1. Türchen // Verkürzter Adventskalender

Ich fange einfach mal mit der Stephie-Story an. Deine writing prompts folgen.

Steven fragte sich, was eigentlich nicht mit ihm stimmte. Sophies Beine baumelten im Wasser des Springbrunnenbeckens, ihre Füße waren blass, ihre glitzerblau lackierten Nägel hoben sich gegen das Kupfer der vielen Centmünzen auf dem Boden des Basins ab. Ihre blonden Haare waren ein wenig zerzaust, weil sich einige Strähnen vorhin in den Ästen der Trauerweise auf dem Weg hierher verfangen hatten und Steven sie erst aus ihrer misslichen Lage befreien musste, bevor er sie herbringen konnte. Die Katze vor dem Hintergrund einer leuchtenden Sternengalaxis auf ihrem T-Shirt schien ihn so vorwurfsvoll anzugucken wie Sophies Mutter, als sie ihrer Tochter aus dem Fenster zurief, sie könne was erleben, wenn sie heimkäme. Sie hatte sich rausgeschlichen zu ihm, durch die Hintertür, und er erhaschte einen Blick in ihr Kinderzimmer mit den Zeichnungen an den Wänden, den Fotos von ihr und ihrer besten Freundin, den Long- und Pennyboards, in jeder der vier Ecken lehnte eins an einer Kommode oder einem Schrank ihrem mit Hausaufgaben überfüllten Schreibtisch, auf dem Sticker aus der Bravo oder ähnlich bescheuerten Magazinen klebten, die sie nicht mehr von der Holzplatte lösen konnte, obwohl die Kratzspuren verrieten, wie verzweifelt sie es versucht hatte. Die Pokémon-Kuscheltiere auf ihrem Bett ließen ihn hart schlucken. Sie war zu jung für all das, was er zu empfinden glaubte. Es war die pure Unvernunft gewesen, die ihn zu ihr geführt hatte. Wer war er, sich mit ihr einzulassen, einem Mädchen, das zehn Jahre weniger zählte? Er hätte reifer sein und sie aus seinem Leben verdrängen sollen, als es dafür noch nicht zu spät war; trotzdem saßen sie jetzt hier, teilten sich einen Eisbecher, während die Sonne ihnen rote Herzchen in den Nacken brannte. Immer wenn ihre Augen beim Lachen funkelten, breitete sich eine innerliche Wärme in Steven aus, die seine Schuldgefühle überflutete. Sie war zierlich, klein und unschuldig. Er liebte Frauen wie sie, deswegen war es umso deprimierender, wenn er mal wieder feststellte, dass Sophie noch ein Kind war. Etwas in ihm verlangte eine Rechtfertigung seiner Flirtversuche mit ihr, wollte jeden Kuss legitimieren und ihm so eine sorgenfreie Schwärmerei für sie genehmigen. Aber es gab keine Möglichkeit, keine Rechtfertigung. Wenn es sich richtig anfühlte, war es dreimal so falsch; wenn er nicht sofort handelte, würde er es auf ewig bereuen.
Also räusperte er sich. Seine Kehle war trocken und ein saurer, unangenehmer Geschmack verklebte seinen Rachen. "Soph, als du bei mir übernachtet hast ..."
Sophie wurde augenblicklich rot. Ihre runden Apfelbäckchen leuchteten auf wie Feuerwerkskörper und Steven konnte beobachten, wie ihre Sehnen in den Armen sich strafften.
"Tut mir leid, was da passiert ist. Ich hätte nicht die Beherrschung verlieren dürfen. Du warst ziemlich offensichtlich verwirrt."
Sie brachte es nicht einmal fertig zu nicken. Natürlich konnte er an ihren Augen ablesen, dass sie in diesem Moment überall lieber wäre als in seiner Nähe. Diesen Blick hatte er schon oft an anderen Mädchen gesehen. Das war gut. Es würde ihm die Sache erleichtern. Mit neu gefasstem Mut sprach er weiter: "Du bist mir wichtig. Ich will weder dir noch mir den Spaß verderben, den wir miteinander haben. Darum bleiben wir Freunde, okay? Aber es gibt keine Küsse mehr und kein Geflirte. Einverstanden?"
Zögerlich wandte sie ihm ihr hübsches Gesicht zu und in ihren großen, blauen Augen lag Erstaunen, vermischt mit - War das Enttäuschung? "Aber magst du mich?", hauchte sie.
"Klar mag ich dich, es ist nur ... Eigentlich ist es schlimmer. Ich will dich und ich erwarte gar nicht, dass du das verstehst. Ich verstehe mich ja selbst nicht." Angestrengt versuchte er sich auf etwas anderes zu fixieren als Sophie mit ihren hellen Augen, Haaren und rosigen Lippen.
"Ich glaube schon, dass ich dich verstehe."
Steven lächelte melancholisch. "Es ist schön, dass du daran glaubst. Und es tut mir übrigens so leid, dass ich dir deinen ersten Kuss gestohlen habe."
"Du hast ihn mir nicht gestohlen", sprudelte es aus ihr heraus, wie aus der Muschel der Neptunfigur über ihren Köpfen. "Es war ein toller Kuss."
"Soph, hast du mir zugehört? Ich werde dich nie wieder küssen. Das geht nicht mehr."
"Wegen meiner Eltern?", umschloss sie seine Hand mit ihren zarten Fingern, doch er entzog sich ihr und Sophie vergrub ihre eigenen Hände schließlich in den Hosentaschen ihrer Jeans.
"Bitte stell dich nicht dümmer als du bist", seufzte er. "Es ist nicht nur wegen deinen Eltern, es ist vor allem, weil ich dich beschützen will."
"Wieso willst du mich vor dir beschützen?"
Sie vor ihm beschützen? Perplex sah er sie an und bemerkte, sie hatte ihre Frage tatsächlich ernstgemeint. "Nicht vor mir, vor dem Rest der Welt", verdeutlichte er, was er in Wahrheit meinte.
"Der Rest der Welt ist mir egal", strampelte sie nervös mit ihren Füßen, dass die Tröpfchen nur so in die Luft flogen. "Mir ist wichtig, was du denkst."
Steven atmete tief durch. "Ich denke, wir dürfen uns nicht immer auf unsere Gefühle verlassen. Nur weil es sich richtig anfühlt, heißt das nicht, dass es wirklich richtig ist. Manchmal müssen wir mit dem Verstand denken. Du lügst, wenn du sagst, dein Verstand teilt dir mit, dass das zwischen dir und mir in Ordnung ist."
Diesmal nickte Sophie. "Traurig, oder? Wäre ich ein paar Jahre älter und du ein paar Jahre jünger, würde unser Verstand bestimmt was ganz anderes behaupten."
"Ich könnte ja -", aber Steven unterbrach sich augenblicklich. Dämliche Idee.
"Was könntest du?", hakte sie nach und als er sah, wie die Sonnenstrahlen und Lichtreflexe des Wassers auf ihrer Haut schimmerten und tanzten purzelten die Worte, eins nach dem anderen, aus seinem Mund: "Ich könnte ja warten." In fünf Jahren, wenn sie erwachsen wäre, wäre er längst Geschichte für sie. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals, als er erkannte, wie bald sie ihn schon vergessen haben würde. Ein Junge aus ihrer Klassenstufe würde sie vielleicht nach einem Date fragen, sie würde ein paarmal mit ihm ausgehen und anfangs noch an ihn dabei denken. Dann würde sie langsam aufhören, seine Witze zu vermissen, ihre Videospiel-Abende ... Sie würde den Pullover anziehen, den er ihr geschenkt hatte und nicht mehr wissen, dass es früher seiner gewesen war.
Steven legte den Löffel, mit dem er seit Beginn des Gesprächs ziellos in ihrem Eisbecher herumstocherte, weg. Vielleicht war es dieses blöde Eis, dass sein Herz einfror.
"Ja, wir könnten abwarten und Tee trinken", kam es dumpf von Sophie.
"Oder Cola", scherzte er bitter.
"Oder Cola", lächelte sie.
"Sophie", nannte er ihren Namen. Sie drehte sich und er legte seine Lippen auf ihre, weich und federleicht.
"Ich dachte, du wolltest mich nicht mehr küssen", wunderte sie sich.
"Ein letztes Mal wenigstens. Das war ein Abschiedskuss", erklärte er.
"Dann ist es jetzt vorbei?"
"Ja. Jetzt ist es vorbei."
Sie nahm seine Hand und ließ nicht zu, dass er ihr wieder entwischte. "Versprich mir, dass du für immer mein Freund bleibst. Versprich es mir und sag es nicht so daher", bat sie ihn.
"Was passiert, wenn ich mein Versprechen breche?"
"Das weiß ich nicht. Ich kann nicht hellsehen."
Stevens Blick fiel auf ihre ineinander verschränkten Finger und wägte seine Entscheidung sorgfältig ab.

Weiter gehts mit deinen ersten writing prompts, aus einem Tag von vor gefühlt hundert Jahren: Vizemensch, Wegeverschließer, nahrhaft.

"Iara, wenn du mich als dämlichen Idioten siehst, können wir auch schlussmachen! Was zur Hölle ist denn in dich gefahren?! Hatten wir diese Diskussion nicht schon letzten Monat?" Tua hat die Arme vor der Brust verschränkt und mustert mich, als wäre ich eine andere Spezies. Nicht seine Freundin jedenfalls, eher irgendein Alien, dass aus seiner Untertasse gestiegen ist, um Stunk zu machen und sich mit ihm zu zanken.
"Du kennst meine Mutter, warum kann ich deine nicht einfach kennenlernen? Warum nicht, Tua?!", rufe ich aufgebracht.
"Du kennst meine Mutter -"
Ein empörter Laut entfährt mir. "Die Beerdigung deines Opas war ein Desaster für uns! Erwartest du im Ernst von mir, dass ich das als offizielle Vorstellung akzeptiere? Du verbietest mir den Kontakt zu deinen Eltern, versteckst du mich vor ihnen? Bin ich dir peinlich?"
"Jetzt gerade? Ja. Ja, ganz eindeutig, du bist eine Furie, führst dich auf wie ein Kleinkind im Körper einer erwachsenen Frau!"
"Es gibt ja keinen anderen Weg für mich, mit dem ich dein Ego umgehen könnte! Du bist ekelhaft unnahbar, immer machst du zu, du bist ein verdammter Wegeverschließer! Manchmal kotzt du mich so irre an!"
"Ja, du mich auch! Ich bin es leid, dass du mich immer als Arschloch tätulierst und dabei kein einziges Mal über den Tellerrand hinausschaust! Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viel Zeit und Aufmerksamkeit ich dir opfere? Nein, denn du bist diejenige, mit dem Riesenego. Jede Beileidigung, die du mir an den Kopf wirfst, trifft so haargenau auf dich zu, dass ich manchmal denke, ich bin einfach nur deine blöde Projektionsfläche, damit du keine Selbstgespräche führen musst!"
Mein Mund klappt auf und wieder zu. Auf. Zu. Auf. Zu.
"Mann, Iara, wenn du schreist, schrei ich zurück, das kennst du doch inzwischen", versenkt er die Hände in der Tasche seines Kapuzenpullis.
"Was ist jetzt?", frage ich kühl.
Tua verdreht die Augen. "Es ist noch nicht soweit", beharrt er auf seine Meinung.
"Es ist noch nicht soweit?! Wie bitte?! Wir sind seit einem halben Jahr zusammen und du sagst, es ist noch nicht soweit? Wann ist es denn soweit? Du wolltest Weihnachten mit mir und meiner Familie verbringen, ich möchte Zeit mit dir und deine Eltern besser kennenlernen. Ich verlange nicht mal einen festlichen Anlass."
"Dann komme ich morgen nicht mit zu deiner Mutter."
"Was?! Und du wirfst mir vor, ich würde mich wie ein Kleinkind aufführen?! Ist das deine neue Art Probleme zu lösen?!"
Völlig unvermittelt küsst er mich, beißt in meine Unterlippe, damit ich ihm Einlass gewähre, was automatisch funktioniert. Blöde Reflexe. Ich trete ihm auf den Fuß, aber da ist es längst zu spät. Tua hat Luks altes Hemd aufgeknöpft und seine Hand liegt warm, weich und einladend auf meiner Brust. Er muss nichts weiter tun, denn das ist unsere Art Probleme zu lösen.
Wir liegen da, still, und sehen uns bloß an. Mein ganzer Körper kribbelt noch immer, als hätte man ihn unter Starkstrom gesetzt.
"Ohne diese Unterbrechungen würden wir uns an die Gurgel gehen", spricht er aus, was mir gerade durch den Kopf schießt.
Ich schnalze mit der Zunge und richte mich auf. Tua folgt meinem Beispiel. Er riecht an meinen Haaren, während ich mich darauf einstelle, gleich wieder die böse Hexe rausholen zu müssen. "Teilen wir uns eine Zigarette?", frage ich ihn vorerst friedlich.
"Brauchst du 'nen Kaffee?", streichelt er meine angezogenen Knie.
"Ja", erwidere ich. Er steht auf und verlässt den Raum. Halb. Eine Sekunde später dreht er sich um. "Hast du was gegessen?"
"Nein", gestehe ich. Eine Lüge würde alles bloß schlimmer machen.
Als er aus der Küche zurückkehrt hat er eine Schale meiner Lieblingschips in der einen und eine dampfende Kaffeetasse in der anderen Hand. "Sehr nahrhaft", kommentiere ich trocken.
"Ich muss einkaufen gehen", gibt er zu.
"Also, was machen wir?", schlürfe ich genüsslich meinen Cappuccino.
"Iara, ich will nicht mehr deswegen mit dir streiten müssen. Ich habe deine Mutter nach deinen Konditionen kennengelernt und so wird das umgekehrt bei meinen Eltern laufen. Das ist nicht verhandelbar."
"Eigentlich hast du meine Mutter nach ihren Konditionen kennengelernt, nicht nach meinen."
"Du warst die letzte Instanz, hättest du ihr abgesagt, hätte sie das akzeptieren müssen. Es war deine Entscheidung. Überlass meine Entscheidungen bitte mir." Er zückt sein Feuerzeug und gönnt mir den ersten Zug. Schon möglich, dass er bloß meine Antwort hinauszögern will. Trotzdem nehme ich die Zigarette an.
"Tua?"
"Hm?"
"Ich liebe dich. Du weißt das."
Er hebt mich auf seinen Schoß und ich lasse keine Sekunde verstreichen, ehe ich ihn küsse. "Ich will deine Eltern kennenlernen, weil ich dich liebe. Wenn du mich liebst, dann wäre es eigentlich normal, dass du möchtest, dass ich deine Eltern kennenlerne."
"Normal ... Wovon redest du?", küsst er mich ebenfalls. "Ist das ein Liebesbeweis für dich, dass du meine Eltern kennenlernen darfst?"
"In gewisser Weise ..."
"Warum muss ich dir immer noch Liebesbeweise erbringen? Ich dachte, über dieses Stadium wären wir längst hinaus", seufzt er. "An manchen Tagen mag es leichter für dich sein, es einfach hinzunehmen, als an anderen", streicht er mir eine Haarsträhne hinters Ohr. "Aber bitte versuch zu akzeptieren, dass du nicht irgendein -" Er zuckt die Schultern."- Vizemensch für mich bist, Iara. Du spielst die erste Geige, ob du meine Eltern kennst oder nicht."
"Hast du Angst, dass sie mich nicht mögen?"
"Ist es das, worum's dir hierbei geht? Wovor ich Angst oder keine Angst habe ist doch irrelevant."
"Sie würden mich komisch finden. Weil ich so viel jünger bin als du. Weil wir dauernd streiten."
"Wir streiten doch, weil wir es beide darauf anlegen. Wir würden uns ja sonst zu Tode langweilen und vertrau mir, wäre mir langweilig in unserer Beziehung hätte ich sie vor langer Zeit beendet und du wärst nichtmal in die Nähe eines Levels gekommen, auf dem ich dich meinen Eltern vorstellen würde."
Mir steigen unwillkürlich Tränen in die Augen. "Ich will nur, dass du mich liebst. Ich will etwas besonderes sein."
"Du bist was besonderes, das hab ich dir gerade hoffentlich nicht umsonst gesagt."
"Ich fühle es nicht." Schon kullern die Tränen. "Ich fühle es nur, wenn du mit mir schläfst und wenn wir allein sind. Ich fühle es einfach nicht, wenn da noch andere sind."
"Iara", nimmt er mein Gesicht in seine Hände und ich habe ihn selten so besorgt gesehen. "Ich kann nicht ständig nach deiner Pfeife tanzen und du wirst mich nie festnageln können. Das ist hart für dich, ich weiß, aber du musst das akzeptieren. Andernfalls wird's schwierig."
"Warum bist du so?", frage ich.

Zuletzt: Vergleiche, Unheiligabend, Glücksüberschwemmung. Lernt Nate, Blanca und Leroy kennen.

Blanca wirkte inmitten des kristallweißen Schneegestöbers fehl am Platz. Das Mädchen aus der Wüste inmitten dieser Flocken stehen zu sehen machte mich auf eine unerklärliche Weise glücklich. In letzter Zeit erfuhr ich keine dieser Glücksüberschwemmungen mehr. Allein deshalb tat mir Blancas Anwesenheit so gut.
"Das ist Schnee?", holte sie einen der winzigen Sterne aus der Luft, der augenblicklich auf ihrer Fingerkuppe zerschmolz. Der feuerrote Wintermantel, den Grandpa ihr geschenkt hatte, schiftete schimmernd in ein kühles Bordeauxrot. Die Drachenlederapplikationen schillerten verschwommen wie die von Ruß überzogenen Schuppen einer bronzenen Schlange. Blancas Kupferaugen huschten hin und her, sie drehte sich und die Stoffmassen züngelten um sie; leckende Flammen, die sich nach ihren langen Beinen reckten. Ihre Füße steckten in nichts als dicken, durchnässten Socken, deren beiges Muster mich an Sandstürme erinnerte.
"Deine Haut bildet einen Kontrast zum verträumten Wolkenweiß, den ich nie gekannt habe", ließ ich ihre Frage rhetorisch unbeantwortet.
Ich konnte gar nicht anders als mit ihr zu flirten. Sie kitzelte sogar den Poeten in mir hervor. Vielleicht hatte Grandpa - vielleicht übte Blanca einen positiven Einfluss auf mich aus. Jedenfalls bereute ich nicht, sie gefragt zu haben, ob sie mit mir zum Ball gehen würde. Jetzt standen wir hier in der Kälte und eine angenehme Stille umfing uns. Es war einfacher Blanca das Schneegestöber zu zeigen als Leroy im Saal gegenüberzustehen, der sich an Preston schmiegte, während er nur halbherzig mit mir sprach. Es verletzte mich, wie er seinen Begleiter förmlich an sich festtackerte und mich, ein überflüssiges Überbleibsel aus alten Tagen, von seiner Schulter fegte wie ein lästiges Staubkorn. Wir waren beste Freunde, ich sollte immer die Hauptrolle in seinem Leben spielen, oder nicht? War es nicht das, was unsere Freundschaft ausmachte? Oder hatte ich unsere Freundschaft letztes Jahr verspielt?
Blanca betrachtete ihre dunkle Haut. "Meine Abuela hat immer gescherzt, meine Mutter hätte mich gar nicht zur Welt gebracht, sondern aus einem Sucupira geschnitzt. Das ist ein Baum in Chile aus besonders kräftigem, dunklen Holz", erläuterte sie auf meinen fragenden Blick hin. "Aus dem Süden, wie du dich ausdrückst." Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. Sie war umwerfend schön. Was für ein Jammer, dass sie nie etwas für mich empfinden würde.
"Es gibt noch einen anderen Ausdruck, den ich oft verwende, weil ich damit aufgewachsen bin. Eine altmodische Redewendung um ein Mädchen zum Tanzen aufzufordern." Gemächlich, um sie nicht einzuschüchtern, ging ich auf sie zu. "Darf ich bitten?", flüsterte ich.
Blanca ergriff überraschend meine ausgestreckte Hand und als hätte ich mit einem Fingerschnipsen darum gebeten, erklangen die ersten sanften Töne der zarten Musik aus Grandpas geöffneten Bürofenstern.
"Was ist das?" Blanca hatte die Stimme gesenkt, um nicht zu übertönen, was an ihre Ohren drang. Ihr Mund verharrte leicht geöffnet vor Staunen.
"Es ist von einem russischen Komponisten, Tschaikowski. Das ist der Schneeflockenwalzer."
Sie ließ sich von mir führen. Es war mir noch immer ein Rätsel, wo ihre ganze Kratzbürstigkeit, seit unserer ersten Begegnungbhinverschwunden war. "Bist du das?", nickte sie sachte in Richtung der Schneeflocken, die um uns herumwirbelten.
"Ich finde, es trägt zur Atmosphäre bei", bestätigte ich und ließ den Wind ihre Wange streicheln, statt es selbst zu tun. Nicht ohne ihm vorher Wärme einzuhauchen. Sie lächelte so sanft wie nie zuvor.
Wir tanzten den Schneeflockenwalzer, im Schnee, in der klirrenden Kälte, vor den Toren der Akademie.
"Verdammt, Blanca, tanzt du mit den Funken wie mit den Flocken?"
Der Moment zersplitterte in winzige Scherben aus Eis, als er auftauchte.
"Nein, die Funken erfordern etwas heißeres, wenn du verstehst, was ich meine", lächelte Blanca in meinen Armen gelassen.
Leroy pfiff durch die Zähne und zwinkerte mir zu. Innerlich starb ich zehntausend Tode, wie jedes Mal, wenn er das tat. "Ich gehe wieder zu Preston, holt euch hier draußen nicht die Grippe", schlenderte er davon und ich sah ihm nach, fixierte seinen Rücken, der unter dem Stoff seines Jackets, seiner Weste, seines Hemds kräftig und definiert war. So viel Stoff dazwischen und doch hatte ich Gewissheit darüber.
"Nate", wandte Blanca sich mir zu. "Die Vergleiche, zwischen dir und Heterosexuellen, sind aussichtslos, das ist dir hoffentlich klar."
"Ich hasse mich dafür", fallen die Worte regelrecht aus meinem Mund heraus, die ich nie ausgesprochen habe. Sie versteht es. Vor ihr muss ich mich nicht rechtfertigen. Nur vor mir selbst.
"Es ist nie zu spät, die Maske abzunehmen. Das bist du nicht", nahm sie mein Gesicht in ihre Hände und drehte es zu sich.
"Ich empfinde für keinen anderen Menschen auf diese Art, nicht einmal für dich. Er ist der Einzige. Wieso ist das so?"
"Du liebst ihn, Nate. Das ist keine Schande und wenn du nur ihn liebst, zeigt das doch bloß, wie loyal du bist."
Verzweifelt fuhr ich mir durchs Haar. "Heute ist Unheiligabend, oder?" Mir wurde schlecht.
"Geh. Sag es ihm."
Nur dieses eine Mal bewirkte ihr Befehlston etwas in mir.

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