FIFTY-ONE - Wieso folgst du mir? - ✔️

Aria POV

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Missmutig starrt Nicola aus dem Fenster, und hat seine Beine auf meinem Schreibtisch verschränkt. Ich liege auf meinem Bett, und Raffa ist zusammen mit Liam, Alexa und Jaden weiterhin mit der Liste beschäftigt. Die Erwachsenen sind dabei einen Plan auszuhandeln, damit ich weiterhin normal den Unterricht besuchen kann, jedoch trotzdem sicher bin.

Die Nachricht, dass ich beobachtet werde, hat eingeschlagen wie eine Bombe, und die Ermittlungen nochmals stark verschärft. Jedoch ist es nach wie vor keine Möglichkeit, mich aus der Schule zu nehmen, denn das wäre viel zu auffällig. Und außerdem würde das dazu führen, dass ich das Jahr endgültig wiederholen muss, da ich ja schon mal recht lange gefehlt habe. Und das will ich auf keinen Fall, das wäre für mich die Hölle auf Erden.

„Das ist doch alles eine verdammte Scheisse", flucht Nicola nach langem Schweigen irgendwann leise vor sich hin, und reibt sich übers Gesicht. Er hat die letzten Nächte nicht viel geschlafen, was ich gut verstehen kann. Auch ich habe nicht gut geschlafen, und wenn, dann wurde ich von Träumen geplagt. Mittlerweile fürchte ich mich fast davor einzuschlafen, doch ich bin mir sicher, dass diese Träume verschwinden werden, sobald Jeremy wieder da ist.

„Das ist es", antworte ich meinem Freund, und schließe kurz die Augen. Mein Bett senkt sich neben mir, und kurz darauf schlingen sich zwei Arme um meinen Oberkörper. Ich bette meinen Kopf auf Nicolas Brust, lege ein Bein und einen Arm um ihn, und schließe erneut die Augen. Nicola fährt mit einer Hand leicht durch meine Haare, während die andere an meinem Rücken ruht, und seufzt dann leise.

„Wir konnten heute schon einige Leute von der Liste streichen", brummt er irgendwann, und ich schaue zu Nicola hoch. „Das ist gut", sage ich lächelnd, und entlocke meinem Freund so ebenfalls ein Lächeln. „Ist er immer noch drauf?" Nicola nickt, und ich seufze. „Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen", murmle ich, und runzle die Stirn.

„So gut kennst du ihn ja auch nicht, oder?"

Ich schüttle den Kopf, um den eifersüchtigen Teil in Nicola direkt zu besänftigen.

„Nein, ich kenne ihn nicht sehr gut. Aber trotzdem, bisher konnte ich Leute eigentlich immer sehr gut einschätzen... es würde mich wirklich sehr überraschen. Und ich hätte keine Ahnung, was seine Gründe wären." Eine Weile schweigt Nicola, ehe er mir einen Kuss auf die Schläfe drückt. „Manche Menschen sind eben doch nicht so, wie man sie von außen einschätzt."

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„Dad-"

„Nichts da, Aria. Es wurde so entschieden, und ist für eure eigene Sicherheit. Jeremy wurde schon entführt und du wurdest beobachtet, ich werde nicht davor scheuen, auch Malia zu schützen." Meine große Schwester seufzt nur ergeben, und nickt dann. „Okay, von mir aus. Solange der mir nicht auffällig auf Schritt und Tritt folgt, ist alles okay."

Ich schmolle noch einige Sekunden, ehe ich auch nachgebe. Gianmarco, Jamie und Dad haben sich dazu entschieden, in Malia's und meiner Klasse je einen neuen Schüler einzuschleusen. Um genau zu sein zwei Jungs, die eigentlich Undercover für die Mafia arbeiten, und früher auf Nicola und Raffa in der Schule aufgepasst haben. Ihre Namen sind der Polizei also nicht im Zusammenhang mit der Mafia bekannt, weshalb sie somit ohne große Probleme zu uns in die Schule kommen können.

„Wie heißen die Jungs überhaupt?", frage ich irgendwann interessiert, und schaue fragend zu Gianmarco. „Tyler und Jase", antwortet dieser, und ich nicke. „Tyler wird zu dir kommen, Aria. Jase wird bei Malia in die Klasse kommen. Sie sind Brüder, deren Eltern mal ein paar Geschäfte mit uns gemacht haben. Sie wohnen eigentlich in San Francisco, doch die Jungs waren auch schon mal in New York Undercover unterwegs. Seattle ist also nichts Großartiges für sie."

Ich nicke erneut interessiert, und nehme einen Schluck meines Kakaos, den mir Mom vor kurzem gebracht hat. „Und was ist ihre Begründung, wieso sie mitten im zweiten Semester zu uns kommen?"

Raffa schmunzelt, als er merkt, dass ich es auf ein Kreuzverhör abgesehen habe, und Gianmarco hebt eine Augenbraue. Er mag es nicht, ausgehorcht zu werden, doch mit dieser Bedingung sollte er klarkommen müssen, wenn ich dafür einen Leibwächter auf mich nehme. Ich möchte wenigstens auf alles vorbereitet sein.

„Sie sind mit ihrer Familie nach Seattle gezogen. Ihr Vater wurde von seinem Chef nach Seattle versetzt." Ich nicke zufrieden, da das wohl die beste, unscheinbarste Antwort ist.

„Sehen sie gut aus?"

Nicola verschluckt sich, und fängt an zu husten. Währenddessen schleicht sich ein schelmisches Grinsen auf meine Lippen, denn genau das war die Absicht dieser Frage. „Aria, du musst nicht direkt mit ihnen ins Bett steigen", keucht mein Freund leicht genervt, und ich drehe mich mit einem breiten Lächeln zu ihm um. „Das beruhigt mich aber sehr."

Nicola sieht nur schmollend weg, lässt sich aber von mir einen Kuss auf die Wange geben.

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„Liebe Klasse, ich werde euch gleich euren neuen Klassenkameraden vorstellen. Bitte seid nett."

Ich verdrehe nach diesem Satz die Augen, während ein erstauntes Raunen durch die Klasse geht. Dieses „Seid nett" kann sich wirklich jeder Lehrer sparen, das bringt überhaupt nichts. Und ich denke, das wissen sie auch.

Ein Junge betritt den Raum, und ich hebe den Blick. Ich weiß, dass das Tyler ist, und als er seinen Blick durch die Menge gleiten lässt, entdeckt er mich ebenfalls. Fast unmerklich nickt er mir kurz zu, und ich schlucke, ehe ich ebenfalls leicht nicke. Direkt danach tun wir wieder so, als hätten wir keine Ahnung, wer der andere ist.

„Der ist heiß", murmelt Felina neben mir plötzlich, und ich drehe mich zu ihr um. „Meinst du?"

Meine Freundin sieht mich empört an, und schnaubt. „Aber natürlich! Süße, wo ist dein Geschmack hin?" Ich lasse meinen Blick wieder über Tyler gleiten, und zucke mit den Schultern. „Zugegeben, er sieht nicht schlecht aus", ist alles, wozu ich mich von Felina's Blick breitschlagen lasse, und diese schüttelt nur den Kopf. „Ich glaube, Nicola blockiert deinen Sehnerv", sagt sie fassungslos, und ich verdrehe nur die Augen. „Felina, mit meinem Sehnerv ist alles in bester Ordnung. Er ist nun mal einfach nicht mein Typ, also falls du ihn willst – nur zu."

Ertappt dreht Felina sich wieder nach vorne, und ich kann mir ein kleines Schmunzeln nicht nehmen lassen.

„Das ist Tyler – wie nochmals?" Unser Lehrer sieht Tyler fragend an, und dieser lächelt schief. „Tyler Nowak", hilft er unserem Lehrer auf die Sprünge, und dieser nicht. „Stimmt, entschuldige bitte. Willst du etwas über dich erzählen?" Tyler macht eine wegwerfende Handbewegung, ehe er in die Klasse schaut. „Naja, hat denn jemand eine Frage?"

Sofort heben einige Mädchen die Hand, was Tylers Ego deutlich zu pushen scheint. „Du zuerst", sagt er dann, und zeigt tatsächlich auf Felina. Diese hat ihre Hand nur ganz leicht gehoben, so, dass Tyler sie eigentlich nicht hätte bemerken können. Er ist schon vorher auf Felina aufmerksam geworden.

„Äh... woher kommt dein Nachname?", fragt Felina kleinlaut, und einige platinblonde Barbies in unserer Klasse verdrehen die Augen. „Polen. Mein Vater ist dort aufgewachsen."

Felina nickt lächelnd, und Tyler grinst immer noch schief. „Sonst noch jemand?" Erneut heben einige Mädchen die Hände, und erneut pickt Tyler jemanden heraus, der eher unauffällig wirkt. „Wie alt bist du?", lautet die Frage, und Tyler beantwortet sie mit „neunzehn". Alle weiteren gehobenen Hände der Barbies ignoriert er, und der Lehrer setzt ihn ausgerechnet auf den Platz hinter mir.

Für den Rest der Stunde fällt es mir schwer, mich auf den Unterricht zu konzentrieren, und ich kann Tylers Blick in meinem Rücken spüren. Er brennt fast, und es kostet mich so einiges an Überwindung, um mich nicht einfach zu ihm umzudrehen. Doch ich möchte nicht, dass jemand aus der Klasse die Idee bekommen könnte, dass zwischen uns irgendeine Verbindung ist, nur scheint das Tyler recht egal zu sein.

Genervt stütze ich meinen Kopf auf meiner Hand auf, und schaue aus dem Fenster. Heute regnet es, was ausgesprochen gut zu meiner momentanen Stimmung passt. Um genau zu sein könnten von meiner heutigen Laune fünfzehn Teenager problemlos drei Jahre lang pubertieren.

Ich weiß nicht, wieso genau ich so drauf bin. Ich habe einfach nicht gut geschlafen, die Sache mit Tyler und Jase lässt mich nicht los, und ich mache mir immer noch Vorwürfe wegen Jeremys Entführung. Ich werde das Gefühl nicht los, an all dem Schuld zu sein, und es macht mich wahnsinnig. Zu wissen, dass Jer vielleicht nicht mal mehr lebt, während ich normal im Unterricht sitze, macht mich wahnsinnig.

Ich will etwas unternehmen, nicht einfach nur tatenlos rumsitzen und den Salvatores bei der Arbeit zusehen, doch ich kann nichts machen.

Absolut gar nichts.

Mein eigener Bruder ist meinetwegen in Gefahr, und ich gehe weiterhin normal zur Schule. So sollte es nicht sein, so darf es nicht sein, und doch ist es das Beste für mich, Malia und unsere Sicherheit. Ich würde meine eigene Sicherheit sofort hergeben für meinen Bruder, doch leider stecke ich nicht mehr alleine in der Sache mit drin. Somit würde ich nicht nur mich selbst gefährden, sondern jeden einzelnen, den ich liebe.

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„Ich bin so fertig." Ich stimme Felina nur brummend zu, während wir den Schulkorridor entlanglaufen. Gleich werden wir uns verabschieden müssen, Felina ist nämlich in unserem Cheerleading-Team, und die trainieren gleich. Ich jedoch kann nach Hause, und es gibt keinen Ort, wo ich gerade lieber hingehen würde.

Felina und ich umarmen uns fest, ehe wir getrennte Wege gehen, und ich in meiner Tasche nach meinen Kopfhörern krame. Ich verlasse das Schulgebäude und bin heilfroh darum, dass es wenigstens aufgehört hat, zu regnen. So komme ich immerhin trocken nach Hause.

Ich ertaste meine Kopfhörer und will sie gerade aus meiner Tasche ziehen, als eine Person plötzlich vor mir steht. Mit einem eher uneleganten Schritt zurück versuche ich, mein vor Schreck verloren gegangenes Gleichgewicht wiederherzustellen, und Tyler greift mir helfend unter die Arme, bis ich wieder sicher auf dem Boden stehe.

„Alles gut?" Ich nicke nur, immer noch zutiefst geschockt, und streiche mir eine Strähne aus der Stirn. „Äh, ja, alles gut", murmle ich verstört, und schaue Tyler an. „Ist etwas?", frage ich ihn schlussendlich, und er hebt die Augenbrauen. „Naja, ich dachte es wäre vielleicht keine schlechte Idee, wenn wir uns einander kurz vorstellen würden. Immerhin –"

„- ich weiß, immerhin passt du jetzt auf mich auf und so. Hör mal, meine Laune heute ist nicht gerade zum Brüllen, wenn du verstehst, was ich meine. Ich will ehrlich gesagt einfach nur nach Hause und nie wieder das Haus verlassen. Wir können uns einander gerne vorstellen, aber vielleicht ein anderes Mal, okay?"

Tyler sieht mich eine Weile nachdenklich an, und scheint sich wohl gerade zu fragen, wer die Verrückte vor ihm ist. Dann nickt er, und tritt zur Seite, damit ich an ihm vorbeilaufen kann. „Danke", sage ich leicht lächelnd, und Tyler nickt. „Keine Ursache."

Ich winke kurz zum Abschied, und trete dann meinen Nachhauseweg an. Ich stöpsle mir meine Kopfhörer in die Ohren, und suche nach meiner Lieblingsplaylist, die ich seit Jahren immer wieder erweitere. In dieser Playlist befinden sich alle möglichen Arten von Liedern, egal ob traurig, glücklich, klassisch oder sonst was – ich finde hier drin wirklich alles, wonach ich suche.

Eine Weile laufe ich gedankenverloren vor mich hin, und erwische mich ab und zu mal dabei, wie ich leise mit der Musik mit summe. Da ich jedoch meistens alleine hier unterwegs bin, gibt es niemanden, der dieses peinliche Verhalten sehen könnte.

Doch ich bin nicht alleine, nicht heute.

„Wieso folgst du mir?"

Auch ohne mich umzudrehen, weiß ich, dass Tyler direkt hinter mir steht. Ich spüre seinen Blick wie heute schon mal in meinem Rücken, und ich täusche mich nicht. Tyler schmunzelt als ich mich doch zu ihm umdrehe, und gesellt sich an meine Seite. „Scheint so, als hätten die Salvatores dir wirklich was beigebracht", stellt er fest, und zieht mir einen Ohrstöpsel raus, um ihn sich selbst ins Ohr zu stecken.

„Guter Geschmack", stellt er nach einigen Sekunden fest, und ich schaue ihn mit einer gehobenen Augenbraue an. „Wieso folgst du mir?", wiederhole ich meine Frage von eben, und Tyler seufzt, ehe er mich ernst ansieht. „Aria Davis. Ich wurde von einem Mafiaboss damit beauftragt, auf dich aufzupassen, koste es was es wolle. Glaubst du ernsthaft, dass ich dich dann alleine nach Hause gehen lasse?"

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Erster Eindruck von Tyler?

- Xo, Zebisthoughts

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