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Ein kalter Schauer fuhr mir den Rücken runter. Es war als würde die Temperatur in Sekundenschnelle sinken und die düstere Stimmung hier im Raum machte es auch nicht besser. Die Gänsehaut, die meinen Körper überzog, konnte ich nicht verhindern. Der Atem, den ich ausstieß, bildete Wölkchen und meine Fingerkuppen waren schon taub.
Aber das einzige, woran ich denken konnte, war, ein Buch?! Ich hätte mit allem gerechnet, sogar mit einer Waffe, aber nicht mit so einem Buch.
Meine Augen fokussierten sich auf den braunen Ledereinband und irgendetwas in mir wollte, dass ich das Buch berührte.
Also nahm ich es vorsichtig in die Hände und strich über das Leder, wobei eine Staubschicht sich auf meine Finger bildete. Im Leder war ein Zeichen, das drei Kringel ähnelte, eingedruckt, ansonsten war nichts Bemerkenswertes zu sehen. In der Ecke des Einbandes hielt ich an, als ich einen Namen dort klein geschrieben entdeckte.
Ayana.
Mit diesen Namen nicht wissend was anzufangen, sah ich wieder auf und mein erster Gedanke dabei war, bitte nicht schon wieder.
Ich war nicht mehr im selben Raum, er war mit alten Holzmöbeln bestückt und Licht durchflutete das Zimmer dank eines einzigen Fensters. Es war alles sehr schlicht und alt gehalten und einzelne Kerzen lagen auf verschiedene Kommoden und Tische.
Einmal im Raum umgedreht, sah ich in einer Ecke des Zimmers eine Gestalt an einem Tisch sitzen. Die Gestalt saß mit dem Rücken zu mir, man erkannte nur einen dunkelroten Umhang und dunkelbraune Locken, die über die Kapuze flossen, wie ein Strom.
Ein kalter Schauer floss mir den Rücken runter, denn außer der düsteren Stimmung machte die Gestalt auch nicht gerade den netten Eindruck.
Die junge Frau schien mich nicht zu bemerken, wie denn auch, wir waren in einer Vision in der Vergangenheit, deshalb versuchte ich nicht mal auf mich aufmerksam zu machen, wie meine aller ersten Male, als ich eine Vision hatte.
Als Erstes waren es immer Visionen aus der Vergangenheit, in denen ich versuchte mich bemerkbar zu machen, da ich dieses ganze Visionen ding noch nicht so richtig kapiert hatte.
Später bekam ich aber auch Zukunftsvisionen, wo mich aber auch Niemand sah.
Visionen aus der Zukunft und Vergangenheit konnte ich ganz leicht unterscheiden, denn wenn ich welche aus der Zukunft hatte, hatte ich immer davor einen Schwindelanfall, hingegen bei denen in der Vergangenheit spürte ich meistens nichts, wie auch jetzt.
Das Buch noch immer in den Händen, begab ich mich langsam zu der Frau hin, die konzentriert auf etwas auf dem Tisch starrte und dabei schrieb. Neben ihr blieb ich stehen und schaute verwundert auf die halbvoll geschriebene Buchseite des gleichen Buches, das auch ich in der Hand hatte.
Gerade als ich lesen wollte, was sie aufgeschrieben hatte, öffnete sich schwungvoll die Tür, sodass noch mehr Licht in das abgedunkelte Zimmer fließen konnte, und eine kräftige Statur blieb im Türrahmen stehen.
Die Frau schreckte hoch, zog aus dem Inneren ihres Umhangs blitzschnell ein silbernes Messer raus und wollte gerade auf die Gestalt einstechen, als der Mann, den ich nun erkannte, nicht mehr am Türrahmen, sondern hinter der Frau stand und seine Arme beruhigend um sie schlang.
Verwirrt über das ganze Szenario, das sich mir hier bot, vom Aufschlagen der Tür bis hin das dieser mir vollkommen fremde Mann eine junge Frau, die mir davor schon nicht geheuer war und so plötzlich ein Messer aus ihrem Umhang gezogen hatte, um ihn damit umzulegen, von hinten umarmte, und dabei nicht zu vergessen dieser wohl unerwarteter Besuch vom Türrahmen plötzlich hinter der Frau stand, krallte ich meine Fingernägel in das alte Leder des Buches und versuchte wieder zum Atmen zu kommen, denn dieser Adrenalinschub war etwas zu viel für mich.
Ich sah, wie sich die Frau augenblicklich in seinen Armen entspannte und sich zum Mann umdrehte, um ihn daraufhin zu küssen. Ihr Mund bewegte sich, als sie sich von einander lösten, doch ich konnte nichts hören, was mich stutzig machte, denn normalerweise konnte ich zumindest leise Klänge hören oder Schalle.
Der Mann schmunzelte und die grimmigen Züge seines jungen Gesichtes erschienen mir nun freundlich, was der Frau ein Lächeln entlockte. Man sah auf den ersten Blick, dass es sich hier um glückliche Beziehung handelte.
Als die Frau dann auch noch auf ihren Bauch sah, der eine kleine Wölbung zeigte, und zärtlich drüber strich, wobei die Hand des Mannes dasselbe tat, war ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob es sich wirklich nur noch eine Beziehung war.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, denn ich fühlte mich so wie das fünfte Rad am Wagen, weshalb ich mich auf dem Stuhl setzte, auf dem schon die dunkelhaarige Schönheit gesessen hatte, und lehnte mich entspannt, mit den Fingern auf dem Ledereinband Kreise malend, zurück.
Schon lange hatte ich nicht mehr die Szenarien, Erinnerungen, die sich mir unerklärlicherweise boten, hinterfragt und hatte das, was sich mir zeigte, betrachtet, denn ich war in jeder meiner Vision ein Betrachter der Taten, die diese Sachen oder Personen durchgemacht hatten oder durchmachen werden, und daran konnte ich mitten in der Vision nichts ändern.
Ich wusste noch wie die Menschen in meinem Umfeld reagiert hatten, als sie das erste Mal bei einer meiner Visionen dabei waren und dabei meine Augen gesehen hatten. Mein damaliges fünfjähriges Ich war im Kindergarten und hatte mit anderen Kindern und ein paar Betreuern im Sandkasten gespielt.
Ich baute gerade mit einem gleichaltrigen Mädchen eine Burg aus Sand und nahm ein kleines Spielzeugauto, das im Weg stand, um es zu dem Jungen zu bringen, der neben uns mit Mehreren davon spielte, als mich mit einer Berührung mit dem Auto ein Schwindelanfall überkam und ich in einer meiner Zukunftsvisionen geschleudert wurde, worin der Junge ein abgefallenes Rad von eines dieser Autos in die Hand nahm und es einfach runterschluckte. Ich saß, wie schon viele Male, einfach daneben und guckte mir das Szenario einfach gespannt an, da es für mich damals wie ein Film oder eine Folge meiner Lieblingsserie war, nur das, was ich damals noch nicht verstand war, das, dass das Leben war.
Aber als der Junge in meiner Vision anfing, blau anzulaufen und zu röcheln, bekam ich es langsam mit der Angst zu tun.
Das war meine erste Todesvision.
Ich sah noch immer vor mich, wie der kleine Blondschopf hechelnd zu Boden ging, mit den zierlichen Fingern an seinen Hals.
Ich bekam Panik, ging auf ihn zu und rüttelte ihn an seinen Schultern, Tränen rannten meinen Wangen runter, leises Wimmern entkam meiner Kehle und ich versuchte seinen Mund aufzukriegen, um meine Hand nach diesem gottverdammten Rad in seiner Luftröhre auszustrecken, aber jeder Versuch erfolglos, wie denn auch, ich war in einer Vision, in den Bildern, die mein Gehirn selbst projizierte, gefangen wie ein Vogel in einem Käfig.
Als sich dann auch noch seine Augen schlossen, ließ ich meine Arme schlapp an mir hängen, die Tränen, die wie Bäche aus meinen Augen flossen, nicht beachtend, denn ich wusste, dass jeder Versuch sinnlos wäre. Die Betreuer und Kinder nahm ich nur am Rande wahr, die Sirene und die blauen Lichter waren nur nebensächlich, alles war abgedämpft und kam nicht zu mich durch, als dann, wie als würde man in einem lärmgeschützten Raum die Tür öffnen, hörte ich plötzlich die ganzen Schreie, nur panische, ängstliche Schreie, die mich dann auch aus meiner Vision holten.
Nachdem ich wieder klar denken konnte, hatten mich die Betreuer erschrocken angesehen, als wäre ich der Teufel hochpersönlich, und die Kinder waren von mir gewichen, hatten sich hinter den Betreuern versteckt und ihre Finger in den Beinen der Erwachsen vor Angst gekrallt.
Damals wusste ich noch nicht, dass meine Augen aufglühten, deshalb stand ich mit dem Auto in der rechten Hand und Tränen überströmten Gesicht in mitten der Menge, die mich aufgelöst und ängstlich ansahen. Die eine Betreuerin zückte schon das Handy, um ein Krankenwagen herzubestellen, während ein anderer Betreuer versuchte herauszufinden, was mein Zustand hervorgerufen haben könnte, aber ich, als ein Kleinkind damals, hyperventilierte und sagte die ganze Zeit, dass sie auf den Blondschopf aufpassen sollten und ihn nicht mehr mit den Autos spielen lassen sollten, doch ich wurde nur auf eine Liege im Garten gebracht, um mich etwas auszuruhen, während sie einen Arzt anriefen.
Und da passierte es. Der Blondschopf fiel auf dem Boden und kämpfte um sein Leben, doch vergeblich. Ich versuchte mich aus dem Griff des Betreuers zu befreien und auf den Jungen aufmerksam zu machen. Aber als sie es bemerkten, war es schon zu spät. Die Schreie aus meiner Vision waren nun real.
Diese panischen Hilferufe, diese ängstlichen. Die Sirenen und blauen Lichter, die eigentlich für mich bestimmt waren, kamen mir nun viel lauter, viel realer vor.
Ich konnte ihm nicht helfen, da diese dummen Betreuer mich die ganze Zeit zurückscheuchten und mir nicht einmal zuhörten.
Der Junge starb und ich konnte nichts machen, ich hatte nichts gemacht, ich hatte ihn sterben lassen. Als der Arzt die Todesursache rausfinden wollte, wusste ich es schon.
Ich wusste noch, wie emotionslos ich zu Hause angekommen, Dean und Jess davon erzählt hatte, alles erzählt hatte, aber sie glaubten mir nicht. Das war der Tag, an dem ich mich zurückzog, weil alle mich mit diesem Blick angesehen hatten, obwohl sie nur meine Augen gesehen hatten.
Durch eine Bewegung wurde ich aus meinen Erinnerungen geholt und schaute wieder zu dem Schauspiel, das mir die Vision hier bot.
Der Mann ließ die Frau eine Pirouette machen und tanzte mit ihr auf altmodische Weise. Sie beide lachten, was man an deren Mundbewegungen sah, denn hören konnte ich noch immer nicht, und schienen unendlich glücklich zu sein.
Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Es war schön mal wieder eine glückliche Erinnerung, die mit einem Gegenstand verbunden war, zu sehen, denn zwischen den ganzen langweiligen oder die mit Leid gefüllten Visionen, sah ich nicht so viele.
Plötzlich hielten sie an, der Mann hielt die Frau im Arm.
"Du solltest dich nicht überanstrengen. Das ist weder für dich, noch für das Baby gut", hörte ich plötzlich sagen. Interessiert hörte ich zu.
"Du weißt ganz genau, dass wir uns keine Pause erlauben dürfen bis wir nicht Gerald gefunden und vernichtet haben. Und außerdem geht es mir gut, ich tu nur etwas aufschreiben, Darian", meinte die Frau nun zu dem Mann, der vermutlich Darian hieß.
"Wir werden diesen Krieg für uns entscheiden, ich werde für eure Sicherheit sorgen. Du weißt, dass ich dich liebe und egal was passiert, ich dich und das Kind mit meinem Leben beschützen werde ", Darian küsste sie auf den Haaransatz und sah sie mit einem mit so viel Liebe gefüllten Blick an, dass sogar ich langsam sentimental wurde.
"Ich weiß, mein großer Alpha" lachte sie und meinte dann ernst, "Ich liebe dich auch", und küsste ihn.
Auch wenn es mich etwas verwunderte, dass sie ihn 'Alpha' nannte, guckte ich mich weiter in der Gegend um, denn hatte nicht jedes Liebespaar seine eigenen Kosenamen?
Ich beachtete die Turteltäubchen nicht weiter, denn ich suchte mit jeder erdenklichen Zelle mein Gehirn ab, welchen Krieg dieser Darian gemeint haben könnte. Auch wenn Geschichte nicht wirklich zu den Fächern in der Schule gehörte, in denen ich zu hörte -generell strengte ich mich an im Unterricht zu zuhören und nicht einzuschlafen- konnte ich nicht wirklich einschätzen, zu welchen Krieg dieser gehörte.
Hier war es alt, sah den Anfang der Neuzeit ähnlich. Dieser ganze Raum aus Holz und dem Dach aus Stroh, in dem vereinzelt Äste hervor stachen, konnte weder die Antike noch die heutige Neuzeit sein, da war ich mir auch mit meinen ziemlich kleinen Geschichtskenntnisse sicher.
Mein Blick richtete sich wieder auf das Buch in meinen Händen. Da ich sicherlich noch eine Weile in dieser Erinnerung schwelgen würde und mir langsam auch das verträumte Paar, das einen Krieg für sich entscheiden mussten, langweilig wurde, versuchte ich etwas in dem Buch in meinen Händen aufzuschlagen.
Ausschlag gebendes Wort 'versuchte', denn es ließ sich nicht aufschlagen, was sehr komisch war, denn normalerweise konnte ich die Sachen, die ich anfasste, in meinen Visionen auch bewegen.
Verwirrt sah ich auf den rauen Ledereinband. Vielleicht ließ es sich ja nach der Vision öffnen?
"Ich muss noch den Bannkreiszauber fertig aufschreiben. Du kannst ja währenddessen gucken, ob die anderen noch trainieren", sagte die Frau, während sie sich langsam aus seinen Armen löste und in meine Richtung sah.
Bannkreiszauber?
"Ich weiß noch immer nicht, warum du dieses Buch schreibst. Ist es dir nicht lästig?", erwiderte der Dunkelhaarige nur.
"Es ist nicht lästig!", empört sah sie auf, "Ich lasse hier ein Vermächtnis zurück, für jeden der auch so sein wird, wie wir. Hier steht alles drin, wie man sich gegen alles, das jemals uns begegnet ist, schützen kann. Von, wie kann man ein Wendigo töten, bis hin zu, wie man am besten einen mürrischen Werwolf zum Schoßhündchen macht", den letzten Satz ausgesprochen, kam schon ein entsetztes Hey! von dem Mann neben ihr.
Aber das einzige, das mich jetzt interessierte war, Bannkreiszauber? Wendigo? Werwolf? Schoßhündchen? Okay, Spaß bei Seite, Werwolf?
Ich blickte auf das gleiche Buch, das ich in der Hand hatte, aber nur das dieses aufgeschlagen auf dem Tisch lag.
Aber was ich da sah, schockte mich zu tiefst. Überall okkultische Zeichen, Geschriebenes über Salz und Silber. Von Blut und Herzen.
Diese ganzen Zeichen kamen mir alle bekannt und dennoch so fremd vor.
Während mein Gehirn versuchte alles einsacken zu lassen, hörte ich ein Surren, das mir merkwürdigerweise bekannt vorkam.
Dieses Surren wurde immer lauter, bis ich dachte, dass mein Trommelfell platzen würde.
***
2231 Wörter
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