Kapitel 2: SUNSHINE
Der Junge ohne Name erwachte.
Ein merkwürdiges Gefühl erfüllte ihn. Irgendetwas stimmte nicht.
Da kehrten seine Erinnerungen zurück.
Er war geflohen und in einer Sackgasse zusammengebrochen. Aber warum war ihm nicht mehr kalt?
Er sollte doch auf kaltem Stein liegen, stattdessen war ihm angenehm warm.
Augenblicklich richtete er sich auf.
Er lag in einem recht geräumigen Zimmer in eine warme Bettdecke gekuschelt.
Gehetzt sah er sich um und wollte aufstehen. Da sagte eine Männerstimme.
,,Bleib liegen."
Der Junge zuckte zusammen und drehte sich langsam um.
Auf einem Stuhl saß ein Mann. Er hatte violette Haare und trug eine Brille. An sein Bein klammerte sich ein kleines Mädchen mit grünen Haaren, dass sie zu zwei Zöpfen gebunden trug.
,,Wer seid ihr?", fragte der Junge mit so zarter Stimme, als hätte er sie schon seit Jahren nicht mehr benutzt und kroch etwas zurück. ,,Und wo bin ich?"
,,Wir haben dich in einer Gasse gefunden.", antwortete der Mann.
,,Du bist bei uns zu Hause. Ich bin Komui Lee und das ist meine kleine Schwester Lenalee."
,,Wie lange habe ich geschlafen?", fragte er nun, das Misstrauen in seinen Augen immer noch vorhanden.
,,Drei Tage.", antwortete Komui und schenkte dem Jungen ein Lächeln.
,,So lange.", flüsterte der Junge und seine Hand wanderte unwillkürlich zu seinem linken Auge. Er war mit einer Mullbinde verbunden.
,,Wie heißt du?", fragte Komui nun mit sanfter Stimme.
,,Ich habe keinen Namen.", antwortete der Junge wahrheitsgemäß.
,,Aber du musst doch irgendeinen Namen haben!", mischte sich nun das Mädchen ein. Sie verstummte jedoch als der Junge sie ansah.
,,Namen sind irrelevant.", sprach der Junge mit kalter Stimme. ,,Dann geben wir dir doch einfach einen Namen!", rief Komui hochmotiviert und ehe der namenlose Junge protestieren konnte, hatte Komui schon einen Namen erfunden.
,,Ab heute heißt du Kyo." Kyo schüttelte resigniert den Kopf und meinte dann nur.
,,Meinetwegen." Da stand Lenalee plötzlich vor ihm und starrte ihn nachdenklich, mit schiefgelegtem Kopf, an, dann grinste sie breit und rief. ,,Lass uns Freunde sein."
Sie streckte ihm seine Hand entgegen. Lenalee strahlte förmlich. Noch nie hatte Kyo ein solch sorgenloses Lächeln gesehen.
Sie war wie die Sonne, die jede Dunkelheit aus seiner Seele vertrieb. Doch sofort riss Kyo sich wieder zusammen.
Er durfte seine Selbstbeherrschung nicht verlieren. Dennoch nahm er ihre Hand und sie zog ihn auf die Beine.
,,Komm! Lass uns spielen gehen!" Komui wollte protestieren, dass Kyo noch nicht erholt genug sei, doch als er in Kyos Augen sah, wurde ihm klar, dass dies für ihn nur ein Kratzer war.
,,Aber seid bis zum Abendessen wieder zurück!", rief Komui noch, da hatte Lenalee bereits die Tür aufgestoßen und Kyo musste die Augen zusammenkneifen. In seinen Erinnerungen war immer nur in der Dunkelheit gewesen. Das war das erste Mal, dass er die echte Sonne sah. Sie war hell und warm. Lenalee zog ihn jedoch sofort weiter.
,,Lass uns im Wald spielen gehen.", rief die Kleine. Kyo folgte ihr ins Unterholz. Sie blieben an einer riesigen Eiche stehen, die in den Himmel zu greifen schien.
Ehe Lenalee irgendetwas sagen konnte, hatte Kyo schon nach den untersten Ast gegriffen und sich daran hochgezogen.
Flink wie ein Eichhörnchen sprang er von Ast zu Ast.
Er wusste selbst nicht, was ihn trieb. Er spürte, dass er sich die Hände aufschürfte, doch er kletterte einfach weiter.
Schließlich hatte er den obersten Ast erreicht und ließ seinen Blick über den Horizont schweifen.
Ein wundervoller Ausblick.
Die Sonne ging gerade unter und orangene Lichtstrahlen sorgten dafür, dass die Bäume lange Schatten zogen.
Eine Stimme riss ihn aus seiner Bewunderung. Lenalee rief ihm zu, er solle wieder nach unten kommen.
Kyo sprang vom Ast und bekam erst einige Meter weiter wieder einen zu fassen.
Lenalee starrte fassungslos zu ihm hoch.
Schließlich landete Kyo vor ihr und sah sie fragend an. ,,Gehen wir?"
,,Ja!", antwortete Lenalee. ,,Sonst wird Nii-san sauer."
Nun war es Kyo der Lenalee mit sich zog.
Gerade rechtzeitig, ehe Komui das Essen angerichtet hatte.
Noch nie hatte Kyo so viel Essen gesehen.
Zum ersten Mal war Kyo wirklich satt und kaum hatte er sich in seinem Futon zusammengerollt war er auch schon eingeschlafen und in seinen Träumen tauchte immer dieses Mädchen mit dem Lächeln, wie die Strahlen einer Sonne, auf. Sie hatte ihm neues Licht geschenkt. Sie war fast wie ein Schutzengel.
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