THREE - Du bist nicht Amy - ✔️
Aria POV
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Da steht ein Junge.
Und der Junge ist nicht Raffael, nicht Gianmarco und auch keiner der beiden Gorillas, die mit mir im Van waren.
Da steht ein Junge, der nicht viel älter als ich sein dürfte, und er starrt mich überrasch und genervt an.
„Du bist nicht Amy", ist der erste Satz, der mir rausrutscht, und Gianmarco Junior hebt eine Augenbraue.
„Nein, offensichtlich nicht", sagt er dann, und seine Stimme ist tief, und trieft nur so vor Spott.
Ich schaue mir den Jungen weiterhin ziemlich genau an, und mir fällt auf, dass seine Haare ebenfalls pechschwarz sind. Und sein Verhalten mir gegenüber geht momentan auch eher in Richtung seines Vaters, was ihm in meinem Kopf noch mal den Namen "Gianmarco Junior" verpasst.
„Wer bist du?" Die Frage stellt er mit ziemlich viel Abneigung in der Stimme, und ich hätte die größte Lust, mich ebenfalls stur zu stellen. Aber jetzt gerade würde ich nur den Kürzeren ziehen, und das will ich auf keinen Fall. Also richte ich mich etwas auf und blicke dem Jungen geradewegs in die Augen. „Aria", ist alles, was ich sage, und nicke dann vorsichtig zu ihm. „Und du?"
Gianmarco Junior dreht sein Glas zwischen Daumen und Zeigefinger auf der Theke hin und her, und das kratzende Geräusch übertönt die Stille zwischen uns etwas, was mir mehr als nur gelegen kommt. Ich glaube man könnte meinen Herzschlag sonst an den Wänden widerhallen hören. „Nicola."
Das ist alles, was der Junge sagt, und erst nach einigen Sekunden kapiere ich, dass das eine Vorstellung war. Ich nicke nur, und schaue mich im Raum um. Er ist ziemlich groß, und wie der Rest des Hauses modern eingerichtet. Ich glaube, wenn jemand ein Küchengerät sucht, findet er hier garantiert drei Varianten davon. Meine Mutter würde hier drin ausflippen - ich eher weniger. Ich kann nicht gut kochen, und erst recht nicht backen, was ich an meinem letzten Geburtstag wieder mal mit Bravour unter Beweis gestellt habe.
„Was machst du hier?"
Ich schrecke auf und schaue wieder zu Nicola, der immer noch unverändert an der Theke lehnt. „Dein Vater und seine Männer hatten die geniale Idee, eine Geisel zu nehmen, und deine Mutter hat mit Raffa dafür gesorgt, dass ich nicht an Ort und Stelle umgelegt werde." Nicola hebt eine Augenbraue und seufzt. „Also noch ein Hausmädchen", murrt er nur, und ich verdrehe die Augen. Gerade will ich was sagen, als die Türe erneut aufgestoßen wird. „Vielleicht sind wir nur Hausmädchen, aber die Sorgen jetzt dafür, dass du deinen ekelhaften Arsch von der Theke schwingst und dich verziehst."
Ein Mädchen mit dunkelblonden Haaren und braunen Augen kommt neben mir zum Stehen, und stemmt vorwurfsvoll die Hände in die Hüfte. Nicola verdreht bei ihrem Anblick nur stöhnend die Augen, erhebt sich dann aber tatsächlich und verlässt ohne einen weiteren Kommentar die Küche. Ich drehe mich etwas ungläubig wieder zu dem Mädchen um, welches mich interessiert mustert. Dann hält sie mir die Hand hin und lächelt breit.
„Ich bin Alexandra, aber bitte nenn mich nur Alex. Oder Alexa, solange du keine Witze darüber machst." Ich lächle und nehme Alexas Hand. „Keine Angst, so geschmacklos bin ich nicht. Ich bin Aria, und irgendwie habe ich das Gefühl, das schon zum fünften Mal heute zu sagen." Alexa lacht, und es ist ein helles, fröhliches Lachen. Sie kann unmöglich mit Gianmarco und seiner lebenden Kopie Nicola verwandt sein.
„Wie kommst du hierher?" fragt mich Alexa, und ich seufze. „Ich bin eine Geisel. Und du?" Mein Gegenüber sieht mich kurz mitleidig an, ehe sie auf sich selbst zeigt. „Ich war mal eine Geisel." Ich ziehe verwirrt die Augenbrauen zusammen. „Wenn du eine Geisel warst, was tust du dann noch hier?" Alexa lächelt mich breit an.
„Ich habe mich der Familie angeschlossen. Vertrau mir, die sind eigentlich ganz nett. Gianmarco hat zwar irgendwie 365 Tage pro Jahr seine Tage, aber wenn du mal eine Art Beziehung zu ihm aufgebaut hast, ist er gar nicht mal mehr so schlimm. Und meistens meint er nicht persönlich, was er sagt, sondern will sich einfach nur irgendwo abreagieren."
Toll, und wo genau an mir hängt jetzt das Schild, welches es Gianmarco erlaubt, sich an mir abzureagieren?
Alexa scheint meine leichte Ungläubigkeit zu bemerken und lächelt sanft. „Ich weiß, es hört sich ungläubig an. Aber du kannst mir vertrauen. Hey, Lust, dass ich dir später was über die Familie erzähle?" Ich schlucke und sehe mich um. „Eigentlich gerne, aber das wäre ja auch nicht so förderlich, wenn ich hier noch raus will." Alexa sieht mich aus großen Augen an und seufzt dann. „Es tut mir leid Kleine, aber hier kommst du nicht mehr raus."
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Alexa und ich sitzen einander gegenüber und essen. Ich sitze auf der Kochinsel in der Mitte der Küche, und Alexa sitzt auf der Theke, an die Nicola sich vor wenigen Stunden angelehnt hat. Eigentlich wollten wir mit dem Rest der Familie essen, doch Gianmarco hat solch ein Drama gemacht, dass ich mich in die Küche verdrückt habe. Als Zeichen des Streiks ist Alexa, die eigentlich am Tisch essen darf, mir nachgelaufen, und hat sich mit mir hingesetzt.
Ich weiß nicht wieso, aber obwohl ich sie erst etwa zwei Stunden kenne, mag ich dieses Mädchen. Sie hat Feuer unterm Arsch und scheint nicht wirklich Angst vor Gianmarco oder seinen Jungs zu haben. Die beiden Jugendlichen kommandiert sie ja sogar noch rum, was ich mit großen Augen und geöffnetem Mund mitangesehen habe.
„Wie lange bist du hier?"
Alexa sieht auf und scheint dann kurz zu überlegen. „Geisel war ich etwa ein Jahr. In der Familie bin ich auch etwa ein Jahr, also bin ich ungefähr seit zwei Jahren hier." Ich nicke, und schaufle mir die nächste Gabel meines Essens rein. Typisch italienisch gibt es Pasta, und ich bin heilfroh, denn die sind einfach zuzubereiten. „Gewöhnt man sich schnell an alles hier?" Alexa nickt, und stellt ihren leeren Teller neben sich auf die Theke.
„Sehr sogar. Es macht einem fast Angst, aber andererseits ist es auch gut. Es gibt dir einen geregelten Tagesablauf, an den du dich gewöhnt hast, und er ändert sich fast nie. Glaub mir, bald wirst du hier umhergeistern als wäre es nie anders gewesen." Ich nicke langsam und hüpfe dann von der Insel, um mit Alexa zusammen schon mal das erste Geschirr abzuwaschen.
„Wurde dir wehgetan?"
Meine neue Freundin schüttelt den Kopf und schluckt. „Nein,nicht wehgetan. Ich saß nur einen halben Tag in der Schiesshalle hier gegenüber fest, weil Gianmarco mich ganz am Anfang loswerden wollte. Er hat mich aber unterschätzt, und derjenige, der mein Mörder hätte sein sollen, lag tot am Boden. Als Gianmarco das gesehen hat, durfte ich wieder reinkommen, und weiterhin hier leben." Ich hebe eine Augenbraue und schnappe mir ein Tuch zum Abtrocknen. „Du hast den umgelegt? Einfach so?"
Alexa lacht leise, und nickt. „Ja, einfach so. Ich habe langjährige Kampfsporterfahrung, die mir da ziemlich gelegen kam." Ich nicke anerkennend, und seufze. „Nicht schlecht", sage ich dann, und fange an, das Geschirr zu verstauen. Ich glaube, ich würde in so einer Situation schon nur vor Angst krepieren, und meinen Mörder schlussendlich durch Eigenarbeit doch nicht zu meinem Mörder machen. Ich würde ihm die ganze Arbeit abnehmen, und einfach tot umfallen.
Eine Weile arbeiten Alexa und ich uns schweigend durch den Haufen Geschirr, und in der Zwischenzeit ist Nicola kurz mit noch mehr Geschirr in die Küche gekommen, welches er mir mehr oder weniger mit einem unbeteiligten Blick vor die Nase gehauen hat. Am liebsten hätte ich die gerade frisch abgewaschene Pfanne genommen und sie ihm um die Ohren gehauen, doch ich halte mich zurück und versuche weiterhin, so wenig Aufruhr wie möglich zu erzeugen.
Bevor ich hier nicht jeden kennengelernt habe und bisschen weiß, wie die Leute hier ticken, werde ich ganz bestimmt nicht meine richtige Persönlichkeit aus dem Sack lassen, und das nicht nur aus Eigenschutz.
„Was hältst du bisher so von der Familie?" Alexa sieht mich erwartungsvoll an, und ich hebe eine Augenbraue. „Das Oberhaupt dieser Familie hat mich entführt und mir mein normales Leben entrissen. Ich werde wahrscheinlich nie mehr nach Hause können, um meine Freunde und meine Familie zu sehen, nie auch nur in die Nähe einer Uni kommen, und dazu gibt es schon zwei Personen, die mich nicht leiden können. Und das innerhalb von ein paar wenigen Stunden. Ich könnte mir keine bessere Familie vorstellen."
Ich verziehe keine Miene, unterdrücke meine Tränen mit Gewalt, und rubble wütend weiter auf dem Teller rum, damit er endlich sauber wird. Ich bin so auf meine Arbeit fokussiert, dass ich mich zu Tode erschrecke als sich zwei Arme um mich legen, und ich den Teller dabei fast in die Luft schmeiße.
Alexa drückt mich fest an sich, und langsam lege ich den Teller weg, um meine Arme ebenfalls um das Mädchen zu legen. „Es tut mir leid, was passiert ist", murmelt Alexa, und fährt mir kurz durch die Haare. „Das Erlebnis ist schrecklich, ich weiß. Das ganze Leben wird einem auf einen Schlag entrissen, und plötzlich sitzt du an einem Ort fest, an den du nie wolltest, in einer Familie, zu der du nie auch nur in die Nähe wolltest."
Ich schlucke den Kloss in meinem Hals runter und verbiete es mir, jetzt zu weinen, da ich weder Gianmarco noch Nicola die Genugtuung machen will, mich weinen zusehen, falls gleich einer von ihnen reinplatzen sollte. „Es tut einfach weh daran zu denken, dass meine Freunde und meine Familie wohl gerade die Nachricht erhalten, dass ihre Tochter von der Mafia entführt wurde", flüstere ich, und schlucke.
Malia, Jeremy und Liam werden am Boden zerstört sein. Vor allem Malia. Sie ist sowas wie meine bessere Hälfte, und ich habe sie um mich, seit ich denken kann. Es gab keine Sekunde in meinem Leben, in der sie nicht meine Schwester war, und ein Leben ohne sie kann ich mir nicht vorstellen. Liam kenne ich auch schon seit dem Kindergarten. Er wohnt nur ein paar Häuser weiter, und früher haben immer alle gesagt, wir würden zusammenkommen.
Dass Liam schwul ist, wusste da noch niemand. Für uns gehört Liam zur Familie, soviel steht fest. Er verbringt fast mehr Zeit bei uns als bei sich zu Hause, aber da seine Eltern sowieso kaum da sind, stört es sie auch nicht. Sie sind sogar froh darüber, dass ihr Sohn bei uns gut aufgehoben ist.
Ich denke an meine Eltern, und frage mich, wie die wohl reagieren werden. Bei Mom kann ich mir gut vorstellen, dass sie unter Tränen versuchen wird, so positiv wie möglich zu denken, während mein Vater wahrscheinlich am längsten von allen brauchen wird, um es zu verarbeiten. Er wird sich in die Arbeit stürzen, da bin ich mir sicher.
„Ich verstehe das so gut, Kleines. Aber vertrau mir, so wie ich Amy kenne, wird sie deine Eltern irgendwie anonym wissen lassen, dass es dir gut geht. Jedenfalls hat sie das bei mir getan." Ich nicke nur, und löse mich von Alexa, als sich Schritte der Küche nähern. Schnell widmen wir uns wieder der Arbeit, doch als es nur Raffa ist, der mit einem breiten Grinsen die Küche betritt, atmen wir kurz erleichtert aus.
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„Denkst du, du kannst schlafen?" Ich zucke mit den Schultern, und zupfe an meiner Decke rum. Alexa hat sich an mein Bett gesetzt und mustert mich besorgt. Nach der Küchenarbeit habe ich mich in mein Zimmer verdrückt und geweint, bis ich mich irgendwann ins Bett gelegt habe. Eben ist Alexa kurz reingekommen, um nach mir zu schauen, und als sie meine depressive Haltung entdeckt hat, ist sie nicht mehr von meiner Seite gewichen.
Raffa steht mir gerunzelter Stirn im Türrahmen und beobachtet Alexa dabei, wie sie meine Hand fest drückt, und dann abermals die Arme um mich legt. „Es wird alles gut, vertrau mir", murmelt sie, und als wir uns wieder lösen, lächelt sie mich breit an. Ich lächle etwas schüchterner zurück, und Raffa schmunzelt. „Braucht ihr mich noch?" Alexa sieht kurz zu ihm und schüttelt den Kopf.
„Nein, alles gut. Geh schlafen, morgen wird anstrengend." Raffa nickt und lächelt mir kurz zu, ehe er verschwindet. Nicola habe ich den restlichen Abend nicht mehr gesehen, aber die Musik aus seinem Zimmer - welches sich natürlich gegenüber meinem befindet - hat mir seine Anwesenheit bestätigt. Als Raffa seinem Bruder damit gedroht hat, ihm die Lautsprecher um die Ohren zu jagen, hat Nicola Gott sei Dank auf Kopfhörer umgestellt, weshalb es jetzt schön ruhig ist.
Alexa steht langsam auf, und ich seufze leise. „Du weißt, wo ich schlafe, falls etwas sein sollte. Gute Nacht, Aria." Ich erwidere ihr Lächeln so gut es geht, und als sich die Türe schließt, lasse ich mich erschöpft ganz in mein Bett fallen. Ich werde hier also nie mehr rauskommen, und zwei Feinde habe ich auch noch. So habe ich mir das mit dem etwas spannenderen Leben eigentlich nicht gewünscht.
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Ich mag Alexa xD
Was haltet ihr bisher so von Nicola und Raffa?
- Xo, Zebisthoughts
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