-𝕋𝕙𝕚𝕣𝕥𝕪 𝕋𝕨𝕠 | 2-

Nachdem ich Zach bei sich Zuhause 'abgegeben' habe, mache ich mich auf den direkten Weg zur Schule, parke und renne zu Geografie, da es in Strömen regnet.

Eigentlich passiert in Geo nie etwas Interessantes, aber heute hat fast die Hälfte der Klasse die Hausaufgaben, die ich letzte Woche bereits gemacht habe, nicht dabei oder erst gar nicht angesehen.

Da einer aber auf die Idee kam, zu sagen, er hätte die Hausaufgaben nicht verstanden war unser Lehrer natürlich Feuer und Flamme diejenigen zu bestrafen, die die Hausaufgaben wissentlich nicht gemacht haben.

So kommt es dann dazu, dass ich, die Arme auf dem Tisch platziert, den Kopf auf ihnen abgelegt, auf meinem Stuhl sitze und auf Durchzug und Filter geschalten habe. Ich weiß, was ich geschrieben habe, also weiß ich auch, was ich nicht geschrieben habe, so kann ich ganz einfach vergleichen.

Unser Lehrer sitzt am Ende der Stunde mit hochrotem Kopf in der hintersten Reihe - auf einem Platz von jemandem, der die Hausaufgaben nicht gemacht hat und jetzt vorne steht, um sich zu blamieren - und fragt sich wahrscheinlich, warum er Lehrer geworden ist oder warum er so einen dummen Kurs unterrichtet.

Irgendwie verständlich, würde ich mich an seiner Stelle auch fragen.

Nach Geografie habe ich Physik im obersten Stockwerk. Richtige Empathie konnte ich für das Fach noch nie aufbringen und für den Lehrer genauso wenig, aber letzteres beruht definitiv auf Gegenseitigkeit.

Gelangweilt sitze ich also die gesamte Stunde auf meinem Platz in der ersten Reihe, schreibe mit – zumindest so viel, dass es nicht auffällt, was für einen Schwachsinn ich schreibe – und beantworte alle mir gestellten Fragen, was aufgrund der Tatsache, dass unser Lehrer, Mister Smith, mich wirklich auf dem Kieker hat, ziemlich viele sind.

Die Mittagspause besteht aus einem Versteckspiel – verstecken tu ich mich nämlich vor Kathy, die definitiv ziemlich angsteinflößend sein kann, wenn man sie gegen sich aufbringt.

Es regnet immer noch und irgendwie sehen die Wolken außerhalb nach Weltuntergangsstimmung aus.

In Englisch, das Fach, dass ich nach dem Mittagessen habe, wiederholen wir die literarischen Gattungen – Epik, Lyrik und Dramatik – und welche Unterschiede es zwischen ihnen gibt. Da – um es nicht zu sehr zu pauschalisieren – fast niemand eine Ahnung davon hat, kündigt unsere wirklich soziale Lehrerin einen Test zur nächsten Woche an, über die Gattungen und das alles.

Innerlich seufze ich auf.

Als ich endlich in mein Auto steigen kann, um zu realisieren, dass jetzt Wochenende ist, atme ich erleichtert durch und bleibe deshalb noch ein paar Minuten sitzen, ehe ich den Motor starte und mich auf den Weg nach Hause mache.

Vorher jedoch fahre ich noch in Richtung des Krankenhauses, um Maryse zu besuchen.

An der Rezeption lächele ich nicht, aber warum auch? Für mich gibt es seit einer Weile nichts mehr zu lachen.

"Hey", mache ich, als ich das Zimmer 2192 betrete, in dem Maryse sich aufhält. Es scheint ein Einzelzimmer zu sein, das kann ich feststellen, nachdem ich mich einmal umgesehen habe. Die Zahl erklärt sich eigentlich auch von selbst: Die erste zwei steht für das zweite Gebäube, die eins für den ersten Stock, die neun wahrscheinlich dafür, dass das Zimmer ziemlich weit am Ende des Ganges zu finden ist und die letzte zwei ist einfach nur so zur Unterscheidung da.

Maryse sonst sehr einnehmende Aura scheint nur noch einen Bruchteil der Stärke auszustrahlen, die sie sonst vermittelt hätte, ihre Haare hängen schlaff und ungekämmt von ihrem Kopf herunter, ihr Gesicht ist blass und Augenringe unterstreichen unzählige schlaflose Nächte im Krankenhaus.

"Carter." Ihre Stimme ist kratzig und sie räuspert sich, nur um schließlich zwei Minuten lang mit dem Husten beschäftigt zu sein. Daraufhin trinkt sie als erstes einen Schluck aus einem durchsichtigen Glas, dass auf einem Beistelltisch steht.

Ich trete auf das Bett zu, als sie mit dem Trinken fertig ist und schließe sie für eine lange Umarmung in meine Arme.

Wie ich das vermisst habe.

Eine angenehme Atmosphäre umgibt uns und minutenlang halte ich sie in meinen Armen. Komisch irgendwie, dass das früher mal andersherum gewesen sein soll, kann ich mir heute gar nicht mehr vorstellen.

"Ich hab dich so lieb, Carter." Ihre Stimme klingt fast tränenerstickt. Weint sie jetzt? Aber warum sollte sie das tun?

Menschen weinen doch eigentlich nur, wenn etwas besonders traurig ist oder – im Falle der Freudentränen – sie so sehr lachen müssen, dass ihre Tränendrüsen Tränen freigeben.

"Ich dich auch, Maryse. Es ist ... still ohne dich." Sie sieht mich an, ihre Wangen gerötet, die Augen glasig.

"Miss Redwood, es kommt gleich eine Schwester zu Ihnen, die Ihren Verband wechselt, also fällt der heutige Termin bei Ihrer Physiotherapeutin aus, sie kommt dafür morgen im Samstagsdienst wieder." Eine freudestrahlende Schwester kommt in das Zimmer und erst mit ihren Worten verabeite ich das Bild von Maryse.

An ihrem linken Unterarm und ihrem rechten Oberschenkel befinden sich Binden, durch die man schon eine dünne rote Blutsspur sehen kann.

"Was hast du angestellt?", frage ich Maryse mit gesenkter Stimme, nachdem die Schwester wieder verschwunden ist.

"Ich wollte Trisha nur helfen, die Girlanden aufzuhängen und bin von der Leiter gefallen." Sie zuckt mit den Schultern.

"Ich dachte echt, als Psychologin könntest du besser lügen", gebe ich nachdenklich von mir.

Sie verdreht offensichtlich, fast provozierend die Augen und wieder frage ich mich, wer von uns beiden der Erwachsene ist.

"Warum genau willst du nochmal Anwalt und nicht Psychologe werden?" Diese rhetorische Frage beantworte ich nicht, sondern warte stattdessen darauf, dass sie weiter spricht. "Ich hatte auf der Damentoilette des Gemeindehauses einen Zusammenbruch, was genau passiert ist, kann ich nicht sagen. Den anderen Vertretern haben sie erzählt, ich hätte Trisha bei den Girlanden geholfen."

Ich lege meinen Kopf schief, während sie mich seufzend ansieht.

"Sie haben dir erzählt, dass ich einen Zusammenbruch hatte, oder?" Ich antworte nicht und sie reibt sich über die Stirn.

"Ich bin von der Treppe gefallen."

"Was? Carter, wie zur ..." Maryse Oberkörper ist fast senkrecht, aber genau in dem Moment kommt die Schwester – die die Mutter einer Stufenkameradin ist – in das Zimmer.

"Sie müssten dann jetzt gehen, Mister Redwood." Sie lächelt, wirkt aber irgendwie nicht sehr motiviert, als würde ihr Job ihr keinen Spaß mehr machen.

Ein letztes Mal umarme ich Maryse, drücke ihr einen Kuss auf die Stirn und verschwinde durch die Tür, nicht bevor ich nochmal auf die Krankenschwester zusteuere.

"Kümmern Sie sich gut um ihre Tochter, sie braucht das jetzt. Vielleicht ist Ihr Lächeln beim nächsten Mal weniger gequält." Mit diesen Worten mache ich mich auf den Weg die Treppe herunter und hinterlasse im Zimmer eine stolze Maryse und eine verblüffte Krankenschwester.

Möglicherweise wäre ich ja wirklich ein guter Psychologe.

Als ich aus dem Auto steige, sehe ich, wie Kathy mit nassen Sachen vor meiner Haustür sitzt. Da es den ganzen Tag geschüttet hat, kann ich nicht genau sagen, wie lange sie schon da sitzt, aber sie sieht ziemlich genervt aus. Und da ich weiß, dass sie definitiv schon eine halbe Stunde da sitzt, weil ich mehr als eine halbe Stunde im Krankenhaus war, ist es sogar ziemlich berechtigt, dass sie genervt ist.

"Du hast also mit meinem kleinen Bruder geschlafen, ja?", fragt sie während des Aufstehens.

Sie hat ihre Arme vor ihrem Körper verschränkt und zittert – verständlich, ihr muss wirklich kalt sein.

"Ich wüsste nicht, warum das ein Problem darstellen sollte.", erwidere ich nüchtern und will mich an ihr vorbei drängen. Sie hat schließlich nicht das Recht, darüber zu bestimmen, mit wem ich schlafe und mit wem nicht. Ich kenne meine und ihre Rechte nur zu gut.

Ein wenig wundert es mich aber doch. Entweder Zach hat ihr erzählt, ich hätte ihn vergewaltigt – weil eine Jungfrau wie ich ja auch einen anderen Typen vergewaltigen wird – oder, und das ist sehr viel wahrscheinlicher, Kathy hat sich direkt und so wie immer von ihren Emotionen leiten lassen.

Ich schweige, da eine Verteidigung bei ihr sowieso nichts bringen würde.

"Du streitest es also noch nichtmal ab?" Sie wirft ihre Arme in die Luft "Super. Ein toller bester Freund bist du ja. Schläfst einfach mit dem Bruder deiner besten Freundin. Fick dich doch einfach, Carter. Hat es sich gelohnt, diese Freundschaft zu ruinieren?"

Ich weiß, dass das physikalisch und biologisch unmöglich ist – zumindest in meinem Alter –, aber ich habe das Gefühl, ich würde mit jedem ihrer Worte einen Zentimeter schrumpfen, obwohl ich ja eigentlich nicht wirklich mit Zach geschlafen habe.

"Ich denke nicht, dass diese Freundschaft irgendetwas ruinieren könnte – außer vielleicht ein Atomkrieg."

"Tja, da täuschst du dich gewaltig." Mit diesen Worten verschwindet sie gen Westen; durch die untergehende Sonne, die inzwischen nicht mehr von den Wolken verdeckt wird, kann ich nur ihre Silhouette ausmachen.

Wie ein getretener Hund mache ich mich auf den Weg in das Haus, das mir plötzlich so fremd erscheint, als wäre es das von jemand anderem. Als wäre ich hier nicht aufgewachsen, als würden innerhalb dieser Mauern nicht tausende schöner Erinnerungen sein.

Ich fühle mich so verloren wie noch nie, das wird mir nur zu deutlich bewusst, als ich mich auf der Couch im Wohnzimmer niederlasse.

Sonst ist es immer mein Verstand, der alle Entscheidungen übernimmt, doch genau in diesem Moment denkt mein Herz für mich.

Vielleicht fange ich ja genau deshalb an zu weinen.

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So, das war das zweite und letzte Kapitel für heute 😁.

Meinung? Kritik?

Findet ihr Kathys Ausbruch berechtigt oder ist es eher unrealistisch?

Andere Frage, findet ihr den Klappentext gut, oder sollte ich den nochmal überarbeiten? Wenn ja, habt ihr vielleicht Ideen?

Ich wünsche euch in jedem Fall noch einen schönen Nachmittag/Abend und bis Freitag ☺.

Man liest sich (hoffentlich) 👋🏻😊.

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