Teil6
Der letzte Akt war immer der anstrengendste. Die Szene, in der Jeremy als Peter Grimes den Verstand verlieren würde, war nahezu ohne Instrumente und erforderte höchste Konzentration. Eben die war am heutigen Abend nicht so leicht aufrechtzuerhalten. Trotzdem sollte June recht behalten. Zwar wirkte Jeremy in den Pausen zwischen den Akten deutlich neben der Spur, ein Glas ging zu Bruch und er zog die Gummistiefel erst beim zweiten Versuch richtig an, doch wenn er auf der Bühne war, dann war er ganz in seiner Rolle. Der tosende Applaus am Schluss war dieses Mal unerträglich lang. Immer und immer wieder musste der Tenor hinaus vor den Vorhang, sich wieder verbeugen, noch einmal ... Oh God!
Endlich ging das Licht auf der Bühne aus und der eiserne Vorhang kam herunter. Damit gab es kein Halten mehr und er sah eilig zu, dass er in seine Garderobe kam. June hatte ihn eben noch gesehen, dann war er fort. Kaum in der Garderobe wollte er so schnell es ging unter die Dusche. Das ganze Make-Up, der Schweiß, mussten herunter und das heiße Wasser würde ihm gut tun. Er beeilte sich, denn er rechnete jeden Augenblick mit einem Anruf von der Pforte. Das machten sie immer so. Wenn Besuch kam oder ein Journalist, dann gab es vorher einen Anruf. Das Wasser lief an ihm hinunter und er fühlte seine Haut kribbeln, so als könnte er es gar nicht erwarten, dass ihn jemand berührte. Was würde sein Besucher mit ihm tun? Rufus. Er riss sich zusammen, kam aus der Dusche und trocknete sich ab. Sie wollten zum Pub, also zog er sich direkt etwas an und begann sein Haar zu rubbeln, als das Telefon klingelte.
„Mister Harrison, Sir, hier ist Besuch für Sie. Wir lassen Mister Sommerford heraufkommen." Mister Sommerford. Rufus Sommerford. Das klang so englisch, wie es nur ging.
„Ja bitte," versuchte Jeremy so beiläufig wie irgend möglich zu sagen. Und sonst wäre es ihm auch egal, was der Klatsch und Tratsch im Opernhaus am nächsten Tag zu erzählen wüsste. Er vergewisserte sich im Spiegel, dass sein Rolli die Knutschflecken verdeckte, auch wenn das irgendwie albern war. Rufus müsste nicht gleich sehen, was er bereits angestellt hatte. Wer wusste, ob er sich daran überhaupt deutlicher erinnerte als Jeremy? Da klopfte es.
Oh God!!!
War das hier wirklich sein Ernst? Er atmete zweimal tief ein und aus. „Es ist offen, komm rein."
Einen kleinen Augenblick lang tat sich gar nichts und Jeremy hielt den Atem an. Seine Haut kribbelte wie noch nie und die Flecken an Hals und Nacken brannten, da ging endlich die Tür auf.
Rufus. Groß, größer als erwartet, schlank mit langen Gliedern, die dunklen Locken zerzauster als in Jeremys Erinnerung und der perfekte Rahmen für ein Gesicht, das er unter tausenden nicht noch ein zweites Mal finden würde. Jung, oh so jung, und wie das eines Ritters auf präraffaelitischen Gemälden. Und alles andere als schüchtern.
Ohne zu zögern trat er jetzt ein und fixierte Jeremy mit hellen, beinahe türkisfarbenen Augen.
„Du hast mich ganz schön warten lassen."
Er musste doch älter sein, als man zunächst vermuten würde, denn seine Stimme war dunkel und samtig wie die eines Baritons, ganz ohne Zweifel. Was wie ein Vorwurf klang, war nur gespielt. Er grinste.
„War nicht meine Absicht", brachte Jeremy heraus.
Dann war der jüngere Mann auch schon bei ihm und bevor er sich's versah, packte er Jeremys Haar im Nacken mit der einen, sein Kinn mit der anderen Hand und küsste ihn. Jeremy zögerte ebenso wenig und öffnete seine Lippen und küsste zurück. Diesmal war da ein Hauch von Apfel, der sich in Rufus' Atem mischte und Jeremy wollte mehr davon, wollte exakt die gleiche Luft atmen. Er küsste ihn immer fordernder und vergrub seine Finger in den wilden Locken. Rufus drängte sich an ihn, so nah, dass Jeremy deutlich spürte, wie er selbst bereits hart wurde. Wer hätte gedacht, dass es dazu so schnell kommen würde?
Jeremy ließ sich von Rufus' Ungestüm zur Wand schieben. Das kam ihm schon irgendwie bekannt vor.
„Fass mich an", hörte er sich selbst sagen, beinahe flehen.
Rufus lächelte vielsagend, dann machte er sich genau da ran.
„Nur zu gern", flüsterte er an Jeremys Ohr und küsste seine Halsbeuge, während seine Hände zielsicher nach unten wanderten. Dort öffnete er geschickt Jeremys Hosen und griff hinein. Dem lief es heiß und kalt den Rücken hinunter, während er versuchte, sich dem ganz hinzugeben, was Rufus jetzt tat. Er stöhnte auf und suchte mit seinen Lippen nach Rufus.
„Nicht aufhören", flüsterte er.
Rufus' Hand war heiß und er wusste, was er damit tat. Irgendwie war das aber noch nicht genug. Jeremy begann an Rufus' Lederjacke zu zerren und gab ihm zu verstehen, dass da zu viel Stoff zwischen ihnen wäre. Rufus sah das ein, ließ kurz von Jeremy ab und streifte sich die Jacke ab. Dann zog ihm Jeremy das Hemd aus der Hose und öffnete es eilig, Knopf um Knopf von unten, bis er seine makellose Brust, wie aus Marmor, freigelegt hatte. Rufus zog ihm den Pulli über den Kopf und Jeremy widerstand dem ersten Impuls, den Bauch einzuziehen. Rufus schien das nicht zu bemerken und drängte sich nun wieder an ihn und ließ seine Hand da weitermachen, wo sie aufgehört hatte, die andere legte er an den kräftigen Rücken des Sängers. Er steigerte den Rhythmus.
Jeremy küsste jetzt alles, was seine Lippen irgendwie zu fassen kriegten, während seine Hände Halt bei Rufus suchten. Er strich ihm an Schultern und Rücken hinunter und langte hinten in die Jeans. Was seine Hände dort zu fassen bekamen, schien nicht weniger perfekt geformt als die Vorderseite des jungen Mannes.
„Du trägst ... keine... Unterhose", brachte er schwer atmend hervor.
„Zeitverschwendung", kam es zurück.
Und als wäre das noch nicht längst genug, stöhnte Rufus jetzt mit dieser dunklen Stimme, die Jeremy vollends in den Wahnsinn trieb. Ihrer beider Atem ging wie wild und wieder suchten sie einander und küssten sich. Der Restverstand von Jeremy registrierte, dass Rufus diesmal auch Knutschflecken davontragen würde und ihm gefiel die Vorstellung, sein Revier an dem jungen, heißen Engländer abzustecken. Was würden sie wohl noch miteinander anstellen?
Alles, alles, alll...
Schließlich spürte Jeremy deutlich, wie sich sein Höhepunkt aufbaute, heiße und kalte Schauer ließen seinen Körper anspannen und beben, während Rufus ihn noch immer fest im Griff hatte und jetzt Blickkontakt mit ihm suchte.
„Wenn ich's sage, kommst du für mich", raunte er.
Jeremy biss sich auf die Lippe und dachte an Himbeer und Apfel, Türkis und Aquamarin.
„Jetzt", kam endlich das Go oder war es sogar ein Befehl? Und das war's: Jeremy warf den Kopf zurück, während sein Höhepunkt den Rest seines Körpers erzittern ließ. Erst glaubte er, dass seine Beine nachgaben, aber da war die Wand und da war Rufus und dann waren da Rufus' Arme, die ihn an sich zogen, Rufus' Lippen, die ihn küssten, seine Hände, die ihn streichelten. Er wies seine eigenen Hände an, das Gleiche zu tun und stellte fest, dass der andere auch völlig entspannt war. Sie mussten nahezu gleichzeitig gekommen sein. Jeremy hatte es nicht bemerkt. Rufus lächelte, als könne er Gedanken lesen. Dann mussten beide lachen, wobei Jeremy nicht ganz klar war wieso.
„Wir sind in unseren Hosen gekommen wie Schuljungs", bemerkte Rufus und lachte weiter. Okay, das war wirklich lustig.
„Wollten wir nicht in den Pub?," scherzte Jeremy.
„Zeitverschwendung." Rufus schaute ihm in die Augen und lächelte eindeutig zweideutig.
Wow!
„Wie wär's dann mit einer warmen Dusche?"
„Da bin ich dabei."
Keine zwei Minuten später standen beide zusammen unter der Dusche, die tatsächlich groß genug dafür war. Und diesmal fingen sie es ganz ruhig und langsam an. Nun ging es nicht um schnellen Sex, sondern um eine andere Art der Intimität. Jeremy war auf eine äußerst angenehme Weise entspannt erschöpft und ließ sich von Rufus mit dem warmen Wasserstrahl abbrausen. Dann trat Rufus hinter ihn und begann, ihm das Haar zu waschen. Immer wieder küsste er ihn auf die Schultern, aber dabei blieb es. Dann war Rufus dran und Jeremy tat das Gleiche für ihn. Er widerstand dem Impuls, dem jungen Mann zu sagen, wie wunderschön er war und wie verdammt gut er sich anfühlte. Das würde er später tun, wenn er die passenden Worte dafür gefunden hätte.
Wie lange das alles dauerte war schwer zu sagen. Sie hörten erst auf, als der Spiegel komplett beschlagen war und das heiße Wasser zu Ende ging. Dann wickelte Jeremy Rufus in ein großes Handtuch und sich selbst in einen flauschigen Bademantel. Keiner der beiden dachte daran die Garderobe zu verlassen. Es war längst nichts mehr zu hören im Haus und vermutlich hatte man sie entweder bereits versehentlich eingeschlossen oder ihnen die Nacht in der Garderobe gegönnt und sie einfach machen lassen. Jeremy würde auf Letzteres tippen. Er ließ sich jetzt auf einer Couch nieder und Rufus legte sich dazu und seinen Kopf in Jeremys Schoß. Schließlich brach er das angenehme Schweigen zwischen ihnen.
„Du hast Fragen", stellte er im Flüsterton fest.
Das war nur allzu wahr und Jeremy überlegte kurz, welche wohl die wichtigste war. Rufus sah müde aus und würde nicht ewig wach bleiben.
„Warum ich?", wollte er wissen.
„Mmmh, warum du?", wiederholte Rufus, „Du warst ganz eindeutig der heißeste Typ an dem Abend. Du hast irgendwas gesungen und gelacht und ich dachte, wow, wenn es einen Gott gibt, dann hat er dich schwul gemacht. Für mich."
Er schaute zu Jeremy auf, der sich jetzt herunterbeugte, um ihn zu küssen.
„Und dann?"
„Du kannst dich echt nicht erinnern?"
„Leider nein."
Rufus grinste. „Na, erzähl den Trick nicht weiter. Ich hab dich mit 'nem Drink in der Hand angerempelt und dir alles auf's Hemd gekippt. Und du hast gleich gesagt, es sei nicht weiter schlimm und ich hab gefragt, ob ich es ablecken soll und statt mir eine reinzuhauen, hast du ja gesagt."
„Das nennst du Trick? Das ist ... gefährlich dumm."
„Hat aber funktioniert. Du bist mit mir nach hinten draußen, auf den Hof und da haben wir angefangen rumzumachen."
„Rumzumachen!? Du meinst so was wie vorhin." Jeremy war ehrlich über sich selbst erstaunt.
„Ja, ich meine so was wie vorhin. Aber wir sind nicht weit gekommen. Dir sind plötzlich die Beine weggesackt und wenn ich dich nicht gehalten hätte, wärst du richtig zu Boden gegangen."
„Und dann?"
„Na, du hast ausgesehen, als wüsstest du nicht wo du bist und ich dachte "oh shit" und du hast geflucht, was voll süß war und dann hab ich dich untergehakt und bin mit dir vorn zur Straße, um dir ein Taxi zu rufen. Du hattest den Hotelschlüssel in der Tasche und ich hab dir gesagt du sollst mich anrufen und dir meine Nummer zugesteckt." Jetzt sah er Jeremy an, als warte er auf eine Erklärung.
„Tut mir echt leid. Keine Ahnung, was da los war. Aber du warst toll. Du bist toll", korrigierte jener sich selbst.
„Oh danke. Du auch. Und irgendwann will ich deine Geschichte hören."
„Meine Geschichte?" Jeremy klang echt verwundert. Woher wusste Rufus, dass es eine Geschichte gab?
„Ja sicher. Ein Typ wie du und Single! Da steckt irgendeine Geschichte dahinter."
„Hast du auch eine, Mister wise guy?"
Rufus grinste. „Oh, ich hab viele ..."
Jeremy sagte nichts und schaute den anderen nur an. Rufus' Grinsen war nicht ganz so echt, wie es im ersten Moment schien. Da war ein Hauch von Bitterkeit, den er aber gut überspielte. Jeremy beschloss, es erstmal so zu belassen.
„Zeitverschwendung", sagte er dann und küsste Rufus auf die Stirn. Der zog ihn für einen richtigen Kuss auf den Mund nach unten.
„Ich heiße übrigens ... Rufus ... Stephen ...Sommerford ... St. Aubyn."
„Oh, das ist ... leicht zu merken."
„Und es gibt ... Regeln."
Das klang interessant. Jeremy ließ kurz von ihm ab, um ihm in die Augen zu schauen.
„Welche?"
„Keine Lügen, nur mit Kondom und keine Schuldgefühle."
„Sehr gut, da bin ich dabei."
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