-𝕊𝕖𝕧𝕖𝕟𝕥𝕖𝕖𝕟-

In der Zeit, in der ich mich nicht in der Realität befinde, kann sich so viel ändern.

Was, wenn ich die Besiedlung des Marses verpasse oder die Erfindung des Heilmittels von Krebs?

Was, wenn die Realität in Wahrheit ein Traum ist?

Eigentlich erträumen wir uns eine quicklebendige Welt, deren farbenfrohes Lachen dem Aufeinandertreffen der ersten Sonnenstrahlen und der Wasseroberfläche gleicht.

In Wirklichkeit nennt man die Farbe, die die Welt beschreibt, nicht bunt. Weil bunt ja auch eigentlich keine Farbe ist.

Ich weiß nicht, wie ich die Farbe der Welt nennen würde, weil es so viele Farben gibt, so viele vor allem, die die Welt beschreiben.

Möglicherweise soll man die Welt nicht auf ihre Farbe minimieren.

Aber wenn wir sie liquidieren, dann wenigstens mit der Explosion einer einzelnen Farbe - Gemische sind mir nämlich zuwider -, die die Erde seit ihrer Existenz beschreibt, von deren Bestehen aber bisher niemand geahnt hat.

Vielleicht bin ich ja deshalb schwul; ich kann das Mischen nicht leiden und habe deshalb nie Karten gespielt. Natürlich bezieht sich dieses Mischen dann auch auf das der Geschlechter, oder?

Die kalten, weißen Fliesen, die sich in meinen Rücken bohren wie die Nadeln einer Spritze, konkretisieren das Wort kalt-warm-Kontrast noch ein wenig, zumal das Wasser, das von vorne meinen Körper beregnet in etwa die Körpertemperatur eines Menschen besitzt.

Ich bin mehrmals fast ausgerutscht, während ich mir den Kopf gehalten und versucht habe, das Piepen in meinem Kopf zum Aufhören zu bewegen.

Was natürlich nicht geklappt hat.

Ich sehne mich in diesem Moment nach der unerreichbaren Stille, die in ihrem Glaskasten vor sich hin vegetiert. Stille wäre erträglicher als dieses viel zu hohe Piepen, das alle anderen Geräusche dominiert.

Genau weiß ich nicht, wie lange ich schon hier sitze. Das Piepen hört nicht auf und ich könnte Stunden in der Gegend herumstarren, ohne überhaupt zu bemerken, dass eine einzelne Sekunde vergangen ist.

Irgendwann mischt sich in das Piepen ein anderes Geräusch, dass ich nur wie durch Watte zu hören bekommen.

Ich atme schwerfällig, das Wasser kommt immer noch aus dem Duschkopf geschossen, ein unveränderter Druck bestimmt die Geschwindigkeit.

Verschwommen zeichnen sich einzelne Farbklekse vor meinem Auge ab, doch ich kann nicht erkennen, was für ein Bild sie letztlich ergeben.

"Carter." Die Stimme ist leise und kommt aus weiter Ferne.

Ich kann nicht klar sehen, trockene Tränen rinnen aus meinen Augen.

"Mach', dass es aufhört!" Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich die Worte ausgesprochen habe, aber ich weiß, dass das Piepen wieder schlimmer geworden ist.

Meine Hände presse ich als Ausführung des automatischen Schutzreflexes gegen meinen Kopf und schließe die Augen fest.

Ich will noch nicht sterben.

Wenn ich die Augen geschlossen halte, befinden sich nacht- und blauschwarze Töne hinter meinen Lidern, gemischt mit einer dunklen Schattierung von grün - Farben, die ich normalerweise nicht sehe.

Nicht einmal wenn ich mich konzentriere könnte ich eine pure, schwarze Farbe hervorrufen, ohne sie mit roten, weißen oder gelben Facetten zu versehen. Kontrastfarben des grün-blau-schwarz meiner momentanen Sicht.

"Carter." Jemand fasst mich an und ich zucke zurück, als es hinter meinen Lidern heller wird. Ich will die Augen öffnen, habe aber Angst davor, erblindet zu sein.

"Bitte", kommt über meine zitternden Lippen.

Ich weiß nicht einmal mehr, wie das Ganze hier angefangen hat, sondern nur noch, dass der Auslöser Tristans Verschwinden war. Kathy und er waren weg und das Piepen hat begonnen.

Vielleicht hat das etwas damit zu tun, was Victor gesagt hat. Es waren zwei Sätze, die Tristan in seiner Wut wahrscheinlich nicht einmal wahrgenommen hat, die mich dafür aber umso mehr verletzt haben.

Mit jemandem wie dir, Carter, jemandem, der das tut, was du tust, möchte ich nichts mehr zu tun haben. Du weißt selbst genauso gut wie ich, dass das mit euch nicht lange halten wird und dann wirst du daran zerschellen, wirst brechen so wie Wellen des Ozeans an Klippen - vergiss das nie.

Wieder und wieder kommen mir die Worte in den Sinn, unaufhörlich, in immer anderen Tonlagen, mit veränderter Reihenfolge im Satz- und Buchstabenbau.

Dadurch kommt das Piepen auch zustande.

Unkontrolliert beginne ich am ganzen Leib zu zittern, da es plötzlich unsagbar kalt ist. Ich nutze meine linke Hand um über Stirn und Nasenrücken zu reiben und bemerke nur peripher, dass meine Hand eine unnatürlich niedrige Körpertemperatur aufweist.

Das Piepen verschwindet nicht, aber wenigstens kann ich mich so lange konzentrieren, dass ich mit Hilfe zweier Hände auf wackeligen Beinen zum Stehen komme.

Eine der beiden Hände legt sich um meine Taille, die andere hält meine Hand fest, als Unterstützung.

Irgendwie schafft die Person neben mir es, mich in mein Zimmer zu transportieren und mich auf das Bett zu legen.

Meine Sicht ist immer noch verschwommen - weshalb ich meine Augen auch wieder schließe -, also weiß ich nicht, von welcher menschlichen (oder nicht menschlichen) Person die Wärme neben mir ausgeht.

Ich versuche, die Worte meines Onkels, die in meinem Kopf herumspuken, irgendwie zu entfernen, sie verstummen zu lassen, so, wie ich öfter mal Menschen verstummen lasse.

Aber das ist unmöglich, weil ich meine Gedanken nicht einfach abschalten kann. Klar, ich könnte mir ein Messer in die Brust rammen, von einem Hochhausdach springen oder mir die Kugel geben, aber warum sollte ich das Leben, das noch vor mir liegt, verschwenden, wenn es noch so vieles gibt, das ich noch tun muss.

Die Stimmen in meinem Kopf verbinden sich zu einem unnahbaren Summen, das definitiv erträglicher als das Piepen ist, was auf das kalte Etwas auf meiner Stirn zurückzuführen ist.

Nach einer Weile stört mich die Schattierung hinter meinen Lidern und ich öffne flatternd die Augen.

Vielleicht haben die getrockneten Tränen zur Behinderung meiner Sehorgane geführt, sodass es mir praktisch unmöglich ist, auch nur ansatzweise meine Umgebung zu analysieren.

Da wäre zum einen mein viel zu aufgeräumtes Zimmer, ein wandelnder Farbkleks, namens Tristan, der anscheinend nicht in der Lage ist, Farben ordnungsgemäß zu kombinieren, sondern stattdessen einfach wahllos unpassende Kontraste bildet und eine besorgniserregend blasse Kathy, deren schwarzes Nachthemd schon bessere Tage gesehen hat, auch wenn sie es versucht, mit einer schwarzen Motorradjacke zu überdecken.

Irgendwas auffällig? Oh, ja, der rote Stift hat sich wieder vom System abgehoben! Was für ein komischer Kautz.

Innerlich schüttele ich den Kopf, fühle mich aber an mich selbst erinnert und bemitleide den armen Stift mit sofortiger Wirkung.

"Carter, was zur ..." Ich kriege ungeplante Zuckungen und die Stimme, die zu hell ist, um maskulin ausgebildeten Stimmbändern entsprungen zu sein, verstummt fast augenblicklich.

Etwas in meinem Kopf sendet Warnsignale Richtung Arm und es juckt wie aus dem Nichts am linken Knie und am Nasenrücken.

Dem Bedürfnis des Juckens nachgehend, sehe ich die anwesenden Erdbewohner mit schrägliegendem Kopf an.

Wann sind die eigentlich hergekommen?

"Maryse hat mich über dein Handy angerufen und ich habe dann Kathy Bescheid gesagt. Warum hast du mich eigentlich unter Frühstück eingespeichert?" Tristans Redefluss schien kein Ende nehmen zu wollen.

Frage: Habe ich meinen Gedanken mithilfe meines Sprechorgans artikuliert?

"Ich hatte Hunger", lautet dann meine glorreiche Antwort. Das trifft auf so gut wie jeden Moment zu, auch wenn es seine Frage nicht wirklich beantwortet.

"Du vernaschst mich aber nicht, oder?" Irgendwie habe ich das komische Gefühl, Tristan würde genau das wollen.

"Dann hätte ich dich unter Kuchen eingespeichert, aber unter ..."

Tristan küsst mich, ich gebe erst widerwillige Laute von mir, erwidere dann jedoch.

Als wir uns lösen, atmet er aus. Seine Wangen sind leicht gerötet, aber das sind sie immer, so, als würde er ständig nachdenken. Eigentlich bin ich viel zu blass, um wirklich intelligent zu sein, weil intelligente Menschen viel nachdenken - zumindest normalerweise - und wenn man nachdenkt, wird man rot, da das Blut ja ins Gehirn fließen muss.

Klar, auf Grund meiner Hispano-Amerikanischen Herkunft habe ich einen etwas dunkleren Teint als Kathy oder Tristan, aber trotzdem bin ich verhältnismäßig blass.

"Darf ich meinen Satz zu Ende führen?" Ich hätte übertrieben mit den Wimpern klimpern können, aber Tristan versteht mich auch so, da brauche ich keine Mimik spielen zu lassen.

Als er nickt, vollende ich meine Ausführungen: "... unter Maryse' Kuchen, der ist nämlich der leckerste von allen. Mehr Kuchen esse ich ja sowieso nicht."

Erneut mustere ich die beiden und erneut fällt mir auf, dass Kathy ein schwarzes Nachthemd anhat.

"Warum seid ihr in Nachthemden hier?" Ich ziehe erst beide Augenbrauen hoch, dann nur die rechte und schließlich die linke, weil ich weiß, dass das meine Spiegelbilder - die beiden Geschöpfe vor mir - nicht können.

"Carter" Fünf unterschiedliche Buchstaben bilden Kathys Antwort - fünf Buchstaben, die, einer doppelt genommen, zufälligerweise meinen Vornamen bilden.

Kurz überlege ich. "Das ... das steht auf m-meiner Geburtsurkunde, ja ... ja." Auch das mit dem Stottern ist eine Folge meiner Denkgeschwindigkeit, da ich manchmal zu schnell denke und die Worte gar nicht formen kann, weil meinem Gehirn schon andere Gedanken entsprungen sind.

"Es ist kurz vor Mitternacht. Sei froh, dass Tristan und ich noch wach waren, sonst würdest du immer noch unter der Dusche sitzen. Apropos, willst du dir nicht was anderes anziehen?"

Ich habe bisher nicht realisiert, dass lediglich eine Boxer Shorts, die vollständig durchnässt ist, meinen Körper bedeckt.

Wie von einer höheren Macht gesteuert laufe ich auf meinen Schrank zu und hole einen Hoodie und eine Jogginghose vom Stapel 'Schlafsachen'. Eine Unterhose folgt.

Mit den Sachen verschwinde ich im Bad und komme fünf Minuten später wieder heraus. Zwischendurch ist mir noch eingefallen, dass Maryse es nicht begrüßen würde, sollten die Schränke von der Wand fallen, deshalb habe ich das Fenster geöffnet.

Selbst wenn draußen eine ähnlich drückende Hitze herrscht - für Ende August ist es wirklich warm hier - wie hier drinnen, bringt es mehr, die Fenster zu öffnen und die saunaartige Feuchtigkeit aus dem Zimmer zu entlassen.

Abwartend sehe ich die anderen beiden an; eben noch darüber beschweren, dass sie so spät noch herkommen, jetzt aber nicht verschwinden.

Als sie meine Gesichtsausdrücke nicht verstehen, setze ich mich im Schneidersitz auf mein Bett und drifte in meine Gedankenwelt.

Wie gesagt, ich schlafe nicht.

"Können Tristan und ich vielleicht hier bleiben? Ich persönlich habe keine Lust mehr, noch nach Hause zu fahren, du?", wendet Kathy sich an Tristan.

"Ich auch nicht." Meine Augen sind geschlossen, vielleicht kann ich sie mit der Illusion leben lassen, ich würde im Sitzen schlafen.

Es ist unangenehm, in meiner Ruhephase beobachtet zu werden, aber ich würde damit klarkommen, wenn Tristan mich nicht auf mein Bett drücken würde.

"Carter, sei doch so nett und beantworte uns unsere Frage." Sein Mund ist nah an meinem Ohr, die Matratze neben meiner Taille beidseitig heruntergedrückt - was mich darauf schließen lässt, dass sich an diesen Stellen seine Hände befinden.

"Eigentlich hat Kathy gefragt", erwidere ich, die Augen immer noch geschlossen und bloß nicht auffällig tief einatmend.

Tristan macht ja bekanntlich süchtig und eigentlich habe ich meiner Tante versprochen, nicht unbedingt drogenabhängig zu werden.

"Du kleiner ..." Tristan pikst mir als Strafe in die Seite, was mich kurz aufquieken lässt. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich nicht kitzelig bin.

"Also, auch wenn ich ja eigentlich eure Stalkerin bin, bei einem Softporno möchte ich echt nicht gern zusehen", kommt dann Kathys Stimme aus dem Raum hinter Tristans Körper.

"Du bist echt frech." Tristan wirft ihr einen empörten Blick zu und ich rolle mich unter ihm hervor. Sein nächster Blick gilt mir. "Und du auch!"

Ich zucke mit den Schultern und bemerke, wie Kathy beginnt, zu lachen.

Dann zieht sie ihre Jacke aus und legt sich zu uns aufs Bett, dass ich auseinander sägen werde. Warum ist das so groß? Wäre es kleiner, hätte ich heute Nacht meine Ruhe.

Sie legt sich auf meine andere Seite und umarmt mich, versucht dabei aber auch an Tristan ranzukommen.

"Ich hab euch lieb, Jungs."

Was ist der Unterschied zwischen einem Ich liebe dich und einem ich hab dich lieb?

Klar, auffälligerweise die Anzahl der Buchstaben und Wörter.

Bei ich liebe dich sind es acht unterschiedliche und bei ich hab dich lieb neun.

Aber natürlich geht es wie bei allem anderen auch, um die Bedeutung, den Sinn hinter den Wörtern.

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Hi 👋🏻,
ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat 😊.

Danke an Diamantmaedchen für den tollen 'Spitznamen' 😂.

Einen schönen Tag, bis Freitag und man liest sich (hoffentlich) 😘❤.

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