Teil90

Richard kam mit drei Neuigkeiten. Erstens hatte die Polizei aufgrund der bei Rufus gefundenen DNA Spuren einen Zusammenhang mit zwei anderen Fällen von Vergewaltigung herstellen können. In beiden Fällen waren die Opfer jedoch in einem Club betäubt und anschließend in bewusstlosem Zustand sexuell missbraucht worden. Zweitens, die Walküren Sinead und Gwynneth hatten den blauen Jaguar in einer Seitengasse in South Kensington gefunden, wo ihn Oliver offenbar stehen gelassen hatte. Er musste gewusst haben, dass der Wagen aufgefallen war und war jetzt mit einem anderen Wagen unterwegs. Drittens, Miranda und die Kinder würden ein paar Tage bei Mirandas Mutter verbringen. Er wollte den Mädchen und Rufus ersparen, dass es zu irgendwelchen unangenehmen Fragen kam. Alle wussten, dass dies nicht der eigentliche Beweggrund war. Richard wollte die Mädchen in Sicherheit wissen, falls Oliver auf Sommerford auftauchte. Wenn Oliver tatsächlich so besessen von der Vorstellung war, dass Rufus ihm gehörte, müsste man wohl damit rechnen. Jeremy verstand nicht, wie Richard bei der Vorstellung ruhig bleiben konnte. „Ich bin alles andere als das, glaube mir", gestand der ältere Bruder, „Und ich habe Vorkehrungen getroffen für den Fall, dass der hier aufkreuzt, um sich seine Därme an den nächsten Baum nageln zu lassen."

„Woher hast du das? Aus der Familienchronik?" Rufus verdrehte halb angewidert, halb genervt die Augen.

„Entschuldige, das war nicht sehr taktvoll."

„Dafür klang es sehr kreativ", fand Jeremy.

„Oh, danke. Ich fände es unerträglich, wenn dieser Abartige noch einmal ohne Strafe davonkommt. Realistisch betrachtet käme er zumindest wohl lebenslang hinter Gitter." Richards Ton verriet, dass ihm das nicht genügte.

„Was ist mit den anderen beiden?", wollte Rufus nun wissen.

Richard war nicht gleich sicher, wen sein Bruder meinte. „Du sprichst von den anderen Opfern?"

„Ich hasse das Wort, aber ja. Was hat er ihnen angetan?"

„Wenn du darauf bestehst..."

„Das tue ich."

„Leider muss man sagen, dass sie eine gewisse Ähnlichkeit mit dir haben. Groß, schlank, rötliches Haar. Einer ist gerade mal siebzehn. Der andere fünfundzwanzig, wie du."

„Oh, verdammt...", begann Rufus. Das war alles so furchtbar.

Jeremy war nicht weniger schockiert. „Du willst damit sagen, dass dieser Oliver auf einen gewissen Typ abfährt?"

„Auch", antwortete Richard etwas zögerlich, „Aber das heißt wohl zudem, dass er derartig von meinem kleinen Bruder besessen ist, dass er sich sozusagen ersatzweise an anderen vergangen hat."

„Dammit!"

„Oh, fuck!" Rufus wurde kreidebleich. „Du meinst, er hat diesen Jungs was angetan, weil sie aussehen wie ich?"

Richard nickte nur.

„Was hat er getan?", setzte Rufus fort, „Ich will das wissen."

Richard blickte zu Jeremy, als suchte er bei ihm Rückhalt. „Ich weiß nicht, ob du das wirklich wissen solltest..."

„Sag's ihm." Jeremy wusste, dass Rufus die Wahrheit besser ertrug, als Ungewissheit.

„Ich will es wissen."

„Also gut. Beide wurden schwer verletzt. Der Jüngere sogar lebensgefährlich. Er ist aber zum Glück durchgekommen. Wie es aussieht, geht Oliver... äußerst brutal vor und hatte zudem, ... anders als... bei dir... jeden der beiden länger in seiner Gewalt gehabt."

Rufus legte entsetzt die Hände vors Gesicht. Die Vorstellung, dass Oliver das Gleiche auch anderen angetan hatte war schlimm genug, aber es war sogar noch schlimmer...

„Sorry, Rufus, du hast gefragt", begann Richard entschuldigend.

„Ja, ich weiß. Bitte, bitte sorg dafür, dass die beiden alles kriegen, was sie vielleicht brauchen, ja? Egal was. Ärzte, Therapie, 'n neuen Job, egal was."

„Ja sicher, ist schon veranlasst."

„Gut."

Jeremy bemerkte, dass Rufus gegen Tränen ankämpfte. Das war kein Wunder, eher war es ein Wunder, dass es ihm halbwegs gelang. „Können wir denn gar nicht mehr tun?", fragte er dann.

„Die Zeiten sind leider vorbei, in denen wir eine Belohnung öffentlich hätten aussetzen können", räumte Richard ein, „aber ich denke, er kann sich nicht ewig verstecken. Irgendwann muss ihm das Bargeld ausgehen oder er begeht einen anderen Fehler."

„Woran denkst du?", wollte Rufus wissen.

„Nun ja, ich denke, er ist vielleicht irre genug, um sich ein neues Opfer zu suchen, entschuldige die Wortwahl."

„Ein neues...", wiederholte Rufus.

„Das muss aufhören. Was ist, wenn wir doch die Presse einschalten." Jeremy war es damit vollkommen ernst.

Rufus schaute entsetzt. „Wie meinst du das?"

„Nun ja, wenn in der Zeitung steht, dass Oliver es auf Rothaarige abgesehen hat, dann sind die wenigstens gewarnt und könnten sich in Acht nehmen, bis er gefasst ist. Und ein Fahndungsfoto hilft sicher bei der Ergreifung. Ich stimme Richard zu. Oliver muss irgendwann einen Fehler machen und wenn er weiß, dass die Öffentlichkeit sein Gesicht kennt, dann wird er sicher nervös."

Rufus schien jetzt zu überlegen. Sein Blick wirkte irgendwie abwesend. „Vielleicht hast du recht", begann er dann.

„Ist dir klar, was das bedeutet?", gab Richard zu bedenken. „Du bist dann in Rundfunk und Presse und die werden sich das Maul zerreißen."

„Ich kann aber nicht zulassen, dass noch mehr geschieht, nur weil... ich mich schäme."

„Dafür gibt es keinen Grund", fand Jeremy, „wenn sich einer schämen muss, dann ich, weil du ohne mich gar nicht in diese entsetzliche Situation gekommen wärst. Ich wünschte, ich wäre nicht so verflucht egoistisch gewesen." Das war sein voller Ernst. Die ganze Sache hatte angefangen aus dem Ruder zu laufen, als Rufus ohne ihn im Royal Opera House auf Oliver gestoßen war. Dabei hätte Jem bei ihm sein sollen. Stattdessen war er mit June über den roten Teppich gegangen, aus völlig falschen Gründen.

Richard schaute ungläubig und Rufus ergriff gleich das Wort, auch wenn es deutlich zu hören war, wie sehr er um Fassung rang. „Jem, Liebster, das ist so nicht wahr und es... macht auch keinen Unterschied. Wenn ich eines geler... erfahren habe in meinem Leben, dann dass es kein Zurück gibt. Es geht immer weiter... Was den beiden anderen und mir passiert ist, können wir nicht ändern, aber... wir müssen verhindern, dass noch mehr geschieht."

„Das willst du wirklich?"

„Ja."

Jeremy sah Rufus in die Augen. Sie waren rot von vergossenen und zurückgehaltenen Tränen, aber er fand keinen Zweifel. Sogleich schaute er zu Richard, der ihm nur zunickte. „Dann soll es so sein", sagte er. „Ich werde Peter anrufen, damit er eine Presseerklärung vorbereitet. Er ist gut mit sowas."

„Einverstanden", fand der Bruder, „die Wahrheit kann eine echte Erleichterung sein und spart tatsächlich eine Menge Geld. Ich rufe die entsprechenden Leute an. Auch deine Managerin, Rufus."

„Danke", sprach Rufus selbst erleichtert aus. Offenbar richtete sich das an beide.

„Dann will ich euch mal allein lassen, damit du dich ausruhen kannst, jetzt wo das geklärt ist", beschloss Richard nun kurzerhand. Rufus nickte. In der Tat war das alles noch viel zu viel für ihn.

Jeremy nutzte die Gelegenheit, Richard zum Wagen zu bringen, um kurz ein paar Worte mit ihm zu wechseln.

„Hat er geschlafen?", begann Richard.

„Ja, etwas."

„Gegessen?"

„Wenig."

„Hat er Schmerzen?"

„Sicherlich."

„Du weichst nicht von seiner Seite."

„Nein. Was ist mit der Sicherheit auf Sommerford?"

„Da sind Leute auf ihren Posten. Wenn irgendwas ist, benutzt die Pager. Hier, einer für dich."

„Die Ärztin?"

„Kommt gleich nach dem Mittag. Lass ihn etwas schlafen."

„Er wird nicht wollen."

„Er wird müssen."

„Dein Kopf?"

„Halb so wild."

„Sie wird dich auch untersuchen."

„Kontrollfreak."

„Leider nicht genug."

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