-ℕ𝕚𝕟𝕖-

Mein Onkel will mich bei seinem Geschäftsessen mit einem Senior Partner der Kanzlei unbedingt dabei haben. Da ich aber vorerst nicht auftauchen werde, machen Kathy, die heute bei mir übernachtet, und ich aus, dass sie mich anruft, damit ich alles mithören kann, während ich mein Mikrophon auf stumm stelle.

Gerade, als es an der Tür klingelt, richtet Kathy ihre dunkelblonden Haare und hebt sie über den Kragen ihres tintenschwarzen Abendkleides.

Durch den Lautsprecher höre ich Schritte - wahrscheinlich geht sie momentan die Treppe hinunter - und die Stimme von Victor, der möglicherweise mit dem Senior Partner redet.

"Victor", höre ich Kathy auf sich aufmerksam machen, wodurch sich die beiden Männer wahrscheinlich zu ihr drehen, da ich lautes Stoffrascheln höre.

"Der Kerl ist heiß", flüstert Kathy ins Mikrophon.

"Victor, Kathy, bringt unseren Gast bitte ins Esszimmer, das Essen steht auf dem Tisch." Dass meine Tante nicht nach mir ruft, hätte ich mir denken können, schließlich habe ich mehr als einmal deutlich gemacht, dass ich Geschäftsessen hasse.

Auch wenn ich später den Platz als Managing Partner übernehmen soll - schließlich ist Victor nicht nur Managing sondern auch Founding Partner von Redwood Mikaels und selber haben die beiden keine Kinder -, bin ich nicht so interessiert an diesem ganzen Jurakram.

"Wir gehen jetzt ins Esszimmer, das heißt noch ungefähr zehn Minuten", instruierte Kathy mich.

Ich höre wieder Schritte, als Victor und Kathy den Mann, dessen Namen noch nicht genannt wurde, ins Esszimmer bringen und allem Anschein nach platz nehmen, da ich das Quietschen der Stühle auf dem gefliesten Boden hören kann.

"Danke, Maryse." Kathy erklärt mir so zwischen den Zeilen, dass meine Tante gerade das Essen auffüllt.

"Natürlich, Liebes. Carter kommt doch sicher auch noch, oder?", will Maryse dann wissen.

"Weiß ich nicht so genau." Wahrscheinlich zuckt sie gerade mit den Schultern.

Eine kurze Zeit ist nichts zu hören.

Dann: "Ach, ist das schön, Sie mal wieder zu sehen, Connor ", meint meine Tante und vielleicht lächeln sie sich gerade an.

"Tut mir leid, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Ich bin Connor Churchill, freut mich, dich kennen zu lernen." Das ist wohl der unbekannte Mann.

"Kathlyn Roosevelt, eine Ehre endlich persönlich Ihre Bekanntschaft zu machen." Ja, auch vor Kathy hat Victor viel von diesem Mann geschwärmt.

Kurz ist das Geschiebe von Stühlen zu hören und danach eine Weile nur noch Kaugeräusche. Im Hintergrund hängen Gesprächsfetzen von Victor und Mister Churchill in der Luft, in denen es um einen wichtigen Mandanten, einen Mandatswechsel und einen Anwalt, der vor kurzem seine Zulassung verloren hat, geht.

Meine Zeit ist gekommen.

Aus diesem Grund lege ich auf und stürme durch die Haustür, die laut hinter mir zu knallt. Dann renne ich weiter in das Esszimmer, will mich auf den Platz neben Victor setzen - der Platz an dem ich normalerweise sitze, der jetzt aber von unserem Gast besetzt wird, da niemand so richtig mit mir gerechnet hat - und scanne den Mann ab.

Seine Haare, die rotblond schimmern, hat er ordentlich nach hinten gekämmt und das dunkelblaue Hemd ist nicht bis ganz oben zugeknöpft, weshalb ich den Ansatz einer sehr maskulinen und gut trainierten Brust sehen kann.

Gespielt erstaunt sehe ich ihn an, während mich selbst nur zwei verärgerte, ein belustigter und ein interessierter Blick bedenken. "Ich wusste gar nicht, dass Adonis ein Stunt-Double hat", ist das erste, was ich herausbringe.

Ein Lächeln stiehlt sich auf Kathys Gesicht; sie liebt mich für meinen Humor.

"Carter, du kommst spät" erklärt mein Onkel und setzt den mahnendsten Blick auf, den er auf Lager hat.

Ich sehe auf die Uhr an meinem rechten Handgelenk - ich bin Linkshänder - und dann wieder zu meinem Onkel. "Nein, eigentlich bin ich genau dann gekommen, wann ich kommen wollte. Schließlich gibt es nichts besseres, als einen dramatischen Auftritt, oder nicht?" Völlig ungerührt nehme ich mir aus der Obstschale einen Apfel, beiße aber nicht rein.

"Also, Connor, was mich schon immer mal interessiert hat ...", will meine Tante beginnen, wird jedoch von meiner Wenigkeit unterbrochen.

"Warum kaufst du mehlige Äpfel?" Ich sehe an ihren Blicken, dass sich die anderen Anwesenden fragen, wie ich es geschafft habe, das herauszufinden, ohne den Apfel zu kosten.

"Bitte?" Maryse schaut irritiert in meine Richtung, um ihren Blick letztendlich auf den Apfel zu heften, der immer noch wenige Zentimeter über dem Tisch in meiner Hand schwebt.

"Apfel entspricht mehlig. Nix gut diese." Ich hebe den Apfel ein wenig hoch, um ihn von unten betrachten zu können.

"Carter!", ruft mein Onkel aus und selbst Mister Churchill zuckt kurz zusammen. Ich selbst rühre mich jedoch kein Stück.

"Wenn sie nicht versteht, was ich sage, sollte ich vielleicht anfangen, das Niveau in Worte zu fassen, das gerade an diesem Tisch dominiert. Wie anders sollte ich ausdrücken, was ich nun mal berechtigt bin, zu sagen, wenn nicht auf diese Weise?" Natürlich weiß ich, dass Kathy sich ihr Lachen verkneifen muss.

"Jedenfalls wollte ich eigentlich wissen, wie alt Sie sind, Connor", setzt meine Tante ihre Frage von vorhin fort.

"Ich bin jetzt sechsundzwanzig", antwortet Mister Churchill geduldig.

"Und wie kommt es dazu, dass Sie jetzt schon Senior Partner sind?", fragt Maryse weiter.

"Ich habe das Studium früher begonnen und deshalb auch schneller abgeschlossen und aufgrund meiner außergewöhnlichen Leistungen hat Ihr Mann mich erst zum Junior, dann zum Partner und letztendlich dann zum Senior befördert."

"Beeindruckend", meint Kathy und ich schnaube. Was für ein Angeber.

"Mich würde viel eher interessieren, bei welchem Friseur Sie sich Ihre Haare machen lassen, dass sie so glaubwürdig und natürlich aussehen."

Der Mann wird leicht rot.

"Sind Sie Zuckerwatte?", frage ich dann als Reaktion auf das Rotwerden unseres Gasts.

"Also zu Ihrer ersten Frage, Mister Redwood: Ich habe eine Wette verloren und muss deshalb meine Haare für ein halbes Jahr so tragen; der Friseur ist ein Freund einer Freundin, der auch an der Wette beteiligt war. Und zu Ihrer zweiten Frage: Nein, ich bin keine Zuckerwatte."

"Eigentlich heiße ich seit ein paar Stunden nicht mehr Redwood", grinse ich und beobachte mit freudigem Blick, wie die Gesichtszüge meiner Erziehungsberechtigten entgleisen.

"Wie meinst du das, Carter?", will Maryse wissen, nachdem sie sich aus ihrer Schockstarre gelöst hat.

"Ich bin verheiratet. Mit einem Grafen", meine ich nur. Kathy muss sichtlich ihr Grinsen unterdrücken.

"Mit einem Grafen ... ?", beginnt sie unschuldig, doch wird unterbrochen.
"Du bist schwul?", fragen Maryse und Victor gleichzeitig, während es Mister Churchill sichtlich unangenehm ist, sich ausgerechnet diesen Abend ausgesucht zu haben, um hier her zu kommen.

Zur Erklärung: Nur zwei der fünf Anwesenden wissen über meine tatsächliche Sexualität Bescheid und diese beiden tragen die Namen Carter und Kathlyn.

"Sein Name ist Eric."

"Und weiter?"

"Graf Eric Götterspeisen-Schokolade. Das ist ein Doppelname", erwidere ich ganz ernst.

"Götterspeisen-Schokolade? Warum denn das?", will nun der rotblonde Mann wissen.

"Weil das einfach so ist." Ich nehme den Apfel, den ich zuvor weggelegt habe, wieder in die Hand und beobachte ihn so, als sei er das nächste Weltwunder.

"Du bist also schwul", stellt Maryse jetzt nochmal mit mehr Nachdruck fest, ohne auf den völlig lächerlichen Nachnamen des Grafen einzugehen.

"Jup." Ich sehe niemanden der Anwesenden an.

"Super, dass wir das auch erfahren."

Da gibt es aber noch eine Sache, die sie dringend erfahren sollten.

"Die Polizei kommt gleich her." Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich es liebe, schlechte Nachrichten zu verkünden?

Maryse reißt entsetzt die Augen auf. "Warum das denn?"

"Weil ich meinen Ehemann getötet habe", erkläre ich trocken.

"Ge-getötet?" Mister Churchill wird blass.

"Ja. Ich habe ihn gegessen und die anderen Restaurant-Gäste haben mir dabei geholfen."

Das mit dem Restaurant ist etwa zwei Jahre her, da war ich das letzte Mal in einem solchen Haus.

"Also bist du gar nicht schwul?", will Victor wissen.

"Wäre die normale Reaktion nicht eher Also bist du gar nicht verheiratet?", umgehe ich die Beantwortung von Victors Frage geschickt.

"Wahrscheinlich schon", gibt Kathy ihren Senf dazu und zuckt mit den Schultern, als Victor sie mit einem vernichtenden Blick bedenkt.

Ohne auf den Fortgang dieser Konversation einzugehen, wende ich mich wieder an Mister Churchill: "Haben Sie einen jüngeren Bruder?" Ich inspiziere den Apfel immer noch.

"J-Ja, woher ..." Mister Churchill ist sichtlich irritiert, was auch ziemlich verständlich ist. Viele Leute, die mir zum ersten Mal begegnen, denken, ich sei ein Stalker oder etwas in der Art.

"Welcher Religion gehören Sie an?"

"Ich bin Jude, aber warum ..."

"Kennen Sie Eminem persönlich?" Meine Fragen werden wahrscheinlich von Mal zu Mal skurriler, wenn man einen auffällig niedrigen IQ hat, aber meiner Meinung nach, ergeben sie den tieferen Sinn, den ich mir hinter ihnen vorstelle.

"Nein, warum sollte ich ..."

"Können Sie mir sagen, was 147 plus 44 ist?"

"Hunderteinundneunzig, wieso ..."

"Und können Sie die beiden Zahlen multiplizieren und mir freundlicherweise das Ergebnis nennen?"

"..."

Ich schüttele den Kopf und versuche so enttäuscht wie möglich zu wirken.

"Carter, du ...", will Maryse mich zurechtweisen, wird aber wiederholt unterbrochen - nur diesmal von Mister Churchill.

"Sechstausend ... vierhundert ... achtundsechzig." Mit zusammengebissenen Zähnen sieht der Ältere mich an und wir spielen Anstarren.

"Tragen Sie oft schwarz?"

"Viele meiner Anzüge und die dazugehörigen Hosen sind schwarz."

"Dann gehören Sie zu den intelligenten Menschen dieser Welt." Eine Weile herrscht Stille. "Und zu den naivsten, wenn Sie mir glauben."

"Sie ..."

"Nein", erwidere ich schlicht.

"Können Sie ..."

"Das auch nicht, nein."

"Aber wie ..."

"Grobe Wahrscheinlichkeitsrechnung nach Newton."

"Wie alt sind Sie, wenn ich fragen darf?"

"Wer sagt, dass Sie das dürfen?" Mister Churchill noch immer in die Augen sehend lege ich den Apfel weg.

"Beantworten Sie bitte einfach meine Frage", beharrt der Rothaarige.

"Ich wurde heute vor genau sechstausendvierhundertachtundsechzig Tagen geboren", grinse ich aufgrund meines Geniestreichs. Auf die Idee, zwei Zahlen addieren und daraufhin multiplizieren zu lassen, kann auch nur ich kommen, vor allem, wenn es sich bei dem Ergebnis um meine Tage auf dieser Erde geht – um die Tage, die seit meiner Geburt vergangen sind.

"Woher wussten Sie, dass ich nach ihrem Alter frage?", will Mister Churchill aber wissen.

"Es war klar, dass Sie irgendwann darauf zurück kommen würden", erwidere ich schulterzuckend. "Vor allem, anhand der Fragen, die Ihnen von mir gestellt wurden und welche einerseits absurd und andererseits völlig genial waren."

Er stutzt immer noch, während Kathy sich das Lachen nicht mehr verkneifen kann.

----

Nach dem Essen gehen die Amateur-Anwälte ins Wohnzimmer, während Kathy und ich Maryse beim Aufräumen helfen.

"Stimmt das jetzt eigentlich wirklich?", brennt Maryse darauf, die Antwort auf diese Frage zu erhalten.

"Was genau?", frage ich nach, obwohl ich natürlich weiß, worum es geht: Sie will wissen, ob ich wirklich schwul bin.

"Das mit dem Schwul-Sein." Sie stellt einen Teller in die Spülmaschine, den ich wieder herausnehme und richtig platziere.

"Was würdest du tun, wenn es so wäre?", will ich dann wissen, was sie nur mit den Schultern zucken lässt.

"Leben und leben lassen", erwidert sie dann, was Kathy einen bedeutungsschweren Blick in meine Richtung werfen lässt.

"Carter ist ..."

"Ich werde mich nicht vor dir outen, Maryse. Aber ich sage soviel: Sollte ich jemals mit einem Jungen hierher nach Hause kommen - Tristan ausgenommen -, könnte es sein, dass da mehr als eine simple Freundschaft existiert."

"Das ist in Ordnung für mich, Carter. Zumindest solange ihr verhütet. Du glaubst gar nicht wie viele ...", will sie mit diesem Gespräch beginnen.

Doch Kathy, meine Retterin in der Not, packt meinen Arm und zieht mich die Treppen hinauf, ehe Maryse auch nur ihren dritten Satz hätte zu Ende bringen können.

Als sie sich auf mein Bett setzt, wischt sie sich über die Stirn und atmet mit einem Geräusch, das wie 'Puh' klingt, aus.

"Danke." Ich setze mich neben sie auf mein Bett und übertrage gedanklich meine Gewichtskraft in hundert Meter Höhe, um sie letztendlich mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit zurück auf den Erdboden schnellen zu lassen.

Gravitation ist bei näherem Betrachten die reinste Physik.

"Wie war das?" Sie hält sich ausdrucksstark eine Hand hinter ihr Ohr, um mir zu vermitteln, dass ich wiederholen soll, was ich zuvor gesagt habe.

Oder meint sie das jetzt sarkastisch, weil ich mich sonst nie bedanke?

"Kannst du dir vielleicht auf die Stirn schreiben, wenn du deine Familie in Sarkasmus besuchst? Dann weiß ich wenigstens Bescheid und bin vorgewarnt, dass du die Sprache von Sarkasmus sprichst", gebe ich von mir und sehe wahrscheinlich ein wenig genervt aus.

"Welche Sprache wäre das? Sarkasmusisch?" Sie muss über ihren unlustigen Witz lachen, aber ich bleibe ganz ernst.

"Ironie."

----
Da da daam,
und wieder ein Kapitel fertig 😁.

Hey 😊,
ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen - und Carters kleiner 'Intelligenzbefall'.

Was haltet ihr so von Mister Churchill?
Ich find ihn klasse 😂.

Joa, Carter ist meiner Meinung nach ziemlich krass drauf, was so den Umgang mit anderen Leuten betrifft und ich finde es auch super, dass das Kapitel mit einem genervten Carter anfängt und auch mit einem aufhört, deshalb ...

Gosh, ich habe zu viele zuckerhaltige Getränke getrunken, davon bin ich immer total aufgedreht 😑

Jedenfalls wünsche ich euch noch eine schöne Woche, lasst euch nicht rösten von der Sonne und denkt daran: Wenn Gehirnzellen in der Schule absterben, machen eure Lehrer etwas falsch 😁🤷🏼‍♀️.

Okay, egal ...

Bis Sonntag, man liest sich 🤗✌🏼.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top