-𝕋𝕙𝕚𝕣𝕥𝕪 𝕋𝕨𝕠 | 1-

Point of view Zach

Als ich ausgeschlafen habe - oder eher: als Carter mich aus dem Bett gescheucht hat -, ist er irgendwie schon längst angezogen und wirkt mental auf jeden Fall stabiler als gestern.

Es ist kurz nach sieben, als Carter sich auf dem Fahrer- und ich mich auf dem Beifahrersitz niederlasse.

"Da das Haus deiner Eltern auf meinem Weg liegt, setze ich dich dort ab und fahre weiter zur Schule. Sollte Kathy mich bis dahin nicht hassen, kann ich sie mitnehmen, wenn doch, wird das ganze ein wenig kritisch", erklärt er mir, wirkt dabei aber nicht so, als sei der letzte Satz witzig gemeint gewesen.

Ich weiß ehrlich nicht, was ich von ihm halten soll.

"Okay." Nickend schnalle ich mich an und Carter startet den Motor.

Nach einer Zeit der Stille frage ich: "Was hast du heute so für Fächer?" Ich bin kein Mensch, der gern Smalltalk betreibt, aber da Carter noch weniger der Typ dafür zu sein scheint, muss ich das wohl übernehmen.

"Geografie, Physik und Englisch, in der Reihenfolge." Seine Augen sind immer noch nach vorn gerichtet, wahrscheinlich wären sie das sogar, wenn ich aus der Tür springen würde.

Aus Carter werde ich wohl einfach nicht schlau.

Als er vor unserer Einfahrt hält und ich aussteige, um meinen Rucksack, den ich im Kofferraum verstaut habe, herauszuholen, lässt er sein Fenster herunter und sagt mir, während ich auf die Haustür zusteuere: "Bitte sag Kathy, was du ihr sagen musst."

Kurz stutze ich, doch dann nicke ich ihm entschlossen zu. Ich glaube, dass sich ein Lächeln auf seine Lippen schleicht, aber sicher bin ich mir nicht, da er das Fenster wieder schließt und davonfährt.

Ich atme tief durch und schließe dann die Haustür auf, nicht bevor ich noch einmal niesen muss.

"Endlich bist du da, Zach, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!", begrüßt mich meine Mutter und sieht mich besorgt-vorwurfsvoll an, was ich nur mit einem Niesen kommentieren kann, das schneller ist, als es mir überhaupt möglich ist, zu reagieren.

Meine Mutter wird augenblicklich kreidebleich. "Bist du krank, mein Schatz?"

Ich zucke mit den Schultern und nicke leicht, vielleicht ein wenig unmotiviert. "Ja, Mom."

"Ich werde dich sofort bei der Schule abmelden, so gehst du mir nicht mehr aus dem Haus." Aufgebracht wedelt sie mit ihren Händen durch die Gegend, was mich zu einem hustenden Lachen bringt.

Manchmal ist es doch schon witzig, eine Über-Mutter zu haben.

"Du solltest dich jetzt schleunigst ins Bett legen, Zach. Wo hast du dir denn schon wieder einen Virus eingefangen? Ich fasse es einfach nicht ...", beginnt meine Mutter ihre Selbstgespräche zu führen.

Ich dagegen will mich eigentlich schnell aus dem Staub machen, aber ein weiteres Niesen meinerseits unterbricht Mom in ihrem Redeschwall.

"Ich bin einfach nur froh, dass es dir gut geht." Irgendeine unsichtbare Sentimentalität scheint sie ergriffen zu haben und Tränen glitzern unwillkürlich in ihren Augen.

Als nichtsahnendes Ich weiß ich natürlich nicht, was ich tun soll – Mom weint sonst nämlich eigentlich nicht.

Sie lächelt mich an und wischt sich die Tränen aus den Augen, während mein Vater, der im Türrahmen zwischen Flur und Wohnzimmer aufgetaucht ist, einen Arm locker um ihre Hüfte legt.

"Wir sollten es ihm sagen", flüstert er – auch für mich verständlich – meiner Mutter zu, die traurig nickt und bedeutungsschwere Blicke mit meinem Vater austauscht.

Jetzt bin icb völlig raus und während des Schweigens, das darauf folgt, verstehe ich noch weniger als Bahnhof – auch wenn sie eigentlich nicht sprechen. Aber trotzdem scheinen sie zu kommunizieren, als hätte sie eine stille, geheime Sprache, die niemand außer sie versteht.

"Was solltet ihr mir erzählen?" Zweifelnd die Augenbrauen nach oben gezogen, sehe ich sie an und lege den Kopf schief, als sie nach zwei Minuten noch nicht antworten.

Betreten versuchen sie, meinen Blick zu meiden, aber ich würde jetzt wirklich gern wissen, was hier los ist.

Im ersten Moment denke ich daran, dass sie sich vielleicht scheiden lassen wollen, aber anhand der Szenerie, die sich vor meinen Augen abspielt, verwerfe ich den Gedanken ganz schnell wieder.

"Es geht um deine Schwester", erbarmt sich mein Vater irgendwann, etwas zu sagen.

Kurz kriege ich einen Schrecken; ist Kathy etwas passiert? Aber beruhigt kann ich ausatmen, als ich ihren blonden Schopf durch den Türrahmen zur Küche entdecke.

"Aber Kathy geht es doch gut. Was sollte denn mit ihr sein, dass ihr so ein Drama daraus macht. Hat sie Krebs? Eine Lebensmittelvergiftung? Wollte sie abhauen und mit irgendwem durchbrennen?" Mir kommen noch schlimmere Dinge in den Sinn, von denen ich mich aber nicht traue, sie auszusprechen, weil nicht einmal meine Fantasie sich das ausmalen will.

"Nein, ihr geht es wirklich gut. Ich rede aber auch nicht von Kathy", erklärt mein Vater, wirft aber damit mehr Fragen als Antworten in den Raum.

"Wenn es nicht um Kathy geht, um wen soll es dann gehen? Ich habe keine weitere Schwester." In dem Moment, in dem ich die Worte ausspreche, wird mir bewusst, dass sie falsch sind, vor allem aufgrund der Blicke, die meine Eltern mir zuwerfen.

"Du hast ... hattest eine weitere Schwester." Moms Worte brennen sich in meinen Kopf. Eine weitere Schwester.

"Du sagtest, ich hatte eine weitere Schwester, oder? Was ist mit ihr passiert?", will ich wissen und muss die Zähne fest zusammen beißen, um nicht zu schreien.

"Ihr Name war Rhea; du hast sie nie kennen gelernt, da sie bereits vor deiner Geburt gestorben ist."

Ich schließe die Augen; atme ein; atme aus. "Wie ist sie gestorben?" Meine Augen sind immer noch geschlossen und ich kann nicht mehr nachdenken.

"Sie wurde entführt und dann getötet, als sie acht war. Zu der Zeit war deine Mutter mit dir schwanger und wir waren eigentlich wirklich glücklich mit unserer Situation. Als Rhea dann aber weg war ... ging alles irgendwie bergab. Kathy war gerade mal anderthalb Jahre alt, sie hat nichts davon mitbekommen. Wir wollten nicht über eure Schwester reden, also haben wir es gelassen. Aber jedes Mal, wenn einer von euch beiden nicht nach Hause kommt, sind wir sehr besorgt." Mein Vater wirkt trauriger, als ich ihn je erlebt habe und irgendwie fühle ich mich, als hätte man mir zu viel Morphium gespritzt.

"Sie war immer eher nachdenklich und still, aber wenn man sie zum Lachen brachte, war sie das schönste Mädchen der Welt. So wie du und Kathy, euer Lachen ist auch wunderschön. Ich kann bis heute nicht glauben, dass sie ... dass sie-" Meine Mom hört auf zu sprechen, da ihre Stimme bricht, mein Dad verfestigt dafür den Griff um ihre Hüfte.

"Ist ... ist schon in Ordnung, Mom. Jetzt weiß ich, warum ihr so seid, wie ihr seid. Es ... hat mich überrascht, aber-" Ich breche ab, weil ich nicht wirklich weiß, was ich sagen soll. Mein Vater nickt mir zu und ich durchquere den Flur in die Richtung meines Zimmers, wo ich mich auf mein Bett lege und minutenlang an die Decke starre.

"Hey, Zach." Meine Schwester steckt ihren Kopf durch den Türspalt und sieht mich belustigt an. "Wo warst du?", fragt sie mich, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie mich hassen wird, wenn ich ihr das jetzt sage – und nicht nur mich, sondern auch Carter.

"Kann ich dir was sagen?", will ich wissen, ohne auf ihre Frage einzugehen. Sie nickt und setzt sich neben mich auf das Bett.

Tief atme ich durch und erinnere mich an Carters Worte: Sag ihr, was du sagen musst. Ich werde sterben, so viel ist sicher.

"Also ... ich ... ich-"

"Was ist los, Zach?", hakt sie nach, plötzlich besorgt.

"Ich bin schwul", gebe ich kleinlaut von mir und ein paar Sekunden lang herrscht Stille.

"Wo warst du?", wiederholt sie dann ihre Frage von vorhin, diesmal härter und lange nicht so fröhlich. Ich hatte recht – ich bin so gut wie tot.

Meine Augen sind schon geschlossen in Erwartung des Lichtes. Ich hatte ein schönes und kurzes Leben, das von jetzt an vorbei ist.

"Wo warst du?" Ihrer Stimmer verleiht sie mehr Nachdruck und wird dadurch auch ein wenig lauter.

"Bei Carter, verdammt!", rufe ich aus, als ich dem Druck nicht mehr standhalten kann, während ich ihr fest in die Augen sehe. Dabei kann ich beobachten, wie sich ihre Miene schlagartig verfinstert.

Mit den Worten "Ich bringe ihn um" verschwindet sie aus meinem Zimmer und ich kann ihr nicht einmal mehr hinterherrufen, dass er mir gerade wirklich geholfen hat, da ich schon die Haustür zuschlagen höre.

Ich bin so ein verdammter Idiot.

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Okay, das Kapitel aus Zachs Sicht ist ein bisschen länger geworden, als geplant ... huch?

Wie dem auch sei, ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat und ihr euch auf das spätere Kapitel freut :)

Bis dann 👋🏻.

Man liest sich (hoffentlich) 😊.

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