Teil80

Jeremy hatte sein Zeitgefühl noch immer nicht zurückerlangt und so schien es ihm nur wenige Minuten zu sein, bis man Schritte vor der Tür hören konnte. Es musste mehr, viel mehr Zeit vergangen sein, denn sein eigenes Krankenhaus-Hemd war von Tränen durchnässt, als Richard leise hereinkam. Was sagte man in so einem Moment? Richard sah, dass beide wach waren und hob nur still den Kopf zum Gruß. Rufus schien gar nicht zu reagieren, nur Jeremy merkte, dass sich sein Körper ein wenig anspannte. „Hallo Richard", sagte er dann endlich, als der neben dem Bett angekommen war.

„Wie geht's dir und ihm?", fragte Richard und die Sorge in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Was könnte Jeremy sagen?

„Redet nicht über mich, als wäre ich nicht da", fuhr Rufus dazwischen. Er klang trotzig und hob erst den Kopf und richtete sich dann zum Sitzen auf.

Richard blinzelte leicht, blieb aber völlig ruhig. „Also schön, wie geht es dir?", verlangte er jetzt zu wissen.

„Es geht schon. Du musst mich nicht wie ein Kind in Watte packen."

„Habe ich nicht vor. Die Polizei ist da, um mit dir zu sprechen. Und mit Jeremy." Richard klang jetzt beinahe sachlich, aber das wollte Rufus wohl so. Jeremy wusste nur zu gut, dass diese Beherrschung nur durch Willenskraft entstand und bei beiden Brüdern nicht den eigentlichen Tatsachen entsprach, wagte jedoch nicht zu widersprechen. Wenn es für Ru so einfacher wäre, dann sollte es so sein.

„Ich geh auf keinen Fall in diesem Nachthemd!" Rufus klang jetzt schnippisch, als wäre das ein modischer Fauxpas oder einfach nur völlig unstandesgemäß. Jeremy fiel nichts Besseres ein, als ihm beizustehen, auch wenn er es nicht recht verstand. „Das geht auf keinen Fall, Richard. Die sollen warten, bis wir etwas zum Anziehen haben. Besonders nützlich waren die sowieso noch nicht."

Richard war nicht aus der Ruhe zu bringen. „Für wen haltet ihr mich? Ich habe anständige Kleidung und ein paar Notwendigkeiten mitgebracht." Er deutete auf eine Tasche, die Jeremy erst jetzt bemerkte.

„Danke", sagte er und blickte Richard vielsagend an. Irgendwie wollte er Rus Bruder zu verstehen geben, dass er eine Hilfe war, auch wenn Rufus ihn jetzt nicht so behandelte.

Richard nickte beinahe unmerklich, so als habe er verstanden. „Du wirst akzeptieren müssen, Rufus, dass ich gedenke, dieses Mal nützlicher zu sein, als beim letzten Mal", sagte er dann an seinen Bruder gewandt.

„Ich kann's kaum erwarten." Rufus nahm Richard die Tasche ab und holte eine dunkelblaue Flanellhose und ein passendes Hemd heraus. Ganz sicher gehörten die Sachen Richard und ganz sicher hatte seine Frau die hergebracht. „Dann werde ich das mal anziehen", verkündete Rufus und ging damit ins Bad nebenan. 

Richard holte noch ein paar Sachen für Jeremy aus der Tasche. „Das müsste dir passen", murmelte er.

„Bestimmt... Nimm ihn jetzt nicht ernst. Er weiß, was du für ihn tust, er ist nur völlig neben der Spur."

„Das ist leider nichts Neues... Ich wünschte, ich könnte mehr tun."

„Sieh zu, dass dieser Typ endlich gefasst wird. Und wenn die ihn haben, dann will ich, dass der keine Sonne mehr sieht."

Richard blickte Jeremy direkt in die Augen. „Wenn die ihn finden, dann werde ich wissen, was zu tun ist."

Jeremy nickte und hoffte, es wäre endlich so weit. „Gut. Würdest du für mich mit meinem Manager und June reden? Die sollten wissen, dass ich hier bin und was passiert ist."

„Ja sicher. Du bleibst bei Rufus...während der Aussage?"

„Natürlich."

„Weißt du schon, was genau passiert ist?"

„Nein."

Richard nickte verständnisvoll. Natürlich hatte Jeremy nicht sofort alles wissen wollen. Dass Rufus da war und er zumindest nicht schlimmer verletzt war, musste für's Erste genügen.

„Lass es mich wissen, wenn..." Richard brach ab, denn in dem Moment kam Rufus fertig angezogen aus dem Bad. „Dann werde ich mal gehen und der Polizei sagen, dass ihr gleich soweit seid", schloss er und verließ das Zimmer. Rufus blickte ihm schweigend nach. 

„Wenigstens ist seine blöde Hose besser als so'n Nachthemd", sagte er dann zu Jeremy.

„Du bist nicht gerade fair zu ihm", bemerkte Jem.

„Ich weiß...aber, wenn ich ihn jetzt an mich heranlasse, dann heule ich wieder."

„Du darfst heulen", fand Jeremy.

„Aber ich will's nicht."

Jeremy glaubte, zu verstehen. Dann schenkte er Rufus ein aufmunterndes Lächeln und einen Kuss ins Haar. „Bin sofort wieder bei dir", sagte er daraufhin und ging ins Bad. Dort sah er sich selbst im Spiegel. Aber er schaute nicht auf die Schwellung an seinem Kopf oder den Bluterguss am Auge. Er schaute in seine Augen und schwor sich, alles dafür zu tun, dass Oliver niemals wieder Hand an Rufus oder ihn oder irgendwen legen würde. 

„Du kannst froh sein, wenn dich die Polizei vor mir findet." 

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