FIFTY-SIX - Ich bin geliefert - ✔️

Aria POV

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„Es ist besser so." Ich seufze, nicke dann jedoch, da Mom eigentlich Recht hat. Doch ich mag es nicht, schon wieder von meinem Zuhause getrennt zu werden. Diesmal weiß ich zwar, dass ich gut aufgehoben sein werde bei Gianmarco und seiner Familie, doch nirgendwo schlafe ich so gut, wie in meinem eigenen Bett. Fakt.

„Komm schon, sieh es wie Ferien an. Das wird schon, diesmal bist du ja nicht alleine." Malia stupst mich mit ihrem Ellbogen in die Seite, woraufhin ich mir ein Lächeln abringe, und erneut nicke. „Ja, bestimmt", murmle ich nur, und schlucke. Klar freue ich mich darauf, dass Malia auch dabei ist, und außerdem kann ich wieder mit meinem Freund unter einem Dach leben. Und natürlich werde ich dort viel besser beschützt werden können als hier. Aber hier ist nun mal mein Zuhause.

„Seid ihr fertig?"

Malia und ich nicken synchron, und Raffa kommt grinsend auf uns zu. „Na dann mal los. Kommt schon, Dad wartet nicht gerne. Rein da mit euren Koffern." Raffa scheucht uns aus dem Haus, und ich winke meinen Eltern etwas unbeholfen zu, während Malia mich zum Auto zieht. Dort legen wir unsere Gepäckstücke in den Kofferraum, und drücken uns dann auf die Rückbank. Am Steuer sitzt Nicola, der mir durch den Rückspiegel einen aufmunternden Blick zuwirft, und auf dem Beifahrersitz hat Raffa sich eingerichtet.

Wir fahren nur etwa eine Viertelstunde, was bedeutet, dass ich auch jederzeit kurz mal meine Eltern besuchen könnte. Oder sie mich.

Wenig später bleiben wir vor dem mir schon bekannten Haus der Salvatores stehen, und während Malia ihren Mund vor Staunen nicht mehr schließen kann, steige ich schnell aus, und schnappe mir meine Tasche. Dann bleibe ich jedoch trotzdem kurz auf dem Parkplatz stehen, und lasse meinen Blick über das Haus schweifen.

Gemischte Gefühle machen sich dabei in mir breit, und nur ungerne erinnere ich mich dran, wie ich mich hier gefühlt habe. Richtig besser wurde es erst in San Francisco. Hier hängen vor allem die schlechten Erinnerungen, die ich eigentlich erfolgreich verdrängt habe.

Immer wieder spielt sich das erste Mal in meinem Kopf ab, wo ich hier vor dem Haus stand. Raffa hat mich aus dem Auto gehoben, und dabei mir nichts dir nichts erzählt, dass sein Vater der Mafiaboss ist.

Ich habe mich schon so gut wie tot gesehen, und hätte nicht gedacht, dass Gianmarco mich überhaupt lebendig ins Haus lässt.

Und dann kam Amy. Ich muss schon sagen, sie und Alexa waren meine Rettung. Und Raffa natürlich, nur war der nicht so oft da, genauso wie sein Bruder.

Obwohl ich eigentlich glaube, es wäre vernünftig gewesen wenigstens etwas von dem Respekt, den ich vor Gianmarco hatte, vor Nicola zu haben, ist so ziemlich das Gegenteil eingetroffen. Auch wenn Nicola seinem Vater wirklich ähnlichsieht, manchmal fast gruselig ähnlich, hatte ich von der ersten Sekunde an die Nerven, ihn herumzukommandieren.

Offensichtlich hat ihm das nicht gefallen, doch er wird sich mittlerweile wohl damit abgefunden haben.

Niemals hätte ich gedacht, dass ich in ein völlig anderes Leben reingeworfen werde, das mir dann auch noch teilweise gefallen wird. Ja, ich wünschte viele Dinge wären nicht passiert. Doch ich kann und werde nicht so tun, als hätten die Wochen hier und in San Francisco nur schlechte Dinge mit sich gebracht, denn dem ist nicht so.

Ich habe zum Beispiel eine zweite Familie gefunden, einen – wenn auch sehr verpeilten und eifersüchtigen – Freund, der sein Leben für mich geben würde, und ich habe verdammt viel über mein eigenes Leben gelernt.

Vorher habe ich Pläne gehabt, feste Vorstellungen davon, was ich später mal machen werde, und wie alles ablaufen wird. Und heute? Heute ist nichts mehr davon übrig. Heute nehme ich jeden Tag wie er kommt und bin dankbar dafür. Ich habe realisiert, dass auch die schönsten Dinge plötzlich zu Ende sein können, und dass ich immer dankbar für die Dinge sein soll, die ich habe.

Und ich habe mir eingeredet, dass es auch in jeder noch so aussichtslosen Situation eigentlich noch etwas schlechter sein könnte, und ich deshalb an den positiven Sachen festhalten soll. Um genau zu sein hat Gianmarco mir das gesagt.

„Übst du gerade dein Dasein als Baum, oder bewegst du dich auch mal ins Haus hinein?"

Nicolas' Bemerkung reißt mich aus meinen Gedanken, und ich blinzle kurz verwirrt, bis ich in drei grinsende Gesichter schaue. Malia steht mittlerweile neben Raffa und Nicola auf der Veranda, und sieht mich mit einer gehobenen Augenbraue an. „Ich komm ja schon", nuschle ich, schultere meine Tasche und mache fest entschlossen die nächsten Schritte in Richtung des Hauses. In Richtung des Ortes, an dem alles begann.

Obwohl, das war ja eigentlich in der Nähe des Ladens von Mr. Humps.

Wegen Kerzen.

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„Wenn ich bitten darf?" Tyler hält mir die Türe seines Wagens auf, und ich steige schmunzelnd ein. Im Auto hinter uns sitzen Jase und Malia. Wir fahren ab heute mit Jase und Tyler zur Schule und wieder zurück, damit uns auch auf dem Schulweg nichts passieren kann. Vor einigen Tagen hätte ich das noch als völlig überflüssig empfunden, doch mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher.

„Bereit?" Tyler, der mittlerweile hinter dem Steuer sitzt, sieht mich ernst an, und ich nicke, ehe ich tief ein- und ausatme. „Ja, bereit", antworte ich dann entschlossen, und setze mein Pokerface auf.

Ich weiß nicht, ob ich wirklich so bereit bin. Doch wirklich eine Wahl habe ich nicht, denn ich möchte auf keinen Fall, dass alles um mich rum nochmal unter einer Bedrohung leiden muss, die eigentlich nur die betroffenen Personen etwas angeht. Und ich will natürlich auch nicht, dass Elijah Verdacht schöpfen könnte, denn das wäre womöglich fatal.

Obwohl Kay gesagt hat, dass Elijah meinem Bruder wohl kaum was antun würde, bevor ich ihm nicht in die Falle gehe, weiß ich nicht mehr, was ich Elijah zutrauen kann und was nicht.

Seit ich die Wahrheit über ihn kenne kann ich ihn überhaupt nicht mehr einschätzen. Obwohl – das konnte ich ja anscheinend noch nie. Ich weiß nicht, wieso ich ihm nicht angemerkt habe dass er Dreck am Stecken hat. Normalerweise kann man sowas nicht vor mir verstecken. Unmöglich. Mich anzulügen war sinnlos, denn ich bin bis vor ein paar wenigen Tagen noch immer dahintergekommen.

„Du wirst nicht alleine irgendwohin gehen, okay? Auch wenn wir uns so verhalten müssen, als ob alles in Ordnung ist, weißt du, dass es nicht so ist. Wir dürfen uns nichts anmerken lassen, aber ich bitte dich darum, jetzt keine unüberlegten Züge zu machen. Auch wenn ich weiß dass du es nicht magst, beobachtet und beschützt zu werden." Tyler schmunzelt am Ende zwar etwas, doch ich weiß, dass er mir diese Worte nicht aus Spaß sagt. Er meint es ernst, und ich tue das auch.

Und ehrlich gesagt bin ich jetzt gerade ganz froh darum, nicht alleine dazustehen.

„Verstanden", sage ich nickend, und Tyler grinst. „Gut, dann darfst du jetzt aussteigen." Ich betrete mit zögerlichen Schritten das Schulgelände, dicht gefolgt von Tyler, Malia und Jase. Sobald wir Kay und Felina entdecken, die vor dem Eingang auf uns warten, atme ich nochmal tief durch, ehe ich meine Maske richte, und mit entschlossenen Schritten den Schulhof betrete. Was auch immer jetzt kommen mag – ich bin vorbereitet.

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„Irgendwas Auffälliges?" Ich schüttle den Kopf, und während Kay von Jase und Tyler unter die Lupe genommen wird, umarmt Felina mich fest. „Hier auch nicht", raunt sie mir währenddessen ins Ohr, und lässt mich wieder los. Obwohl ihre Stimme ernst klang, lächelt sie mich breit an, was mir zeigt, dass auch ihre Maske perfekt sitzt.

Wir haben den Morgen hinter uns, und treffen uns gerade alle zum Lunch, den wir zum Glück zur gleichen Zeit haben.

Es wäre alles viel komplizierter, wenn ich im ersten Teil wäre, und jemand von uns im zweiten – obwohl Tyler ja alle Kurse mit mir hat. Er hat eigentlich eine Kopie meines Stundenplans bekommen. Ich weiß nicht, wie Gianmarco hinbekommen hat, dass die beiden Jungs ohne auffällig zu wirken genau meine und Malia's Stundenpläne erhalten haben, doch ich muss sagen – er hat gute Arbeit geleistet.

„Lasst uns dort sitzen. Da habe ich alles im Blick." Wir nicken, und Tyler geht vor, während wir uns hinter ihm mit unseren Tabletts durch die Schüler schlängeln. Wie immer ist es hier brechend voll, wodurch es uns einerseits nicht leichtfällt, Elijah zu beobachten, es ihm aber andererseits auch nicht leichtfällt, uns zu beobachten, oder gar unsere Blicke zu bemerken. Zwar denke ich nicht, dass die vielen Schüler ihn ganz davon abhalten, doch immerhin ist es ein Hindernis. Und eines ist besser als keins.

„Sag mal, was muss ich eigentlich tun, wenn ich während des Unterrichts auf Toilette muss? Wie schafft ihr es denn dann, mich zu begleiten?"

Jase hüstelt leicht, während Felina und Malia sich interessiert anschauen, und dann nicken. „Ja, das ist eigentlich eine sehr gute Frage. Rennt ihr dann einfach hinter uns aus dem Zimmer?"

Felina beißt sich auf die Lippe, während Malia es hinkriegt, ein ernstes Gesicht zu behalten. Kay sieht aus, als würde er bald die Nerven verlieren, Jase hustet inzwischen etwas lauter und nicht mehr ganz so gespielt, und sein Bruder schüttelt nur schmunzelnd den Kopf.

„Ihr geht dann einfach nicht", sagt er dann, und ich verschlucke mich diesmal fast wie Jase an meinem Schluck Wasser. „Wie bitte?", lacht Felina, und Malia hebt eine Augenbraue. „Das ist ja wohl ein schlechter Scherz, oder?"

Alle drei Jungs schütteln synchron die Köpfe, und ich stelle energisch meine Flasche auf den Tisch.

„Also ihr Hirne", eröffne ich meine Ansage, und stelle sicher, dass ich die Blicke der Jungs auf mir habe. „Meine Blase hält nicht sonderlich viel von Wartezeiten. Ich kann sie nicht einfach so mal unter Kontrolle halten, und noch weniger kann ich timen, wann sie voll ist. Sollte meine Blase während dem Unterricht also mal die Alarmglocken schwingen, werde ich mich melden, und um Erlaubnis bitten, auf die Toilette zu gehen. Ich piss' mir doch nicht in die Hose, also bitte."

Meine Worte sind klar und deutlich, und die Jungs verstehen schnell, dass ich keine Widerrede dulde. Wenn ich muss, dann muss ich eben.

„Gut", seufzt Tyler dann, und reibt sich kurz die Schläfe. „Dann kommen wir euch eben hinterher. Unauffällig, natürlich. Da Jase und ich neu sind, haben wir den Bonus, dass wir einige Dinge nicht wissen. Wir werden überrascht reagieren und die Lehrperson fragen, ob es denn erlaubt sei, während dem Unterricht auf die Toilette zu gehen. Diese Frage würde sie ja dann bejahen, und dann würden wir sagen, dass wir in diesem Fall auch gerne kurz gehen würden. Sie kann uns das nicht verbieten. Und ihr wartet diese paar Sekunden vor der Türe, wenn ich bitten darf."

Erstaunt darüber, dass die Jungs sich so schnell so einen Plan einfallen lassen haben, nicke ich anerkennend, und trinke erneut einen Schluck. „Gut, das geht klar. Wir und unsere Blasen sind beruhigt."

Tyler wirft mit seiner Wasserflasche nach mir, doch ich ducke mich rechtzeitig, und lache ihn aus, als sie an der Wand hinter mir kaputtgeht, und das ganze Wasser der Wand entlang langsam in Richtung Boden läuft. Selber schuld, wenn er nicht zielen kann.

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„Ist das dein Ernst?"

Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl herum, und nicke dann. „Mhm", antworte ich nur gepresst, und schlucke. Tyler sieht mich ungläubig an, und nickt dann langsam. „Okay, dann... los." Sofort hebe ich die Hand, und halte wenig später einen kleinen Pass darin, der es mir erlaubt, während des Unterrichts außerhalb des Klassenzimmers zu sein. Ich husche aus dem Klassenzimmer, gehe wie abgemacht etwa drei Schritte den Flur entlang, und trete unruhig von einem Bein aufs andere, während ich dort dann auf Tyler warte.

Vielleicht war es keine so gute Idee, meine Wasserflasche auszutrinken, und dann ohne einen Gang auf die Toilette direkt in die nächste Stunde zu gehen. Ich hätte denken sollen.

Ich höre, wie Tyler sich nähert, und seufze erleichtert. „Ich dachte schon du kommst nie", bemerke ich murrend, und drehe mich leicht genervt zu Tyler um. Jedoch erstarre ich am ganzen Körper, als nicht Tyler vor mir steht.

Seit Tagen spüre ich diesen Blick auf mir. Und jetzt habe ich ihn vor mir. Er bohrt sich in meinen, und beschert mir eine Gänsehaut. Er ist nicht gut aufgelegt, und anscheinend bin ich die Zielperson seines Zorns.

Ich bin geliefert.

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Wer das wohl ist...

- xo, Zebisthoughts

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