Kapitel 22
Es war wieder einer dieser Nächte, in denen ich kein Auge zu bekam. Unruhig wälzte ich mich hin und her, fragte mich, was Emma in diesem Moment wohl gerade tat. Ich vermisse sie. Sie fehlte mir so sehr, dass ich das Gefühl hatte, zu zerreißen. Ich konnte es nicht mehr ertragen.
Das traurige Gesicht meiner Mutter, die versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, die Flyer, die ich aufgehängt hatte, auf denen mir Emma glücklich entgegen lächelte.
Wenn ich wüsste, wer sie uns genommen hatte, dann würde ich demjenigen sowas von eine rein hauen.
Ich sah auf mein Handy. Es war ein bisschen nach Mitternacht. Der Schweiß glitzerte auf meiner Stirn, wie der Tau im Morgengrauen. Eine Woche ist es nun schon her und alles was bis jetzt von Emma gefunden wurde, war ihr verdammter Schal.
Ich konnte das nicht mehr. Die Albträume fraßen mich auf. Ja, bis jetzt hatte ich mit niemandem darüber geredet, aber ich träumte jede Nacht von Emma und von dem, was ihr möglicherweise passiert sein könnte.
Ich spürte, wie mir die Galle hoch stieg, als ich an einen dieser Träume dachte.
Es geht ihr gut.
Wie ein Mantra sagte ich diesen Satz immer wieder.
Es geht ihr gut. Es geht ihr gut.
Mit zittrigen Händen entsperrte ich mein Handy und ging auf den Chat mit Oscar. Eine Weile starrte ich sein Profilbild an, auf den er zu sehen war, wie er am Strand in der Sonne lang und eine schwarze Sonnenbrille trug.
Hey, können wir uns sehen? Ich halte es nicht mehr aus! Ich drehe durch! Hilf mir!
Ich hatte es geschrieben. Zum ersten Mal bat ich jemanden tatsächlich um Hilfe. Bisher hatte ich immer alles alleine geschafft, war der starke Magnus, der sein Leben im Griff hat, doch die Dinge konnten sich so schnell ändern und schon geriet alles aus dem Ruder.
Kerzengerade saß ich nun auf meinem Bett. Die Tränen flossen, was ich aber erst bemerkte, als ein Tropfen auf meinem Handybildschirm landete.
»Verdammte scheiße«, flüsterte ich und schluchzte unterdrückt auf.
Ich krabbelte auf die andere Seite meines Bettes und presste mein Gesicht an die Fensterscheibe.
Nun konnte ich hinaus auf den weiten Ozean blicken. Der Mond spiegelte sich hell auf der Wasseroberfläche und sah seltsam verzerrt aus.
»Emma, wo bist du nur...«
Meine Stimme hörte sich an, wie die eines Fremden. Jämmerlich, kratzig.
Beinahe erschrocken fuhr ich zusammen, als mein Handy aufleuchtete und einen leisen Pieps von sich gab, was darauf hindeutete, dass ich eine Nachricht bekommen hatte.
Oscar. Er schlief also noch nicht. Erleichterung durchflutete meinen Körper und ich lächelte leicht, als ich mir die Zeilen durchlas, die er mir geschrieben hatte.
Halt durch. Ich bin gleich bei dir und mach dein Fenster auf.
Ich tat, worum mich mein Retter bat und blieb ungeduldig auf meinem Bett sitzen. Erst als ich ein Auto hörte, das immer langsamer wurde und schließlich aus ging, robbte ich wieder ans Fenster.
Oscar war in der Dunkelheit nichts weiter, als ein Schatten, doch ich erkannte ihn sofort. Der Gang, die Art, die Autotür zuzuwerfen und dann mit einer lässigen Handbewegung das Auto zuzusperren. Das war Oscar. Kein anderer war so, wie er und das war auch der Grund, warum ich wieder zu ihm zurück gekommen bin.
Geschickt kletterte der kräftige Junge die Regenrinne hoch, die direkt neben meinen Fenster senkrecht nach unten verlief. Als er durch mein Fenster stieg, schüttelte ich mit einem leichten Grinsen den Kopf.
»Du hättest auch durch die Tür gehen können, wie jeder normale Mensch«, flüsterte ich ihm zu und kicherte hinter vorgehaltener Hand.
Oscar sah mich empört an.
»Dein ernst jetzt? Ich wollte eben ein bisschen Action haben. Du stehst doch auf so dramatische Auftritte oder etwa nicht?«
Ich sah den anderen an und seufzte. Wo er recht hatte, hatte er recht.
»Schon, aber in Serien weiß ich, dass den Leuten dort nicht unbedingt was passiert. Im echten Leben ist es da etwas anders.«
Oscar zog die Augenbrauen hoch.
»So? Ganz neue Töne um Mitternacht. Jetzt sorgst du dich um mich, statt mich einfach weg zu drücken«, säuselte Oscar und ich schlug ihn mit meinem Kissen.
»Du Idiot. Ich brauche Hilfe okay?«, sagte ich ernst und seufzte. Oscar kam näher und legte einen Arm um mich.
»Natürlich. Deswegen bin ich doch hier. Was ist los? Kann ich was für dich tun, damit es dir besser geht?«, fragte er besorgt und erinnerte mich ein wenig an meine Mutter.
Früher, als ich noch klein war, hat sie sich genauso um mich gesorgt, als ich krank war. Heute wusste sie, dass ich stark genug war, um die Krankheit durchzustehen und brachte mir lediglich einen Tee oder Medikamente.
»Ja, wenn du meine Schwester finden kannst, dann würde es mir viel viel besser gehen«, gab ich zurück und Oscar seufzte. Ich wusste, dass er das nicht konnte. Das konnte niemand.
Man sollte die Hoffnung nicht aufgeben und das tat ich auch nicht. Auch wenn es Tag für Tag unwahrscheinlicher wurde. Ich glaubte immer noch daran, dass Emma eines Tages wieder bei uns sein würde. Es musste so sein. Etwas anderes wollte ich gar nicht zulassen.
»Die Polizei wird sie finden. Da bin ich mir ganz sicher«, raunte der andere mir ins Ohr. Sein warmer Atem beruhigte mich und machte mich ein wenig schläfrig. Ich lehnte mich an ihn und schloss die Augen. Vielleicht sollte Oscar die nächsten Tage auch bei mir bleiben, wenn er solche Wunder bewirken konnte.
Gerade als ich eingedämmert war, wurde plötzlich meine Zimmertür aufgerissen. Ich hörte das aufgeregte Keuchen meiner Mutter und schreckte hoch.
»Magnus!«, sagte sie hektisch und aufgeregt.
Ich hörte, wie ihre Hand nach den Lichtschalter tastete, bis sie diesen schließlich fand und es augenblicklich taghell in meinem Zimmer wurde.
»Was ist?«, brummte ich mit zusammen gekniffenen Augen.
Überrascht sah sie zwischen mir und Oscar hin und her und fing sich dann wieder.
Sie deutete auf ihr Handy, auf dem zu sehen war, dass sie gerade mit der Polizei telefonierte.
Ich schluckte schwer und starrte meine Mutter an. Automatisch umschloss ich die Hand von Oscar fester. Was auch immer meine Mutter so aufregte, wir würden es gleich erfahren und ich war mich nichtmal sicher, ob ich es überhaupt wissen wollte.
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