Verlust
Kapitel 27
Violet
Das Klagen und Wimmern, das aus dem halb zerstörten Anwesen erklang und mit dem Wind bis zu Violet und Nicolas herangetragen wurde, riss Violet zurück in ihren Körper, dem es gerade noch schwergefallen war, die Macht richtig zu erfassen, die so plötzlich in ihr wohnte. Doch diese Kraft und das damit aufkommende Wissen, was schon wieder dabei war zu verblassen und nur in Fetzen noch hier und da in ihrem Verstand hängen blieb, waren nun unwichtig.
Als Nicolas die Verfolgung seines Erschaffers aufgab und mit einem so harten und gleichzeitig verletzbaren Gesichtsausdruck auf den englischen Wohnort seiner Schwester und ihres Gefährten zuging, war nichts mehr wichtig.
Weder ihre Stellung als Königin, noch Nicolas Auferstehung. Nichts. Nur die leisen Klagelaute im Wind. Die drohten auch Violet das Herz herauszureißen.
Schwerfällig rappelte Violet sich auf und folgte Nicolas durch die zerborstene Eingangstür, wo sie von einer unfassbar, unheimlichen Stille Empfang wurden, die nur von Sofias leisen Weinen durchbrochen wurde. Ohne auf die zwei Toten in der Eingangshalle oder die im Eingang verstreuten, nun absolut leblosen Gegenstände, zu achten, erklomm Nicolas die Treppe und verschwand in den Flur, um der Stimme seiner Schwester zu folgen.
Violet aber nahm es, als ihre Pflicht sich anzusehen, was hier angerichtet worden war. Der Leichnam des toten Geborenen, sah jung und frisch aus, wie man es von einem eben Verstorbenen erwarten würde. Dunkle schwarze Tränen klebten noch an seinen Wangen, während direkt neben ihm die Zeit bereits ihren Tribut an den erschaffenen Toten forderte, der die Schale ursprünglich ins Haus gebracht hatte. Eine eingefallene, fast mumifizierte Leiche, die langsam immer weiter zu Staub zerfiel.
Als Violet die beiden passierte, trat sie auf die Scherben des Spiegels, der Deux Macina, die ihr geholfen hatte aus Nicolas Labyrinth zu entkommen, um das hier alles auszulösen. Keines der in der Eingangshalle verstreuten Gegenstände, machte den Anschein, etwas Besonderes zu sein, als wären auch sie von der Schale angezogen und getötet worden.
Die Schale versucht wieder voll zu werden, das Leben in sich zu versammeln, damit sie wieder ausgegossen werden kann und das Universum mit einem Knall von neuen begann. Anfang und Ende. Tot und Leben.
Der ewige Kreislauf
Und auch wenn es Kreaturen wie die Vampire zu geben schien, die von der Zeit verschob, worden waren, so sorgte die Schale dafür, dass auch sie letztendlich ihr Ende finden würden. Und wenn sie das tat, hinterließ sie eine Lücke, die nicht gefüllt werden konnte.
Violet brannten die Tränen in den Augen, als sie sich ebenfalls daran machte den Flur im ersten Stock zu betreten und wagte kaum weiterzugehen, als sie die Schale fand, aus der diese monströse Hand gespeist wurde und sich scheinbar erschöpft, gesättigt aber dennoch unwiederbringlich an einen weiteren Unsterblichen geheftet hatte.
„HILF IHM! DU MUSST IHM HELFEN!" schrie Sophie ihr entgegen und barg weiter das Gesicht ihres Gefährten in ihrem Schoß. Ihre Wangen waren nass, ihr Körper bebte und als Violet nicht reagierte, weil sie nicht wusste, was sie tatsächlich tun könnte, wandte sich Sofia mit ihrer Verzweiflung an ihren Bruder.
„Hilf ihm!", forderte sie nun etwas leiser, bevor sie wieder in einer Welle von Trauer zu Björn heruntersenkte.
Die Schwärze hatte sich auf seinen Körper ausgebreitet und von der Hüfte abwärts, war schon nichts mehr von ihm zu erkennen, er wurde von der Pfütze der Ursuppe verschlungen. Langsam aber stetig.
Sofia, gefangen in ihrer Trauer und ihren Schock, hielt ihn noch, stand ihm bei, während sein Körper verzerrt wurde und kam selbst der schwarzen Masse immer wieder gefährlich nahe, wobei Nicolas dafür sorgte, dass nicht auch sie davon befallen wurde. Denn was die Schale einmal anfing zu verspeisen, war unumkehrbar verloren. Auch für eine Königin. Violet konnte nicht dagegen tun.
Und obwohl Björn längst nicht mehr litt und sein Körper langsam zerfiel und eingesogen wurde, verklangen Sofies Stoßgebete nicht. Sie flehte darum, ihr ihren Gefährten zurückzugeben.
Violet ließ sich neben ihr nieder, strich ihr über den Rücken und versuchte den Schmerz zu lindern, den nichts lindern konnte, während Sofie darauf warteten, dass Björn vollständig von ihnen gegangen war.
Es dauerte mehr als eine halbe Stunde. Die träge Hand zog sich langsam in die Schale zurück und nahm Björn mit sich.
Dann wurde es still.
Sophies Stimme verstummte und ihre Tränen versiegten, sowie auch Violets blutige Tränen aufhörten. Keiner sagte etwas, als würde jedes Wort, das fiel, das, was eben geschehen war, zu etwas realen machen, zu etwas unwiederbringlichen.
Also zog sich die Stille und während Nicolas es nicht wagte, seine Schwester nicht aus den Augen zu lassen und Violet neben ihr hockte, um sie zu trösten, wurde ihr allmählich klar, dass es kein Happy End geben würde. Weder für sie noch für Nicolas. Und schon gar nicht für Sofie, die in einem letzten aufbäumen von Unglaube, begann den Kopf zu schütteln, sich aufrappelte und dann auf diese Schale zulief, die ihr den Mann, den sie liebte und mit dem sie ihre ewigkeit hatte verbringen wollen, genommen hatte.
Als hätte Nicolas es kommen sehen, stand er aber rechtzeitig vor ihr, fing sie ab, bevor sie die gefährliche Deux Macina berühren konnte und hielt sie fest, bis sie es aufgab und dann einen tiefen, verzweifelten Schrei ausstieß, den Violet mehr erschütterte als ihr Weinen.
Es war der Ausdruck reinen Schmerzens und dem bitteren Gefühl der Machtlosigkeit angesichts von etwas, was nicht wieder gutzumachen war. Die Schale würde Björn nie wieder hergeben, egal was Sofia oder Violet auch tun würden und letztendlich würde auch alles andere sich dort wiederfinden.
In der Unendlichkeit des Endes, dass sie alle letztendlich erfahren mussten.
Sofia schien in sich zusammenzubrechen und Nicolas hielt sie fest, bevor sie zusammen sinken konnte. Dann saßen sie wieder eine Weile so da. In Stille. In Frieden. In Verlust.
„Kannst du wirklich nichts machen?", fragte Nicolas und Violet schüttelte den Kopf. Sie könnte viele Dinge tun, mit dieser unerschöpflichen Macht in sich, aber gegen die Ursuppe der Schale war sie machtlos. Sie enthielt alles Sein, was je existiert hatte und sie alle konnten froh sein, dass sie jetzt, nach dem Verspeisen von drei Unsterblicher und einigen Deux Macinas, fürs Erste so gesättigt schien, dass sie nicht wieder aktiv versuchte, alles in sich aufzunehmen. Sie ruhte in sich, war zufrieden mit ihrem Werk, aber es war unmöglich zu sagen wie lange dieser Zustand anhalten würde. Stunden? Tage? Jahre? Niemand konnte das sagen. Und wieder fühlte Violet sich hilflos, angesichts von Sophies Trauer und das, obwohl sie sich vorhin noch fast allmächtig vorgekommen war.
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