-𝕋𝕙𝕚𝕣𝕥𝕪 𝕊𝕖𝕧𝕖𝕟-
Ich drehe mich langsam um, meine Schritte habe ich eingestellt. Dann lasse ich meinen Blick durch die Gegend schweifen: Auf der Straße, auf der wir uns befinden - die das Schicksal scheinbar für dieses Treffen bestimmt hat -, ist niemand mehr, als wäre der Teufel persönlich gekommen und hätte alles Leben ausgesaugt.
Kurz stutze ich; wie komme ich denn jetzt auf so etwas?
Ein wenig bin ich noch außer Atem - verständlich, nachdem ich mehr als zwei Stunden am Stück gelaufen bin -, aber inzwischen geht es fast schon wieder.
"Man, bist du schnell, Carter." Diese Worte erinnern mich daran, dass ich ja nicht der einzige in dieser verlassenen Straße bin, deshalb sehe ich meinen Gegenüber perplex an.
Warum ist er ausgerechnet jetzt hierher gekommen, da ich gerade mein ganz eigenes Drama vergessen und abschalten konnte? Das hätte wirklich nicht sein müssen.
"Was ist los?", komme ich auf den Punkt, da er auch nach minutenlangem Schweigen meinerseits keine ordnungsgemäße Reaktion zeigt.
"Es- Ich ..." Blinzelnd starre ich ihn an. Er hat immer noch nicht gelernt, lege artis ganze Sätze zu bilden, sodass es nach einer Zeit schwer werden könnte, ihm zuzuhören.
"Bitte überleg dir vorher, was du ausdrücken möchtest und formulier dann einen Satz, den man als Normalsterblicher versteht, okay? Sonst weiß ich nicht, was genau du mir vermitteln willst." Angestrengt denke ich nach, was er mir sagen könnte, das so wichtig ist, dass er mitten in der Nacht meine reguläre Joggingrunde kreuzt und mich aufsucht.
Von der Richtung her hätte er gerade auf dem Weg zu mir nach Hause sein können, vielleicht war das ja sein Ziel.
Tief atmet er durch, die Augen geschlossen, als würde er scharf nachdenken. Nach drei weiteren Atemzügen öffnet er die Augen wieder und sieht mich konzentriert an.
"Ich habe getan, was ich tun konnte, habe ich wirklich, Carter, dass musst du mir glauben. Vielleicht habe ich jetzt ein wenig länger gebraucht, aber ich habe geschafft, sie zu überzeugen." Er scheint fast schon zu strahlen, wie ein eigener Himmelskörper - ein ganzer Stern.
"Zach ...", setze ich an, doch werde von ihm unterbrochen, als er wild gestikulierend fortfährt.
"Auch wenn es einen ganzen Monat gedauert hat, Carter, hat sie mir endlich zugehört! Ich habe ihr alles erzählt - auch von deinem Sturz. Kathy ist nicht mehr sauer auf dich und ... und es tut ihr leid!" Er wirkt aufgeregt, als sei das die Neuigkeit des Jahrhunderts, aber ich halte den Ausdruck auf meinem Gesicht kühl.
Mir war von Anfang an klar, dass sie ihm irgendwann glauben würde; wann genau, wusste ich nicht, aber dass es geschehen würde, da war ich mir sicher. Wir können nun mal nicht ohne einander.
Langsam, seine Worte nach und nach verarbeitend, nicke ich. "Okay. Das ist schön, wirklich schön. Wo ist sie jetzt?", frage ich dann, was Zach dazu veranlasst, sich umzudrehen.
"Hier bin ich, Carter." Kathy schreitet um die Ecke und ihr gesamter Auftritt erinnert mehr an eine selbstsichere Superheldin, die soeben die ganze Stadt gerettet hat, als an die normale, etwas aufgedreht Highschool-Schülerin, die sie eigentlich ist.
Ihre Schritte sind klein und deshalb sehr langsam, aber trotzdem strahlt ihre gesamte Haltung pure Energie aus, als würde sie am liebsten auf mich zu stürmen.
Als sie vor mir stehen bleibt, sieht sie unter gesenkten Lidern zu mir auf, dann schlingt sie ihre zarten Arme um meinen Oberkörper. Für meinen Geschmack habe ich heute schon zu viele Umarmungen bekommen, aber ich lasse sie gewähren, da wir uns seit mehr als einem Monat schon nicht umarmt haben.
Ich sehe mich um. Zach biegt gerade um die Ecke und wirft noch einen letzten Blick in unsere Richtung, bevor er mit einem Lächeln im Gesicht verschwindet.
"Lass uns zu dir gehen, okay?" Kathys so vertraute Augen sind glasig unter dem Schein der Straßenlaterne, was ich aber unkommentiert lasse. Stattdessen nicke ich, auf ihre eigentliche Frage reagierend und mache mich ihr voran auf den Weg nach Hause.
Die feinen Tropfen sammeln sich in ihren Haaren, als ich zu ihr herunter sehe und mich frage, wann wir das letzte Mal einen Streit mit einem solchen Ausmaß hatten.
Sonst kann sie mir kaum fünf Minuten böse sein; ich bin sowieso nie sauer auf sie, weil ich dafür einfach keinen Grund sehe. Zwischenmenschliche Konflikte sind in so einem Fall schließlich völlig unnötig.
"Was ist?", fragt sie, ihren Blick in meine Richtung geheftet. Sie ist stehen geblieben und wieder einmal frage ich mich, was sie dazu veranlasst hat.
"Ich habe mich nur gefragt, wann wir uns das letzte Mal so gestritten haben." Nachdenklich führe ich meinen Weg fort, ohne zurück zu schauen, ob sie mir auch brav folgt.
"Das ist schon wirklich lange her." Kathy macht zwar kleine Schritte, dafür sind sie aber so schnell - zumindest wenn sie will -, dass sie fast mit meinem normalen Tempo mithalten könnte.
Die letzten Minuten schlendern wir die Straßen entlang, wahrscheinlich fast aussehend, wie ein altes Ehepaar. Ich fühle mich gebremst - wahrscheinlich wäre ich schon dreimal Zuhause -, aber ich sage nichts, weil schweigen manchmal besser ist, als Dinge zu sagen, die man im Nachhinein bereuen würde.
Leise öffne ich die Tür und lasse Kathy vorgehen, damit ich wieder abschließen kann. Im Wohnzimmer brennt Licht, wahrscheinlich ist Maryse beim Lesen oder Fernsehen eingeschlafen.
Kathy dreht sich infolge dessen zu mir um, dass ich ihr auf die Schulter getippt habe. "Ich werde kurz nach Maryse schauen, geh am besten schon mal hoch in mein Zimmer, ja?" Mit dem gleichen Finger, mit dem ich ihr eben noch auf die Schulter getippt habe - dem linken Zeigefinger -, weise ich jetzt auf die Treppe uns gegenüber.
Bestätigend nickt sie und macht sich auf ihren Weg, ich, ihrem Beispiel folgend, gehe derweil ins Wohnzimmer.
Meine Vermutung bewahrheitet sich, als ich einen Schritt in das Wohnzimmer mache. Im Hintergrund läuft leise der Fernseher auf irgendeinem Abendprogramm und Maryse' Kopf ruht auf einem der Kissen, von denen alle anderen überall auf dem Boden vestreut liegen, als hätte sie mit sich selbst eine Kissenschlacht gemacht.
Ihre geschlossenen Lider zucken kurz und für einen Moment denke ich, sie würdd aufwachen. Aber da sie auch eine Minute später nicht die Augen aufschlägt, nehme ich aus der Holzkommode neben dem Fernseher eine Decke, auf der kleine Katzenbabys abgebildet sind.
Während ich die Decke über dem Körper meiner Tante ausbreite, rümpfe ich die Nase und kratze sie dann übergangsweise. Dann schalte ich noch den Fernseher aus und lösche das Licht, ehe ich mich ebenfalls auf den Weg die Treppe nach oben mache.
In meinem Zimmer sitzt Kathy auf dem Boden. Das tut sie immer, wenn sie bei mir ist und dass sich das jetzt nicht geändert hat, ist seltsam beruhigend.
Erst knie ich mich hin, doch dann setze auch ich mich zu ihr auf den Boden. Das Intervall zwischen meiner Ankunft in meinem Zimmer und dem nächsten Wort, das gesprochen wird, füllen wir mit schweigenden Atemzügen und kaum sinnhaften Blickaustauschen.
"Erst einmal will ich sagen, dass es mir leid tut. Ich habe wirklich überreagiert, das war falsch. Ich ... war wohl einfach wütend, weil ich dachte, du hättest Zach ... ich weiß es auch nicht so genau." Fast schon deprimiert lässt sie ihre Schultern hängen, während ich nur meinen Blick auf meine ineinander verschränkten Hände richten kann.
"Du hast Dinge zu mir gesagt, die keinen Sinn ergeben haben - zumindest für mich nicht. Die Zeit ohne dich war wirklich hart und ich bin froh, dass du dich wieder beruhigt hast." Noch immer sehe ich sie nicht an - scheine sie nicht ansehen zu können - und ich bin mir in diesem Moment sicher, dass es ihr ähnlich geht wie mir.
"Kannst du mir meinen Ausrutscher trotzdem verzeihen, Carter?" Jetzt hebe ich meinen Blick wieder und meine Augen finden fast direkt ihre, die mich flehentlich anstarren.
Ich zucke mit den Schultern. "Eigentlich habe ich gar nicht verstanden, warum du sauer warst. Böse war ich dir aber trotzdem nicht - keine Sekunde lang."
Nahezu erleichtert scheint sie durchzuatmen. "Dann bin ich froh. Ehrlichgesagt dachte ich, du und Zach hättet miteinander geschlafen, was an und für sich auch gar nicht schlimm wäre. Aber ich war trotzdem sauer, denn eigentlich hatte ich vermutet, du würdest es mir sagen, wenn ihr etwas miteinander hättet. Außerdem ging es mir zu dem Zeitpunkt nicht so gut, als Zach sich dann geoutet hat, deshalb habe ich ein wenig überreagiert.
Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um zu verstehen, dass das mit eich in Ordnung ist, ich hätte das von Anfang an merken müssen."
"Du weißt aber hoffentlich schon, dass Zach und ich nicht wirklich miteinander geschlafen haben, oder?"
Ein wenig irritiert nickt sie. "Ja, er hat mich aufgeklärt. Ich dachte schon, du würdest Tristan betrügen." Ein wenig hysterisch lacht sie, aber als ich nur wortlos schlucke, schweigt sie sofort still.
Mein Blick ist wieder auf meine Hände gesenkt, aber trotzdem kläre ich sie auf: "Tristan und ich sind nicht mehr zusammen."
Nachdem diese Bombe geplatzt wäre, bekomme ich ungefähr 267 Sekunden lang nur stumme, forschende Blicke zugeworfen, die alle W-Fragen aufzuwerfen scheinen.
Irgendwann, als sie sich wieder gefangen hat, atmet sie tief durch und schließt einen kurzen Moment ihre Augen.
"Erzähl mir alles", ist dann das erste, was sie hervorbringen kann und es bleibt auch das einzige, da ich - ihrer Aufforderung natürlich nachkommend - beginne zu reden.
"Die Kurzfassung ist, dass Noah und Tristan sich geküsst haben und ich seit dem nicht mehr mit ihm geredet habe. Das war kurz vor unserem Streit und ich wollte es dir nicht sagen, weil ich dachte, es würde deine Beziehung zu Tristan ruinieren und das wollte ich natürlich nicht. Ist schließlich deine Entscheidung, ob du ihn magst oder nicht magst, die wollte ich dir nicht einfach abnehmen." Wieder kratze ich meine Nase, aber Kathy nimmt meine Hand in ihre und bedenkt mich mit einem besorgt-strengem Blick.
"Hör auf, zu kratzen, C. Du weißt doch, dass das nicht gut für dich ist." Sie drückt bekräftigend meine Hand, die sie noch immer hält und sieht mir sekundenlang in die Augen.
"Maryse war im letzten Monat im Krankenhaus, deshalb bin ich zu ihm gegangen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich einfach hier geblieben wäre. Er hätte mich betrügen können und wir hätten mehr oder weniger glücklich weitergelebt, was wahrscheinlich besser als der jetzige Zustand wäre.
So war ich den ganzen Monat allein und habe Trübsal geblasen - du hast mich ignoriert und mit Tristan habe ich auch kein Wort gewechselt. Dann eröffnet Maryse mir heute - gerade mal ein paar Tage, nachdem sie wieder hier ist -, dass meine Eltern tot seien und dass ich Asperger-Autismis hätte. Es passt wirklich gut, dass du jetzt beschlossen hast, herzukommen." Diesmal ist es meine andere Hand, die über meine Nase fährt, aber auch sie nimmt Kathy zu meiner anderen Hand in ihre.
"Carter. Sieh mich an." Ich tue, was sie sagt und sehe in ihre grünen Augen, in denen sich etwas wie Schmerz widerspiegelt. "Egal, was mit dir ist, du kannst immer zu mir kommen, okay? Du musst mir versprechen, dass du das tust und selbst wenn du nicht sprechen wirst, komm einfach zu mir, ja? Versprich es mir." Flehend sieht sie mich an.
"Okay." Ich nicke einfach nur und sehe aus dem Fenster. Kathy dagegen schlingt ihre Arme wieder mal um meinen Oberkörper und zieht mich näher an sich.
"Ich hab dich so lieb! Vergiss das nicht, ja?" Ihr Kinn ruht auf meiner Schulter, ihre Hände auf meinem Rücken und irgendwann übt sie einen sanften Druck auf mich aus, sodass ich mich auf den Boden lege, ihr Kopf auf meiner Brust.
Die Muster in meiner Zimmerdecke, die ähnlich aussehen, wie die Tapete in Maryse' Schlafzimmer, finde ich plötzlich viel zu interessant, vor allem, da ich mir nicht sicher bin, was ich auf ihre Aussage antworten kann.
"Du solltest dringend mal mit Tristan reden, bevor er den Verstand noch weiter verliert und dein Herz bricht." Nachdenklich tippt sie mit ihrer rechten Hand auf meinem Bauch herum und tief atme ich ein.
"Herzen können nicht brechen. Sie sind Hohlmuskel. Muskeln können nun mal nicht brechen", erwidere ich, was sie dazu bringt, mich anzusehen.
"Und kannst du mir dann auch erklären, warum es dir wehgetan hat, als du gesehen hast, wie sie sich geküsst haben?" Provokant zieht sie eine Augenbraue hoch.
Mir fällt keine Antwort ein, außer: "Nein, das kann ich dir leider nicht erklären. Vielleicht bin ich ja krank." Ich kneife die Augen zusammen, ihren Blick auf mir spüre ich trotzdem.
"Oder total verliebt. Und für seine Liebe soll man ja bekanntlich kämpfen."
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Hi 🤗,
ich hoffe wie immer, dass euch das Kapitel gefallen hat und ihr schon gespannt auf das nächste seid 😁.
Euch noch einen schönen Sonntag und bis Dienstag. :)
Man liest sich (hoffentlich). 😊
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