-𝕋𝕙𝕚𝕣𝕥𝕪 𝔼𝕚𝕘𝕙𝕥-

In diesem engen, kleinen Raum riecht es nach Rauch, Spiritus und nassem Holz, die Fenster sind zugenagelt, die Tür von außen verschlossen.

Meine geöffneten Augen brennen vor Schmerz und dem zurückgedrängten Verlangen, zu weinen, aber ich versuche trotzdem, stark zu bleiben.

Das Metall an meinen Handgelenken ist fast genauso kalt, wie der Boden auf dem ich kauere und bildet einen starken Kontrast zu dem glühenden Stab, der Zeichen in die Haut über meinem linken Schlüsselbein brennt.

Es fühlt sich schlimmer an, als tausend Messerstiche auf einmal und würde ein halsbandähnlicher Eisenring meinen Kopf nicht auf seiner Position halten, wäre ich entweder schon in mich zusammengesackt oder würde mich die ganze Zeit winden.

Die Proteste habe ich schon vor einer Ewigkeit aufgegeben – zumindest kommt mir das so vor –, denn vom Schreien tut mein Hals mittlerweile mehr als nur weh.

Mein Oberteil hängt in Fetzen über meiner Brust. Sie haben es entzwei gerissen, um besser an meine Arme und Schultern zu kommen; es verschafft ihnen Freiheit bei ihrer Arbeit und ein noch größeres Machtgefühl, als so schon.

Abgesehen davon, dass ich vor ihnen knie wie ein Sklave und dabei auch noch wimmere, bin ich nicht der erste, der das durchstehen muss und definitiv auch nicht der letzte, deshalb gehe ich davon aus, dass ihr Streben nach Macht Tag für Tag mehr gestillt wird.

Als der Stab weggenommen wird, versuche ich meinen Blick auf der feucht schimmernden Wand rechts von mir zu halten, damit ich nicht in den Spiegel sehen muss.

Ich will nicht sehen, wie sie mich markiert haben. Nicht sehen, dass sie mich als ihrs markiert haben. Von jetzt an gehöre ich ihnen.

Der Eisenring wird gelöst, aber ich verharre trotzdem einige Minuten lang in der gleichen Position. Ein Geruch von verbranntem Fleisch hängt in der Luft und der Würgereflex kommt zum Vorschein.

Da ich aber in den letzten achtundvierzig Stunden nichts zu essen bekommen habe, würge ich trocken. Es ist ein unangenehmes Gefühl, als hätte man mir in den Magen geschlagen und dann Nase und Mund zugehalten.

Einer von ihnen tritt auf mich zu, in seiner Hand eine Spritze mit einer gelblichen Flüssigkeit, die genauso gut Urin hätte sein können.

Da mich sowieso schon kaum etwas bei Bewusstsein hält, ist mein Blick völlig verschwommen, weshalb ich nur dunkle Haare und stechend grüne Augen ausmachen kann, ehe der Mann die Spritze in meinen Oberarm bohrt und ich mein Bewusstsein vollends verliere.

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Als ich aufwache, versuche ich so flach es geht zu atmen – vielleicht kann ich sie ja davon überzeugen, dass ich tot bin. Aber anhand des Zitterns meiner Unterlippe erkennen ihre geschulten Augen natürlich sofort, dass es sich bei mir nicht um ein 'gescheitertes' Experiment handelt.

Als sie mich am Spiegel vorbeischleifen, schließe ich schnell die Augen, denn mein eigenes Elend zu sehen, hilft mir in diesem Moment auch nicht weiter. Schon wenige Sekunden später lassen sie mich wie einen nassen Sack auf den Boden fallen und zögernd öffne ich die Augen.

Sofort blicke ich in mein eigenes Gesicht, denn sie haben mich genau vor einen Spiegel gesetzt. Meine Schulter zieren jetzt die Zahlen 4 und 21, getrennt durch einen waagerechten Strich.

Mein ganzes Gesicht säumen Schmutz und Blut – ob das mein eigenes Blut ist, weiß ich nicht, aber ich könnte mir nicht vorstellen, von wem es sonst sein sollte.

Die Sehorgane in meinem Gesicht, die in jeder anderen Situation gestrahlt hätten, haben ihren Glanz schon lange verloren, sie scheinen fast schon stumpf zu sein, als wäre ich erblindet, als hätte man mir mein Augenlicht genommen.

Meine Haare sind zerzaust und schimmern nass von einer komisch riechenden Mischung aus Schweiß, Blut und Dreck, während meine Finger zitternd das Ende meiner schlaff und kraftlos herunterhängenden Arme bilden.

Dass ich wieder einen Würgereiz bekomme, kann man mir kaum verübeln, vor allem nicht anhand der Tatsache, was ich hinter mir im Spiegel erblicke.

Haufenweise verweste Kinderleichen.

Ich traue mich nicht, meinen Blick von diesem Bild abzuwenden, zu geschockt bin ich davon. Überschlagen sind das gut hundertfünfzig tote Kinder, einige von ihnen scheinen schon sehr lange dort zu liegen, da der Verwesungsprozess weit fortgeschritten ist.

Es sieht aus, als hätte man an ihnen experimentiert und als der Versuch gescheitert ist, hat man sie einfach zu den anderen Kindern auf einen Haufen geworfen.

Wie Müll hat man sie entsorgt und anschließend vergessen, als sei ihr gesamtes – und viel zu kurzes – Leben völlig wertlos gewesen. Als sei ihre Existenz völlig wertlos gewesen.

Ich muss wieder würgen und spucke diesmal Blut auf den Boden. Wie viele vor mir schon hier gesessen und das Leid hinter sich gesehen haben, kann ich nicht genau sagen, aber ich weiß, dass es viele nach mir sein werden.

Diese Experimente scheinen nicht viele Kinder zu überleben, das Ganze ist also förmlich Massenmord.

Gequält versuche ich, meine Glieder dazu zu bringen, sich zu bewegen, aber vergeblich. Kein einziger Muskel spannt sich an, als ich mich aufrichten will und alles in allem bin ich eigentlich auch viel zu erschöpft, um aufstehen zu können.

Das Blut läuft aus meinem Mundwinkel, wahrscheinlich habe ich mir irgendwann zwischendrin auf die Lippe gebissen, ohne auch nur im Ansatz etwas davon gemerkt zu haben.

Erschöpft sacke ich in mich zusammen und wünsche mir einfach nur, endlich sterben zu können.

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Am Morgen des nächsten Tages – ein Sonntag – wache ich auf dem Boden in meinem Zimmer auf, Kathy immer noch auf meiner Brust befindlich.

Ich strecke mich und denke an meinen Traum der letzten Nacht, dann fällt mir der Grund dafür wieder ein, warum ich ja eigentlich nicht mehr schlafen wollte: Alpträume.

Ziemlich widerspenstige Dinger, vor allem, wenn man über mehrere Jahre hinweg immer zu denselben Traum hat, so wie ich.

Manchmal kann ich selbst entscheiden, was ich träume, wie ich es träume und wie lange ich das tue. Oft kommen die Träume in Serien über mehrere Nächte hinweg; wenn ich einmal aufwache, geht es in der nächsten Nacht an der Stelle weiter.

Wenn ich in einer bestimmten Postion einschlafe, wiederholt sich der Traum, den ich so geträumt habe und wenn ich den Fortgang eines Traumes nicht gutheiße, kann ich ihn meistens pausieren und abändern, wie ein Regisseur.

Das klappt natürlich nicht immer, vor allem nicht das mit dem Anhalten und Abändern. Wenn mein Unterbewusstsein sagt, ein Traum solle so verlaufen, verläuft er meistens auch so, außer die Geschichte dahinter könnte man auf mehrere Arten erzählen.

Die Morgensonne strahlt direkt in mein Gesicht und ich kneife die Augen zusammen. Eigentlich hätte ich mich auch wegdrehen können, aber dann wäre Kathy wahrscheinlich aufgewacht und das will ich weder ihr noch mir selbst antun.

Denn im Gegensatz zu mir, ist sie ein ziemlicher Morgenmuffel, zumindest am Wochenende. Unter der Woche ist sie, ähnlich wie ich selbst, am Morgen gut gelaunt – sobald es dann aber in die Schule geht, sieht es bei ihr schon wieder anders aus.

Sie beginnt sich zu drehen und öffnet dann blinzelnd ihre Augen, also wäre es kaum nötig gewesen, extra vorsichtig mit ihr zu sein.

"Sind wir eingeschlafen?", fragt sie müde und beginnt direkt darauf, zu gähnen. Dann fährt sie sich zweimal über das Gesicht und reibt sich einmal durch ihr rechtes Auge.

"Ja, wahrscheinlich schon." Kathy stützt sich auf meine Brust und setzt sich anschließend auf. Nochmal muss sie gähnen und streckt die Arme dabei in die Luft.

"Der Boden ist wirklich gemütlich, muss ich sagen, aber würdest du trotzdem aufstehen?" Blinzelnd sieht sie in meine Richtung und steht dann von ihrem Sitzplatz – meinem Bauch – auf, um sich auf das Bett zu setzen.

Auch ich setzte mich jetzt auf, bleibe aber am Boden. Mein gesamter Körper ist hinterrücks auf meine Handflächen gestützt, während ich – den Blick auf das Fenster gerichtet – ebenfalls gähne und so zumindest den kleinen Funken Empathie in mir hervorrufe, den ich irgendwo tief in mir doch noch besitze.

Schließlich ist es so: Wenn jemand gähnt und man selbst auch gähnen muss, empfindet man Sym- und Empathie für diese Person; wenn man nicht gähnt, kann das daran liegen, dass man entweder psychisch gestört ist oder diese gewisse Person von Grund auf nicht leiden kann.

Und da ich natürlich Kathy gegenüber sehr empathisch bin, ist es kaum verwunderlich, dass auch ich, infolge ihres Gähnens, der ganzen Sache verfalle.

Meine ausgestreckten Arme einknickend und  so auf meinen Unterarmen liegend, sehe ich in Kathys Richtung. Das Fenster und das, was sich dahinter verbirgt – die gesamte Welt außerhalb –, scheint plötzlich lange nicht mehr so interessant für mich zu sein, wie ihre Gesichtsausdrücke, die sich nahezu sekündlich ändern.

"Du hast unruhig geschlafen, Carter. Was hast du geträumt?", will die neugierige Blondine wissen, die ihre Beine verschränkt und noch einmal über ihr Gesicht reibt.

Auch ich jucke meine Nase – wenn sie das darf, dann ich auch – und zucke anschließend mit den Schultern. "Das Übliche. Leid. Tod. Elend. Blut. Zahlen. Alles in Kombination."

Die grüne Regenbogenhaut bewegt sich von links, nach oben, nach rechts, nach unten und wieder nach links, ehe mir auffällt, dass sie so eben mit den Augen gerollt hat. Das macht sie sonst nie und eben diese Tatsache macht mich gerade ziemlich nervös.

Ich blinzele viermal und sehe mich dann hektisch im Raum um. Das hier ist fast eine schlimmere Qual für mich, als die Szenen, von denen mein Unterbewusstsein der Meinung war, sie mir zeigen zu müssen.

"Was ist los, Carter?" Plötzlich ist Besorgnis in ihren Augen zu erkennen, aber in meinem Kopf spielt sich nur ständig und konstant das Rollen ihrer Augen ab.

Ich kann ihr nicht antworten, auch nicht, als sie langsam vom Bett aufsteht und auf mich zukommt. Meine Atemzüge werden immer schneller und nach und nach säumen schwarze Flecke mein Sichtfeld.

Meine Unterarme, die mich zuvor noch gestützt haben, brechen zitternd zusammen und mein Kopf schlägt unsanft auf dem Boden auf.

"Da waren Kinder, ganz viele, tote Kinder", murmele ich zu Kathy und beruhigend beginnt sie, über meinen linken Arm zu streichen.

"Carter, bitte spar dir deine Kräfte, okay? Du solltest dich jetzt entspannen und tief durchatmen, ja? Kriegst du das hin?" Sie macht ein paar tiefe Atemzüge, als würde sie mir zeigen wollen, wie man richtig atmet, aber mein Atem beschleunigt sich dadurch nur noch mehr.

Ihre Hand ist immer noch auf meinem Arm und fühlt sich zu warm auf meiner plötzlich kalten Haut an.

"Tote Kinder, hörst du? Tote Kinder ... da waren überall tote Kinder und-" Ich werde unterbrochen, als Maryse durch die Tür stürmt und besorgt auf mich herabsieht.

Ihre dunklen Haare und die weiße Decke scheinen zu einem trostlosen Grau zu verschmelzen und ich schließe einen Moment lang die Augen.

Aber hinter meinen Lidern sehe ich nur mein Spiegelbild und die Leichen der Kinder. Mein Spiegelbild, das viel jünger aussieht, als ich es jetzt tue.

Meine Unterlippe beginnt fast automatisch wieder zu zittern und ein unbeschreiblicher Schmerz durchzieht meinen ganzen Körper, von der Brust ausgehend.

Als hätte man mir Gift direkt in mein Herz gespritzt und dann dafür gesorgt, dass ich von innen aufgefressen werde, dass das Blut sich selbst zersetzt und ich so einen elendigen und schmerzvollen Tod sterbe.

Meine linke Hand wandert zu meiner Brust und ich greife an der Stelle zu, an der mein Herzschlag wie ein wildgewordener Hund gegen meine Haut schlägt. Ein protestierender Gefangener, ein Sklave meines Daseins.

Ich kann nicht mehr denken, nicht mehr atmen, alles tut nur noch weh und ich fühle mich wie ein zur Todesstrafe Verurteilter, dem so eben die Giftspritze verabreicht wurde.

"Was hat er?" Genau kann ich nicht einmal mehr sagen, ob Maryse oder Kathy diese Worte ausgesprochen hat, zu benebelt ist mein Gehirn.

Vom Schmerz getrieben drehe ich mich zur Seite und wälze mich umher, meine Brust halte ich dabei noch immer.

"Vier. Einundzwanzig. Tote Kinder." Wie ein Mantra wiederhole ich diese vier Worte während meine Sicht langsam zu verschwimmen beginnt.

"Carter? Du darfst jetzt nicht einschlafen, hey!" Eine Hand berührt meine Wange, aber ich will meine Augen nicht öffnen. "Carter  bitte, sonst muss ich den Notarzt rufen."

"Vier. Einundzwanzig. Tote Kinder. Vier. Einund-"

"Carter! Stirb mir jetzt nicht weg." Ein nasses Etwas landet auf meiner Nase und läuft über meine Wange in meinen Mund. Es schmeckt salzig und zieht heiße Spuren über meine kalte Haut.

"Was meint er damit?" Ich habe keine Kraft mehr, um meine Augen zu öffnen, die Worte, die aus meinem Mund kommen, werden immer langsamer und undeutlicher, während hinter meinen Augenlider eine triste Schwärze empor kriecht, nur die Silhouette einer Person aus meinem Traum hebt sich hervor.

Stechend grüne Augen scheinen mich aus seinem Gesicht heraus gleichzeitig anzulachen und zu verspotten und ich kann nicht anders, als endgültig in raumlose Schwärze abzudriften.

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Hey :),

ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat und ihr nicht allzu geschockt ward, am Anfang.

Habt alle einen schönen Abend und bis Freitag. 🤗

Man liest sich (hoffenlich). 😊

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