Die Folgen eines Verlustes
Reisi Munakata Pov:
„Danke", sagte ich zu Hiroki Kawamura, dem Großvater von Mayumi, als dieser mir Tee einschenkte. „Und haben Sie vielen Dank, dass Sie mich trotz der späten Stunde empfangen."
Inzwischen war es nach Mitternacht und ich befand mich definitiv im unhöflichen Rahmen für einen Besuch, allerdings konnte ich nicht widerstehen an der Haustür zu klopfen, als ich noch Licht in der Wohnung brennen sah.
Nachdem er sich mir gegenübersetzte, winkte Mr. Kawamura ab. Während er den Stuhl heranzog, schweifte mein Blick durch die kleine Küche, die direkt in das geräumige Wohnzimmer verlief. Wir saßen am weißen Küchentisch genau im Übergang zwischen den beiden Räumen.
„Also, was will der blaue König von einem alten roten Clansman?", fragte er mich offen und faltete seine vom Alter gezeichneten Hände auf dem Tisch. Selbstverständlich wusste Mr. Kawamura, dass ich nicht wegen einem netten Plausch vorbeigekommen, ebenso, dass so eine Zusammenkunft eher der untypischen Natur war.
Den alten Mann vor mir gemustert, hatte er sich für sein Alter erstaunlich gut gehalten, aber dafür sorgte die Überreste der roten Aura, die sich immer noch in seinem Körper befanden. Ansonsten waren die Haare weiß-grau und der Bart gleichfarben. Nur in seinen grünen Augen, spiegelte sich der Stolz und Kampfgeist wider, den ich bisher in den Iriden jedes roten Clansman entdecken durfte.
„Ich mache mir Sorgen um Saruhiko Fushimi", stieg ich direkt offen und ehrlich ein. „Er scheint mir immer mehr ins Ungleichgewicht zu geraten und auch wenn ich sein König bin, so merke ich, dass ich ihn noch nicht ausreichend kenne, um ihm eine helfende Stütze zu sein."
Die buschigen weißen Augenbrauen von Mr. Kawamura wanderten hoch, während er mir zuhörte und leicht den Kopf neigte. „Mit anderen Worten er zeigt allen die kalte Schulter?"
„Unter anderem", gab ich seufzend zu, dabei legten sich meine Finger um die weiße Teetasse, von der ein warmer Dampf ausging und mir das fruchtige Aroma von Granatapfel zusammen mit einer feinen Vanillenote in die Nase stieg. „Gleichzeitig scheint er die Grenze zwischen Richtig und Falsch zu verlieren." Meinen Blick weiter auf die helle Oberfläche des Heißgetränks gerichtet, hob sich dieser bis ich wieder in die grünen Augen von Mr. Kawamura blickte. „Er hat bei Ermittlungen eine Schülerin mit einem starken Betäubungsmittel außer Gefecht gesetzt und sie bewusstlos liegen lassen. Sie musste später medizinisch versorgt werden, aber es geht der jungen Damen soweit gut." Seine Körperhaltung geändert, nickte Mr. Kawamura, als Zeichen, dass er mir zuhörte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Später gab es dann noch eine Auseinandersetzung mit Misaki Yata, der von ihm an der Schulter mit einem Messer verletzt wurde, kurz darauf..." Ich stockte, da ich mir unsicher war, ob ich wirklich so viel preisgeben sollte, allerdings war dieser alte Mann die einzige Person, die ich in dieser Sache um Hilfe bitten konnte. „...kam es fast zu einer Befehlsverweigerung." Nach wie vor sagte Mr. Kawamura nichts, doch seine Augenbrauen wanderten immer höher. „Wenn ich versuche mit ihm zu sprechen, dann macht Saruhiko sofort dicht. Er lässt auch niemand anderes an sich heran. Aus diesem Grund bin ich nun hier, da mir niemand mehr einfällt, der Saruhiko ausreichend kennt und mir eine Hilfe sein könnte."
Nun da ich mein Problem geschildert hatte, wartete ich auf eine Antwort von Mr. Kawamura, dessen Wangen sich aufbliesen, ehe er geräuschvoll die Luft aus diesen entlief und sich dabei durch seine kurzen Haare fuhr. Sein Blick wanderte überlegend durch den Wohnraum, bis er an der Wohnzimmerkommode hängen blieb.
Ebenfalls in seine Blickrichtung geschaut, entdeckte ich neben vielen Familienbildern, auch Fotos von den drei Freunden, Misaki Yata, Mayumi Kawamura und Saruhiko Fushimi. Je nachdem welches Bild man betrachtete, konnte man sogar die Altersunterschiede und Entwicklung der Dreien feststellen.
„Ich kenne Saruhiko jetzt seitdem er dreizehn Jahre alt ist", setzte Mr. Kawamura an. „Anfangs konnte ich recht wenig mit ihm anfangen, da er kaum die Zähne auseinanderbekam und immer genervt wirkte, außerdem schien er immer lieber für sich zu bleiben." Sich auf dem weißen Holzstuhl aufgerichtete, faltete er wieder seine Hände vor dessen Teetasse. „Wiederrum... bekam ich den Eindruck, dass er irgendwie von Misaki und Mayumi fasziniert war, warum konnte ich nie herausfinden." Immer noch auf eines der Bilder der Dreien gesehen, nickte ich, als Zeichen, dass ich ihm diesmal zuhörte. „Vielleicht weil die beiden so anders waren als er, doch das ist nur eine Vermutung von mir." Er wandte sich wieder mir zu. „Es hat wirklich lange gedauert bis Saruhiko aufgetaut ist und sich vollständig auf Mayumi und Misaki einließ. Ich glaube fest, wenn er nicht an die beiden geraten wäre... jeder andere hätten es irgendwann mit ihm aufgegeben."
„Aber Mayumi und Misaki nicht", fasste ich zusammen, denn egal was ich aus dem Leben von meinem Kommandanten erfuhr, spielten diese beiden Personen immer eine Rolle.
Mr. Kawamura machte eine zustimmende Geste mit der Hand. „Die Drei wuchsen zu Pech und Schwefel zusammen, getrennt traf man sie kaum voneinander an." Sich über die Lippen geleckt, lächelte er. „Eine schöne Freundschaft, mit Rückhalt, Vertrauen und allem was man so aus Bilderbüchern kennt." Ich selbst musste ebenfalls lächeln, hörte sich dies doch wirklich schön an und wer hätte nicht gerne so eine tiefe Freundschaft. „Ich wäre fast so weit gegangen zu sagen, dass die drei noch im Rentenalter zusammen wären, aber dann entdeckten sie die Königswelt und innerhalb eines Jahres veränderte sich alles." Sein Blick senkte sich und die Verbitterung über den tragischen Verlauf der Freundschaften, war ihm anzusehen. „Ich war immer ein treuer Clansman und auch heute noch, fühle ich mich dem roten Clan verbunden, obwohl ich schon lange nicht aktiv bin. Aber zu sehen, wie diese Drei auseinanderbrachen und jeder auf einmal für sich Stand, zerbrach mir das Herz."
„Verständlich", nickte ich, ehe ich einen Schluck von meinem Tee nahm. Wenn die Freundschaft zwischen Mayumi, Misaki und Saruhiko wirklich derartig tief ging, dann war mehr als nur nachvollziehbar, dass die Trennung umso schmerzhafter war und entsprechende Wunden hinterließ. „Glauben Sie es liegt an der kaputten Freundschaft?"
„Ja, aber nicht nur", entgegnete mir der alte Mann. „Es ist ein wesentlicher Bestandteil von Allem, dass Saruhiko, wie Sie sagten ins >Ungleichgewicht< gebracht hat." Seine Aufmerksamkeit wieder auf ein Bild von Saruhiko in jungen Jahren gerichtet, sprach er weiter. „Heute finde ich, sieht er seinem Vater noch ähnlicher als sonst", wechselte er das Thema.
Das Vater-Thema, etwas worüber ich nie geschafft hatte mit Saruhiko zu sprechen. Ich kannte die Geschichten nur ansatzweise und das auch nur durch den grünen Clan. Fakt war nur, dass diese Schrecken der Vergangenheit ihn noch heute verfolgten und immer wieder fragte ich mich, was mein Kommandant durchleben musste.
„Saruhiko's Vater war ein Arschloch und das ist noch nett ausgedrückt, weil Sie vor mir sitzen", wandte sich Mr. Kawamura mir wieder zu. „Er hat dem Jungen zugesetzte, wo er nur konnte, aber so geschickt, dass man ihm nichts nachweisen konnte. Elender Dreckskerl", schnaubte er, lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Deutlich war dem alten Mann anzusehen, wie sehr er den Vater von Saruhiko verachtete. „Ein zwei Sachen habe ich selbst mitbekommen und Niki Fushimi direkt am Kragen gehabt, doch abschrecken ließ sich dieser Spinner nicht. Wenn meine Frau damals nicht gewesen wäre, dann hätte ich ihm seine Faust so tief in den Arsch geschoben, dass er sich von mit dem Zeigefinger an der Mandel kratzen könnte. Heute bereue ich es, dass ich es nicht getan habe, denn er quälte Saruhiko weiter und weiter."
„Wie hat Saruhiko diese Tortur überstanden?", wollte ich wissen und überging die Ausdrucksweise von Mr. Kawamura, der sich wegen mir wohl noch gewählt ausdrückte, dann wollte ich nicht wissen, was er sonst noch für Bezeichnungen Auflager hatte. „Er muss doch irgendeine Zuflucht gehabt haben." Wieder jemand der mitbekommen hatte, was Saruhiko widerfahren, doch kaum jemand sprach über die Taten, die dieser Niki Fushimi seinem Sohn angetan hatte. In einem Punkt waren sich nur alle einig, dass es sich um Quälerei und Misshandlung handelte und niemand Niki Fushimi etwas nachweisen konnte.
Die Teetasse halten, zeigte Mr. Kawamura sofort in die Richtung der Bilder. Genauer gesagt auf das Bild, dass die drei Freunde zeigte. „Er lief oft weg und kam bei Misaki oder hier bei uns unter. Sie haben damals gedacht, dass meine Frau und ich es nicht bemerken, wie Mayumi ihm half sich rein – und rauszuschleichen, aber wir haben es mitbekommen."
„Nur nichts gesagt", schlussfolgerte ich.
Er nickte. „Als Eltern oder in unserem Fall Großeltern bekommt man viel mehr mit, als die Kinder letztendlich wissen. Wir haben nur nicht zu allem etwas gesagt, außerdem war es mir lieber, dass er hier bei uns schlief, als das er die Nacht draußen auf der Straße verbringt."
In mir keimte eine Frage auf. „Wieso hat niemand Saruhiko vollständig zu sich genommen, wenn er doch bereits bei ihnen ein und aus ging?"
„Weil Saruhiko Fushimi verdammt stolz ist", war die simple Antwort. „Hätten wir oder die Yata's etwas gesagt, dann wäre er nicht wiedergekommen. Glauben Sie mir, wir haben mehr als einmal zusammengesessen und überlegt, wie wir dem Jungen helfen könnten und ihm in dem Glauben zu lassen, dass wir ihn nicht bemerken und simpel ausgedrückt in Ruhe lassen, war die bestmögliche Entscheidung. " Mr. Kawamura trank einen Schluck von seinem Tee.
Typisch Saruhiko, schoss es mir durch den Kopf. Zu Stolz um Hilfe anzunehmen.
„Es ist in Ordnung, dass er so verdammt stolz ist." Der Blick von Mr. Kawamura traf meinen. „Dieser Stolz und diese Willensstärke hat dafür gesorgt, dass aus diesem jungen Mann kein wahnsinniger Spinner wurde."
Einmal dies und weil das Eingeständnis, dass er Hilfe benötigte für Saruhiko ein Zeichen der Schwäche gewesen wäre. Eine Schwäche, die er sich gegenüber seinem verstorbenen Vater nicht eingestehen wollte und durfte. „Stolz ist er nach wie vor, aber ich habe das Gefühl, das..."
„Er gebrochen ist?", nahm mir Mr. Kawamura die Worte aus dem Mund. „Damit haben sie vollkommen recht, blauer König." Schlürfend nahm er einen weiteren Schluck von seinem Tee, ehe er die Tasse zurück auf den Untertassenteller stellte. „Ich frag jetzt mal anders." Die Arme auf dem Tisch verschränkt, lehnte sich der Hüne von einem Mann leicht vor. „Wer wäre nicht am Boden, wenn er die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben verliert und keine Ahnung hat, ob er jemals wieder einen Zugang zu ihnen erhält?"
Ein vollkommen anderer Blickwinkel. „Jeder wäre am Boden zerstört."
„Saruhiko ist zurzeit so, weil er nicht weiß, was er machen soll", kamen wir zu dem eigentlichen Thema wieder zurück. Ich nickte nur, da mir bewusstwurde, dass dieses Verhalten ein Schutzschild war, den er aufrecht hielt, damit niemand merkte, wie es wirklich um ihm stand.
„Der Streit mit Misaki ist inzwischen so verfahren, dass es weder vor und zurück geht." Der Hüne schluckte auf einmal. „Und dann ist meine Enkelin spurlos verschwand, die ihm den letzten Halt gegeben hat. Einen von beiden brauch er und das wird Saruhiko gerade bewusst. Niemand kann dauerhaft allein sein. Man brauch immer jemanden an seiner Seite, selbst diejenigen, die einem klar machen wollen, dass sie nichts und niemanden in ihrem Leben benötigen."
Doch eigentlichen waren das genau die Personen, die am meisten nach Halt in ihrem Leben suchten und sich an einige wenige Personen klammerten. „Daher der Angriff auf Misaki", schlussfolgerte ich erneut. „Negative Aufmerksamkeit ist auch eine Art von Aufmerksamkeit." Inzwischen fragte ich mich, wie schlecht es meinem Kommandanten wirklich ging, wenn er bereits zu solchen Mitten griff.
„Genau", stimmte mir Mr. Kawamura zu und merkte wohl selbst, dass ich langsam anfing zu verstehen. „Hinzu kommt, dass er eine unfassbare Wut mit sich herumträgt." Selbst einen Schluck aus meiner Tasse genommen, hörte ich dem alten Mann weiter zu. „Sein Vater ist an Organversagen vor wenigen Jahren verstorben." Das wusste ich aus der Akte von Saruhiko, allerdings kannte ich die Geschichte dahinter nicht. „Saruhiko sollte damals die Identität seines Vaters bestätigen und in der Leichenhalle des Krankenhauses ansehen. Sich auch verabschieden, wie man es halt so macht, doch Saruhiko ist ausgerastet."
„Er hat die Beherrschung verloren?", kam es vollkommen verwundert von mir. Etwas, was überhaupt nicht zu Saruhiko passte.
Wieder nickte Mr. Kawamura. „Es war das erste Mal, dass ich überhaupt so etwas bei Saruhiko erlebt habe, doch da habe ich gemerkt, wie viel Wut er mit sich herumträgt."
Ein absoluter Sonderfall, dass jemand wie Saruhiko die Beherrschung verlor und schien selbst den alten Mann zu überraschen, der ihn deutlich länger kannte als ich. „Was ist dann passiert?", wollte ich wissen.
„Misaki hat ihn von der Leiche mit einigen Krankenschwester weggezerrt. Während er seinen toten Vater beleidigte und anschrie, weil er niemals mehr eine Entschuldigung von ihm erhalten würde, für das was er ihm angetan hatte."
Unweigerlich pressten sich meine Lippen zusammen. Ein ungestillter Zorn, der noch über Jahre in jemanden weiterleben konnte. Durch den Tod seines Vaters hatte Saruhiko nie einen Abschluss mit seiner Vergangenheit finden können. Vermutlich plagten ihn deshalb diese schlimmen Albträume. Er wollte eine Entschuldigung, die er niemals mehr in seinem Leben erhalten würde.
„Das tut mir alles wirklich leid für Saruhiko", bekundigte ich mein aufrichtiges Mitgefühl. Niemand sollte so etwas schreckliches Durchmachen, wie mein Kommandant. „Aber es bringt mich in meiner aktuellen Lage nicht weiter", sagte ich zu dem Großvater von Mayumi. „Ich verstehe, woher seine Wut kommt und dass er sie nur schwer kontrollieren kann, aber im Umkehrschluss kann es nicht heißen, dass ich ihm solche Fehltritte durchgehenlassen kann."
„Nein, das ist vollkommen richtig." Mich wieder angesehen, lächelte Mr. Kawamura. „Sie wissen nur nicht, wie sie ihn packen können, damit er aufwacht und wieder von allein in die Spur kommt."
Ich nickte zustimmend „Ja, deshalb bin ich hier. Ich weiß nicht weiter und ich mache mir wirklich Sorgen um Saruhiko."
Für einen Moment schwiegen wir beide, bis Mr. Kawamura gedehnt seufzte. „Sie können nichts machen."
Verdutzt sah ich ihn an, war das nicht die Antwort, mit der ich gerechnet hatte. „Das ist alles?"
Vollkommen ernst sah mich Mr. Kawamura an. „Saruhiko lässt sich nicht reinreden und wenn dann nur von genau zwei Personen." Er hob zwei Finger in die Höhe. „Misaki Yata und meine Enkelin."
Keiner von den beiden war greifbar für mich. „Und was soll ich jetzt tun? Ihn wegsperren?"
„Nein", lächelte er mich an und trank noch einen Schluck von seinem Tee, bis die Tasse leer war. „Ich rede mal mit Saruhiko", wandte er sich mir wieder zu. „Er kommt zweimal die Woche vorbei und isst mit mir zusammen zu Abend." Achja? Das wusste ich gar nicht. Auf der anderen Seite wunderte es mich nicht, denn Hiroki Kawamura, war eine letzte Verbindung, die er zu seiner verschwundenen Freundin hatte. Eine Verbindung, die Saruhiko sicherlich nicht verlieren wollte. „Irgendwie bin ich ja auch für den Jungen verantwortlich und wie soll ich meiner Enkelin unter die Augen treten, wenn ich nicht zumindest mal ein Gespräch mit Saruhiko versucht hätte."
„Mit Mayumi Kawamura kann man bei Saruhiko immer etwas bewirken, oder?", hackte ich neugierig nach und merkte gleich wie dessen grünen Augen wachsam auf mir lagen. „Ja, vollkommen richtig. Mayumi kann bei Saruhiko immer als wirksames Druckmittel eingesetzt, doch davon Rate ich dringend ab."
„Wieso?" Nicht, dass ich es vorhatte, aber bevor er gänzlich außer Spur geriet, wollte ich mir alle Optionen offenhalten.
Schnaubend lachte der alte Mann vor mir auf. „Wollen Sie Saruhiko als treuen Clansman behalten oder von ihm ein Messer zwischen die Rippen gestoßen bekommen?"
Ich sagte nichts, nur meine Lippen presste sich zusammen, ebenso meine gefalteten Hände.
„Er liebt meine Enkelin immer noch und das, obwohl sie seit anderthalb Jahren verschwunden ist", sagte Mr. Kawamura betont, da sicherlich jeder andere längst einen Hacken an das Thema gemacht und sein Leben weitergelebt hätte, außer Saruhiko. „Er hat sie verloren, wegen Regeln, die der goldene Clan aufgestellt hat und der blaue Clan einhält, darüber ist Saruhiko sich vollkommen bewusst und bleibt trotzdem eine Blaujacke. Wenn Sie jetzt noch Mayumi gegen ihn verwenden, ob zu seinem Besten oder nicht, spielen sie mit seiner Loyalität, denn er hat ihnen anvertraut, dass er meine Enkelin liebt."
„Er hat mir eine Schwachstelle offenbart", stimmte ich dem Großvater von Mayumi zu.
„Genau und als guter König haben Sie diese Schwachstelle ihres Clansman zu schützen und nicht gegen ihn zu verwenden."
Belehrt von einem andersfarbigen Clansman und doch störte es mich nicht. Es war in einem vertrauten Rahmen und ich glaubte nicht, dass Hiroki Kawamura damit durch die Gegend lief, dass ich seiner Hilfe und Rat benötigte. „Nur wie soll ich ihm dann helfen? Ich fühle mich nicht nur als König dazu verpflichtet ihm zu helfen, sondern auch weil ich ihn mag und anfange in ihm einen Freund zu sehen." Auch wenn diese Freundschaft einseitig war, denn wie ich nun wusste, war es schwer an die Freundschaft von Saruhiko Fushimi zu kommen.
„Geben Sie dem Jungen Zeit. Er ist neunzehn Jahre alt?" Kurz überlegte Mr. Kawamura. „Er hat im November Geburtstag, dann ist er jetzt neunzehn Jahre alt. Und Sie sind auch noch ein junger König." Das stimmte, denn ich selbst war erst vierundzwanzig Jahre alt und damit der jüngste König unter den Herrschenden, allerdings schätzte man mich gerne älter ein. „Manche Sachen brauchen ihre Zeit und wenn sie ihm helfen wollen wieder in die Spur zu kommen, dann geben sie ihm einen Grund", antwortet mir Mr. Kawamura. „Saruhiko macht vieles mit sich selbst aus und auch diese Situation wird er mit sich selbst ausmachen, daran können weder Sie noch ich etwas ändern." Keine besonders befriedigende Antwort. „Er hat nur deshalb so Schwierigkeiten damit, weil er kein Ziel besitzt, an dem er sich orientieren kann."
„Sowas wie ein Fixpunkt?", überlegte ich für mich selbst und griff diesen neuen Gedankengang auf. „Ich könnte ihm die Möglichkeit einräumen nach Miss Kawamura zu suchen, ohne dass er mir davon Bericht erstatten muss."
„Und was ist, wenn er meine Enkelin findet?", wollte Mr. Kawamura sofort wissen und neigte seinen Kopf. „Wir wissen beide, dass Saruhiko vermutlich dazu in der Lage wäre, aber was bringt ihm das? Geht dann die Hetzjagd von Neuem los."
Ein berechtigter Einwand. „Solange ich davon nichts weiß, kann ich schlecht eine Ermittlung einleiten. Saruhiko müsste vorsichtig sein."
„Und er soll ihnen vertrauen, dass Sie ihr Wort halten?" Die Wachsamkeit blieb in den Augen des alten Mannes, doch erkannte ich den versteckten Hoffnungsschimmer, denn nicht nur Saruhiko hatte Mayumi Kawamura verloren.
Entschlossen hielt ich seinem Blick stand. „Genauso wie ich Saruhiko vertraue, dass er keine sensiblen Informationen an Suki Endou weitergibt."
„Sie würde ihn wirklich nach meiner Enkelin suchen lassen?", wollte es mir der Großvater von Mayumi scheinbar nicht glauben.
„Ich hatte nie vor Mayumi zu schaden oder ihr so etwas anzutun", kam es direkt von mir, den Blick des alten Mannes aufrichtig erwidert, dessen Enkelin unschuldigerweise fliehen musste, weil das Gesetz sie aufgrund ihrer Existenz zu einer Geächteten machte. „Ich bin immer noch dran das Gesetz unschädlich zu machen, dass so viel Leid über so viele Familien bringt, aber bisher war ich nicht sehr erfolgreich." Nur weil bisher meine Bemühungen auf taube Ohren stießen, hieß es nicht, dass ich mein Wort gegenüber Saruhiko und Mayumi vergessen hatte. Beiden hatte ich zugesichert, dass ich eine Lösung fand und beiden gegenüber würde ich mein Wort halten.
Die Teekanne erschien in meinem Blickfeld und Mr. Kawamura schenkte mir nach. „Wenn das stimmt und Saruhiko das weiß, dann wissen Sie doch selbst am Besten wie Sie mit ihm sprechen müssen." Er senkte die Kanne ab und füllte ebenfalls seine Tasse. „Wenn er den Anschein macht, dass Saruhiko am wenigsten zuhört, dann haben Sie seine volle Aufmerksamkeit."
„Danke", lächelte ich den alten Mann vor mir an und nahm wieder einen Schluck von dem dampfenden Tee. „Sie kennen Saruhiko wirklich gut."
„Wäre schlimm, wenn nicht", lachte er auf und sah wieder zu den Bildern. „Ich habe ihn immerhin mit meiner Enkelin aufwachsen sehen. Manchmal ein absoluter besserwisserischer Rotzlöffel, der Schlimmes und Schreckliches mitgemacht hat, trotzdem ist er ein guter Kerl geworden..." Sich über die Lippen geleckt, schmunzelte Mr. Kawamura weiter. „...mit einem weichen Herzen, allerdings hat er gelernt es gut zu verstecken."
„Doch vor ihrer Enkelin konnte er diese nie verstecken", setzte ich nach und sah dem alten Mann lange an, der genauso wie Saruhiko Mayumi verloren hatte.
Mr. Kawamura lächelte traurig. „Ja, vor Mayumi konnte Saruhiko es nie verstecken. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie nur einen Blick brauchte, um ihn vollständig zu entwaffnen. Ich glaube Sie hätten meine Enkelin gemacht, blauer König."
„Das denke ich ebenfalls", stimmte ich zu und besah mir auch noch einmal die Bilder der Dreien. „Ich würde gerne mehr Geschichte zu den Dreien hören. Würde Sie mir diese anvertrauen?"
„Verwenden Sie die Geschichten gegen Saruhiko?"
„Würde mir nicht einmal im Traum einfallen", kam es fast empört von mir, doch konnte ich die Wachsamkeit von Mr. Kawamura verstehen. „Ich habe nur das Gefühl, dass ich Saruhiko Fushimi immer besser verstehe, wenn ich die Beziehung zwischen ihm, Misaki Yata und ihrer Enkelin kennen. Die Drei schienen mir etwas Besonders besessen zu haben."
„Ja, dass hatten sie und ich glaube heute merken alle Drei, was sie verloren haben."
Ich sah wieder auf ein Gruppenbild, als sie in ihrer Schuluniformen, eng zusammenstanden und Misaki jeweils einen Arm um die Schultern von Saruhiko und Mayumi gelegt hatte. Inzwischen dürften wirklich alle Parteien den Verlust begreifen, allerdings schien niemand zu wissen, wie er auf den eingeschlagenen Weg umkehren sollte. „Man bemerkt doch immer erst die Bedeutung von etwas, nachdem man es verloren hat."
Saruhiko Pov:
Gegen drei Uhr morgens ging Reisi Munakata endlich und ich kam aus dem angrenzenden Zimmer und sah genervt zum Großvater von Mayumi. „Musste das sein?", fragte ich ihn und lehnte mich in den Türrahmen, denn er hatte ihm meine halbe Lebensgeschichte erzählt.
„Darüber willst du reden?", fragte er mich genauso provokant wie ich ihn. „Oder willst du mir nicht lieber was anderes erklären, Saru?" Er sprach die Vorfälle an, die ich verbockt hatte.
Schnaubend wandte ich mein Gesicht von dem vorwurfsvollen Blick von Hiroki ab und schob dabei meine Hände in die Hosentaschen. „Dem Mädchen geht es gut und Misaki schreit weiterhin herum, zufrieden?"
Von jetzt auf gleich hatte mich Hiroki am Kragen und drückten mich mit voller Wucht gegen die Wand. „Jetzt pass mal auf. Du hast die ganzen Jahre immer behauptet, dass du nicht so ein krankes Arschloch wie dein Vater wirst, also fang mit so einem Mist nicht an, denn so fängt man es an", knurrte er bedrohlich ruhig und erinnerte mich an meine eigenen Worte. „Nicht nur du vermisst Mayumi!" Ich wollte meinen Kopf zur Seite drehen, doch als ich mein Gesicht nur einen Zentimeter bewegte, schlug die massige flache Hand neben mir ein, sodass ich Hiroki direkt wieder ansah. „Hier spielt die Musik, Saruhiko." Ich wollte nicht hinsehen, zumal sich die Situation absolut unangenehm anfühlte, dennoch tat ich es. „Ich muss dir nicht sagen, was Mayumi von solchen Aktionen denken würde, oder?"
Nach wie vor strahlte Hiroki diese bedrohliche Ruhe aus, sodass man sich kaum traute zu widersprechen oder gar Widerworte zu geben. Diese Wirkung trat auch bei mir ein, obwohl ich ein starker Clansman war und über die blaue Aura verfügte und diese jederzeit einsetzen konnte, tat ich es nicht. Vermutlich lag es daran, dass ich Hiroki seitdem ich ein Kind war kannte und er eine lange Zeit ein Erziehungsberechtigter war, auch wenn nicht meiner. Doch gerade fühlte es sich an, als würde er diese Rolle kurzfristig übernehmen.
„Bist du fertig?", fragte ich ihn betont gelangweilt, doch merkte ich die Nervosität in meinem Körper. Irgendwie kam ich mir wie ein Kind vor, dass gerade Ärger bekam.
„Nein", kam direkt die Antwort und er schob mich noch ein Stück an der Wand hoch, sodass ich auf den Zehnspitzen stand. „Ich will eine vernünftige Antwort von dir, warum du so eine Scheiße machst."
Eine vernünftige Antwort? „Die kann ich dir nicht geben", sagte ich ihm direkt und merkte, wie sich seine Augen kurz weiteten. Sicherlich, weil er feststellte, dass ich mir über meine Handlungen vollkommen bewusst und wie falsch diese waren, dennoch war es mir egal.
Mich losgelassen, glitt ich von den Fußballen wieder auf meine Hacken und erwiderte den enttäuschten Blick von Hiroki. Innerlich wollte ich lieber eine Ohrfeige oder einen Schlag in den Magen bekommen, als diesem Blick standzuhalten. „Ich hatte dich eigentlich für einen besseren Kerl gehalten." Ich wusste nicht, was mich gerade mehr störte. Die Tatsache, dass ich mich von dem Großvater von Mayumi schellten ließ oder die Enttäuschung in seinem Blick.
Erneut wandte ich mein Gesicht ab, doch meine Hände krampften sich in meine Hosentasche. „Dann schätze ich mal, dass wir nächste Woche nicht zusammen essen?"
Die Stirn gerunzelt, neigte Hiroki den Kopf. Plötzlich landete seine Faust krachend auf meinem Kopf, sodass ich unweigerlich in die Knie ging und meine Schädeldecke hielt, während meine Brille klimpernd auf dem Boden landete. „Rede nicht so einen Stuss. Nur weil du gerade einen Dachschaden hast, heißt das doch nicht, dass du ich dich vor die Tür setze. Ich erwarte dich nächste Woche am gleichen Wochentag, um die gleiche Uhrzeit wieder hier und wehe dir du tauchst nicht auf." Mich streng angesehen und vor mir in die Hocke gegangen, lächelte er. Seine Hand auf meinen Kopf gelegt, strich er mir durch die Haare. „Du willst nicht, dass ich bei Scepter 4 auftauche."
Die prankengroße Hand verschwand von meinem Kopf und hinterließ ein komisches Gefühl bei mir, sodass sich meine Augenlider kurzzeitig schlossen. „Nein, will ich nicht", hörte ich mich leise lachend sagen. Meine Brille aufgesammelt, aufgesetzte und aufgerichtete, betrachtete ich Mayumis Großvater und senkte schuldbewusst meinen Blick. „Tut mir leid", murmelte ich und versuchte dieses peinliche Gefühl zu unterdrücken.
„Bei mir brauchst du dich nicht zu entschuldigen", kam es von Hiroki und zeigte auf die leergetrunkene Tasse von meinem König. „Er macht sich unfassbare Sorgen um dich und das nur, weil du dich wie ein Rotzlöffel verhältst, dabei wissen wir beide, dass dein König andere Sorgen hat, als zu überlegen, wie er bei dir wieder alle Tassen in deinen Schrank einsortieren soll."
Brummend sah ich an zur Seite, denn Hiroki konnte langsam, aber sicher mal aufhören sich mir gegenüber wie ein Vater aufzuführen. Auf der anderen Seite fühlte es sich trotz der Scham, irgendwie gut an. Zu merken, dass man für etwas Ärger bekam, weil jemand etwas nicht gut fand und trotzdem diesen Menschen nicht fürchten zu müssen. Es war lange her, dass ich fühlte, dass ich jemanden wichtig war. Die ersten Personen, von denen ich dieses Gefühl erhalten hatte, waren Misaki und Mayumi gewesen. „Ich rede morgen mit ihm."
„Tu das und wenn ich nochmal von so einer Aktion von dir höre, dann kannst du dich aus der Wand dort drüber kratzen und jetzt spuck aus, warum du mich so spät besuchst", sagte er und räumte dabei weiter den Tisch ab. „Du kannst jederzeit hierhinkommen, das weißt du, aber mich wundert die Uhrzeit."
Ich war wenige Minuten vor Reisi Munakata eingetroffen und hatte mich direkt versteckt, als ich bemerkt, dass mein König vor der Tür stand. Zuerst dachte ich, dass er mir gefolgt sei, allerdings stellte sich dies als nicht richtig heraus. „Ich habe einen Hinweis erhalten, wo Mayumi sein könnte."
Klirrend fiel Hiroki das Geschirr aus der Hand und ruckartig flog sein Blick zu mir. „Ist das wahr?"
Ich nickte und holte den Zettel heraus, den mir Aya gegeben hatte. „Ich habe dies erhalten, aber leider kann ich mir nicht hundertprozentig sicher sein, dass die Information stimmt, denn sie ist von einem ehemaligen Mitglied vom grünen Clan."
„Vom grünen Clan?", verwundert sah Hiroki mich an und nahm den weißen Zettel von mir entgegen. „Naja, wäre durchaus denkbar, dass der grüne Clan weiß, wo sich Mayumi aufhält, immerhin war es damals ein Mitglied von denen, das Mayumi aus dem Hauptquartier von Scepter 4 brachte."
Ich setzte mich vor ihm auf einen weißen Küchenstuhl und legte den Arm seitlich über die Lehne. „Den Gedanken hatte ich auch schon, allerdings birgt es trotzdem ein gewisses Risiko." Meine Erfahrungen mit dem grünen Clan waren bisher nicht die besten und je ruhiger der goldene König wurde, desto aktiver schienen die Grünen zu werden.
„Du meinst, weil sie damals auf dich abgesehen haben", hackte Hiroki nach und gab mir den Zettel mit der Adresse, Tag und Uhrzeit zurück. „Da ist natürlich was dran, glaubst du es ist eine Falle?"
Meine Schultern zuckten langsam hoch, als ein Schmerz am mich in der Bewegung innehalten ließ. Drecks Stich... Mich hatte auf dem Weg hierhin ein nerviges Insekt gestochen. „Ich kann es gerade nicht einschätzen", antworte ich ihm etwas verzögert und legte meine Hand auf die Einstichstelle, ehe meine Fingernägel über den kleinen Huckel kratzten. „Ich bin hin und her gerissen, deshalb kam ich auch zu dir, aber ich konnte ja nicht ahnen, dass du meinem König meine halbe Lebensgeschichte erzählst."
So ganz passte es mir nicht, denn ich entschied selbst gerne, wem ich was über mich erzählte. Allerdings hatte Hiroki keine schlimmen Geschichten über mich preisgegeben, sodass ich ihm nicht wirklich etwas vorhalten konnte. Außerdem hatte er dies nur gemacht, weil mein König sich sorgte. Auf der anderen Seite war es schon komisch gewesen den beiden zuzuhören, wie sie über mich sprachen, dachten und sorgten. Mein schlechtes Gewissen meldete sich und würde mir sicherlich die nächsten Tage auf die Nerven gehen.
„Die andere Hälfte wollte ich mir für den nächsten Besuch aufheben", lächelte er mich an. „Freu dich doch, dass da jemand ist, der sich auch um dich sorgt." Hmm... tat ich ja irgendwie, trotzdem würde ich das nie laut aussprechen. „Und was diesen Hinweis angeht, kann ich dir leider auch nicht weiterhelfen. Außer dass es vielleicht ein Versuch von Mayumi ist mit dir Kontakt aufzunehmen."
„Das denke ich nicht", widersprach ich ihm direkt. „Mayumi wäre nicht so dumm, mich direkt zu kontaktieren, denn ich bin immer noch ein blauer Clansman, wenn dann hätte sie den Kontakt über dich gesucht."
„Hmm..." Die Arme vor der Brust verschränkt, überlegte Hiroki und sah mich an. „Dann haben wir nur eine Möglichkeit." Ihn fragend ansehend, sagte ich nichts, sondern wartete auf eine Fortführung. „Wir gehen hin und laufen Gefahr in eine Falle zu tappen."
„Wir?"
„Ja. Wir", meinte Hiroki unbeirrt. „Glaubst du wirklich, dass ich dich allein dahingehen lasse?"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top