Kafkas "Die Verwandlung", wie das Dienstmädchen sie sah

Hierbei handelt es sich um ein ehemaliges Schulprojekt, das ich gerade auf meinem Laptop entdeckt habe. Wer "[d]ie Verwandlung" selbst noch im Deutschunterricht lesen muss, wird hier zum Einen gespoilert, bekommt aber zum Anderen auch einen komfortablen Einblick in den Stoff. Die Dialoge sind eins zu eins übernommen, alles andere entsprang damals meiner Fantasie. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen.

Als ich eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, ging es mir ehrlich schlecht. Ich war Dienstmädchen bei Familie Samsa und wie jeden Morgen, trotz all der lähmenden Müdigkeit, die mich umfing, und dem leichten Schwindel, der mich sofort überfiel, raffte ich mich auf, um das üppige Frühstück vorzubereiten, beziehungsweise die eine Tasse Kaffee, die der junge Herr Samsa immer noch hinunterstürzte, bevor er sich auf den Weg machte, den Fünf-Uhr-Zug zu erreichen.

In der Küche knipste ich das Licht an und setzte einen Kessel mit Wasser auf. Ich holte die kleine goldene Kaffeedose hervor, löffelte etwas Pulver in die Porzellantasse und wartete auf das Pfeifen, während ich eine frische Scheibe Brot abschnitt und sie mit Butter beschmierte. Zwar rührte Herr Samsa sie nie an, doch es gab mir ein gutes Gefühl, das Angebot wenigstens jeden Tag gemacht zu haben.

Mittlerweile war es schon viertel nach vier, der Kaffee ist aufgegossen, aber von Herrn Samsa fehlt jede Spur. Dabei war er doch sonst so pünktlich, denke ich bei mir.

Die Zeiger der Uhr standen auf halb fünf. Vielleicht hat er verschlafen ... Obwohl der Wecker ganz bestimmt um vier in der Früh geläutet hat? Ich habe Herrn Samsa gestern zufällig beim Stellen beobachtet, als ich den Korridor ausfegte. Wenn er nicht bald aufstand, würde er noch seinen Zug verpassen, schließlich dauerte es fünfzehn geschlagene Minuten zum Bahnhof zu laufen, und das in zügigem Tempo, das wusste ich noch von meinem letzten Wochenendbesuch bei Tante Inge, denn ich hatte am Abreisetag getrödelt und wäre beinah zu spät zum richtigen Gleis gekommen.
Als Dienstmädchen, war es mir untersagt, die Zimmer zu betreten, falls sich eins der Familienmitglieder darin befand. Sauber machte ich erst dann, wenn die Familie aus dem Haus war.

Natürlich war ich neugierig, was den pflichtbewussten, jungen Herrn Samsa von der Arbeit abhielt und malte mir aus, wie er womöglich endlich eingesehen hatte, dass die elendige Arbeit in den Fängen der Versicherungsgesellschaft dem Ärmsten sämtliche Freizeit raubte. Auch wirkte er häufig stark erschöpft, sobald er heimkam, wechselte kaum ein Wort mit niemandem, verschwand in seinem Zimmer und tauchte erst zum Abendessen wieder auf, wo er nur wenig zu sich nahm und sich oft schon früh erhob, um sich schlafen zu legen.
Aber er wollte der Familie, der Mutter, der Schwester und dem Vater, ein solches Leben wie ihr jetziges um jeden Preis bieten können. Gesagt hatte er das mir gegenüber noch nicht, aber so schätzte ich ihn ein. Deshalb ackerte er bis in die späten Abendstunden und stand jeden Tag mit der aufgehenden Sonne auf. Es war nun fünf Uhr, der Zug war fort, aber Herr Samsa noch nicht aus dem Haus. Wirklich seltsam, dachte ich und setzte mich an den kleinen, runden Küchentisch.

Es würden noch ein paar Minuten vergehen bevor der Trubel begann und alle anderen aufstanden. Ich schlich vorsichtig, peinlich darauf bedacht ja keinen Laut von mir zu geben, und aus diesem Grunde auch flach atmend, in den leeren Flur.
Nur lauschen wollte ich an der Tür, ob der junge Herr Samsa vielleicht doch schon wach war und sich nur nicht blicken ließ, wieso auch immer ... Nichts.

Ich machte mich auf den Weg, um frische Brötchen vom Bäcker an der Ecke zu holen. Herr Samsa pflegte nach wie vor sein Zimmer nicht zu verlassen und für mich war es nun endgültig Zeit, das Frühstück herzurichten, da bald Mutter, Schwester und Vater des jungen Herrn Samsa erwachen würden.

Ich sollte nicht die einzige bleiben, die sich an diesem Morgen über Gregor Samsas Verhalten wunderte. Als ich vom Bäcker gegen dreiviertel sieben zurückkehrte, stand schon Frau Samsa im Flur und klopfte gegen die verschlossene Zimmertür ihres Sohnes.
„Gregor", rief sie besorgt, „hast du verschlafen? Es ist schon dreiviertel sieben und wir wollen bald frühstücken."
„Es geht mir nicht gut", ertönte prompt die Antwort und so klang sie auch. Seltsam kehlig, als wäre der junge Herr erkältet und heiser.
Ich wünschte Frau Samsa beiläufig einen guten Morgen und begab mich in die Küche. Krank war der junge Herr also. Nun, wer täglich so schuftete, dem ging es in die Knochen. Rasch deckte ich den Esstisch im Wohnzimmer.
„Wünscht der junge Herr Samsa mit ihnen zu speisen?", wandte ich mich mit der Frage, die mir nun schon seit meinem Aufbruch zum Bäcker auf der Zunge brannte, an die blasse Frau Samsa.
„Wirst du mit uns essen, Gregor?"
„Mir ist nicht wohl, Mutter. Ich bleibe lieber noch ein Weilchen liegen."
„Und was ist mit der Arbeit, Gregor? Wirst du hingehen?", wollte sie wissen, wurde aber vom Klingeln an der Haustür unterbrochen.
Davon alarmiert, schaute nun auch scheu die Schwester Greta in den Flur.
Ich öffnete die Tür und sah mich dem Prokuristen gegenüber.
„Guten Morgen, Herr Prokurist", grüßte ich freundlich.
„Guten Morgen", schloss sich auch Frau Samsa an.
„Guten Morgen, Frau Samsa", erwiderte der Prokurist mit kühler Höflichkeit in der Stimme und einem falschen Lächeln im Gesicht.
„Darf ich Ihnen ihren Mantel abnehmen?", murmelte ich schüchtern. Er bedankte sich und verneinte.
„Ich wollte mich nur kurz nach Herrn Samsa erkundigen, weil er heute Morgen nicht wie üblich zur Arbeit erschienen ist."
„Ihm ist nicht wohl, Herr Prokurist, ich kann Ihnen versichern, sonst wäre er bestimmt gekommen, er ist doch sonst immer pünktlich", machte sich Frau Samsa daran, ihren Sohn zu verteidigen.
„Was fehlt ihm denn genau?", fragte der Prokurist, während er ein paar Schritte eintrat.
„Ihm ist flau im Magen", sagte Frau Samsa, „aber Fragen sie ihn selbst. Hier ist sein Zimmer."
„Herr Samsa?"
„O, bitte, Herr Prokurist, mir geht es fürchterlich. Kommen Sie ja nicht herein, sonst stecke ich Sie womöglich noch an."
„Nun, Herr Samsa, so leid es mir tut, aber als Geschäftsmann, wie Sie einer sind, muss man eine solch winzige Übelkeit schon einmal überwinden. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn jeder beim kleinsten Wehwehchen die Arbeit niederlegen würde", tadelte der Prokurist.
„Aber Herr Prokurist, er ist doch wahrhaftig krank, mein Gregor."
„Das mag sein, dennoch muss ich ihnen leider sagen, dass Herrn Samsas Leistungen in den letzten Wochen erheblich nachgelassen haben. Es ist zwar nicht die richtige Jahreszeit, um viele Geschäfte zu machen, trotzdem: Eine Zeit, um überhaupt keine Geschäfte zu machen, bei Leibe, Herr Samsa, die gibt es nicht. Und nun öffnen sie schon die Tür, wenn es ihnen wirklich so schlecht geht, wäre es vielleicht angebracht einen Arzt zu konsultieren.
„Nein!", schnitt der junge Herr Samsa ihm das Wort ab.
„Gregor", grollte der Vater, der ältere Herr Samsa, der bisher lediglich das Gespräch verfolgt hatte, mit tiefer, drohender Stimme, „der Prokurist hat Recht. Jetzt öffne bitte die Tür."
Und da ging die Tür auf. Es verschlug mir die Sprache und ich hörte Frau Samsa, die junge Greta und den Prokuristen spitz aufschreien. Im Nachhinein weiß ich nicht mehr, ob ich selbst auch geschrien habe. Statt dem jungen Herrn Samsa stand ein riesiger Käfer direkt vor unser aller Augen.
Herr Samsa, der ältere, versteht sich, war als erstes wieder bei klarem Verstand. Todesmutig packte er das riesige Insekt und schleuderte es mit Gewalt zurück ins Zimmer. Mit einem lauten Knall schloss sich die Tür ...
Der Prokurist hatte bereits das Weite gesucht. Brüllend wie ein kleines Mädchen war er die Treppen hinunter; beinah hätte er seinen teuren Mantel vergessen.
Im Raum breitete sich bedrückte Stille aus. Alle Anwesenden, mich eingeschlossen, blickten betreten auf die Tür, die das Zimmer des jungen Herrn Samsa mit dem Korridor verband. Nicht krank war er, verwandelt, schoss es mir unwillkürlich durch den Kopf. Nicht heiser klang seine Stimme, animalisch.
„Wir sollten jetzt erst einmal essen", befahl Herr Samsa und beide Frauen spurten ...

Nachdem das Geschirr abgewaschen und die Wäsche aufgehängt war, zog ich mich mit Frau Samsas Erlaubnis in das kleine Kämmerchen zurück, das ich seit nun mehr zwei Jahren, seit meinem Dienstantritt im Hause Samsa, bewohnte. Die Bestie war ganz nah. Die Bestie: So werde ich den jungen Herrn Samsa von nun an nennen, denn das ist er ja nun, eine wahre Bestie als Käfer von solchen Ausmaßen.

In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Die Familie hatte die Zimmertür nicht mehr geöffnet und doch wusste ich, dass die Bestie dazu selbst in der Lage war, ich hatte es gesehen. Wie sollte es mir möglich sein, länger in diesem Haushalt zu arbeiten, wenn doch die Bestie gleich nebenan lauerte? Ich dämmerte weg, schreckte aber sofort wieder auf. Was war das für ein Geräusch? Ein Kratzen? Stand die Bestie vor meinem Kämmerchen?

Ich schreckte aus den wildesten Albträumen auf und stellte mit einem prüfenden Blick auf die Uhr fest, dass ich gerade mal zehn Minuten geschlafen hatte. So würde ich morgen meine Pflichten keinesfalls erfüllen können. Ich würde Frau Samsa bitten, mir auf der Stelle zu kündigen. In dieser Wohnung, Tür an Tür mit der Bestie, war ich nicht sicher. Natürlich brauchte ich das Geld, was würde nur Tante Inge sagen? Aber in ständiger Angst vor der Bestie konnte ich nicht weiter hier wohnen, geschweige denn arbeiten. So etwas durfte und konnte man einem Menschen doch gar nicht abverlangen. Mein Entschluss stand fest: Morgen würde ich die Herrschaften um meine Entlassung anflehen. Eine neue Stelle als Dienstmädchen fände ich bestimmt, vielleicht sogar als Gouvernante in Berlin, wo Tante Inge lebt. Überall auf der Welt könnte ich bleiben, doch niemals in der Nähe dieser Bestie ...

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top

Tags: #blog