Derselbe Fehler


Misaki Pov: 

Weiterhin stand er Aria gegenüber. Bisher hatte sie ihm keine Antwort gegeben und so langsam wurde er des Wartens satt. Aufgrund der Dunkelheit erkannte er ihre ihre Konturen nur schemenhaft, doch reichte dies aus, um zu merken, dass sie in einem innerlichen Zwiespalt steckte. Sein Bauchgefühl hatte Misaki nicht getäuscht und je länger Aria für ihre Antwort brauchte, desto mehr verhärtete sich sein Verdacht.


„Komm spuck es aus", forderte er erneut. Ihm war es sowieso schon komisch vorgekommen, dass sie so lange bei Homra blieb und ihm regelrecht am Arsch klebte. Selbstverständlich hatte er keine Einwende gegen etwas weibliche Aufmerksamkeit, allerdings störte ihn das Timing. Sie soll einfach mit der Sprache rausrücken. Kann ja nicht so schlimm sein.


Seufzend fuhr sich Aria durch ihre langen dunklen Haare, ehe sie ihn wieder ansah. „Ich mach mir sorgen um dich, das ist alles." So wirklich glaubte er ihr das nicht, denn auch wenn sie sich gut verstanden, standen sie sich noch lange nicht so nahe. Zumindest nicht so nahe, dass ihr so eine Veränderung in seinem Verhalten auffallen müsste.


„Aha", war seine schlichte Antwort. Die Arme vor der Brust verschränkt wartete er drauf, dass sie weitersprach, denn dass konnte nicht alles sein. „Und selbst wenn, was geht es dich an?", fügte er schroff hinzu. Als ob dich das wirklich interessiert, wehrte sich Misaki vehement gegen den Gedanken, dass sich jemand um ihn sorgte. Er wollte sich keiner Hoffnung hingeben.


Seinen Blick gesucht, seufzte sie erneut. „Misaki", kam es gedehnt von ihr, doch er schnitt ihr die folgenden Worte direkt ab. „Yata." Solange sie ihm nicht die Wahrheit sagte, brauchte sie gar nicht seinen Vornamen zu verwenden, als wäre sie beide gute Freunde. In diesem Punkt war er schon immer eigene gewesen.


Nur Freunde und enge Vertraute besaßen das Privileg, ihn bei seinem Vornamen zu nennen. Zu viele Personen denen ich vertraute und die mich beim Vornamen genannt haben, haben mich betrogen, verlassen oder sind verstorben. So verlockend es sich für ihn anfühlte und er spürte wie sein vereinsamtes Herz schmerzlich nach so etwas wie Nähe, Freundschaft, Liebe und sämtlichen anderen Emotionen verlangten als der gegenwärtigen Trauer und Schmerz. Er traute sich nicht, jemanden Neues seinen Vornamen aussprechen zu lassen, nur damit dieser wieder aus seinem Leben verschwand.


So leicht gebe ich mein Vertrauen nicht mehr her. Inzwischen muss man es sich verdienen.Gleichzeitig stellte Misaki direkt klar, dass sie sich gar nicht einbilden brauchte, dass sie einfach abhauen und wieder auftauchen konnte, wie es Aria in den Kram passte. Damals war sie ohne ein Wort des Abschiedes verschwunden, obwohl er es zu jenen Zeitpunkt unkommentiert ließ, hatte es ihn unvorbereitet erwischt. Jetzt tauchte Aria wieder auf, als wäre nie etwas gewesen. Eine Tatsache, die ihm säuerlich aufstieß.


Weiterhin fiel es Misaki schwer, ihre Mimik in der Dunkelheit richtig zu deuten, allerdings hörte er wie sie tief ein uns ausatmete, als müsste sie seine Unterbrechung sacken lassen. „Yata...", korrigierte sie sich, zeitgleich senkte sie ihren Blick. „Auch wenn wir uns nicht lange kennen, erkenne ich trotzdem den Unterschied, seitdem Mikoto verstorben ist."


Zielsicher einen wunden Punkt getroffen. Augenblick versteifte sich Misaki und ohne sich dagegen wehren zu können nahm er direkt eine Abwehrhaltung ein. „Und du glaubst, wenn du mir am Arsch klebst, dann macht es das besser?" Du bist doch eh nur für einen Zwischenstopp hier, also tu nicht so, als würde es dir etwas ausmachen, wie es mir geht.


„Nein...-" erneut unterbrach er sie, indem er mit dem Fuß aufstampfte.


„Glaubst du weil er jetzt weg ist kannst du seinen Platz einnehmen?" Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus, da er fühlte, wie die Trauer gepaart mit Wut in ihm hochkochte, die er schon lange nicht mehr im Griff hatte. Eigentlich war Misaki noch nie darin gut gewesen, seinen Zorn zu regulieren oder zu kanalisieren.


Fast erschrocken sah sie ihn an. „Nein, selbstverständlich nicht!", kam es auf der Stelle von Aria. „Natürlich will ich ihn nicht ersetzen, kann ich auch gar nicht."


„Richtig!", blaffte er sie an. „Niemand kann ihn ersetzen", schnaubte er und sah auf seine offene Hand. Vor einigen Jahren hatte er genau mit dieser Hand die flammende Hand von Mikoto umschlossen und trat Homra bei. Der Schmerz loderte in ihm auf, wie eine Glut, die neuen Nährboden fand. „Und schon gar nicht so eine Tussi mit Wackelarsch wie du!", schnauzte er sie weiter an. Dass er unfair wurde, merkte Misaki, dennoch war er nicht mehr in der Lage sich zu bremsen.


Langsam wanderten Arias Augenbrauen hoch, als ob sie ihn nicht richtig hörte. Ihre Schultern hoben und senkten sich, als würde sie die Beleidigung herunterschlucken, doch die Art und Weise wie sie sich mit der flachen Hand über ihr Gesicht fuhr, zeigte deutlich, dass sie nicht mit so einer Reaktion gerechnet hatte – ihr Pech. „Yata, du verstehst etwas vollkommen falsch."


„Ach?" Mal was ganz Neues, fast war ihm nach Lachen zu Mute, wenn er nicht so verflucht wütend und traurig wäre. „Weißt du was? Die Unterhaltung ist hier beendet. Mir egal, ob ich was falsch verstehe oder nicht, aber hör auf wie eine Klette an mir zu kleben", knurrte er bedrohlich. Ich kann es nicht mehr hören.


Ständig warf man ihm vor, dass er nichts verstand, das er alles in den falschen Hals bekam. Er konnte es langsam nicht mehr hören. Sie wollte etwas sagen, doch ihr blieben die Worte im Hals stecken, als seine Faust sich in den roten Flammen hüllte und er diese direkt neben ihr Gesicht hielt. Die rote Aura bewegte sich wie ein Feuer und warf einen roten Schein auf die femininen Gesichtszüge von Aria. Sie schielte zu der Feuerhand und dann sah sie ihm wieder fest in die Augen. „Tauchst du noch einmal ungefragt oder unangemeldet bei meiner Familie auf, dann bleib ich nicht mehr freundlich."


Die Drohung war ausgesprochen.


Seine Familie war ein Tabuthema und das machte er in diesen Moment mehr als deutlich. Er hielt seine Eltern und Geschwister nicht umsonst von der Königswelt fern und er brauchte niemanden, der ihm wegen Mikotos Tod am Arsch klebte.


„Ich bin wirklich nur hier, weil ich mir sorgen um dich mache. Allein wie du gerade reagierst...", bemüht sich Aria um eine weitere Erklärung.


Tut mir echt leid Aria, aber ich habe echt keine Bock mehr mir das reinzuziehen. Warum hörst du nicht einfach auf es zu versuchen. Ich will nicht mit dir reden – kapiere es endlich.


„Wie reagiere ich denn?", stachelte er nach mit einem provozierenden Unterton. „Würdest du mich besser kennen, dann wüsstest du das ich ne kurze Zündschnur habe und Geduld nicht mein Stärke ist." Seine Hand von ihrem Gesicht entfernt, wandte er sich ab und wollte gehen. Lass mich einfach nur in Ruhe. Ich komm sehr gut allein zurecht.


Beendete Misaki die Unterhaltung in Gedanken für sich, vernahm er ein Rascheln hinter sich, als der Motorradhelm in seinen Rücken schmerzlich klatschte. „Glaubst du allen ernstes, dass du mich mit so einer Aktion beeindruckst? Nur weil du eine Feuerhand besitzt?", spuckte Aria verächtlich aus. Sich an die pochende Schulter gefasst, drehte er sich wieder zu ihr um, nur um von ihrem Blick beinahe getötet zu werden. Schulterbreit stand Aria da, die Hände trotzig in die Hüfte gestemmt. „Mit deiner Aura verschreckst du vielleicht kleine Schulmädchen, aber nicht mich."


Für einen Moment war Misaki tatsächlich verwirrt, denn normalerweise hatten die Leute Angst vor den Auren. Allein die übernatürliche Stärke und die Fähigkeit, die mit der Aura einherging, machte den meisten Personen Angst, doch Aria schien dies nicht zu kümmern. „Du hast die Aura schon einmal gesehen", stellte er nüchtern fest und wandte sich ihr wieder vollständig zu. Die getroffene Schulter kreisend lassen, ließ der kurzweilige Spannungsschmerz schon nach. So eine Wums habe ich ihr gar nicht zugetraut. Aber was Misaki noch viel mehr beschäftigte war, warum ließ sie nicht locker? Gleichzeitig macht er den Gedankenschluss, dass wenn Aria die Aura kannte, dass ihr die Königswelt auch nicht fremd war. War sie ein Clansman? Nein, das hätte Anna direkt bemerkt, aber woher kannte sie dann das große Geheimnis der Bevölkerung?


„Ja, ich kenne die Auren und jede ihrer Fähigkeiten.", war ihre spontan und ehrlich Antwort. „Du hast die Wahl, entweder redest du vernünftig mit mir Yata oder wir regeln das anders."


„Ach und wie willst du das regeln?", kam es belustigt von ihm. Für wen hielt sich Aria? Er war ein roter Clansman und sie war ein normaler Mensch. Selbst wenn sie das Geheimnis hinter der Aura kannte, konnte sie ihm noch lange nicht das Wasser reichen, denn er war Yatagarasu.


Arias Faust krachte mitten in sein Gesicht. Voll auf die Nase, sodass er zurücktaumelte und ihm unweigerlich Tränen in die Augen schossen, nachdem sein Nasenrücken ein leises Knacken von sich gab. Verdammt ist die schnell! Er fühlte das prickelnde Brennen – absolut ekelhaft. Sich mit dem Zeigefinger über das Nasenloch gestrichen, klebte Blut an seinem Finger. Prüfend umfasste er seine Nase. Zwar hatte Aria ihm nicht den Nasenrücken gebrochen, aber der Schlag auf die Nase würde ihn morgen noch nerven.


Verblüfft sah er zu ihr, doch sie stand bereits vor ihm. Ihre Hände in seine Schultern gefasst, zerrte sie ihn zu sich heran und rammte ihr Knie in seinen Magen. Alle Organe so zielsicher getroffen, dass er nicht anders konnte als sich nach vorne über zu beugen, nur um direkt wieder Bekanntschaft mit ihrem Knie zu machen, das sie im gleichen Moment hochriss und gegen seine Lippen und Kiefer knallte.


Vollkommen überrumpelt von ihrer Aktion, stieß er Aria von sich und wich nach hinten weg, doch Aria setzte ihm sofort nach. Für den Bruchteil einer Sekunde kam es Misaki so vor, als würde sie jeden seiner Bewegungsabläufe auswendig kennen, doch das konnte nicht sein. Denn so eine Kenntnis würde voraussetzen, dass sie ihn lange Zeit studierte. Ausgeschlossen, denn so lange kannte er Aria nicht oder zumindest sollte er es merken, wenn ihn jemand eine so lange Zeitspanne beobachtete.


Fühlte er die aufsteigende Hitze der Aura in sich, doch kaum als diese durch die Poren seiner Haut hinaustreten wollte, trat sie auf seinen Fuß. Ein so fremder Impuls, der zwar schmerzte, aber wer trat einem in einem Kampf schon auf den Fuß? In seiner Konzentration gestört, richtete er seine volle Aufmerksamkeit auf das Gesicht von Aria, die ihn ausdruckslos ansah. Die Freundlichkeit war zusammen mit ihrem Lächeln verschwunden und noch bevor die hitzige rote Aura seine Muskeln erfasste, griff sie ihm in die Schulter und drehte sich um die eigene Achse. Innerhalb der nächsten Sekunden drehte sich die Welt für Misaki, als er schon auf den Rücken aufschlug. Die kleinen Steinchen auf dem Gehweg bohrten sich in seinen Rücken und seine Wirbelsäule knackte hörbar.


Nachdem sie sich versicherte, dass er für einen Moment auf den Rücken liegen blieb, nahm Aria Abstand zu ihm ein und sammelte ihren Helm auf. Nicht das Misaki zu schwach war, doch er war so verwirrt und überrumpelt von Aria, dass er sie nur ansah. Du verheimlichst mir viel mehr, als du mich glauben lassen willst. Er war nicht die hellste Kerze auf der Torte, doch das Aria keine Kneipentussi in kurzen Rock war, dies verstand selbst er. Wer bist du und was willst du von mir?


„Deshalb bist du nicht mehr du selbst", sagte sie schlicht zu ihm und riss Misaki aus seinen Überlegungen. Sie beugte sich über sein Gesicht, sodass ihre blauen Haare wie ein Schleier über seinem Kinn und Hals lagen. Unfähig wegzuschauen, klopfte das Herz in Misakis Brust immer stärker. Für den Hauch einer Sekunde bekam Misaki den Eindruck, als hätte es einem Teil von ihm gefallen, dass er gerade eine Abreibung von Aria bekommen hatte. „Du besitzt die Aura Yata, aber sie verlässt dich, je weniger du die Realität akzeptierst und irgendwann wird dich selbst ein Schulmädchen auf die Bretter schicken. Ein Armutszeugnis für den Anführer der Vorhut von Homra."


Sein Mund stand offen, fehlten ihm die Worte auf diese harte Aussage. Er war armselig? Ein Armutszeugnis? „Was bildest du dir ein?", brüllte er. Die Knie angezogen, spannte sich sein Körper an und er stand mit einem gezielten Sprung direkt auf seinen Füßen. Die Aura endlich seinen Körper erfasst, glühte er förmlich, sodass er den gesamten Straßenzug erhellte. „Wiederhol das noch einmal", forderte er bedrohlich ruhig. Die aufgekommene Faszination zu Aria war mit diesen Worten vollkommen verschwunden, die Wut hatte ihn wieder gepackt.


Wieder sah Aria ihn vollkommen unbeeindruckt an, als würde sie diese imposante Aura nicht im geringsten stören. Es schien sogar den gegenteiligen Effekt auf sie zu haben, entdeckte er doch sowas wie Mitleid in ihrem Blick. Das hatte noch gefehlt, er schickte sie ihn auf den Boden und jetzt noch Mitleid. „Glaubst du ich halte mich zurück?"


„Mach doch", provozierte sie ihn und lehnte sich an ihr Motorrad.


Mit der Faust ausgeholt schnellte Misaki nach vorne und bremste mit seinem Gesicht direkt vor ihrem, sodass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Zwar kam Aria kurz ins Taumeln, doch zu seinem Leidwesen fing sie sich schnell wieder, sodass dieser hitzige Blickkontakt nicht unterbrach.


In Arias Rücken knarzte etwas und ein grässliches Quietschen ertönte, ehe alles mit einem großen Knall endete. Ihr Motorrad war einige Meter über den Boden geschlittert und lag nun mit einem Totalschaden am Boden. Das Vorderrad demoliert, der Seite eingedrückt, sah man, wo die gebündelte Aura aus seiner Faust eingeschlagen hatte. „Und ich habe nicht mal richtig zugeschlagen. Es ist dein Glück, dass ich nicht gegen Frauen kämpfe."


„Wieso hast du Angst den Kürzeren zu ziehen?"


Du hast absolut keine Ahnung Aria. Du hast keinen Schimmer davon, zu welcher Macht ich in der Lage bin!


Ihre Haare bewegten sich in der Luft, als seine, nach außen, getreten Aura mit einem Impulsschlag noch weiter aufglühte. Die Ausschweifungen der roten und pinken Flammen, Arias Gestalt immer wieder umspielten und diese kurzfristig einschlossen. Es war deutlich zu erkennen, dass Misaki ihr nicht schaden wollte, denn sonst würde seine rote Aura sie verbrennen, doch nichts passierte.


Aber egal wie wütend du mich gerade machst, will ich dir nicht wehtun. Ich habe schon mehr als genug Menschen enttäuscht und verletzt, dich muss ich meiner Liste nicht hinzufügen.


Es war ein seltsamer Augenblick indem sowohl Misaki als auch Aria, die rote Aura betrachtete, die sich wie ein rot leuchtender Schleier um sie beide schloss, doch die gefährliche Hitze blieb aus. Sehr zu der Verwunderung von Misaki, denn er kannte diese Aura nur als total heiß, zerstörend und brennen. Einer geballten Feuerkraft, die selbst Gestein schmelzen ließ, aber gerade reagierte sie vollkommen neu für ihn. Misaki bekam sogar den Eindruck, als würde die Ausschweifungen seines Feuers Aria nur sanft streicheln, so behutsam glitt seine Aura über sie.


Sich auf die Lippe gebissen, schlossen sich seine Handflächen und im gleichen Augenblick zog er die Aura in sich zurück. Keuchend holte er Luft, als er seine Flammen in sich wieder aufnahm und erstmal das Fremde fühlte. Hat sie recht? Der Blickkontakt brach zwischen ihnen nicht ab. Erlischt mein Feuer?


„Du schuldest mir ein Motorrad", war das Einzige, das sie zu ihm sagte. Sie wandte sich von ihm ab, dabei rempelte sie ihm bewusst gegen die Schulter. Normalerweise würde Misaki anders reagieren, doch er war immer noch zu benommen von dem seltsamen Augenblick zwischen ihnen beiden und dem Verhalten seiner Aura.


Als sie direkt nebeneinanderstanden, in die jeweils andere Blickrichtung schauend, hörte er ihr Lächeln. „Aber du hast recht. Ich habe dir noch etwas nicht erzählt."


„Und das wäre?" Kommt jetzt deine große Wahrheit?, schnaubte er verächtlich in seinen Gedanken. Komm schon, verrate mich oder lasse mich in Stich, wie es alle anderen auch getan haben.


„Mein richtiger Name ist Aria Habari. Ich bin die leibliche Tochter des verstorbenen blauen Königs."


Ein undefinierbarer Laut kam über seine Lippen, denn Misaki hatte mit einigem gerechnet, aber nicht mit so einer Enthüllung. Niemals hätte er Aria für eine Blaujacke gehalten und dann noch für eine gebürtige. „Du bist also eine Blaujacke?" War es das, was du damals von mir wolltest? Mich aushorchen? Und ich hab dir noch vertraut und dir von meinen Kummer erzählt. Ich bin aber auch dumm...


„Nein." Sie wandte sich ihm zu und griff mit zwei Fingern in ihre Augen, entfernte sich etwas aus diesen. Sich ihr zugedreht, sah er erstmals in ihre bernsteinfarbene Augen. Also hatte sie die gesamte Zeit über pinke Kontaktlinsen getragen. Zur gleichen Zeit erklärte sich Misaki, warum Aria keine Angst vor der Aura zeigte. „Ich besitze weder die blaue Aura, noch bin ich ein Teil des blauen Clans."


„Und warum?" Die Antwort interessierte ihn. Musste ihr Platz nicht im blauen Clan ihr Geburtsrecht sein?. „Warum diese Maskerade?"


„Weil ich einfach nur Aria sein wollte ohne direkt mit meinem Vater in Verbindung gebracht zu werden, aber danke, dass du direkt die Blaujacke in mir siehst. Du bist so oberflächlich und verbohrt, Yata."


„Wenn das deine Meinung ist."


Sie sagte nichts mehr, denn es gab nichts mehr, dass sie sich an den Kopf werfen konnten. Das Wesentliche hatte sich ausgesprochen und eines war deutlich hervorgekommen. Sie waren keine Freunde mehr.


Ihre Schritte verhallten auf dem Asphalt, bis er sie gar nicht mehr hören konnte. Sein Blick lag auf dem demolierten Motorrad. Während er den Schaden betrachtete, wurde Misaki eines bewusst. Aria hatte ihn angelogen, was ihre richtige Identität betraf und dennoch glaubte er ihr, dass sie keine Blaujacke war. Ungeschönt wurde ihm gezeigt, dass er sie genauso wenig kannte, wie er es ihr zum Vorwurf gemacht hatte. Ihre helfende Hand egal wie aufrichtig sie gemeint war, hatte er ausgeschlagen und je mehr Abstand er zu der Situation bekam, wusste Misaki nicht mehr, ob dies die richtige Entscheidung war.


Mikoto Pov:


In einer dunklen Zelle tief unter der Erde, sodass kein Licht ihn erreichen konnte, saß Mikoto auf den verdreckten Boden. Es roch nach Schweiß, Urin, Kot und vielen ungewaschenen Menschen, sodass einem beim Luftholen direkt speiübel wurde.


Seine Hände zusammengekettet lagen kraftlos in seinem Schoß. Noch nie hatte er sich so hilflos gefüllt. Ihm fehlte sämtliche Kraft, sodass es ihm schwer viel überhaupt sein ausgestrecktes Bein anzuziehen.


Geschlagen und in den Boden gestampft zu werden von einer schuppigen Menschenechse, damit hatte er nicht gerechnet. Erstmals erlebte er es, was es hieß, wieder ein Mensch zu sein – schwach und hilflos. Es war lange her, denn er hatte bereits in jungen Jahren das rote Damoklesschwert und dessen unbeugsame Macht erhalten. Oh und wie sehr ihn diese unbezwingbare Macht in diesen Augenblick fehlte.


Redete Totsuka ihm immer wieder ein, dass seine Kraft zum Schutz da war, damit er jene beschützen konnten, die nicht über so eine unfassbare Macht wie er verfügten. Er musste fast lachen, denn inzwischen gehörte er selbst zu jenen, die schutzbedürftig waren.


Die aktuellen Geschehnisse hatte ihn auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wie oft hatte er über Reisi und seine Moral gespottet und ihn provoziert, nur um jetzt, viel zu spät, zu erkennen, wie recht der blaue König doch hatte.


Scheiße... was würde er dafür geben noch einmal mit Munakata zu streiten. Nur fünf Minuten. Ein einziges Mal noch mit anzusehen, wie diese entrüstet schnaubend dessen Brille mit gespreizten Fingern zurecht schob. Allerdings wie sollte er in der aktuellen Situation ihm nur unter die Augen treten können. Erstmals wusste Mikoto nicht, ob er den Vorwurf in dessen violetten Seelenspiegeln ertragen würden.


Mikoto hatte Mayumi nicht beschützen können. Er musste mit ansehen, wie die Krallen der verdammten Echse sie aufspießten und sie blutend zu Boden ging. Während sich der Asphalt unter ihr rot färbte, bis sie in einer Pfütze aus ihrem eigenen Blut lag, hatte er nur geschockt auf ihre reglose Gestalt gestarrt, ehe er wieder in der Lage war zu handeln.


Es waren nur Sekunden gewesen, doch diese reichten aus, um ihm deutlich vor Augen zu führen, dass er ein Mensch war. Kein König mehr, der über eine besondere Macht verfügte. Zum ersten Mal seit langen verspürte Mikoto so etwas wie Angst, die sich mehrte, je länger er auf die Blutlache unterhalb von Mayumi sah.


Verzweifelt lachte er leise und spürte, wie ihm ein Kloß im Hals anschwoll. Verdammt war er schwach. Ein beschissener Mensch eben, der Angst verspürte und für eigen Augenblick wie gelähmt war.


Mikoto wusste nicht, wann er das letzte Mal geheult hatte, doch in diesem Moment war ihm danach. Fühlte sich Mayumis niederfallen wie ein Messerstich an, denn Mayumi glaubte fest an die Hoffnung. Etwas, was er schon lange aufgegeben hatte. Hoffnung besaßen für ihn nur Narren und Schwächlinge, nun war er selbst einer von diesen Idioten.


Mayumi sah ihm fest in die Augen: „Niemand ist vollkommen allein. Es sind nur die Menschen auf sich gestellt, die nicht den Mut haben ihre Ängste und Sorgen in Worte zu fassen." Nachdem die Worte ihren Mund verließen, wusste Mikoto sofort, dass sie recht hatte. Manchmal reichte nur ein Wort aus und man war nicht mehr allein. Oder man nahm eine dargebotene Hand an.


„Arbeite mit mir zusammen Soun", sagte Reisi Munakata zu ihm.


Sie stand nachts auf dem Dach eines Hochhauses, unter ihnen flackerten die bunten Neonlampen der vielen Geschäfte und die verklinge Straßenlärm war wie ein Flüstern. Beide eine Zigarette in der Hand, lehnte sie sich an den hochgezogenen Maschendrahtzaun. Während Mikoto keinen bestimmten Punkt betrachtete, sondern in seine Gedanken versunken vor sich hinstarrte, spürte er den intensiven Blick von Reis auf sich.


„Wieso weigerst du dich?", wollte der blaue König wissen, als er ihm nach wie vor eine Antwort schuldig war. „Was ist so schlimm an einer Zusammenarbeit mit mir? Kannst du mir wenigstens einen Grund nennen?"


„Nein", antwortete er ihm leise, doch ausreichend laut, dass Reisi ihn verstand. „Das hier war von Anfang an keine gute Idee."


Die Verwirrung war seinem Gegenüber deutlich anzusehen, denn es war nicht der Vorschlag des blauen Königs gewesen, sich ab und an hier oben auf den Dächern der Hochhäuser zu treffen und, sich zu unterhalten. Die Abende mit Munakata waren lustig gewesen und auf seine eigene verschrobene Art und Weise mochte Mikoto ihn, doch aus diesem Grund musste er hier und jetzt ein Schlussstrich ziehen.


Seine aufgerauchte Zigarette fortgeschnippt, ging Mikoto einfach ohne sich nach Reisi umzudrehen, der mehrfach seine Namen rief – er ignorierte ihn.


 Eine Antwort warum und wieso er damals gegangen war, hatte er Reisi Munakata nie gegeben. Generell hatte er nie über die wirklich wichtigen Sachen mit ihm gesprochen.

Mikoto hatte nie mit jemanden wirklich gesprochen und über seine Sorgen schon gar nicht. Die Hoffnung auf Hilfe hatte er als roter König längst aufgegeben, denn die rote Macht zerstörte ihn. Fühlte sich in ihm wie eine Krankheit an, die ihm nach und nach erstickte.


„Weißt du was man über die Hoffnung sagt, Mayumi? Hoffnung zu haben bedeutete sich auf ewig wehrendes Leid und Enttäuschung einzustellen." 


Seltsamerweise sagte er diese Worte und doch hielt er sich in einem entscheidenden Moment nicht daran.

Verzweifelt hatte Mikoto sich aufgerappelt und mit einem Messer, das er in seiner Innenseite der Jacke versteckt hatte, den Echsenmann attackiert. Eigentlich hätte er es sich sparen können, denn es reichte ein Hieb mit dem Echsenschwanz und er flog wieder in hohen Bogen durch die Luft. Seine Waffe fiel irgendwo klirrend auf den Asphalt. Er bekam nicht einmal die Zeit sich wieder erneut aufzurappeln, als die gewaltige Faust auf ihn einschlug, wieder und wieder, bis er sein Bewusstsein verlor.

Obwohl er seiner Aussage nach nicht an die Hoffnung glaubte, wollte ein Teil von ihm nicht aufgeben. Er wollte beschützen – Mayumi beschützen. Nur um zu scheitern.


Aufgewacht war er in diesem dunklen Kerker, der nur von spärlich durch ein paar Lampen im Gang erleuchtet wurde. Zu Beginn hatte er versucht sich, von den Ketten zu befreien, hatte gebrüllt und gegen die Gitterstäbe getreten, wollte immer wieder wissen, was aus Mayumi geworden war, aber niemand gab ihm eine Antwort.


Am Eingang seiner Zelle erblickte er nur weitere Gefängnisse, indem viele weitere Männer und Frauen hockten, von denen jeder aufgegeben hatte. Mikoto erkannte es in ihren Augen, wie sie ihm einen müden Blick zuwarfen. Ein Blick, der ihn belächelte – guckt mal, der Neue randaliert.Schon nach kurzer Zeit verlor Mikoto sämtliches Zeitgefühl. Er wusste weder, in welcher Uhrzeit er lebte, noch ob es Tag oder Nacht war, geschweige denn welchen Wochentag sie hatten. Jeden Tag starrte er auf die gleichen verdrehten Steine, jeden Tag zählte er die Fugen zwischen den Steinen und dann die Gitterstäbe. Die Zahl blieb immer dieselbe.


Unregelmäßig warf man ihm einen Teller mit trockenem Brot und irgendeinen Matsch rein, der wohl sowas wie Haferschleim war. Die Flasche Wasser flog oftmals hinterher, wenn man Glück hatte, dann wurde die Schüssel für Urin und Kacke ab und an mal gelehrt, ansonsten hockte man wortwörtlich in seiner Pisse.


„Hör auf Junge", rief ihm ein älterer Mann zu, als er wieder in seiner Zelle randalierte. Es war unerheblich, wie laut er brüllte, ob er gegen die Zellwände trat oder an den Gitterstreben zerrte, bis das Rasseln seiner Ketten den gesamten Gang niederhalten – niemand reagierte. „Das hat keinen Sinn. Deine Freundin ist entweder Tod oder sie haben irgendwas mit ihr vor, aber wiedersehen wirst du sie nicht."


Es war jener Mann, der ihm auch erzählte, dass man Mayumi mehr Tod als lebendig hinter die verschlossene Tür am Ende des Kerkertraktes gebracht hatte. Seitdem die große Metalltür hinter ihr zugefallen war, hatte man sie nicht mehr gesehen. „Finde dich damit ab, Junge. Du wirst sie nicht wieder sehen. Niemand von uns sieht seine Familie oder Freunde je wieder. Einmal hier unten, bleibt man für den Rest seines Lebens hier."


Sich über das Gesicht gewischt, merkte Mikoto, wie ihm langsam ein Bart stand. Er hatte seit langer Zeit kein fließend Wasser zu Gesichte bekommen und nachdem er eine Zeit sich selbst roch, war der Geruch verschwunden. Seine Nase hatte sich an den abartigen Gestank gewöhnt. An eine Rasur dachte er schon seit langer Zeit nicht mehr. Generell dachte er an nichts mehr, außer dass er hier unten verrecken würde.


Inzwischen fühlte Mikoto, wie die Verzweiflung ihn packte. Wenn er nur daran zurückdachte, was für ein mächtiger König und Krieger er war und wie sehr er vor Arroganz getrieft hatte. Dabei hatte er immer Reisi Munakata für einen arroganten Sack gehalten, doch dabei war er es, der von oben herab auf ihn gesehen hatte.


Reisi hatte immer versucht seinem Amt als König gerecht zu werden und er? Er hatte auf der faulen Haut gelegen und sich nichts angenommen, außer den Belangen seines Clans, aber auch, nur wenn er bock dazu hatte. Und trotzdem hatte sie ihn alle für den besten König gehalten. Er! Der nichts getan hatte, außer blind vor Rache zu sein und sich selbst in einem Zustand gebracht hatte, der einen Damokles-Down verursachte. Die Bürde ihn zu erschlagen, überließ er wieder Reisi... wie so vieles. Über Konsequenzen hatte er nicht sonderlich viel nachgedacht, dafür hatte er den blauen König, der ständig seinen Mist ausbadete und die Wogen glättet.


„Deine Unverfrorenheit kennt wirklich keine Grenzen, Souh." Es schien den Blauen alle Beherrschung abzuverlangen seine Finger zu lockern und sich die rahmenlose Brille auf der Nase ein Stück hochzuziehen. „Aber das kennt man ja nicht anders. Ich frag mich nur, warum du nicht einmal in Betracht ziehst mit mir zusammenzuarbeiten?"


Reisi hatte es nie aufgegeben. Immer wieder stritt er mit Mikoto oder diskutierte, anstatt Mikoto einfach mal nicht mehr mit dem Arsch anzugucken und sein Ding als König durchzuziehen. Nein, so ein Typ war Reisi nicht, zumindest damals nicht. Schon immer war Reisi ein gutes Miteinander wichtig, selbst wenn es bedeutete, dass er immer und immer wieder seinen Kopf hinhalten musste.


Heute wünschte sich Mikoto nur, dass er Reisi nur ein einziges Mal gedankt hätte. Nur ein Dankeschön , dafür, dass er immer wieder an seine Vernunft appellierte und ihn bis zum Schluss nicht aufgeben wollte.


Mikotos Herz schlug leer, als wäre sämtliche Kraft aus ihm geglitten. So musste sich ein verwundete Krieger anfühlen, der nicht mehr in der Lage war zu kämpfen. Die Beine schwer wie Blei, die Arme kraftlos, das Feuer in einem erloschen, sodass einem selbst der nächste Atemzug schwerfiel und dann diese innere Verzweiflung. Gedanken deren Formulierungen aus >was wäre wenn< bestanden. Die Zeit einem kein Gefühl mehr gab, sondern Lebensenergie raubte, sodass alles zu einem vollkommenen Stillstand wurde und die Einsamkeit ihn vollständig zerfraß. Diese erdrückende Dunkelheit in dem Kerker verschluckte ihn.


Die Augen geschlossen versuchte sich Mikoto an das Gefühl zu erinnern, wie sich die warmen Strahlen der Sonne auf seinem Gesicht anfühlten, aber die Erinnerung verblasste.Hier unten vergaß man alles.


Selbst die Erinnerungen an die Personen, die man niemals in seinem Leben vergessen wollte. Izumo..., Anna..., Totsuka... der gesamte Homra-Clan und Reisi...


Würde er nur noch eine Chance bekommen, dann würde er handeln... nicht mehr zusehen wie alles um ihm herum zusammenbrach. Allerdings würde Mikoto keine weitere Chance mehr bekommen. Wie oft wollte er noch Puderzucker in den Arsch geblasen bekommen? Er musste sich der Realität stellen, dass hier sein Ende war. Vielleicht war es auch besser so. Das er hierblieb und den Tod begrüßte, doch vorher wollte er gerne Reisi die Last von den Schultern nehmen. Denn nicht dessen Klinge hatte ihn getötet, nein. Heute wusste Mikoto, was ihn wirklich umgebracht hatte, sein Stolz von niemanden Hilfe anzunehmen, seine Arroganz zu glauben alles allein hinzubekommen und zu guter Letzt seine Resignation, durch die er jeglichen Befreiungsversuch einstellte.


Er gab auf und ergab sich seinem Schicksal. Nur würde er so vieles Bereuen. „Tut mir leid, dass ich dir nicht einmal danke sagen kann." Reisi. Ich habe so viele Fehler gemacht. Mikotos Augenlider schlossen sich. Ich komm nicht einmal mehr dazu, es bei dir wieder gut zumachen. Tut mir wirklich leid. Würdest du mir noch einmal deine Hand reichen...  Mikoto würde sie annehmen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top