-ℕ𝕚𝕟𝕖𝕥𝕖𝕖𝕟-
Es ist Freitag. Freitag, der Tag, an dem Elyia und ich uns wahlweise verabredet haben, aufgrund der Tatsache, dass ich ja einen 'grippalen Infekt' hatte.
Irgendwie weiß ich nicht, wie ich ihr begegnen soll.
Als es klingelt, löse ich mich aus meiner Starre, sehe auf die Uhr und muss Elyia zugute halten, dass sie sehr pünklich ist.
"Hey." Ihr Lächeln wirkt gezwungen und ich bitte sie hinein.
Alles kommt mir unwirklich vor, weil ich meine Tante Dinge frage, die ich schon längst wusste, weil sie sie mir erzählt hat, als ich sehr viel jünger war als jetzt.
Manchmal ist es wirklich komisch, sich an so einige Dinge zu erinnern, die man noch gar nicht richtig hätte mitbekommen sollen.
Ich weiß nicht einmal wie viel Zeit vergeht, bis Elyia sich verabschiedet und nach Hause fährt und ich glaube, dass ich die ganze Nacht noch in der Küche sitze, mit einer Tasse Pfefferminztee in der Hand, darauf wartend, dass irgendjemand irgendetwas tut.
Irgendwann, als die ersten Sonnenstrahlen mit meiner Haut kollidieren, höre ich die Haustür zuschlagen und weiß, dass Maryse zu ihrem Zumba-Kurs gegangen ist.
Meine Gedanken schweifen zu ihr und Victor. So richtig haben die beiden nie zusammengepasst, vor allem nicht, seit Julia Mikaels in sein Leben getreten ist.
Victor sagte, ihr vollständiger Name sei Julia Dorothea Mikaels Sorensen, aber er hat sie einfach nur Julia genannt, weil das einfacher zu merken sei.
Keine Ahnung, ob das stimmt, mit Eselsbrücken kann ich nicht wirklich gut arbeiten.
Vielleicht wollte er die Beziehung beenden. Vielleicht liebt er ja diese andere Frau.
Diese Julia.
Keine Ahnung.
Eigentlich habe ich mir fest vorgenommen, nicht an ihn zu denken. Nicht daran zu denken, was er gesagt hat. Nicht daran zu denken, was passiert ist und was hätte passieren können.
Möglicherweise werde ich dafür bestraft, im früheren Leben den falschen Weg gewählt zu haben – einen Weg, der andere Menschen so verletzt hat, wie Victor mich verletzt hat.
Natürlich ist mir klar, dass es biologisch unmöglich ist, das Herz eines Mitmenschen zu brechen. Das Herz ist lediglich ein stetig Blut pumpender, faustgroßer Hohlmuskel, der dafür sorgt, dass die Venen, Arterien und Kapillaren das letztlich rote Stoffgemisch an alle Stellen des Körpers gleichmäßig verteilen.
Aber irgendwie schaffen es die Menschen – rein metaphorisch gesehen – es trotzdem, andere mittels Worten das Herz zu brechen.
Klar, Herzen sind keine Knochen. Ich frage mich ja auch, wer auf die absurde Idee kam, Herzen würden brechen können.
Würde mich echt interessieren.
Man sagt das ja auch einfach so, macht jeder irgendwie und irgendwann.
Das erinnert mich daran, dass niemand – außer mir wahrscheinlich – die ganze Nacht und den halben Tag in der Küche hockt und seinen Gedanken nachgeht.
Eigentlich ist das ja auch ziemlich egal, warum sollte ich auch aufstehen?
Hätte ich einen Grund dazu? Nein. Also.
Ich bin unnatürlich müde. Wahrscheinlich, weil ich nicht in meiner Ruhephase gewesen bin, sondern einfach nur nachgedacht habe. Aber den wahren Grund kann ich nicht ermitteln.
In mein Inneres horchend, schlafe ich fast ein. Mein Kopf liegt bereits auf dem Tisch, der sehr ungemütlich ist, weshalb ich einen einzelnen Gedanken daran verschwende, auf mein Bett umzusteuern. Dann fällt mir wieder ein, wie anstrengend das Treppensteigen so ist und ich verdränge den Gedanken wieder.
So ungemütlich ist der Tisch dann doch nicht.
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Genau habe ich nicht bekommen, dass ich eingeschlafen bin, aber als Maryse mein Haar anfasst, schrecke ich hoch.
"H ... Hi." Noch völlig verschlafen sehe ich sie an und reibe mir über den Nasenrücken.
"Du hast da Streifen." Sie pikst mir in die Wange und ich verziehe mein Gesicht. "Den Schlaf hast du echt mal gebraucht, oder?" Erneut streicht sie durch mein Haar, was mich zum Zischen bringt.
Das Knallen meines Kopfes auf den Tisch und ein zustimmendes Brummen lassen sie lachen und sie verschwindet wieder aus der Küche.
Sie hat Recht, den Schlaf kann ich wirklich gebrauchen.
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Eine Woche später finde ich mich erneut in Tristans Zimmer wieder, nur, dass ich diesmal dabei bin, es aufzuräumen und wir keine Kathy mit hier haben.
Dieses Aufräumen läuft so ab: Tristan liegt auf seinem Bett und sieht mir dabei zu, wie ich seinen Schrank komplett ausräume, während ich ihn zwischenzeitlich frage, ob er einige Dinge wirklich noch anzieht oder ob sie voll und ganz weg können.
Als ich fast fertig damit bin, sein Zimmer zu sortieren, kommt Elvira herein.
"Tristan, Dad und ich fahren jetzt los und sind dann Morgen wieder da. Geld liegt an der üblichen Stelle, wir wünschen euch viel Spaß." Sie wirft ihm einen Luftkuss zu und hinter ihr erscheint Harvey, der mir zunickt und dann lacht, als er die Situation erfasst.
"Carter, du musst Tristans Saustall nicht aufräumen."
Ich versuche zu lächeln und mache weiter mit meiner vorherigen Tätigkeit.
"Wenn er es nicht tut, macht es sonst keiner, oder?" Tristan grinst vom Bett aus, steht aber auf und kommt auf mich zu, um seine Arme um mich zu legen.
"Wir sind dann jetzt weg", lacht Elvira und schließt die Tür, nicht bevor sie und Harvey uns noch einmal abschließend gewunken haben.
Jordan hat sich, seit ich hier bin, nicht blicken lassen, also gehe ich davon aus, dass er gar nicht da ist und Zarah ist laut Tristan bei einer Freundin.
Die Eltern der Geschwister wollen einen Zwei-Tagestrip nach Montgomery in Alabama machen und haben sich dafür dieses Wochenende ausgesucht.
Ich kann erst weiter machen, als ich die Haustür zuschlagen und den Schlüssel sich umdrehen höre.
Sobald ich fertig bin, setze ich mich zu Tristan aufs Bett und lehne mich an seine Schulter.
"War das anstrengend, das Aufräumen?", fragt er grinsend.
"Nö", erwidere ich kurz angebunden und spüre, wie er seinen Arm um meine Schultern legt.
"Bist du müde?" Ich blinzele in seine Richtung und schüttele gespielt erschlagen den Kopf.
Er lacht und drückt mir einen Kuss erst auf die Wange und dann auf die Lippen.
Statt mich zu lösen, schlinge ich meine Arme um seinen Nacken, während Tristans Hand auf meinem Oberschenkel landet.
Wir küssen uns bestimmt zwanzig Sekunden und irgendwie kommt es, dass sich unsere Lippen halb-automatisch gegenseitig öffnen, sodass unsere Zungen einander ein wenig unbeholfen berühren.
Tristans Hand auf meinem Oberschenkel scheint immer höher zu wandern.
"Hattest du schon mal Sex mit einem Mann?", flüstert er in mein Ohr, als wir uns voneinander gelöst haben, während eine leichte Gänsehaut meinen gesamten Körper überzieht und meine Nackenhaare sich aufstellen.
"Nein." Die Antwort scheint ihn zu überraschen, aber ich verstehe nicht genau, wieso das der Fall sein sollte.
"Dann wird es Zeit, oder?" Er bringt mein Gehirn dazu, sich abzuschalten – metaphorisch, nicht wirklich, dass wäre verdammt absurd.
Seine Zähne knabbern an meinem Ohr auf die sanfteste Weise, die ich je zu spüren bekommen habe.
"Tristan ..." Ich bin nicht einmal mehr fähig dazu, vollständige Sätze zu bilden. Das soll schon was heißen.
"Lass mich machen, Carter. Versuch' einfach, nicht nachzudenken." Den Atem, der beim Flüstern gegen mein Ohr prallt, spüre ich bis in die Zehenspitzen.
"Ich kann nicht aufhören nachzud-" Meine Worte werden von Tristans Lippen erstickt und ich versuche das zu tun, was er von mir verlangt hat: aufhören nachzudenken.
Das ist allerdings gar nicht so einfach, da in meinem Gehirn so viele (un)interessante Dinge herumschwirren, die ich möglicherweise verpassen könnte, wenn ich aufhören würde, mich auf sie zu konzentrieren.
Tristan dagegen scheint das ganze leicht zu fallen. Er legt sich auf das Bett und zieht mich auf sich, sodass ich auf seinem Becken sitze.
"Warum bin ich jetzt oben?", frage ich irritiert, zumal er sagte, dass er alles im Griff hätte.
"Hat sich wohl so ergeben." Er grinst süffisant und streicht über meinen Rücken. Als ich mich dann zu ihm herunterbeuge, um ihn zu küssen, rolle ich mich von seinem Körper, sein Arm fest um mich geschlungen.
"Können wir das ein wenig langsamer angehen?" Dass ich mich bei rapiden Steigerungen unwohl fühle – sei es ein Temperaturunterschied oder die Regelung der Lautstärke –, weiß so gut wie niemand, aber Tristan zeigt Verständnis.
"Natürlich, Carter." Er streichelt meine Wange. "Sex heißt ja auch nicht unbedingt, dass irgendetwas irgendwo reingesteckt werden muss."
"Heißt es nicht?" Das ist wichtig für mich, weil ich eine ganze Definition verändern muss. Warum hat er das nicht schon früher gesagt?
"Nein, heißt es nicht. Wir können andere Dinge tun, wenn dir das hilft." Sein Blick ist so sanft, dass ich heulen könnte.
Wir sehen uns wieder in die Augen, das stetige Ticken seiner Uhr ist langsamer als unsere Ruhepulse, aber irgendwie ähnlich endlos.
"Du bist wunderschön, Carter", flüstert Tristan in die Stille, was mich verwirrt in den Spiegel gegenüber blicken lässt.
"Ich wüsste nicht, was man daran als 'wunderschön' erachten könnte", murmele ich, auf meinen Körper weisend.
"Viele Leute würden dafür töten, so auszusehen, wie du. Deine Augen, deine Haare, deine Haut." Er lächelt mich an, aber es gibt da etwas, das ich noch nicht so ganz verstanden habe.
"Was sollte daran gut sein, dass andere Menschen dafür töten würden?", frage ich dann, weil mich das wirklich interessieren würde.
Tristan lacht. "Das sagt man einfach nur so, Carter."
Wir schweigen uns wieder an.
"Ich mag deine Augen", sage ich dann irgendwann. "Vergleichsweise sehen sie aus wie verflüssigtes Gold in ovaler Form. Wirklich schön." Ich versuche mich an einem Lächeln, das mir sogar halbwegs zu gelingen scheint, denn auch Tristan muss lächeln. "Außerdem glitzern sie fröhlicher als Gold, wenn du lächelst, das gefällt mir."
"Ich mag deine Augen auch. Metaphorisch sehen sie aus wie ein Sturm auf offener See, wenn die Wellen brechen und grauer Schaum an die Oberfläche gelangt."
"Nein, das war keine Metapher, sondern ein Vergleich." Ich ziehe meine Mundwinkel nach oben, um meinen Worten die Schärfe zu nehmen. "Du hast 'wie' benutzt, dass ist eines der Signalworte für einen Vergleich."
"Darf ich deine Augen trotzdem mögen, auch wenn ich Metapher und Vergleich ständig verwechsele?" Das Dauer-Grinsen in seinem Gesicht wird heute nicht mehr verschwinden, da bin ich mir sicher.
Ich nicke als Antwort auf seine Frage, dann breitet sich ein erneutes Schweigen aus.
Tristans Zunge befeuchtet seine Lippen, dann beißt er drauf – nicht schmerzhaft, sondern eher aus Verlegenheit oder Nervosität.
Mit meinem Zeigefinger fahre ich über seine Wangenknochen bis hinunter zu seinen Lippen, die sich wie automatisch spalten.
"Deinen Mund mag ich auch. Nicht die Schleimhäute und den Gaumen, aber zumindest die Zunge, die Zähne und die Lippen. Es ist schön, zu sehen, dass du dir immer mit der Zunge über die Lippen leckst und danach raufbeißt, kurz bevor wir uns küssen. Das gibt mir ein gutes Gefühl; ich bin vorgewarnt, sollte mir etwas nicht passen." Ich küsse ihn, bevor er auch nur reagieren kann.
"Deine Lippen zu küssen, gefällt mir auch. Irgendwie sind sie nicht weich, sondern eher rau, aber auf eine sanfte Weise, die mein Blut jedes Mal zum Kochen bringt.
Wenn wir uns küssen ist das wie ein Ladungsausgleich." Auf seinen fragenden Blick hin, erwidere ich hinzufügend: "Das passiert zum Beispiel, wenn es blitzt. Und genauso fühlt sich das an – wie ein kleiner Blitz zwischen unseren Lippen, ein Ladungsausgleich eben."
Er lächelt und will vielleicht, dass ich weiter mache.
Deshalb fahre ich fort: "Außerdem gefällt mir die Art und Weise, wie du mich berührst. Deine Hände an meinem Körper sind ähnlich wie unsere Lippen aufeinander.
Ich mag es, wie du mit mir umgehst. Du verstehst mich oft nicht, aber versuchst es zumindest. Das finde ich toll. Es gibt wirklich nicht viele Menschen, die es tolerieren, sollte jemand – jemand schwächeres – wenigstens mehr geistige Stärke besitzen. Ich weiß das ehrlich zu schätzen.
Oft werde ich nämlich behandelt, als käme ich von einem anderen Planeten. Als spräche ich eine andere Sprache, die nur Gleichgesinnte verstehen. Keine Ahnung, ob du weißt, wovon ich spreche, aber mir begegnen immer und immer wieder Menschen, die mich aufgrund meiner Intelligenz nicht leiden können – und dieses Urteil fällen sie, noch bevor wir uns überhaupt richtig kennen gelernt haben."
Tristan zieht mich fester in seine Arme. "Ich möchte derjenige sein, der dich versteht, der dir zeigt, dass nicht alle Menschen so blind sind, jemanden wie dich aufgrund seiner Intelligenz zu verabscheuen. Ich möchte derjenige sein, der dich zum Lachen bringen darf, der immer ein offenes Ohr und eine Schulter zum Ausweinen parat hat. Will derjenige sein, der dich küssen und im Arm halten darf, wie kein anderer, der am Morgen neben dir aufwacht und am Abend neben dir einschläft.
Lass mich dieser jemand sein, Carter."
Ich bin fast vollständig verstummt. Das einzige, das ich noch herausbringen kann, ist: "Warum solltest du das wollen?"
Er umfasst erneut meine Wangen. "Carter. Du bist witzig, auch wenn du das niemals zugeben wirst und deine Intelligenz ist undenklich hoch. Du bemerkst Dinge, die nicht einmal in das Bewusstsein anderer Leute dringen, aber vergisst dabei so oft das Offensichtliche.
Ich mag nicht nur die Art, wie du lachst, die Art, wie du dich bewegst, wie du redest, wie du mit anderen umgehst. Nein, Carter ich mag dich. Alles an dir.
Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie man das macht, aber dir zuliebe ..."
Ich unterbreche das darauffolgende Schweigen: "Wie man was macht, Tristan? Was soll das werden?" Manchmal ist nicht nur er begriffsstutzig.
"Carter, ich versuche gerade, dir etwas wirklich, wirklich wichtiges zu sagen, etwas, dass unsere bisherige Beziehung komplett über den Haufen werfen könnte. Ich weiß nicht, ob wir dafür bereit sind, aber ... ich tue es jetzt einfach trotzdem." Er atmet tief durch.
"Carter, ich liebe dich."
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Hi 👋🏻😊,
ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen (für einen Teil davon hätte ich mich gerne georfeigt und beim Schreiben eines anderen wäre ich gern im Erdboden versunken 🙈).
Nichtsdestotrotz wünsche ich euch einen schönen Sonntag, bis Dienstag und man liest sich (hoffentlich) ☺❤.
Edit: Da gefragt wurde: soll ich das nächste Kapitel aus der sSicht von Noah schreiben?
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