FOURTY-TWO - Wo zur Hölle bist du? - ✔️
Aria POV
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„Was ist da passiert?" Panisch kommt meine Schwester mit Felina im Schlepptau auf uns zu gerannt, und ich zucke bloß mit den Schultern, während es immer wärmer wird. „Es gab eine Explosion." Ich drehe mich zu Liam um, der mit eiserner Miene in die Richtung sieht, aus der die Wärme immer schneller zu uns strömt. Ich folge seinem Blick, und tatsächlich kann ich weit hinten Flammen ausmachen, die sich langsam die Wände hochzüngeln.
„Wir müssen hier raus."
Liam packt meinen Arm und nimmt Malia an die Hand, die wiederum Felina's Hand umklammert hält, und fängt an, in Richtung Ausgang zu laufen. „Stopp!" Ich bleibe abrupt stehen, und Liam sieht mich verwirrt an. „Was denn? Aria, wir sollten hier wirklich raus, bevor alles in Panik ausbricht und wir womöglich noch verbrennen oder so." Ich schüttle den Kopf und schaue mich panisch um. „Jeremy ist nicht da", stelle ich fest, und raufe mir die Haare.
Ich kann meinen Bruder nirgends ausfindig machen, und sehe deutlich die Flammen im Hintergrund, die immer wie näher kommen. „Scheisse, ich kann Jeremy nicht sehen!" Bevor jemand nach mir greifen kann, stürze ich mich in die Menge der panischen Schüler zurück, und kämpfe mich gegen den Strom nach vorne. Tränen der Panik steigen mir in die Augen, und wie durch eine Blase höre ich, wie jemand meinen Namen ruft, doch ich ignoriere es einfach.
Ich muss meinen Bruder finden, das ist alles, was zählt.
Der Rauch wird immer wie dicker, und ich halte mir den Stoff meines Kleides vor den Mund, in der Hoffnung, er würde die Luft wenigstens etwas filtern. Schüler drehen sich verwundert zu mir um, laufen dann jedoch einfach weiter, zu besorgt um ihr eigenes Leben, um sich um ein Mädchen zu kümmern, welches womöglich gerade ihrem Tod entgegenrennt.
Immer wieder rufe ich den Namen meines Bruders, doch nirgendwo kann ich seine dunklen Haare sehen. Nirgendwo erkenne ich seinen Anzug, den er sich heute extra von Dad geliehen hat, damit er wie ein wahrer Gentleman hier auftauchen kann. Er hat sich so unglaublich auf diesen Ball gefreut, und ich will alles daransetzen, dass er nicht darin endet, dass ich meinen Bruder in einem Feuer verliere.
„Wo zur Hölle bist du?", flüstere ich leise zu mir selbst, und bleibe mit zittrigen Beinen stehen, als ich in unmittelbarer Nähe vor dem Feuer stehe. Tränen rollen über meine Wangen, während ich anfange, zu husten. Immer wie stärker reizt der Rauch meinen Hals, und immer wie mehr lässt er meine Augen tränen. Doch der Fakt, dass mein Bruder inmitten einer Explosion unauffindbar ist, steht über allem, was jetzt passieren könnte.
Meine Augen zucken unruhig durch den ganzen Saal, bis sie am Feuer hängenbleiben. Und dann tut sich mir eine Idee auf. Eine Idee, die mir gar nicht gefällt, und die wirklich sehr schlecht enden könnte. Doch ich muss wissen, ob Jeremy vielleicht vom Feuer umzingelt ist, und meine Hilfe braucht, oder ob er vielleicht sogar schon tot ist. Oder ob er fliehen konnte.
Kurz gesagt: Ich muss da rein.
„Aria was tust du denn da?" Ich drehe mich nicht zu Liam um, der schnaufend und hustend neben mir zum Stehen kommt. „Ich muss da rein", schreie ich, und versuche Liams Arm abzuschütteln, der sich um meinen Bauch geschlungen hat, und mich gegen seine Brust drückt. „Lass mich los Liam, ich muss da rein!"
Ruckartig hebt mein bester Freund mich hoch, und ich fange an, zu husten. „Aria, falls Jeremy dort drin sein sollte, kannst du ihm nicht helfen, okay? Überlass das der Feuerwehr. Schau, dort sind schon etliche Männer, und sie werden Jeremy bestimmt finden. Beruhige dich, Aria. Bitte beruhige dich. Du brauchst deine Luft noch, du holst dir hier eine Rauchvergiftung." Ich schüttle nur immer wieder hustend den Kopf, doch gebe den Protest gegen Liam irgendwann erschöpft auf.
Liam hetzt den ganzen Weg, den ich mir eben nach vorne gekämpft habe, wieder zurück, und das Feuer entfernt sich von Meter zu Meter. Und so auch meine einzige Chance auf Gewissheit. Gewissheit, ob mein Bruder noch da ist oder nicht. „Ich will nicht", wimmere ich leise, und klammere mich an Liams Arm, der mich fest umschlossen hält. Liam legt noch einen Arm unter meine Kniekehlen, und trägt mich so auf beiden Händen aus dem Saal, und kurz darauf aus dem Schulgebäude raus, während ich mein Gesicht in seiner Schulter vergrabe und weine.
Die meisten Schüler haben das Gebäude schon verlassen und wurden medizinischem Personal zugewiesen, weshalb wir sofort in Empfang genommen werden. „Aria Davis?" Da ich nicht auf die fremde Stimme reagiere, nickt Liam bestätigend, und setzt sich langsam wieder in Bewegung. Als ich meinen Kopf hebe, erkenne ich mehrere Krankenwagen und Feuerwehrautos, und eine Frau, die vor uns direkt auf einen Krankenwagen zusteuert. Sie ist wahrscheinlich auch diejenige, die eben meinen Namen gesagt hat.
„Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass Mrs. Davis sich eine Rauchvergiftung zugezogen hat. Und bei Ihnen besteht diese Möglichkeit auch, Mr. Price." Die Frau sieht uns kurz ernst an, doch keiner von uns beiden sagt was dazu. Wir betreten das Innere des Krankenwagens, und Liam setzt mich auf die Patientenliege, wo ich direkt an verschiedenen Monitoren angeschlossen werde.
„Sie müssen meinen Bruder finden."
Meine Stimme ist nur ein Flüstern, und außerdem noch halbwegs erstickt von Tränen und Rauch, doch die Ärztin versteht mich trotzdem, und sieht mich aufmerksam an. „Ihren Bruder?" Ich nicke, und beiße mir auf die Unterlippe, um nicht völlig in Tränen auszubrechen. „Wo ist denn Ihr Bruder?" Die Frau hat eine beruhigende Stimme, und ich glaube es liegt nur daran, dass ich noch nicht völlig durchgedreht bin.
Mein ganzer Körper zittert, und ich fühle mich, als würde er gleich aufgeben. Meine Augen zucken unruhig hin und her, in der Hoffnung, plötzlich Jeremy zu entdecken. Doch er ist nicht da. „Ich weiß es nicht, er war kurz vor der Explosion noch da, und dann war er weg. Ich muss ihn finden, bitte, lassen Sie mich da rein, ich muss wissen, wo er ist und ob es ihm gut geht, bitte!" Die Ärztin schüttelt den Kopf, geht in die Hocke und legt ihre Hände auf meine Knie, während ich immer wie hektischer werde und anfange, mit den Händen in der Luft rumzufuchteln.
Liam legt eine Hand auf meine Schulter, und sieht mich verzweifelt an. „Hey, hören Sie mir zu." Ich schüttle nur den Kopf und versuche aufzustehen, doch Liam hält mich auf und drückt mich an sich. „Ich muss da rein", flüstere ich immer wieder, und versuche mich von Liam zu lösen, doch dieser hält mich fest umklammert. „Aria, bitte beruhigen Sie sich. Da drinnen sind viele gute Feuerwehrleute, die Ihren Bruder bestimmt finden werden. Haben Sie Vertrauen."
Ich versuche, mich an die Worte der Ärztin zu klammern und versuche, mich zu beruhigen, doch die Sorge um meinen kleinen Bruder frisst mich förmlich auf. Ich will auf keinen Fall, dass ihm etwas passiert. Er ist gerade mal fünfzehn, er hat noch sein ganzes Leben vor sich. Er ist seit etwas mehr als einem halben Jahr an der Highschool, er hat noch fast nichts erlebt. Er hat noch nie den berühmten Abschlussball erlebt, und auch den Senior Sunrise und Senior Sunset wird er erst in ein paar Jahren sehen.
Ich möchte nicht, dass meinem Bruder all diese tollen Erlebnisse genommen werden.
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„Das kann doch nicht sein!"
Malia fährt sich gestresst durch die Haare, während sie vor uns auf und ab tigert. Wir sind immer noch vor dem Schulgebäude, welches schlussendlich zu einem Viertel abgebrannt ist. Der Ballsaal ist Geschichte, und auch einige Klassenräume sowie die Schulkantine werden neu aufgebaut werden müssen. Jedoch können wir von Glück reden, dass die Labore nicht betroffen sind, denn dort stehen natürlich auch einige explosive Dinge rum.
Doch all das könnte mir nicht egaler sein, denn auch zwei Stunden später weiß niemand, wo Jeremy ist.
Das ganze Gebäude wird seit Stunden von mehreren Teams durchkämmt, doch weder er noch eine Spur von ihm wurde gefunden. Es ist wie als wäre mein Bruder vom Erdboden verschluckt. Mittlerweile ist meine Panik etwas abgeflacht, jedoch macht sich stattdessen eine merkwürdige Leere in mir breit, und ich kann förmlich spüren, wie mir alles egaler wird. Alles außer Jeremy.
Inzwischen haben sich auch einige Polizisten vor der Schule versammelt, da man davon ausgeht, dass das hier ein Anschlag war. Seit etwa einer Stunde laufen die Ermittlungen auf Hochtouren, und sobald es möglich ist, wird auch ein Spürhund in das Gebäude gelassen. Liam ist zu uns nach Hause gefahren, um meine Eltern zu informieren, und um ein getragenes Kleidungsstück von Jeremy mitzunehmen, welches wir dem Spürhund vorhalten können.
Mom und Dad sind natürlich sofort zur Schule gekommen, und sitzen jetzt mit dem ähnlich leeren Gesichtsausdruck wie ich vor dem Gebäude, und warten. „Malia, bitte komm wieder her und setz dich", bittet mein Vater ruhig, und meine Schwester kommt seiner Bitte tatsächlich nach. Liam lehnt neben mir am Krankenwagen und hat die Arme vor der Brust verschränkt, während er mit einem missmutigen Blick zur Schule sieht.
„Mrs. Davis?" Malia, Mom und ich stehen auf, und der Polizeibeamte ist kurz etwas vor den Kopf gestoßen. Dann räuspert er sich, und richtet seine Brille. „Tut mir leid, ich meine Aria Davis", sagt er dann, und ich nicke. „Könnte ich kurz mit Ihnen sprechen?" Erneut nicke ich, und folge dem Polizisten, der sich etwas von den Leuten entfernt. „Gibt es etwas Neues zu Jeremy? Haben Sie ihn gefunden?"
Meine Stimme hört sich kratzig, belegt, ja sogar fremd an. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal was getrunken habe, geschweige denn, wie viel Rauch ich eingeatmet habe. Laut den Ärzten ist es nicht so schlimm wie anfangs erwartet, doch es fühlt sich an, als wäre meine Lunge nicht mehr wirklich vorhanden, sondern nur noch eine einzige, große Rußwolke. „Ja und nein. Jeremy wurde noch immer nicht gefunden, weder als Leiche noch lebendig. Ihr Bruder ist nicht hier."
Die Worte des Beamten verwirren mich zuerst. Ich runzle verwirrt die Stirn, und schüttle den Kopf. Wie, er ist nicht hier? Er war doch mit uns beim Ball. Er war da.
„Das kann nicht sein", murmle ich leise, und schüttle den Kopf. „Nein, das ist unmöglich. Jeremy war hier, er ist mit Malia und mir auf den Ball gekommen. Er muss hier irgendwo sein." Der Polizist seufzt und nickt dann langsam. „Ich weiß, Mrs. Davis-"
„-Aria. Bitte nennen Sie mich bloß Aria, ich mag es nicht sonderlich gesiezt zu werden."
Der Beamte nickt, und fährt fort. „Also, ich weiß, Aria. Jedoch hätten wir ihn irgendwo finden müssen, und das haben wir nicht. Das Feuer wurde zu schnell gelöscht, um einen Körper ganz verbrennen zu lassen, also hätten wir im schlimmsten Fall immer noch eine Leiche finden müssen, doch das haben wir nicht. Wir haben jede kleinste Ecke, jeden Spind durchsuchen lassen, aber Jeremy war nicht aufzufinden."
Ich schüttle abermals nur ungläubig den Kopf, und reibe mir mit den Händen kurz übers Gesicht. „Und wieso sagen Sie das nur mir?" Der Beamte sieht mich mitleidig an, und ich würde ihn für den Blick gerne schlagen. Ich hasse es, mitleidig angeschaut zu werden.
„Wir gehen davon aus, dass dein Bruder von den Leuten entführt wurde, die diesen Anschlag ausgeführt haben. Und da die Mafia nicht unbekannt ist für sowas, sind sie verdächtig."
Ich fahre fast aus der Haut, als ich den letzten Satz höre. Das kann er doch nicht ernst meinen, oder?
„Tut mir leid, aber ich habe lange nicht mehr solch eine Scheisse gehört. Was sollten die Salvatores denn für ein Motiv haben?" Der Beamte zuckt mit den Schultern. „Vielleicht wollen sie sichergehen, dass du ganz bestimmt schweigst, indem sie dich erpressen?"
Ich lache ungläubig auf. „Tut mir leid, aber dieses Gespräch hier werde ich nicht mehr weiterführen. Ganze sieben Male durfte ich solche Verhöre über mich ergehen lassen, und auch das achte Mal wird meine Antwort dieselbe bleiben: ich durfte gehen, freiwillig. Für mein eigenes Wohl, meine eigene Sicherheit. Denken Sie etwa wirklich, dass Gianmarco Salvatore mich gehen lässt, damit es mir besser geht, und mir dann meinen Bruder nehmen würde? Glauben Sie mir, und ich meine das ernst. Wenn die Mafia wollen würde, dass ich nichts sage, würde sie sich nicht auf eine feige Art und Weise meinen Bruder holen. Nein, dann wäre ich dran. Die Mafia löst ihre Probleme nicht, indem sie Außenstehende in Mitleidenschaft zieht, haben Sie das verstanden?"
Ohne eine Antwort abzuwarten drehe ich mich um und stapfe davon, während ich mir noch in derselben Sekunde einen Entschluss fasse: ich werde meinen Bruder finden, und dabei ganz bestimmt nicht auf die Polizei vertrauen.
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Jeremy :(
Wer denkt ihr, dass dahinter steckt? Santos ist ja tot...
Und was haltet ihr von der Vermutung der Polizei?
- Xo, Zebisthoughts
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