Kapitel 5

Meghan schaute sich um. Das Gebäude erinnerte sie jedes Mal an ein Krankenhaus. Die langen blitzblank polierten Flure, die weißen Wände, der Geruch nach Desinfektionsmittel. Noch roch es glücklicherweise nicht nach Leichen, doch das konnte sich schnell ändern. Spätestens wenn sie einen der vielen Räume betreten würden.

Ryan holte zu ihr auf und fragte: "Was denkst du, wo die zwei gerade sind? Noch im Labor?" Meghan überlegte kurz und nickte dann. "Ja, das kann gut sein." Das Labor lag am Ende des langen Flures auf der rechten Seite. Dort angekommen versuchte Meghan einen Blick hineinzuwerfen, doch die Jalousien waren heruntergezogen, weswegen dies nicht ging. Daher klopfte sie an die Tür.

Zuerst kam keine Antwort, erst als Ryan ziemlich laut dagegen hämmerte, was ihm einen strafenden Blick von Meghan einbrachte. Die Tür öffnete sich und der Lockenkopf von Katelynn schaute heraus. "Meghan! Ryan! Hallo! Noch lauter ging es echt nicht mehr oder?" Sie schüttelte ihren Kopf leicht tadelnd. "Ihr seid wegen der Autopsie von Mrs. Callahan hier, richtig?", fragte sie.

Meghan nickte kurz. "Ja genau", sagte sie. "Gibt es schon irgendwelche Neuigkeiten oder braucht ihr noch etwas mehr Zeit?" Nun tauchte auch Amber hinter Katelynn auf. Sie musterte die beiden Polizisten kurz mit einem kritischen Blick. "Mit der äußeren Leichenschau sind wir schon fertig, das ging schnell, aber für die innere brauchen wir noch etwas", meinte sie.

"Aber wir können euch zeigen, was wir bisher haben", fügte Katelynn hinzu und machte Platz, damit Meghan und Ryan eintreten konnten. Auch Amber ging aus dem Weg, was sie Meghans Meinung nach gerne öfter tun könnte. Katelynn lief zum Computer, tippte etwas darauf herum und drehte sich schließlich zu den beiden Polizisten um. "Jetzt kommt schon", sagte sie. Auf ihre Worte hin traten sie zu ihr und schauten über ihre Schulter.

Amber hingegen stand etwas weiter abseits und beobachtete die drei mit einem kritischen Blick. Sie hasste Unterbrechungen und wollte viel lieber sofort mit der Obduktion fortfahren, denn möglicherweise übersahen sie sonst noch irgendetwas wichtiges. Wenn dem so wäre, wäre das einzig und allein Meghans und Ryans Schuld.

Auf dem Bildschirm erschienen nun einige Fotos. Katelynn klickte eines an und drehte sich zu den Detectives um. "Die Stichverletzungen sind offensichtlich. Die sind uns ja gestern schon aufgefallen. Jetzt haben wir sie allerdings etwas genauer untersucht", begann sie und zeigte ihnen Bilder von jeder einzelnen.

"Insgesamt sind es dreizehn Stiche. Der Mörder muss also sehr versessen darauf gewesen sein, sie zu töten. Einer der Stiche hat eine besonders große Arterie getroffen, was zu inneren Blutungen geführt hat. Und als ob das allein sie nicht schon umgebracht hätte, sind ihre Lungenflügel durch den, beim Herausziehen der Waffe, entstandenen Druckausgleich, zusammengefallen", beendete sie ihren Vortrag.

"Ihr seht also, am Ende war sie mausetot. Es gab keine Chance für sie, das zu überleben", fügte Amber hinzu. Meghan nickte leicht. Von den Fotos war ihr noch ein wenig übel. Sie war froh, dass sie nicht nochmal die Leiche hatte sehen müssen. "Und was könnt ihr uns über die Tatwaffe sagen?", fragte Ryan.

"Es war ein Messer. Ein ganz einfaches, herkömmliches Küchenmesser. Zwischen 22 und 23 Zentimeter lang und fünf Zentimeter breit", erklärte Katelynn und suchte etwas auf ihrem Computer. "Hier!", rief sie dann und deutete aufgeregt auf den Bildschirm. "So ungefähr muss es ausgesehen haben."

"Danke, du bist echt super, Katie", sagte Meghan und schenkte ihrer Freundin ein Lächeln. Amber stand noch immer in ihrer Ecke, doch ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. Sie war sauer. Immerhin hatten sie und Katelynn das alles zusammen herausgefunden, aber natürlich wurde sie wieder einmal übergangen und das nur weil sie niemand leiden konnte.

"Rufst du uns an, wenn ihr die Ergebnisse habt?", fragte Meghan ihre Freundin. "Klar doch", erwiderte Katelynn. "Dann gehen wir jetzt wieder. Wir wollen euch nicht länger aufhalten." Der Blick der Polizistin hing bei diesen Worten etwas länger als gewöhnlich auf Amber. "Na endlich", gab diese augenrollend von sich. "Ähm", machte Ryan und krazte sich am Hinterkopf. "Katelynn, könnte ich dich vorher noch kurz unter vier Augen sprechen?"

Meghans Augenbrauen schnellten in die Höhe. "Wieso das denn?", fragte sie. Amber schien sich ganz genau das selbe zu fragen, auch wenn sie es nicht laut aussprach. Ryan antwortete nicht und schaute Katelynn bittend an. Diese nickte nur. "Komm mit, wir reden vor der Tür", sagte sie und die beiden verließen den Raum. "Was soll denn das jetzt?!", fragte Meghan sauer. Sie hasste es, so außen vor zu sein. Sie wollte wissen, worüber die beiden sprachen.

Amber verdrehte über ihre übertriebene Reaktion nur genervt ihre Augen. Sie trat aus ihrer Ecke und zu den Jalousien. Sie hob sie an und schaute durch die schmalen Schlitze auf den Gang, wo Ryan und Linda hin verschwunden waren. "Gleich werden wir sehen, worüber sie sprechen. Sicher über dich. Und falls nicht, dann haben sie eine heimliche Liebschaft", meinte sie und hörte sich dabei ziemlich sicher an.

"Oh nein, nein, nein!", fluchte Meghan leise. Sie hatte so eine Ahnung, worüber Ryan mit Katelynn sprechen wollte. Sicher über sie und ihre Trennung von Tim. Sicher wollte er, dass die Forensikerin sich um ihre Freundin kümmerte. Die brünette Polizistin eilte zu Amber und drängte sie zur Seite, um ebenfalls hinaus sehen zu können. Was sie redeten, konnte sie zwar nicht hören, doch ihre Blicke sagten alles. Immer wieder schauten sie in die Richtung des Labors.

"Der Gedanke, dass die beiden miteinander schlafen, gefällt dir wohl nicht, was?", grinste Amber schadenfroh. Es gefiel ihr, Meghan so zu sehen. "Halt die Klappe", knurrte die Polizistin nur genervt. Sie brauchte absolute Ruhe, denn dann wäre es ihr vielleicht möglich, zu hören, was ihr Partner und ihre Freundin beredeten. Bis jetzt war alles ja nur eine Vermutung ihrerseits. Sie brauchte eine eindeutige Bestätigung.

Endlich hielt Amber die Klappe und Meghan konnte hören, was Katelynn sagte. "Mach dir keine Sorgen, ich übernehme das." Leider schien das bereits das Ende ihrer Unterhaltung gewesen zu sein, denn sie kamen in ihre Richtung. Schnell ließ Meghan die Jalousien los, trat von dem Fenster zurück und tat, als wäre nichts. Die beiden sollten nicht wissen, dass sie sie beobachtet hatten, auch wenn sie sich das sicher denken konnten.

"Na? Habt ihr euch schon gegenseitig die Kehlen zerfetzt, wo ihr doch solange alleine in einem Raum wart?", fragte Ryan mit einem Grinsen. Dabei war das eigentlich gar nicht mehr so lustig, wenn man an den Vorfall vor wenigen Monaten dachte. Da waren die Polizistin und die Forensikerin tatsächlich aufeinander losgegangen. Warum, das hatten sie bis heute nicht verraten wollen.

"Hättet ihr euch noch mehr Zeit gelassen, wäre mit Sicherheit eine von uns gestorben", meinte Meghan mit finsterer Miene und ihr Blick sollte sagen, dass dieser Jemand Amber gewesen wäre. Vermutlich wäre es auch wirklich so gekommen. Immerhin war sie es, die die Waffe um ihre Hüfte trug und damit umzugehen wusste. Amber könnte lediglich die Patronen untersuchen, aber nicht damit schießen.

"Jetzt können wir aber wirklich gehen", meinte Ryan und schob seine Partnerin zur Tür hinaus. Er hatte lustig sein wollen, aber Meghan musste alles immer gleich so ernst nehmen. Nur selten sah er sie lachen und wenn Amber da war, war dies vergeblich. Dann herrschte nämlich Eiszeit in ihrem Gesicht und sie sorgte dafür, dass es auch um sie herum genau so frostig und kalt war. Irgendwann würde sie ihm erzählen, was zwischen ihnen vorgefallen war, dafür würde er sorgen. Er würde nicht locker lassen, bis sie ihm die Wahrheit sagte.

"Tschüss", rief Katelynn ihnen noch schnell hinterher und holte dann ihr Essen heraus. Nicht viele Menschen waren dazu in der Lage, ein Sandwich zu essen, während neben ihnen eine Leiche lag und der ganze Raum nach Tod und dem Beginn des Verwesungsprozesses roch. Katelynn Ramsey war jedoch eine Sorte für sich. Amber Fitzgerald war zwar auch eine Gerichtsmedizinerin, war jedoch nicht dazu in der Lage, während der Arbeit zu essen, dafür war sie sich viel zu fein.

Meghan und Ryan stiegen wieder in das Polizeiauto, mit welchem sie gekommen waren, ein. Die Rückfahrt zum Revier verlief jedoch wesentlich ruhiger und stillschweigender als die Hinfahrt zur Gerichtsmedizin. Jeder von ihnen schien in Gedanken zu sein. Sie ahnten es nicht, doch sie dachten beide an das selbe. An Meghan und Tim. Ryan empfand Mitleid gegenüber ihr und Meghan empfand Hass gegenüber ihrem Exfreund.

Selbst als sie auf dem Revier angekommen waren, redeten sie nicht. Sie schauten sich nicht einmal an. Meghan vermied es, weil sie den mitleidigen Blick in Ryans Augen nicht sehen wollte und Ryan, weil ihm die Worte fehlten, um sie irgendwie zu trösten, denn wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann war da noch etwas anderes, das er fühlte. Nicht nur Mitleid. Erleichterung beschrieb es ganz gut.

"Wo ist denn der Captain?", fragte Meghan plötzlich. "Was?", gab Ryan verwirrt von sich. Ihre Worte hatten ihn in die Realität zurückgeholt. Er konnte jedoch nicht wiedergeben, wovon sie gesprochen hatte. Das hatte er verpasst. "Der Captain ist nicht hier", wiederholte Meghan ihre Frage und klang nun wieder sehr genervt. Sie wiederholte Dinge nicht gerne zweimal. Sie erwartete, dass man ihr zuhörte und es beim ersten Mal verstand. Bei ihr selbst war das dann natürlich immer etwas vollkommen anderes.

Dieses Mal hatte Ryan mitbekommen, was seine Kollegin gesagt hatte, hatte aber dennoch keine Antwort für sie parat. Er schaute zum Büro seines Bosses und sah, dass es tatsächlich leer stand und auch der Rest des Reviers wie leergefegt zu sein schien. "Sieht fast so aus, als hätte es irgendeinen wichtigen Notfall gegeben", meinte er. "Lass uns mal den Polizeifunk anmachen, vielleicht hören wir ja etwas."

"Gar keine schlechte Idee", musste Meghan zugeben und machte die Polizeifunkfrequenz rein. Zunächst hörten sie nur Rauschen, doch dann konnten sie endlich verstehen, was ein Officer durchgab. "213! Central Park! 213! Central Park!", wiederholte er immer wieder. "Ach du Scheiße!", entfuhr es Ryan. "Eine Bombe! Im Central Park!", rief Meghan fassungslos aus.

"Kein Wunder, dass hier niemand ist! Eine Bombe im Central Park ist ein riesen Ding!", meinte Ryan. "So viele Menschen, wie täglich im Central Park sind, muss es viele Verletzte geben!", bemerkte Meghan. "Wir sollten hingehen. Der Captain wird sicher unsere Hilfe gebrauchen können", fügte sie hinzu. "Würde er nicht eher wollen, dass wir uns dem Mord widmen?", warf Ryan ein.

"Ach was, es gibt doch sowieso gerade keine heiße Spur. Außerdem bin ich neugierig. Ich will unbedingt wissen, was genau da passiert ist", sagte die Brünette. "Aber Mord ist doch so viel wichtiger, als eine Bombe", widersprach Ryan. "Wer sagt denn, dass es da keine Toten gibt? Wenn eine Bombe an einem öffentlichen Ort explodiert, gibt es mit Sicherheit Tote oder zumindest Verletzte."

Ryan wusste, dass es keinen Sinn machte, mit Meghan zu streiten, also ließ er es einfach bleiben. "Dann eben zurück ins Auto", murmelte er und lief vor. Meghan überholte ihn auf dem Weg. Sie schien es ziemlich eilig zu haben. Sie riss ihm die Autoschlüssel aus der Hand und stieg auf den Fahrersitz. Als Ryan sich missmutig auf den Beifahrersitz gesetzt hatte, fuhr sie los, allerdings nicht ohne das Blaulicht anzumachen. Jeder Autofahrer sollte sie schon von Weitem hören können.

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