Der Schatten

Nach einem Langen Tag ging er nach Hause.

Zwei Minuten nach Zehn, Mittwochabend.

Er ging diesen Weg schon zum hundertsten, wenn nicht sogar tausendsten Mal.
Jeden Tag stand er auf, machte sich die Haare, schminkte sich, zog sich um.
Die gleiche Frisur, das gleiche Make-up, die gleiche Uniform, die gleichen Kunden, die gleiche Routine.
Keine Abwechslung, keine Besonderheiten, keine Neuigkeiten.
Jeden Tag die gleichen deprimierenden Nachrichten, die gleichen elendigen Meldungen, die gleichen unüberwindbaren Probleme.
Nie gab es gute Nachrichten.
Nie gab es freudige Meldungen.
Nie stand jemand auf, diese Probleme zu lösen.
Nie.

Fünf Minuten nach Zehn, Mittwochabend.

Er war nie in den Urlaub gefahren, war nie ausgegangen, hatte nie einen Absturz.
Bis auf einmal.
Aber das lag lange Zeit zurück.
Er dachte nicht mehr daran.
Er versuchte es.
Er wollte nichts mehr davon wissen.
Nach jenem Ereignis war er in diese langweilige Stadt gekommen.
Er brauchte Veränderung und fand sie nicht.
Er wollte Abschließen, doch er ließ die Tür offen.
Er wollte diesen Mann nie wieder sehen, doch er tat es.
Jeden Abend, nach der Arbeit.
Auf dem Rückweg nach Hause.
Er folgte ihm immer.
Er wehrte sich nicht mehr.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann hatte er es hinter sich.
Er war wieder da.
Er spürte ihn.
Nie sah jemand was sie taten.
Nie hörte jemand was sie taten.
Doch dieses Mal beschloss er, etwas zu ändern.
Er wollte sich nicht verstecken.
Er wollte gesehen werden.
Er wollte gehört werden.
Er wollte ihn jetzt und hier.
Er wollte es, aber tat es nicht.

Acht Minuten nach Zehn, Mittwochabend.

Er tat es.
Er fühlte nichts.
Er ging.

Zehn Minuten nach Zehn, Mittwochabend.

Er ging weiter ihren Weg nach Hause.
Doch etwas war anders.
Er folgte ihm noch immer.
Warum folgte er ihm noch?
Er spürte, wie er näher kam.
Dann drehte er sich um.

Zwölf Minuten nach Zehn, Mittwochabend.

Er tat es.
Auf dem Gehweg vor all den Leuten.
Er tat es.
Er spürte etwas.
Er spürte etwas.
Es war ein seltsames Gefühl, das keiner der Beiden je zuvor gefühlt hatte.

Dreizehn Minuten nach Zehn, Mittwochabend.

Er hatte ihn geküsst in dieser Nacht.
Er hatte es vor allen Leuten getan.
Er tat es und er wollte es.
Er wollte gesehen werden.
Er wollte gehört werden.
Er wollte ihn lieben.
Er wollte es und tat es.
Doch er sollte es nicht.
Jemand wollte nicht, dass er es tut.

Fünfzehn Minuten nach Zehn, Mittwochabend.

Sie lagen am Boden.
Rührten sich nicht mehr.
Sie konnten nichts mehr spüren.
Sie konnten nicht mehr leben.
Sie konnten nicht mehr lieben.
Sie waren tot, denn jemand wollte es so.
Doch was sie taten, bewegte die Menschen, die es sahen.
Sie redeten darüber.
Sie verbreiteten was sie erlebt hatten.
Sie berichteten über das Gefühl, das sie spürten.

Das Gefühl war Hoffnung und sie wollten sie weitergeben.

Achtzehn Minuten nach Zehn, Mittwochabend

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