THIRTEEN - Bye bye, Seattle - ✔️
Aria POV
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„Sie sind da."
Raffa geht vom Fenster weg und sieht uns alle an. Ich nicke nur langsam und seufze, ehe ich aufstehe und mich in die Küche verdrücke. Alexa und ich haben einen kleinen Snack vorbereitet, da Gianmarco und Amy eine lange Fahrt hinter sich haben. Es ist um genau zu sein halb zwölf abends. Meine Augen fallen fast von selbst zu, doch ich werde mir vor Gianmarco ganz bestimmt nichts anmerken lassen. Der sucht sicher schon förmlich nach einem Grund, um mich zur Schnecke zu machen, weshalb ich ihm so wenig wie möglich von mir und meinem Verhalten zeigen möchte. So findet er auch nur wenig.
„Ich helfe dir", höre ich Alexa hinter mir, was mir zeigt, dass sie mir gefolgt ist. Sie folgt mir eigentlich immer, wenn ich in die Küche gehe, weil sie nicht will, dass ich alleine alle Aufgaben erledigen muss. Deshalb folge ich ihr eben auch, weil es umgekehrt auch nicht so sein soll. Wir sind jetzt ein Team, und dazu noch ein ausgesprochen gutes, wenn ich das so sagen kann.
Ich nicke nur und mache Alexa etwas Platz, damit sie die Frischhaltefolie über den Schälchen mit Snacks entfernen kann. Im Hintergrund hören wir, wie die Haustüre geöffnet wird, und direkt darauf einen glücklichen Lacher, der nur von Amy stammen kann. „Meine zwei kleinen Küken", sagt sie ziemlich laut, und als ich verstehe, dass damit Nicola und Raffa gemeint sind, schmunzle ich. Dass ich mit diesem Namen am Ego von beiden Söhnen kratzen kann steht klar, und ich werde diese Waffe ganz bestimmt mal einsetzen.
„Wo ist sie?" Gianmarco's Stimme jagt mir wie immer einen Schauer über den Rücken, und ich zucke fast etwas zusammen. „Sie holt mit Alexa die Snacks", vernehme ich Raffas Stimme, und schlucke. War ja klar, dass Gianmarco als erstes wissen will, was seine Geisel macht. So als würde ich ohne seine Anwesenheit einen Tannenbaum kaufen, ihn schmücken, mich an ihn dranhängen und dabei Stille Nacht kreischen.
Ich schüttle innerlich nur den Kopf und stelle erneut fest, dass man hier drin nicht mal auch nur den Hauch einer Weihnachtsstimmung feststellen kann, weshalb ich auch völlig ausblende, dass es Dezember ist. Für mich ist hier irgendwie jeder Tag gleich, und mein Zeitgefühl ist ziemlich stehen geblieben. Es könnte Juni sein, und ich würde mich genau gleich fühlen. Nur meine Kleidung verrät, dass es kalt ist, und die weiße Schneedecke, die sich in den letzten Tagen über Seattle gelegt hat, beweist mir, dass es Winter ist.
Ich nehme zwei Schüsseln in die Hand und warte dann, bis Alexa auch so weit ist, ehe wir zu zweit die Küche wieder verlassen und ins Wohnzimmer gehen, wo der Rest der Familie auf uns wartet. Sobald ich den Raum betrete, hängen diese furchteinflößenden, grünen Augen an mir, und ich schlucke. Plötzlich fällt mir jeder Schritt schwer, und ich lenke meine gesamte Konzentration darauf, jetzt nicht zu stolpern. Dadurch kann ich den Mafiaboss auch etwas ausblenden, und schlussendlich schaffe ich es, die Snacks unversehrt auf das kleine Tischchen zu stellen.
Ich meide Gianmarco's Blick so gut es geht, da ich sonst wohl an Ort und Stelle vor lauter Unbehagen im Boden versinken würde, und drehe mich um, um das Zimmer wieder zu verlassen. Ich wurde von Gianmarco noch nie länger als fünf Minuten im selben Raum wie er geduldet, weshalb ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, ihm generell aus dem Weg zu gehen, außer er braucht etwas. Ich glaube, damit ist uns beiden gedient, denn er kann mich nicht ausstehen, und ich kann ihn nicht ausstehen. Was also will man mehr?
„Bleib hier."
Gianmarco's Stimme ist rau, und ohne dass er meinen Namen erwähnt - wobei ich mir nicht mal sicher bin, ob er sich den überhaupt gemerkt hat - spüre ich irgendwie sofort, dass er mit mir spricht. Ich drehe mich langsam wieder um, und schaue Gianmarco diesmal doch an. Er schluckt und zeigt auf einen leeren Sessel.
Was bei mir gerade so abgeht?
Mir fallen fast die Augen aus dem Kopf.
Gianmarco Salvatore, auch bekannt als der Mafiaboss der USA, will, dass ich, auch bekannt als seine verhasste Geisel, mich im gleichen Raum wie er auf einen bequemen Sessel setze, und hierbleibe. In welchem falschen Film bin ich gelandet? Ich räuspere mich leicht und komme der Aufforderung nach, doch wirklich entspannen kann ich mich in dem Sessel nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmen kann.
Schließlich ist es erstens mitten in der Nacht, und eigentlich sollten wir alle schlafen, zweitens sieht auch Amy nicht gerade glücklich aus, und drittens glaube ich nicht, dass Gianmarco mich einfach aus Nettigkeit hier haben will. Das kann einfach nicht sein, so sehr ändert sich kein Mensch innerhalb von paar Tagen. Und dann erst recht keiner, der so wie Gianmarco ist.
„Wir müssen was mit euch besprechen", fängt Gianmarco dann auch schon an, was meine Vermutungen bestätigt: irgendwas ist los. Nicola, der halb schlafend auf dem Sofa hängt, öffnet wieder seine Augen und sieht seinen Vater abwartend an. Raffa stoppt seine Hand, die einen Keks umklammert hält, vor seinem Mund und hält Inne. Alexa hebt eine Augenbraue, und ich? Ich hoffe auf die Neuigkeit des Jahrhunderts. Zum Beispiel, dass Gianmarco für längere Zeit weggehen muss oder so.
Gianmarco sieht uns alle einmal an, um sicherzugehen, dass er unsere Aufmerksamkeit hat, und nickt dann. „Jemand von Santos' Spionen hat es geschafft, uns auf die Schliche zu kommen. Wir müssen hier also so schnell wie möglich raus, bevor er unseren Wohnort ermitteln kann. Das wäre sowas wie unser Aus." Ich schlucke und starre den Mann mit diesen pechschwarzen Haaren erschrocken an. Wir müssen hier weg, was so viel heißt, wie „du wirst deine Familie erst recht nie mehr sehen, weil wir jetzt weit weg ziehen".
„Müssen wir sie wirklich mitnehmen?", fragt Raffa, und nickt zu mir. „Sie hat hier Familie, Dad. Wenn wir wegziehen, ist sie noch weiter von ihr entfernt." Gianmarco schüttelt nur den Kopf. „Aria kommt mit, fertig." Okay, er hat sich meinen Namen gemerkt. In mir spüre ich, wie sich langsam Tränen aufbauen, und ich schlucke hart, um sie etwas aufzuhalten. „Packt eure Sachen, ihr habt eine halbe Stunde. Dann treffen wir uns alle wieder hier unten." Jeder nickt, und wir fangen an, auszuschwärmen.
Ich renne die Treppe fast hoch und verschwinde so schnell wie möglich in meinem Zimmer, wo die erste Träne über meine Wange rollt. Wir ziehen weg. Noch weiter weg von meiner Familie als sowieso schon. Noch weiter weg von der klitzekleinen Chance, dass ich doch wieder nach Hause kann. Irgendwann. Unter Tränen fange ich an, meine wenigen Sachen zusammenzuraufen, und sie auf mein Bett zu legen. Da ich nicht viel habe brauche ich nur zehn Minuten dafür, und gerade als ich fertig bin, klopft es leise an meiner Türe.
Ich wische mir die Tränen mit dem Ärmel meines Pullovers weg und öffne dann langsam die Türe. Vor mir steht Amy, und als sie mich sieht sehe ich deutlich, wie sie die Tränen zurückhalten muss. „Ich habe dir zwei große Taschen gebracht damit du deine Sachen verstauen kannst", sagt sie leise, und hält mir die Säcke hin. Ich nicke und zwinge mich zu einem leichten Lächeln. „Danke", murmle ich dann, und will wieder in meinem Zimmer verschwinden, als Amy mich sanft am Arm aufhält.
„Aria, ich weiß wie hart das für dich gerade sein muss und ich kann mich nicht oft genug bei dir für meinen Mann entschuldigen. Aber du musst wissen, dass du bei uns sicher bist, solange du uns folgst. Im Moment hat Gianmarco wesentlich größere Probleme als ein neues Mitglied in unserem Haushalt, weshalb er gar nicht erst darüber nachdenken kann, dir auch nur vielleicht was anzutun. Und außerdem würde ich das sowieso nie zulassen. Ich denke es ist wichtig, dass du das weißt. Wir wollen dir nichts Böses und momentan ist das hier der sicherste Ort, an dem du sein kannst."
Ich nicke nur leicht und schlucke. Es ist beruhigend zu wissen, dass Amy mich vor ihrem Mann schützen kann, und ich hoffe einfach inständig, dass Gianmarco mich irgendwann akzeptieren wird. Das ist alles, was ich mir von ihm erhoffe. Akzeptanz. Keine enge Freundschaft oder so. Ich will einfach nur akzeptiert werden, was unter anderem auch beinhaltet, dass ich am gleichen Tisch essen darf. Es sind vielleicht nur kleine Dinge, wie diese, die ich mir wünsche, aber sie bedeuten mir in meiner Situation unglaublich viel.
„Danke", murmle ich erneut, und Amy geht lächelnd wieder in ihr Zimmer. Ich mache mich daran, den Haufen Kleider in eine der Taschen, und den Rest meiner Sachen in die andere zu packen, und schlussendlich bin ich so gut wie bereit zur Abreise. Ein letztes Mal setze ich mich vor mein Fenster und genieße den Ausblick auf die entfernten Wolkenkratzer von Seattle. Innerlich verabschiede ich mich von meiner Familie, die ich wohl wirklich nie mehr wiedersehen werde. Und dann greife ich nach meinen Taschen, obwohl ich noch nicht bereit dazu bin, und verlasse mein Zimmer.
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„Aria, du fährst mit Nicola. Alexa, du mit Raffael, und Amy mit mir. Der Rest fährt mit eigenen Autos und dem Van."
Ich schaue zu Nicola, der nur nickt und dann auf sein Auto zugeht. Bevor sie bei Raffa einsteigt nimmt Alexa mich kurz in den Arm, und seufzt dann. „Ich wünsche dir mal viel Glück für die Fahrt", schmunzelt sie, und ich verdrehe die Augen, ehe ich meine Taschen packe und Nicola hinterhereile. Dieser hat den Kofferraum seines Autos schon geöffnet, und nimmt meine Taschen entgegen. Ich mache es mir auf dem Beifahrersitz so bequem wie möglich und warte dann darauf, dass Nicola seine Sachen ebenfalls verstaut hat und einsteigt, damit wir fahren können.
Gianmarco's Range Rover braust als erster davon und verschwindet irgendwann in der Dunkelheit, und kurz darauf folgt ein schwarzer Van und ein kleiner Personenwagen, der wohl einem der beiden Gorillas gehört, die bei meiner Entführung dabei waren. Dann fährt Raffa ebenfalls davon, und kurz darauf setzt Nicola sich auch in sein Auto.
„Wie lange fahren wir?", frage ich sofort, und der Italiener sieht zu mir. „Um die vierzehn Stunden." Ich reiße die Augen auf und drehe mich zu Nicola. „Das ist mehr als ein halber Tag!" Nicola nickt und startet den Motor. „Richtig. Mathe kannst du."
Ich starre Nicola an. Es scheint ihm nichts auszumachen, dass wir so lange Fahren, und ich frage mich, ob er das wohl schon öfters machen musste. Immerhin kann es ja immer wieder mal vorkommen, dass die Mafia plötzlich aufgespürt wird. Ich lehne mich wieder in meinen Sitz zurück und starre aus dem Fenster. Vierzehn Stunden sind verdammt lange.
„Bleiben wir lange dort?" Ich schaue wieder zu Nicola, der mit den Schultern zuckt. „Wir kommen immer nach einer gewissen Zeit wieder nach Seattle zurück. Das ist unser Zuhause. Aber bis es sicher genug ist, dauert es meistens eine Weile. Hängt davon ab, wer oder was die Gefahr ist." Ich nicke nur langsam und spiele mit meinen Händen. Ich komme also irgendwann wieder zurück nach Seattle.
Aber wann? Und wie lange wird es dann dauern, bis wir wieder abhauen müssen? Und wohin fahren wir überhaupt?
Ich gähne verhalten und lehne meine Stirn gegen die angenehm kühle Fensterscheibe. „Schlaf ruhig, es ist mitten in der Nacht und wir werden uns abwechseln müssen." Ich nicke nur langsam und seufze. Das einzig Positive an dieser Fahrt: ich kann schlafen, ohne von Gianmarco gestört zu werden.
Ich schaue kurz zu Nicola, der konzentriert auf die Straße vor sich schaut, und schließe dann wieder die Augen. „Halten wir zum Frühstück an?", frage ich, und warte auf meine Antwort. „Wenn du das willst. Wann denn ungefähr?" Ich zucke mit den Schultern und gähne erneut. „Keine Ahnung. Neun Uhr wie immer? Dann verliert keiner den Rhythmus." Nicola nickt. „Bitte weck mich sobald du müde wirst. Ich will nicht noch in einen Unfall oder so verwickelt werden, nur, weil du am Steuer eingeschlafen bist."
Nicola schmunzelt leicht und nickt dann. „Geht klar. Und jetzt schlaf endlich, du wirst deine Energie später zum Fahren noch brauchen." Ich nicke, lehne mich im Sitz zurück, und schließe die Augen. Gute Nacht, Alptraum.
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Soo, die Salvatores sind jetzt also auf der Flucht vor Santos.
Wo denkt ihr, dass sie hinfahren?
- Xo, Zebisthoughts
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