SEVENTEEN - Eine Bürste als Warnung? - ✔️
Nicola POV
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Ich starre gedankenverloren aus dem Fenster, während Aria neben mir ruhig ein und ausatmet. Sie schläft schon seit sicher zwei Stunden in meinen Armen, und ihr Haar kitzelt mich ganz leicht an der Schulter. Eigentlich war es eher ein Witz meinerseits sie zu umarmen, doch dass das kleine, freche Mädchen tatsächlich in meinen Armen einschlafen würde, hätte ich nicht gedacht.
Ich hätte eher damit gerechnet, kastriert zu werden.
Ich seufze leise und lege meinen Kopf wieder in ihre Halsbeuge, und versuche erneut, einzuschlafen. Doch meine Gedanken schweifen immer wieder zu unserer Situation ab, und ich frage mich, wie ich Aria da heil rausbringen kann. Santos ist hinter uns her, und natürlich hat er sich mich als sein erstes Opfer ausgesucht. Ich bin der Jüngste der Familie und habe noch am wenigsten Erfahrung, auch wenn ich gut bin.
Ich frage mich wieso Dad wollte, dass Aria mit mir fährt, wenn er doch wusste, dass Santos sich mich schnappen wird. So wird Aria auch auffliegen, und dann haben wir erst recht ein Problem. Doch all das weiß Aria nicht, und ich will verhindern, dass sie irgendwie erfahren kann, in welcher Gefahr wir beide schweben. Ich habe keine Ahnung, wie wir morgen weiterfahren sollen, ohne wieder mindestens einmal flüchten zu müssen. Entweder vor der Polizei oder vor Santos.
Obwohl ich Aria meistens nicht wirklich lange leiden kann, habe ich das Gefühl sie schützen zu müssen. Vielleicht liegt es daran, dass sie sich gegen ihre Freiheit entschieden hat, nur um mich vor der Polizei zu schützen, was ich immer noch nicht verstehe. Sie wurde entführt, ihr wurde alles entrissen, und sie muss mir nicht mal was sagen und ich weiß, dass sie ihre Familie schrecklich vermisst.
Raffa hat mir erzählt wie sie immer vor dem Fenster saß und die Häuser von der Space Needle bis zu ihrem Zuhause gezählt hat, und auch wenn ich nur die Schultern gezuckt habe, hat sich irgendwas in mir doch etwas dazu erbarmen lassen, einen kleinen Funken Mitgefühl mit dem kleinen Mädchen zu haben. Was mich noch viel mehr überrascht, ist, dass sie mir scheinbar vertraut. Sie steigt zu mir ins Auto obwohl sie weiß, dass ich oft drastische Ausweichmanöver einsetzen muss, bei denen auch nur der kleinste Fehler unseren Tod bedeuten könnte, und lässt mich fahren.
Oder noch viel krasser – sie führt diese Manöver auf meine Anweisungen hin selbst aus, obwohl ihr die Angst ins Gesicht geschrieben steht. Obwohl ich das Zittern ihrer Hände am Steuer deutlich bemerkt habe, und ihre Knöchel, die weiß hervorgetreten sind, während sie das Steuer umklammert hielt. Und bei allem, was ich jetzt aufgezählt habe, frage ich mich – warum? Warum tut sie das? Wir sind die Mafia. Sie könnte uns sofort auffliegen lassen, wenn sie wollen würde. Doch sie tut es nicht.
„Ich will nicht, dass jemand für die Taten eines anderen büßt", sagt sie leise, und ich schaue ganz zu ihr rüber. Wie meint sie das? Ich gehöre doch genauso dazu. Ich bin auch ein Salvatore.
„Dein Vater und seine beiden Gorillas haben mich entführt, also sollten auch sie dafür büßen. Glaub mir, ich hätte da drin den größten Zirkus veranstaltet, wenn sie mit mir einkaufen gefahren wären. Aber du bist nicht dein Vater und auch keiner der beiden Männer. Und ich denke nicht, dass du in dem Moment, in dem mir eine Waffe an den Kopf gehalten wurde, überhaupt wusstest, was passiert und dann dafür entschieden hast, mich mitzunehmen. Hätte ich auf mich aufmerksam gemacht, wärst du aber am Arsch gewesen."
Ich schüttle nur leicht den Kopf und fahre mir mit meiner freien Hand über die Augen. Dieses Mädchen hat ein viel zu großes Herz für diese Welt, und regt in mir nur deswegen umso mehr den Drang an, sie zu schützen. Dieses große Herz könnte immensen Schaden erleiden, wenn es in die falschen Hände gerät, und ich will nicht sagen, dass ich der Richtige bin um es zu schützen, aber ich werde mein Bestes geben. Aria hat die letzten Wochen genug erlebt mit ihrer Entführung, und auch wenn ich gegen außen ein Arschloch sein kann, und oft auch bin, gibt es sowas wie Mitgefühl in mir.
Auch ich habe ein großes Herz, genauso wie mein Vater. Wir alle haben ein großes Herz, nur zeigt jeder es auf seine eigene Art und Weise. Dad zeigt es nur uns gegenüber, Raffa zeigt es eigentlich jedem, der uns nicht schaden will, oder uns nicht schon geschadet hat. Mom ist gut zu jedem, sogar zu Santos, außer er schadet Raffa, Dad oder mir. Dann wird sie zum Teufel höchstpersönlich, und glaubt mir, das will keiner erleben.
Dann ist da Alexa, die anfangs unglaublich still war. So still, dass ich mich oft gefragt habe, ob sie überhaupt jemals mehr als nur zwei Worte pro Tag mit mir wechseln wird. Doch dann ist sie aufgeblüht und hat langsam aber sicher angefangen, mit uns zu sprechen, Witze zu reißen und sich ernsthaft für uns und für das, was wir machen, zu interessieren. Obwohl ich immer noch verschlossen bin ihr gegenüber, ist sie mir trotzdem etwas ans Herz gewachsen, vor allem als sie sich für uns entschieden hat, als Amy ihr eine Möglichkeit geschaffen hatte, zu ihrer Familie zurückzukehren. Für mich ist sie ein Teil der Familie, und ich glaube sie weiß, dass ich sie mag, auch wenn ich es nie zeige.
„Wieso schläfst du nicht?"
Ich schrecke etwas auf, als ich Arias leise Stimme vernehme, und schlucke. „Wieso schläfst du nicht?", frage ich zurück, und Aria seufzt leise. Das tut sie immer, wenn ich oder jemand anders an ihren Nerven zerre, und da das Geräusch ziemlich süß klingt, mache ich es extra. „Ich habe bis eben geschlafen, bin aber aufgewacht", sagt Aria dann leise, und anhand ihrer noch nicht sehr koordinierten Stimme erkenne ich, dass sie nicht lügt. Naja, bis eben war ihre Atmung auch extrem gleichmäßig.
„Und jetzt du."
Ich reibe mir erneut kurz die Augen und mache Aria etwas Platz, als sie sich in meinen Armen zu mir dreht. Trotz der Dunkelheit kann ich das leichte Funkeln ihrer blauen Augen sehen, die mich jetzt gerade anstarren. „Ich kann einfach nicht schlafen", sage ich nur, und behalte für mich, dass ich die ganze Zeit nach einem Weg suche, sie heil aus der Situation zu bekommen. Sie heil nach San Francisco, und irgendwann wieder zurück nach Seattle zu bekommen.
„Einfach so?"
Aria sieht mich prüfend an, und ich nicke. „Ja, einfach so. Komm, schlaf jetzt weiter. Morgen ist ein anstrengender Tag." Aria nickt nur und gähnt dann verhalten. „Nur, wenn du auch schläfst." Ich schmunzle und schaue das störrische Mädchen vor mir an. „Vertrau mir, ich schlafe gleich." Aria lächelt nur leicht und macht es sich dann auf meiner Brust bequem. Ihre kleine Hand legt sie über meinen Bauch, als wäre ich ein Teddy, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Aria halb schläft. Sie würde das nie bei vollem Bewusstsein tun.
Ich lege meinen Arm vorsichtig um Arias kleinen Körper, und schließe dann ebenfalls die Augen.
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„Es ist viel zu früh."
Aria steht mit verschränkten Armen vor mir, und ich seufze nur geschafft. „Aria, wir müssen jetzt los. Pack deine Sachen zusammen." Mit einem Schmollmund verlässt Aria das Wohnzimmer und verschwindet in unserem Schlafzimmer, wo ich kurz darauf höre, wie sie leise vor sich hin flucht, und mir wohl gerade alle möglichen Todesarten wünscht. Ich grinse nur leicht vor mich hin und setze mich dann auf das Sofa. Meine Sachen habe ich schon gestern Abend wieder einigermaßen zusammengepackt, und meine Tasche steht fertig vor der Türe.
„Nicola!" Ich stehe seufzend wieder auf und bleibe im Türrahmen zu unserem Schlafzimmer stehen. „Ja?" Aria läuft hektisch im Raum umher und scheint etwas zu suchen. „Wo ist meine Bürste?" Ich hebe eine Augenbraue und werfe einen Blick auf das Zimmer. Es sieht aus wie ein Saustall, und ich frage mich, wie lange die Zimmermädchen brauchen werden, um das hier wieder in Ordnung zu bringen.
„Keine Ahnung", sage ich nur, als ich auf den ersten Blick keine Bürste entdecke, und Aria bleibt kurz stehen um mich genervt anzusehen, und passiv aggressiv zu schnauben. „Ja, auf den ersten Blick hatte ich auch keine Ahnung. Los hilf mir zu suchen. Sonst kommen wir hier nie weg." Ich schließe kurz die Augen und murre irgendwas, ehe ich mich langsam in das Zimmer wage und direkt einem Kissen ausweiche, welches Aria achtlos weggeworfen hat, um weiter diese bescheuerte Bürste zu suchen.
Ich schiebe mich an ihr vorbei ins Badezimmer und fange an, die Schränke auszuräumen, doch auch da finde ich keine Bürste. Nachdem ich das ganze Badezimmer auf den Kopf gestellt habe, lehne ich mich wieder im Türrahmen an und räuspere mich. „Hier ist sie nicht", sage ich dann nur, und Aria sieht aus, als würde sie gleich einen Nervenzusammenbruch erleiden. „Aber sie muss doch irgendwo sein", murmelt sie, und hebt die Decke an. „Bürsten lösen sich nicht einfach in Luft auf."
Ich schmunzle und hebe dann eine Augenbraue. „Und wenn wir dir unterwegs eine Neue kaufen?" Aria schüttelt nur den Kopf und dann die Kissen. „Nein, nein. Nein, das geht nicht." Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Wieso sollte das denn nicht gehen? Es ist doch nur eine Bürste. Ist das Teil etwa aus Gold, oder was?
„Und wieso nicht?", frage ich deshalb nach, und Aria setzt sich erschöpft auf das Bett. „Sie gehört Alexa." Ich nicke langsam und fahre mir kurz durch die Haare. Aria blickt traurig auf das Chaos um sie herum, und irgendwie würde ich das Bild gerade gerne festhalten. Ein komplett verwüstetes Zimmer, und in der Mitte ein kleines, unschuldiges Mädchen, das jedoch für all das Chaos verantwortlich ist.
„Was siehst du mich so nachdenklich an?" Aria legt den Kopf schief, und sieht zu mir. Ich schüttle nur den Kopf und schaue weg. „Nichts. Ich habe nur darüber nachgedacht, wo die Bürste sein könnte." Aria nickt langsam und legt sich dann ganz hin. „Alexa wird mir nie wieder Dinge von ihr anvertrauen", sagt sie mit einem dramatischen Unterton, und ich lache fast laut los. „Aria, setz dich auf und sieh mich mal an." Aria schüttelt nur den Kopf und schließt die Augen. „Stur bist du auf jeden Fall", murmle ich und gehe auf sie zu, packe sie an den Schultern und richte sie auf.
„Augen auf."
Störrisch öffnet Aria ein Auge, und ich schmunzle leicht. „Es ist eine Bürste. Alexa hat mindestens fünf von den Teilen. Sie wird dir vergeben, ganz sicher. Und jetzt komm, wir müssen los." Aria nickt langsam und sieht sich nochmal um. „Es kann einfach nicht sein", murmelt sie nur, und verlässt mit ihren Taschen langsam das Zimmer. Ich schaue mich ebenfalls nochmal um, doch die Bürste ist wie vom Erdboden verschluckt.
Zwar ist es absurd, aber irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass das kein Zufall ist. Jemand war in unserem Zimmer, und auch wenn es nur eine Bürste ist – ich verstehe die Warnung mehr als nur deutlich.
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„In 500 Metern rechts abbiegen." Die weibliche Stimme des Navis dirigiert mich durch die Stadt, in der wir übernachtet haben, und ich werfe einen flüchtigen Blick zu Aria. Wir haben ihr eben eine neue Bürste gekauft, und fahren jetzt weiter Richtung San Francisco. Mom hat schon dreimal angerufen, um sicherzugehen, dass es uns auch wirklich gut geht. Sie sind natürlich alle schon heil angekommen, nur ich darf mich hier mit Santos rumschlagen.
Ich schüttle nur leicht den Kopf, während Aria damit beschäftigt ist, die anderen Autos zu mustern, und verpasse fast die Straße, in die ich einbiegen muss. Ich reiße das Steuer etwas unelegant rum, und Aria sieht langsam zu mir. „Kommt davon, wenn du nicht auf die Straße siehst."
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Denkt ihr auch, dass das eine Warnung war?
Uuund das hier ist das erste Kapitel aus Nicolas Sicht :3 Wie fandet ihr es?
- Xo, Zebisthoughts
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