum Abschied umarmt meine Tante jeden von uns nochmal - Tristan scheint sich sichtlich über ihre Größe zu wundern - und winkt uns zu, als wir aus der Tür treten.
"Wir können mit dem Lykan fahren", schlage ich vor und Tristan nickt zustimmend.
"Aber nur, wenn ihr mich bis vor die Schule bringt. Auf diesen Höllendingern will ich nicht noch zwei Blocks weit laufen", beschwert sich Kathy indirekt über ihre Schuhe.
"Dann lass dich doch von Carter tragen", meint Tristan grinsend und zwinkert uns beiden zu.
"Warum hast du dir nicht einfach Sneaker angezogen?", will ich stattdessen wissen, ohne auf Tristans Sticheleien einzugehen.
Sie zeigt auf ihr Kleid. "Glaubst du wirklich, dass man hierzu Sneakers anziehen sollte? Ich muss dir dringend Nachhilfe in Sachen Mode geben." Sie schüttelt den Kopf und schnalzt mahnend mit der Zunge.
"Dann fahren wir eben vor. Super." Ich kann es mir einfach nicht verkneifen, meine Augen zu verdrehen. Seit mehr als einem Jahr habe ich es geschafft, das Auto vor allen anderen zu verbergen und kaum ist Homecoming, muss ich das offenbaren. Einfach toll.
Die Fahrt zur Schule dauert nicht lang und schon von weitem sieht man, dass sich die Organisatoren viel Mühe gegeben haben, da alles bis in kleinste Detail geplant zu sein scheint.
Als wir auf den randvoll gefüllten Parkplatz fahren und ich auf einem Platz vor einem Baum halte, den anscheinend niemand als Parkplatz erkannt hat, werden uns einige neugierige Blicke zugeworfen - wahrscheinlich um zu erfahren, wer aus dem Auto steigt.
Da die Scheiben getönt sind, kann uns bis jetzt noch niemand sehen.
Tristan sieht zu mir. "Freunde oder Paar?", fragt er und greift nach meiner Hand, die ich um das Lenkrad gekrallt habe.
"Heute Abend ist sowieso alles egal." Unsicher sehe ich zu ihm und drücke kurz seine Hand. "Also Paar."
Kathy auf der Rückbank quietscht auf, dann steige ich aus und kann die überraschten Blicke meiner Mitschüler erkennen.
Als ich um das Fahrzeug herum gehe und Tristan aus dem Wagen helfe, sind ihre Kinnladen nahezu auf dem Boden. Ich nehme noch Kathys Hand und halte sie kurz, damit sie ihr Gleichgewicht wieder herstellen kann.
"Danke", haucht sie und ich lasse sie wieder los. Anstelle ihrer Hand nehme ich Tristans und wir laufen auf den Veranstaltungsort - die Turnhalle - zu.
Als wir drinnen sind, zieht Tristan mich zu sich und küsst mich vor versammelter Mannschaft, nur um mich letztlich anzulächeln und seine Hand, die ich die ganze Zeit gehalten habe, um meine Taille zu legen.
"Na, wen haben wir denn da?", hören wir eine Stimme von hinter uns.
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Kriege ich einen Preis für den miesesten Cut?
Habt ihr Vermutungen, wer da so hinter den beiden steht? Ich freue mich auf Antworten 🤗.
Und andere Frage: Wollt ihr den Klappentext der Fortsetzung im nächsten Kapitel haben, oder eher nicht?
Einen schönen Tag, bis Freitag 😉.
Man liest sich (hoffentlich). 👋🏻❤
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