All I want this year is for you to dedicate your last breath to me - OS

Thoralf ist bei Mama in der Küche Henry ist bei Carrie im Flur und wo ist Tua? Tja, das wüsste ich gerne. Jedenfalls ist er nicht bei mir. Oder überhaupt in der Nähe der Wohnung im schicken Charlottenburg, in die meine Mutter jetzt mit ihrem frischgebackenen Ehemann gezogen ist.
"Mach dir keine Gedanken", bietet meine große Schwester mir wie aus dem Nichts plötzlich eine riesige Tasse Kakao an, die ich ihr dankbar abnehme. "Du hast selbst gesagt, dass er unfähig zur Pünktlichkeit ist. Er kommt schon noch."
Sie lächelt warm und ich möchte ihr glauben, aber die Wahrheit ist, dass wir wieder mal gestritten haben und es gut sein könnte, dass er einfach keinen Bock auf mich hat und darauf, heile Welt mit mir zu spielen.
Stean hat sich in diesem Jahr gegen ein Weihnachten mit uns entschieden und ist mit seinen Eltern zu seiner polnischen Verwandtschaft gefahren. Das macht mich noch einsamer, als ich es ohnehin bin. Tarik feiert mit Jenn, der Rest meiner Freunde mit der eigenen Familie. Klar feiere ich ebenfalls mit meiner Familie, aber umgebt euch bitte am Heiligabend mit Paaren, wenn ihr Stress mit eurem Freund habt, und ihr werdet schnell bemerken: Das kann einem echt die Weihnachtsstimmung vermiesen.
Verfluchtes Fenster, wieso kann ich es nur nicht lassen, aus dir rauszustarren?!
Die Straße unten ist leer und verlassen, nur einzelne weiße Flocken rieseln herab und hin und wieder hinterlassen kleine Familien Spuren im Schnee, wenn sie ihren alljärlichen Weihnachtsspaziergang hinter sich bringen. Oder genießen. Das Grummeln in meinem Bauch will mir weißmachen, das Letzteres gar nicht richtig möglich ist.

"Carrie?", wende ich mich an meine Schwester, die über etwas lacht, das ihr Freund gerade gesagt hat.
"Was ist denn, Spatz?", dreht sie sich nun zu mir um.
"Ich glaube, er kommt nicht mehr." Die Erkenntnis bricht über mich herein und sorgt dafür, dass mir klitzkleine Tränchen in die Augen steigen, die jeden Moment meine Wangen herabzuperlen drohen.
"Wieso sollte er nicht?", tritt sie an mich ran und streichelt mir zärtlich über die Schultern, die mein schwarzes Strickkleid freilegt; das Kleid hat Tua mir geschenkt, weil es ihm so an mir gefiel.
"Wir hatten gestern Stress und er ist zu sich gefahren und ich habe seitdem nix von ihm gehört."
"Worum ging's denn?", fragt sie mitfühlend.
"Um Idiotisches, wie immer, wenn wir streiten", murmele ich niedergeschlagen. "Nach einem Jahr wollte ich seine Familie ordentlich kennenlernen und habe vorgeschlagen, dass wir nach Reutlingen fahren, aber er wollte nicht und mir sagen, warum er nicht wollte, das konnte er angeblich nicht. Wir haben uns angezickt, bis er abgehauen ist."

Das Klingeln an der Tür überhöre ich fast, weil ich bei der Erinnerung an die Geschehnisse schlucken muss.
"Iara, da ist Besuch für dich", lächelt meine Mutter und hinter ihr betritt wirklich Tua das Wohnzimmer. Ungläubig und erleichtert reibe ich mir die Augen. Bin ich wach? Ein Zwicken verrät, dass ich es theoretisch sein müsste. Er lächelt jetzt auch und kommt langsam auf mich zu. Ich könnte ihn aufhalten, aber das will ich gar nicht. Stattdessen falle ich ihm übermütig um den Hals. Die Anspannung löst sich schlagartig von mir.
"Alles in Ordnung mit dir?", fragt er.
"Und mit dir?", gehe ich nicht darauf ein und wische mir mit dem Ärmel einmal über die Augen.
"Iara." Er drückt mich fest an sich und ich schniefe ein wenig.
"Komm, lass uns kurz reden." Sein Geruch ist einmalig, mein Lieblingsduft, und er vermischt sich mit dem der Tannennadeln gerade in dieser Sekunde.
"Mama, können wir eine Minute in euer Schlafzimmer?", krächze ich.
"Natürlich, mein Engel."
"Danke."

Tua schließt die Tür hinter uns. "Du bist ja völlig fertig. Noch wegen gestern?" Der verständnislose Unterton kränkt mich ein wenig.
"Weswegen denn sonst?", schniefe ich wieder. "Was musst du dich jedes Mal kommentarlos davonmachen?"
Er atmet tief aus, lehnt sich gegen den großen Kleiderschrank und ich falle aufs Bett und bleibe, die Hände flach auf den Knien platziert, sitzen.
"Es ist Weihnachten, oder?", versucht er mich zu beschwichtigen, aber ich schüttele finster den Kopf.
"Okay", beginnt er zögerlich. Er hat kapiert, dass das der einzige Ausweg aus dieser unangenehmen Situation für ihn ist. "Also ich möchte dich ihnen vorstellen, wenn die Zeit reif ist. Meine Eltern konnten sich nie die Namen meiner Freundinnen merken. Jedes Jahr stellte ich ihnen eine Neue vor. Du sollst nicht Teil dieser Reihe namenloser Frauen sein, verstehst du? Sie sollen sich an dich erinnern. Dazu muss ich sie auf die erste Begegnung mit dir vorbereiten. Heute vor ein paar Jahren, habe ich ihnen Mascha vorgestellt, nachdem ich sie monatelang für mich behalten habe. Du bist mein Geheimnis, Iara." Bei diesem Geständnis, das ich schon einmal aus seinem Mund gehört habe, überzieht ein wohliger Schauer meine Haut.
"Und du bist ein größeres Geheimnis als Mascha. Du erforderst eine längere Geheimhaltung."
"Hat das was mit deinem Kontrolltick zu tun?", vermute ich. Ist es ein schlechtes Zeichen, dass ich mich dieser Beziehung auch nach langer Zeit nicht gewachsen fühle? Es wird besser, predigen sie doch ständig. Aber was ist, wenn Tua und ich uns gegenseitig zu sehr einengen? Der gesunde Freiraum, der nötig wäre, ist bei uns schmal bemessen.
"Wahrscheinlich", seufzt er. "Und ... Wenn du unbedingt möchtest, dann besuchen wir sie zu Silvester."
Die Entscheidung gibt mir auf eine positive Art und Weise den Rest. "Du ..." Mein Ärmel ist bereits nass, deswegen lass ich das mit dem Trocknen des Gesichts.
"Was ist mit mir?", grinst er.
"Du bist ein Idiot. Du gehst oft Kompromisse ein, über die wir uns ewig hätten in den Haaren liegen können."
Er setzt sich zu mir und küsst mich sanft am Hals, auf den Knutschfleck, den er mir verpasst hat, als wir vor kurzem rumgealbert haben. Eigentlich ist er überschminkt, aber Tua kennt seine Position offensichtlich genau.
"Das ist meine Aufgabe. Ich bin älter und ich maße mir an, dass ich die Dinge manchmal besser überschauen kann als du, was mich wiederum dafür prädestiniert, Problemlösungen zu finden."
"Rede weniger gebildet, du hast keinen Schulabschluss", haue ich ihn lachend.
"Liebst du mich trotzdem?", knufft er mich in die Seite.
"Sowieso. Irrsinnig", küsse ich ihn.

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