24. Dezember
An diesem Morgen wird Gwyn von einer auf ihrem Bett hüpfenden Nieves wach.
"Es schneit, es schneit. Mama es ist Weihnachten" , ruft die Kleine und freut sich über die dicken, fallenden Schneeflocken, die man vor dem Fenster fallen sehen kann.
"Heute ist Weihnachten. Heute kommt der Weihnachtsmann" , ruft Nieves und hüpft weiterhin auf dem Bett. Inzwischen ist Gwyn wach und kann an nichts anderes mehr denken, als am liebsten noch einmal in den Schlaf zu sinken. Dies ist mit einem kleinen Kind an Weihnachten allerdings nicht möglich.
"Aufstehen, Mama. Aufstehen" , ruft Nieves. Es ist sechs Uhr morgens. Sie hatte eigentlich gedacht, an ihrem ersten freien Tag ein wenig länger schlafen zu können. Auch wenn sie noch super viel zutun hat, dachte sie wenigstens um acht aufstehen zu können und nicht schon um sechs. Sie quält sich aus dem Bett und macht sich erst einmal einen Kaffee. Ohne diesen würde sie heute nicht zurecht kommen. Nachdem die beiden gefrühstückt haben, machen die beiden einen kleinen Morgenspaziergang, denn natürlich darf auch heute am letzten Tag keine Zimtschnecke fehlen. Sie reden ein wenig mit Caspar, verabschieden sich dann jedoch ziemlich schnell wieder, weil sie sich heute Abend sowieso sehen. Die beiden kommen Zuhause an und Gwyn atmet einmal tief durch. Es ist das letzte Mal, dass sie das kleine Fotoalbum aufklappen wird. Das letzte Mal, dass sie einen Wichtel für Nieves errichten wird. Sie öffnet das Album und ihr kommen die Tränen. Ihr wird zum ersten Mal an diesem Tag bewusst, dass es sein Todestag ist und sie bereut schon jetzt, dass sie gesagt hat, dass das Fest bei ihr stattfindet. Nun wird sie sich um alles kümmern müssen, obwohl sie eigentlich nur heulend im Bett liegen will. Genau das war eigentlich der Sinn der Sache. Sie würde Ablenkung haben, doch in diesem Moment bereut sie es einfach nur, denn sie hat noch viel zu viel zu tun und weiß nicht, wann sie all das noch schaffen soll. Sie hat ja noch nicht einmal einen Tannenbaum. Sie muss das ganze Essen vorbereiten, noch ein paar der Geschenke einpacken, Wichtelgeschenke mit ihren Freundinnen auspacken, einen Tannenbaum kaufen und schmücken, sowie ihre Wohnung schmücken. Sie weiß nicht, wann sie all die Zeit dafür finden soll. Sie greift zum Telefon.
"Chandler?" , fragt sie, als er sofort den Hörer abhebt.
"Ja?" , fragt er.
"Kannst du mir einen riesigen Gefallen tun?" , fragt sie.
"Was denn?" , fragt er.
"Einen Tannenbaum besorgen. Am liebsten mit Nieves zusammen einen aussuchen. Ich habe es dieses Jahr nicht geschafft und nun läuft mir die Zeit davon. Hast du zufällig Zeit?" , fragt sie. Es ist schon acht, als sie ihn anruft und sie hätte nicht damit gerechnet, dass er einverstanden ist, doch tatsächlich steht er eine halbe Stunde später vor der Tür und ist Abfahrbereit. Er nimmt Nieves an die Hand und die beiden gehen gemeinsam einen Tannenbaum aussuchen. Während die beiden weg sind, bereitet sie schon einmal ein paar der Essenssachen vor. Anschließend schafft sie es noch, die Weihnachtsachen aus dem Keller zu holen. Weiter kommt sie nicht, denn da klingelt es an der Tür und die beiden stehen mit einem riesigen Tannenbaum in der Tür.
"Ich bin mir nicht sicher, ob er hier reinpasst. Ich hätte es vorher ausmessen können. Zur Not müssen wir ihn kürzen ,aber Nieves hat auf diesen Baum bestanden" , sagt er lachend und hat einen riesigen Oschi in der Hand, den er nun im Wohnzimmer aufbaut.
"Danke, du bist echt der Beste! " , sagt sie und die drei bauen gemeinsam den Tannenbaum auf. Anschließend schmücken sie ihn und die Wohnung noch gemeinsam.
"Willst du schon hier bleiben oder noch einmal nach Hause?" , fragt sie dann. Sie will es ihm zumindest angeboten haben.
"Brauchst du noch Hilfe?" , fragt er.
"Ich wäre für jede Hilfe dankbar" , sagt sie.
"Ich würde nachher nur noch einmal meinen Anzug holen müssen, aber ansonsten kann ich gerne hier bleiben" , sagt er. "Ich helfe gerne"
"Kannst du Kartoffelsalat machen?" , fragt sie.
"Nicht so richtig, aber ich kann die Kartoffeln schälen, wenn du magst" , sagt er und schon das nimmt ihr eine Menge Arbeit ab. Die beiden sind eine ganze Weile mit dem Festessen beschäftigt, weil Gwyn es echt übertrieben hat, bis es um eins an der Haustür klingelt.
"Hey" , rufen die Mädels. "Fröhliche Weihnachten"
"Das sagt man zwar eigentlich erst morgen, aber ich wünsche euch auch Fröhliche Weihnachten" , sagt sie grinsend.
"Klugscheißerin" , sagt Donatella und streckt ihr die Zunge aus. Die drei ziehen sich die Jacken und Schuhe aus und hängen sie an die Garderobe. Chandler sitzt inzwischen mit Nieves im Wohnzimmer und die beiden spielen mit der Carrererbahn.
"Hast du ihm endlich von ihr erzählt?" , fragt Fiamma.
"Er scheint es gut aufgenommen zu haben" , ergänzt Tindra.
"Naja" , antwortet Gwyn.
"Du musst uns alles erzählen" , sagt Donatella.
"Aber doch nicht, wenn er daneben sitzt. Ich werde euch schon noch alles erzählen. Ihr seit viel zu neugierig" , stellt Gwyn fest.
"Wollen wir jetzt endlich Wichtelgeschenke auspacken?" , fragt Donatella, die schon ganz heiß darauf ist.
"Sicher" , sagen sie und setzten sich auf das Sofa. Nieves ist total neugierig und kommt sofort dazu. Chandler sitzt nun allein an der Bahn und dreht sich auch zu den anderen um, um ihnen zuzusehen.
"Wen habt ihr gezogen?" , fragt Tella.
"Ich hab dich gezogen" , sagt Gwyn.
"Ich hab Fiamma" , sagt Tella.
"Ich hab Gwyn" , sagt Tindra.
"Tindra, dich hab ich" , sagt Fiamma.
"Dann lass uns endlich aufmachen. Ich halte es ja gar nicht mehr aus"
"Ich dachte, wir übergeben uns die Geschenke bloß und öffnen sie heute Abend bei der Bescherung" , sagt Gwyn. "Es sind doch Weihnachtsgeschenke"
"Du spinnst ja wohl", sagt Donatella. "So lange kann ich nicht warten. Außerdem ist doch der ganze Tag heute Weihnachten"
Die Mädels haben die perfekten Geschenke füreinander ausgesucht und tatsächlich haben alle etwas aus dem Zauberladen genommen.
"Das ist wohl einfach unser Wohlfühlort" , sagt Tindra lächelnd, als sie ihr ausgepacktes Geschenk in den Händen hält. Nachdem die vier sich ihre Geschenke überreicht haben, ist es schon wieder eine Stunde später und die drei müssen sich auf den Weg zu ihren Familien machen. Chandler verabschiedet sich noch einmal, um seinen Anzug zu holen und um halb drei kommen schon die Gäste. Ihre Großeltern tauchen auf, ebenso wie Caspar und auch Chandler kommt rechtzeitig an. Sie stehen alle gleichzeitig vor der Tür und klingeln, während Gwyn gerade noch dabei ist, sich mit dem Lockenstab Locken in die Haare zu machen.
"Nieves, kannst du mal die Tür öffnen?" , fragt Gwyn. Natürlich hat sie, wie immer, Nieves zuerst fertig gemacht und sie selbst hängt nun wieder hinterher.
"Wo ist denn deine Mama?" , fragt Oma Bente ihre Urenkelin. "Wir wollen doch in die Kirche", sagt sie und wird schon ganz nervös.
"Hier bin ich, Oma" , sagt sie und dreht sich einmal im Kreis.
"Du siehst toll aus" , sagt sie.
"Danke, du auch" , antwortet Gwyn. Gwyn hat ein grünes, enganliegendes Kleid an. Dann gehen sie alle gemeinsam in die örtliche Kirche, die nicht weit entfernt und zu der jedes Jahr alle gehen. Die ganze Stadt wird da sein, genauso wie zu dem Weihnachtessen. Es ist einfach eine kleine, familiäre Gemeinde. Es wird jedes Jahr ein Gottesdient abgehalten, der total schön ist. Es wird ein kleines Theaterstück aufgeführt, für welches Nieves nächstes Jahr auch alt genug sein wird, außerdem singen sie jede Menge Lieder und es werden die Geschenke für ärmere Kinder gesammelt. Sie singen sich die Seele aus dem Leib, bis der Gottesdienst eine Stunde später zu Ende ist und sie um vier Uhr wieder bei Gwyn in der Wohnung ankommen.
"Das habe ich ja vorhin noch gar nicht gesehen. Hier sieht es echt schön aus" , sagt Opa Talin, als sie in das Wohnzimmer hineinkommen und den Weihnachtsbaum sehen. Kurz darauf sitzen sie alle am Tisch und essen den Kuchen, den Gwyn gestern noch gebacken hat.
"Bescherung!" , ruft Nieves, nachdem sie aufgegessen hat.
"Wir müssen noch warten, bis alle fertig sind" , erklärt Gwyn. "Und außerdem, der Weihnachtsmann ist noch anderweitig beschäftigt" , sagt sie. Sie schaut Chandler an und die beiden können inzwischen schon nur noch mit Blicken kommunizieren. Als alle aufgegessen haben, entschuldigt sich dieser und kurz darauf klingelt es an der Tür. Nieves läuft aufgeregt zu ihm.
"Mama, Mama. Der Weihnachtsmann!" , ruft sie.
"Dann ist wohl jetzt Zeit für die Bescherung" , sagt Gwyn und alle setzten sich um den Tannenbaum herum auf. Der Weihnachtsmann möchte, dass Nieves ein Gedicht aufsagt und tatsächlich haut sie ein Weihnachtsgedicht raus. Gwyn ist verblüfft. Sie hat es nicht mit ihr eingeübt und sie schaut zum Weihnachtsmann, der ihr nun zuzwinkert. Sie liebt diesen Mann einfach. Der Weihnachtsmann zieht ein Geschenk nach dem anderen aus dem Sack und verteilt sie, bis keine mehr übrig sind.
"Mehr Papier" , sagt Nieves und ist ein wenig enttäuscht, als die Bescherung schon wieder vorbei ist.
"Das wars leider für dieses Weihnachten" , sagt der Weihnachtsmann. "Ich muss nämlich noch anderen Kindern ihre Geschenke bringen" , sagt er und dies beruhigt Nieves ein wenig. "Und nächstes Jahr komme ich wieder" , sagt er und verabschiedet Nieves mit einer Umarmung. Kurz darauf klingelt Chandler an der Tür.
"Du hast den Weihnachtsmann verpasst!" , sagt sie aufgedreht und will Chandler all ihre Geschenke zeigen. Er lässt sich mitziehen und alles zeigen.
"Wie war der Weihnachtsmann denn so?" , fragt Chandler.
"Toll" , sagt Nieves.
"Habe ich auch etwas bekommen?" , fragt er.
"Ja, hier" , sagt sie und zeigt auf einen kleinen Stapel Geschenke, die mit seinem Namen versehen sind.
"Und jetzt zeig mir Mal deine Geschenke" , sagt er und die beiden spielen den ganzen Abend mit den Sachen, die Nieves geschenkt bekommen hat. Darunter ist auch eine Holzeisenbahn, die ihr Opa selbst gemacht hat. Genauso eine, wie er auch Zuhause stehen hat. Sie wird direkt gegen die Carrererbahn ausgetauscht und es wird damit gespielt. Nachdem sie Abend gegessen haben und es schon dunkel draußen geworden sind, verabschieden sich die Großeltern und Caspar. Sie sind müde geworden und auch für Nieves ist es Bettzeit. Chandler bringt sie ins Bett.
"Können wir noch kurz reden?" , fragt er, als die beiden vor dem Kamin stehen.
"Ja, klar. Was ist denn?" , fragt sie.
"Ich habe noch ein Geschenk für dich" , erklärt er.
"Was? Wieso, wir haben uns doch schon alles gegeben?" , fragt sie. "Oder ist es etwa etwas unanständiges?" , fragt sie grinsend.
"Ja, Nacktfotos" , sagt er lachend und überreicht ihr einen kleinen Karton. Sie öffnet ihn und findet darin die entwickelten Bilder. Die beiden setzten sich gemeinsam unter den Baum und schauen sich all die Bilder an, die Chandler gesammelt hat. Darunter sind die Bilder von dem Tag, an dem sie den Schneemann gebaut haben, aber auch andere Bilder. Ihr ist gar nicht aufgefallen, dass er noch weitere Bilder gemacht hat. Dort ist sie, er hat sie aus der Bahn heraus fotografiert. Sie beim Italiener. Sie in der Uni. Überall.
"Wow, Chandler. Das ist perfekt. Danke" , sagt sie und umarmt ihn.
"Du bist einfach das schönste Motiv" , erklärt er schüchtern.
"Aber da gibt es noch etwas, was ich dir sagen will. Ich finde, du hast das richtig toll gemeistert" , sagt er. "Du hast das richtig gewuppt und du bist eine unglaublich starke, tolle Frau, Gwyn" , sagt er. "Wenn du möchtest, dann können wir jetzt noch zum Friedhof fahren, um deinen Freund zu besuchen" , erklärt er. "ich weiß, dass dieser Tag nicht einfach für dich ist und du dich am liebsten einfach nur verkrochen hättest, aber weißt du was? Er wird immer hier drin sein. Immer" , sagt er und zeigt auf sein Herz. "So lange wir ihn nicht vergessen, wird er immer weiterleben" , erklärt er.
"Warum sagst du mir das alles?"
"Weil ich möchte, dass du das weißt, wenn du dich auf mich einlässt. Ich möchte, dass du weißt, dass du ihn niemals vergessen musst. Ich verstehe das und ich werde nie den ganzen Platz in deinem Herzen haben, weil er da ist. Aber es ist in Ordnung, okay?" , fragt er.
"Okay" , sagt sie und ihr läuft eine Träne die Wange hinunter.
"Und ich möchte, das du das weißt, weil ich dich liebe. Ich liebe dich, Gwyn" , flüstert er.
Irgendwie hat sie nicht damit gerechnet, nun diese Worte aus seinen Mund zu hören, doch es ist perfekt. Sie liebt ihn auch. Es ist das schönste Weihnachtsgeschenk, was sie dieses Jahr hätte bekommen können.
"Ich liebe dich auch" , sagt sie und die beiden küssen sich unter dem Mistelzweig, den Gwyn heute Morgen am Kamin aufgehängt hat.
"Ich möchte mit dir zusammen sein und mein restliches Leben mit dir und der kleinen Maus verbringen, denn auch Nieves habe ich lieben gelernt" , erklärt er. "Ich liebe dich und deine kleine Familie" , sagt er. Die beiden küssen sich noch einmal und können gar nicht mehr damit aufhören.
"Ich liebe dich" , sagt er noch einmal. Die beiden haben sich gefunden, obwohl sie sich niemals gesucht haben. Sie weiß, dass es richtig ist. Es fühlt sich einfach richtig an. Chandler und Gwyn. Gwyn und Chandler. Gwyn, Chandler und Nieves. Eine kleine Familie.
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