-𝕋𝕨𝕖𝕟𝕥𝕪 𝕊𝕚𝕩-

Point of view Tristan

Nachdem Carter zur Tür gegangen ist, klingelt mein Handy.

"Was ist los, Mom?", frage ich, von einer bösen Vorahnung geplagt.

"Es geht um Zarah. Komm ... komm bitte ins Krankenhaus." Meine Mutter schluchzt kurz und mit einer gemurmelten Bestätigung lege ich auf.

Es ist klar, dass es passieren muss, aber warum ausgerechnet jetzt?

Leise seufze ich auf und erhebe mich vom Bett, um schließlich die Treppen herunter zu gehen und Carter, Maryse und Benji anzutreffen.

Was will der denn hier?

Ohne ihm weiter Beachtung zu schenken, gehe ich auf Carter zu, schließe ihn in meine Arme und küsse ihn kurz. Meine Worte beinhalten irgendetwas mit meiner Mutter und Zarah, aber ich nehme nicht wirklich wahr, was eigentlich um mich herum passiert.

Wie im Delirium kann ich erst wieder klar denken, als ich im Wartezimmer des Krankenhauses meinen Dad erblicke, den eine unnatürliche Blässe ziert.

"Dad", keuche ich, wahrscheinlich bin ich vom Parkplatz hierher gerannt.

"Da bist du ja, Tristan! Hat deine Mutter dich angerufen?" Ich nicke eifrig und setze mich neben ihn. Kurz sehe ich mich um; mintfarbene Wände, graue, braune und orangene Sessel, eine Garderobe, Fachmagazine und ein Wasserspender.

Ein typisches Wartezimmer.

Wir schweigen einen kurzen Moment und ich beobachte die anderen Leuten, deren Gesichter ungeduldige Spannung vermitteln. Irgendwie kann ich sehr gut nachvollziehen, was sie empfinden; mir geht es in diesem Moment nicht anders.

"Wie geht es ihr jetzt? Ist sie wach?", frage ich schließlich, als mir die einheitlichen, nichts sagenden Gesichter der Wartenden zu viel werden.

"Es geht ihr, glaube ich, schon besser, seit sie hier ist. Und zurzeit schläft sie, aber die Ärztin sagte, sie würde bald aufwachen." Mein Vater starrt nachdenklich in der Gegend herum; wie ich vorher mustert auch er die stummen Masken des Entsetzens und der Ungeduld um uns herum.

Ich seufze. Zarah, dich trifft wirklich ein hartes Schicksal.

"Tristan, Gott sei Dank bist du hier!", meine Mutter kommt ins Wartezimmer gestürzt und einige Leute schauen von ihren Lektüren oder Smartphones auf. "Zarah ist aufgewacht, die Ärztin meinte, wir können jetzt zu ihr." Sie scheint sehr aufgeregt zu sein, aber das ist verständlich, schließlich müssen wir jede Zeit, die uns mit Zarah bleibt, nutzen.

Mein Vater und ich springen auf und folgen meiner Mutter ins Behandlungszimmer, in dem meine Schwester untergebracht ist.

Ihre Augen sind leicht geöffnet und bilden Schlitze, an ihre offengelegten Arminnenseiten sind unzäglbare Menge von Kathetern angeschlossen, aber trotzdem schafft sie es irgendwie doch uns zuzulächeln.

Ihre Haut wirkt fast grau, vielleicht ist sie aber eher kalkweiß, wie die Wände des Zimmers, doch das Lächeln nimmt den ganzen Raum ein; die Euphorie, die auch unsere Mutter tagtäglich offen zeigt, die Art und Weise, jeden Menschen mit Freundlichkeit und ohne Vorurteile zu begegnen.

Irgendwie sieht sie unserer Mutter jetzt ähnlicher, als ich es tue, obwohl ich ihr nahezu aus dem Gesicht geschnitten bin, während Zarah nur ihre zarten Wangenknochen und die Haare von ihr hat. Aber ihr Lächeln ist wirklich wunderschön, vor allem im Angesicht der langen Zeit, die sie von nun an im Krankenhaus wird verbringen müssen.

"Hey", sagt sie mit kratzig rauer Stimme, so leise, dass ich es kaum gehört habe.

"Hallo, mein Schatz." Mom tritt näher an das Bett heran und streicht ihrer Tochter sanft durch die Haare. "Jordan hat es leider nicht geschafft, herzukommen, aber er wünscht dir gute Besserung." Auch sie lächelt hinunter und sieht dabei schöner aus, als jeder andere Mensch.

"Danke." Zarah wirkt schwächer, ihre Stimme bricht mehrmals und sie verschluckt sich, nur um sich schließlich zu räuspern.

Für ein paar Sekunden schließt sie die Augen und alle Anwesenden können ihr geräuschvolles Ausatmen hören. Als sie sie wieder öffnet, scheint das ausdrucksstarke Grün mich zu durchbohren; ein Dolch, dessen seidene Hülle von ihm genommen wurde und der jetzt in vollem Glanz erstrahlt.

Ich trete wie in Trance auf sie zu und schließe ihren zierlichen, vierzehnjährigen Körper in meine Arme, während sie leise zu schluchzen beginnt. Ich streiche zart über ihren Rücken, ähnlich wie ich es manchmal bei Carter vollführe und ich fühle mich zurückversetzt in unsere Kinderjahre. In die Zeit, in der ich sie jeden Abend so gehalten habe, in der ich sie davor bewart habe, sich in den Schlaf zu weinen.

Nostalgisch wie ich nun mal bin, versinke ich in Erinnerungen und trete offizell aus dem hier und jetzt aus. Muss ja auch keiner wissen.

"Ich hab dich so lieb, Zarah. Bitte ... bitte verlass' mich einfach nicht."

----

Etwas, das mich seit zwei Tagen beschäftigt, das ich aber noch nicht geklärt habe, traue ich mich erst jetzt zu erledigen. Vielleicht stehe ich deshalb um kurz vor acht am selben Tag vor der Haustür der Familie Redwood.

Aber vielleicht bin ich auch völlig geisteskrank, denn bereit darüber zu reden bin ich eigentlich noch nicht.

Wie dem auch sei; Augen zu und durch, oder wie sagt man so schön?

Ich klopfe an der Tür und höre polternde Schritte auf der Treppe. Seit wann rennt Carter die Treppen runter?

Weiter kann ich mich damit nicht befassen, da er die Tür öffnet und mir in die Arme fällt. Irgendwie überrascht schweige ich still und halte ihn in meinen Armen. Ein wahnsinnig schönes Gefühl.

Noch immer keine Worte hervorbringend, zieht er mich am Arm in das Haus hinein. Es ist sehr viel wärmer als draußen, auch wenn es außerhalb der Mauern nicht kalt, sondern angenehme 59 Grad sind.

Wir setzen uns, entgegen meines Erwartens, ins Wohnzimmer und aufgrund dieser Tatsache sehe ich Carter verwirrt an.

"Maryse ist nicht da. Sie macht zur Zeit irgendetwas im Stadtbeirat und muss ständig auf jegliche Versammlungen gehen, die die Stadt momentan zu bieten hat. Dabei könnte man meinen, dass alle jetzt schon in Thanksgiving-Laune sind." Er gestikuliert ein wenig, aber nicht sehr ausdrucksstark, doch trotzdem ist das eine Premiere – ich habe wirklich noch nie erlebt, dass er seine Hände zur Verdeutlichung seiner Worte eingesetzt hat.

Ich nicke und sehe mich um. Normalerweise bin ich kaum im Wohnzimmer des Hauses – Carter und ich hängen fast immer in seinem Zimmer ab.

Es ist wirklich schön; groß aber gemütlich wirkt es wohl, wenn man zum ersten Mal diesen Raum betritt – zumindest hat es auf mich beim ersten Mal so gewirkt.

Langsam und tief atme ich durch. Ich sollte schleunigst mit dem Reden anfangen, sonst würde ich hyperventilieren.

Carter sieht mich an und scheint ergründen zu wollen, was ihm zu sagen habe. Irgendwann, nach ein paar Sekunden gibt er es auf und macht eine Handbewegung, die mir symbolisiert, dass ich anfangen soll zu reden.

"Also ... ich würde gern mit dir darüber reden, was Clayton beim Homecoming gesagt hat." Er nickt und scheint darauf zu warten, dass ich weiter rede. Vorsorglich schließe ich meine Augen. "Es ist so: Noah und ich kennen uns schon lange, genau wie du und er. Aber das ist ja auch verständlich, schließlich kennt hier jeder fast jeden und -"

"Tut mir leid für die Unterbrechung, aber kurze Verständnis-Frage: Wir reden hier von Noah Churchill, Elyias Bruder, oder?" Carters Reaktion entsprechend ist irgendetwas zwischen Noah und ihm vorgefallen, das ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstehe. Darüber werde ich ihn später aber definitiv noch ausfragen.

"Ja, richtig, es geht um Noah Churchill. In jedem Fall haben Noah und ich für fast einen Monat eine Beziehung geführt. Das war in der Junior High und ich schwöre dir, dass ich jetzt nichts mehr für ihn empfinde." Das stimmt nicht.

Nein, eigentlich ist es sogar komplett gelogen. Ich empfinde sehr stark für Noah.

"Okay."

Da ich nicht einschätzen kann, ob Carter sauer auf mich ist, oder seine Reaktionsschwäche wieder zum Vorschein kommt, führe ich meine vorangestellten Worte weiter aus: "Unsere Beziehung nahm ein – zumindest für mich – abruptes Ende, als Noah mir erzählte, er hätte mich von hinten nach vorne über den Tisch gezogen. Es sei eine Wette mit seinen ach so tollen Freunden gewesen, die ich genauso wenig leiden konnte, wie sie mich.

Von dem Tag an, als diese Beziehung beendet war und Noah mich nach Strich und Faden betrogen hat, habe ich mir ein größeres Selbstbewusstsein aufgebaut, habe angefangen, die Meinung anderer zwar zu respektieren, sie aber ansonsten nicht an mich ranzulassen. Außerdem habe ich angefangen, Football zu spielen. Eigentlich wollte ich ins Rugby-Team, aber ich habe gehört, wie sie einen wegen seiner Sexualität runter gemacht haben, deshalb hat sich das für mich dann erledigt.

Es war mir von da an völlig egal, was andere darüber dachten. Die einzigen Meinungen, die mich interessierten, waren die meiner Familie. Jetzt, im letzten Jahr der Senior High, in dem sowieso alles egal ist, habe ich dich und Kathy kennen gelernt – und das ist das Beste, was mir je passieren konnte."

Bedeutungsschwere Blicke werden ausgetauscht, während ich an nichts anderes denken kann, als an die Tatsache, dass ich ihn angelogen habe – ich empfinde definitiv etwas für Noah.

Aber dieses Etwas ist keine Liebe, keine Freundschaft, kein Hass.

Es ist Abscheu.

Ich hasse Noah nicht. Ich verabscheue ihn mit jedem Zentimeter meines Seins, was bei meinem einen Meter neunundachtzig schon wirklich viel ist.

Und wenn er Carter etwas tut, oder schon getan haben sollte, werde ich ihm eigenhändig den Hals umdrehen, so viel steht schon mal fest.

----

Wie fandet ihr das Kapitel aus Tristans Sicht?

Ich hoffe, dass es euch gefallen hat 😁.

Was denkt ihr, hat Zarah?

Freue mich auf eure Antworten und bis Freitag 🤗.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top