TWENTY-FIVE - Sie ist weg - ✔️
Aria POV
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„Sie ist weg."
„Wie, weg?"
„Na, weg eben! W-E-G, du Spatzenhirn!"
„Ja, aber – abgehauen, oder wie?"
Raffa seufzt genervt und schüttelt den Kopf.
„Nein, Nicola. Sie ist nicht abgehauen. Ich habe mich umgedreht, um etwas ins Auto einzuladen, und dann war sie nicht mehr da. Wie vom verdammten Erdboden verschluckt."
Nicola sieht seinen Bruder eine Weile ungläubig an, und rauft sich dann die Haare. „Konntest du nicht auf sie aufpassen?", fragt er dann leise, und Raffa lacht humorlos auf. „Ich? Tut mir leid, aber der Einzige, der hier nicht aufpassen kann, bist du. Wer musste dich denn vor Jaden retten, während seine Kumpels fast Aria abgemurkst hätten? Du oder ich?"
„Ich wurde angeschossen verdammt!"
Gerade will Raffa wieder etwas erwidern, als ich mich zwischen die Italiener stelle, und jedem eine Hand auf die Brust lege, damit sie sich einander nicht nähern können. Jedenfalls nicht, ohne mich dabei zu zerquetschen.
„Jungs, hört auf. Das bringt euch jetzt auch nichts. Keiner hier trägt Schuld an dem, was die letzten Tage abgeht, okay? Der Einzige, der Schuld dran ist dass ich fast abgemurkst wurde, ist Santos, und ich weiß nicht ob eure Erbsenhirne auch schon so weit sind, aber bei Alexa wird es niemand anders sein. Also reißt euch jetzt verdammt nochmal zusammen oder ich hole Amy her. Verstanden?"
Die Jungs schlucken, und ich spüre zwei schnelle Herzschläge an meinen Handinnenflächen. Als keiner von den beiden was sagt, blicke ich ihnen direkt in die Augen. „Verstanden?", wiederhole ich nochmal mit etwas mehr Nachdruck, und Raffa lässt den Kopf etwas hängen. „Verstanden", murmelt er nur, und ich nicke. Nicola sieht seinen Bruder noch eine Weile stur an, ehe er ebenfalls fast unmerkbar nickt. „Verstanden", grummelt er, und langsam entferne ich meine Hände von den Jungs, immer darauf gefasst, sie wieder auseinanderzuhalten.
Als sie jedoch nur die Blicke abwenden seufze ich leicht, und trete einen Schritt zurück. „Gut. Dann gehen wir jetzt zu eurem Vater."
Raffa sieht sofort zu mir, und obwohl ich mittlerweile schon auf der ersten Treppenstufe stehe, höre ich ihn bis hierher schlucken. „Er reißt mir den Kopf ab", murmelt er, und Nicola schnaubt. „Möglich. Und wenn er es nicht tut, tu ich es."
Ich hebe eine Augenbraue und schaue Nicola streng an, welcher meinem Blick nur ausweicht, ehe ich zu Raffa schaue, der mit den Augen rollt. „Das glaube ich nicht. Immerhin wird er euch beide lebendig brauchen, denn Santos hat eine deutliche Kriegserklärung abgegeben." Mit diesen Worten drehe ich mich um und laufe die Treppe hoch, ohne darauf zu achten, ob die Brüder mir folgen. Ich spüre ihre Anwesenheit hinter mir, ohne mich umsehen zu müssen, und ich weiß noch nicht so ganz, ob ich das gut oder gruslig finden soll.
Vor Gianmarco's Büro halte ich an, und die Jungs bleiben dicht hinter mir stehen. „Ab jetzt liegt's an euch, was passieren wird." Mit diesen Worten klopfe ich zweimal kräftig gegen die Holztür, und trete dann einen Schritt beiseite. Von drinnen hört man wenige leise Flüche, ehe sich schwere Schritte der Türe nähern. Eindeutig Gianmarco. Die Türe öffnet sich, und Giftgrüne Augen fixieren zuerst mich, bevor sie zu Nicola und Raffa wandern.
„Was ist?", fragt Gianmarco nur, und dunkle Ringe zeichnen sich unter seinen Augen ab. Santos muss ihm eine Menge Arbeit bereiten. „Die beiden haben was mit dir zu besprechen", sage ich nur kühl, und nicke zu Raffa und Nicola. „Er hat was mit dir zu besprechen", korrigiert mich Nicola, und nickt zu Raffa. Dieser verdreht erneut die Augen und seufzt. „Ich habe was mit dir zu besprechen, Dad."
Gianmarco, welcher den gleichen Satz jetzt von drei verschiedenen Personen gehört hat, öffnet seine Türe noch etwas mehr und nickt den Jungs zu. „Kommt schon." Ich will mich gerade umdrehen, als ein Räuspern ertönt. „Du auch."
Verwirrt drehe ich mich wieder zu Gianmarco, der auch von seinen Jungs aus großen Augen gemustert wird. „Wieso?", wage ich es zu fragen, und glaube sowas wie Belustigung in Gianmarco's Augen aufblitzen zu sehen.
„Du scheinst die Jungs im Griff zu haben."
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„Also nochmal von vorne. Du und Alexa wart draußen, du hast dich zu deinem Auto gedreht, und als du Alexa wieder ansehen wolltest, war sie weg?" Raffa nickt und sieht seinen Vater an. „Ja. Und da ich stark bezweifle, dass sie abgehauen ist, da sie ja freiwillig hier ist, gehe ich davon aus, dass jemand sie mitgenommen hat. Kurz gesagt – Alexa wurde entführt."
Ich spanne mich an. Erst, als Raffa den Satz Wort für Wort ausspricht, wird mir bewusst, dass es nicht nur einfach ein Witz ist. Alexa wurde wirklich entführt, und wir können nur vermuten, von wem. Meine mittlerweile beste Freundin ist weg, und ich kann nichts daran ändern.
„Ich glaube ich muss nicht noch sagen, dass das ziemlich sicher Santos war, oder?" Nicola sieht uns alle mit erhobener Augenbraue an, und wir schütteln die Köpfe.
„Nein", sage ich nur, und Gianmarco seufzt. „Ich spreche mit Price", sagt er dann, und ich schlucke. Das heißt, Liam wird wohl bald hier auftauchen, und dann geht's erst richtig los, denn dann schlagen wir endlich zurück. „Keiner geht aus diesem Haus raus, ohne mir genau zu sagen, wo er hingeht und was er vorhat. Und ihr bekommt ein GPS-Armband, falls euch doch etwas passieren sollte. Aria, du verlässt das Haus bitte immer noch nicht, wenn sie sogar hinter Alexa her sind, ist die Gefahr für dich schon in unserem Garten zu groß."
Ich nicke nur. „Geht klar", murmle ich, und Gianmarco nickt. „Gut. Jungs, eure nicht geschäftlichen Ausflüge sind bis auf weiteres gestrichen, tut mir leid. Aber ich brauche euch lebendig und hier." Nicola und Raffa seufzen synchron auf, sagen aber nichts. Wahrscheinlich hätte das sowieso nichts gebracht, denn nach wie vor ist Gianmarco hier der Boss.
Ich glaube, nicht mal Amy würde gegen diese Entscheidung ankommen, und das will was heißen.
„Also, hier sind die Armbänder." Der Mafioso schmeißt jedem von uns eins zu, und ich wickle meines um mein linkes Handgelenk. Es lässt sich frei verstellen, was ziemlich praktisch ist, da meine Handgelenke viel dünner sind als die der Jungs. Ich ziehe das Armband an und verschließe es dann, ehe Gianmarco sein Handy an den Ort hält, wo wohl der GPS-Sender eingebaut ist. „Gut, ich hab' dich erfasst", sagt er dann kühl wie immer, und ich nicke.
Das Gleiche tut er noch bei den Jungs, und schlussendlich hat er uns alle auf seinem Handy erfasst. „Ihr könnt gehen." Mit diesen Worten springe ich fast von meinem Sessel auf, und verlasse schnellen Schrittes das Büro. Ohne Umweg verschwinde ich sofort in meinem Zimmer und werfe mich bäuchlings auf mein Bett. Augenblicklich schmerzt mein Kopf, und ich fasse mir kurz an die Stirn.
Durch Santos' Aktion vor ein paar Tagen habe ich eine leichte Gehirnerschütterung, einen knapp nicht gebrochenen Arm, natürlich eine Menge Würgemale und blaue Flecken, davon einen ganz großen am Bauch, wo mich der Typ, der mich erwürgen wollte, zuvor geschlagen hat, als ich mich gegen ihn gewehrt habe. Kurz gesagt ist es ein Wunder, dass ich noch laufen kann, aber irgendwie ist mir meine eigene Gesundheit gerade nicht so wichtig, wie das alles hier. Wir alle haben ein mächtiges Problem.
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„Kann ich kurz mit dir sprechen?" Ich nicke und schaue zu Gianmarco, welcher im Türrahmen meines Zimmers steht. Es verwundert mich etwas, dass er überhaupt fragt, aber wahrscheinlich hat er gerade genug um die Ohren, dass er nicht auch noch daran denken kann, unfreundlich zu mir zu sein.
Gianmarco kommt rein, schließt die Türe und setzt sich auf meinen Schreibtischstuhl. Ich währenddessen hocke mich im Schneidersitz auf mein Bett und lege das Magazin weg, welches ich gerade gelangweilt durchgeblättert habe. Ohne Alexa an meiner Seite ist das hier nicht mal halb so lustig.
„Ich nehme an Nicola hat dich darüber informiert, dass Jamie Price mit seinem Sohn hier auftauchen wird, oder?" Ich nicke nur und starre auf meine Hände. „Jamie Price kommt ursprünglich auch aus Seattle. Sein Sohn heißt Liam und sollte etwa in deinem Alter sein." Ich nicke abermals und hindere Gianmarco daran, weiterzusprechen, indem ich die Hand hebe. „Ich kenne die Familie Price. Liam ist mein bester Freund seit Kindestagen."
Eine Weile starrt Gianmarco mich nur verdutzt an, ehe er langsam nickt. „Aha", sagt er dann nur immer noch etwas überrascht, und ich schmunzle innerlich. Seinen Gesichtsausdruck sollte ich fotografieren, denn ich bin mir sicher, ihn eine Zeit lang nicht mehr zu sehen. Gianmarco Salvatore ist fast nie verdutzt.
„Warum wusste ich das nicht?"
Ich zucke mit den Schultern. „Nicola wusste es, weil ich ihm mal von Liam erzählt habe. Ich nehme an, es ist, weil nie jemand gefragt hat, ob ich überhaupt Freunde habe – oder hatte – in Seattle? Immerhin wurde ich ja nicht mal nach meiner Familie gefragt." Ich kann den kleinen Vorwurf in meinem Ton nicht unterdrücken, aber irgendwie tut es gut, mal so mit Gianmarco sprechen zu können.
Dieser sieht mich nur eine Weile aus seinen einschüchternden, giftgrünen Augen an, ehe er den Blick senkt. „Ich weiß, dass du mich auf Grund dessen, was ich dir angetan habe nicht ausstehen kannst, aber-"
„Nein, stopp. Ich kann dich auf Grund deines Verhaltens mir gegenüber nachdem du mir all das angetan hast nicht ausstehen. Obwohl, nicht ausstehen trifft es nicht ganz. Ich hatte lange Angst vor dir. Ich hatte Todesangst, um genau zu sein. Tagelang. Ich weiß nicht, ob ich dich ausstehen kann oder nicht, da ich bisher kaum etwas von dir kenne. Aber sagen wir mal so – ich war immer froh, wenn wir uns einfach aus dem Weg gehen konnten."
Ich schlucke und hoffe, dass das nicht zu grob und direkt war. Ich weiß schließlich noch nicht, wie Gianmarco jetzt zu mir steht, und ob er mich immer noch einfach so umbringen würde. „Du erinnerst mich an Alexandra", sagt Gianmarco leise, und mustert mich prüfend. „Sie war genau wie du." Ich schlucke nur bei der Erwähnung ihres Namens und frage mich, was sie wohl gerade denkt. Wie es ihr geht, ob sie überhaupt noch lebt, und wenn, ob es ihr gut geht oder nicht.
„Es fällt mir nicht leicht, Leuten zu vertrauen. Und da du jedes Motiv der Welt gehabt hättest, um uns zu verraten, sobald wir dir etwas mehr Freiheit geben, musste ich mich fast so verhalten. Ich wollte nichts riskieren. Als du angefangen hast Nicola und Raffa vor der Polizei zu schützen, obwohl das deine Chance gewesen wäre, uns zu verraten, habe ich langsam angefangen zu verstehen, dass wir ein zweites Mal ein Mädchen mit einem guten Herzen entführt haben. Du denkst an alle anderen, bevor du an dich denkst."
Gianmarco sieht mich noch eine Weile lang an, während ich etwas sprachlos auf dem Bett sitze. Er hat genau das auf den Punkt gebracht, was in mir vorgeht, und es macht mir fast Angst. Wie kann ein Mann, der mich wochenlang so sehr gemieden hat, trotzdem so gut hinter meine Fassaden sehen?
„Ich bin nicht so kalt und oberflächlich, wie es vielleicht scheint", antwortet mir Gianmarco auf meine stumme Frage, und mir kommt wieder das Gespräch mit Alexa vor ein paar Wochen in den Sinn, wo sie mir erklärt hat, wie das alles hier für sie war. Wie Gianmarco und Nicola plötzlich ganz anderes geworden sind, als dass sie gegen außen schienen. Ich nicke nur und seufze leise.
„Wann kommen Jamie und Liam?", frage ich dann, und schaue zu Gianmarco auf. „Sie sollten heute Abend landen." Ich nicke stumm, und starre wieder auf meine Hände. „Wir werden Alexa finden", sagt Gianmarco leise, und als ich seinen Blick, der aus dem Fenster gerichtet ist, sehe, bin ich mir sicher, dass er selbst in Gedanken ist. „Und Santos wird dafür büßen, was er getan hat."
Er sieht wieder zu mir, und er lächelt leicht. „Auch, wenn Amy mich anfangs wirklich überzeugen musste, ich glaube, dich am Leben zu lassen war nicht die schlechteste Idee, die ich bisher hatte. Die Jungs mögen dich."
Ich lächle ungläubig bei diesen Worten, und am liebsten würde ich heulen. Gianmarco steht auf und öffnet meine Türe. Kurz bevor er mein Zimmer ganz verlässt, dreht er sich jedoch nochmals zu mir um. „Bitte verletz Nicola nicht."
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Uuund Alexa ist weg. Wo denkt ihr, dass sie ist?
- xo, Zebisthoughts
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