22. Dezember
An diesem Morgen wacht Gwyn mit einem Lächeln im Gesicht auf. Sie ist glücklich und kann es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Sie würde ihn fragen, ob er heute Abend mit ihm zur Weihnachtsfeier der Stadt kommen würde. Zur Weihnachtsfeier im alten Rathaus. Sie zieht sich an und weckt anschließend Nieves, um auch sie anzuziehen und zum Kindergarten zu bringen. Bevor sie ihr Kind weckt, baut sie noch den Elfen auf und heute kann sie sich sogar darüber freuen. Sie freut sich sogar richtig auf Weihnachten, weil sie es mit lieben Menschen verbringen wird. Eigentlich hätte sie gedacht, dass sie diesen Tag bis aufs abscheulichste hassen würde, aber das tut sie nicht. Sie hat Angst davor, ja. Aber im selben Moment freut sie sich auch auf den Tag. Auf Nieves große Kinderaugen, wenn der Weihnachtsmann kommen würde. Sie wollte Chandler noch fragen, ob er diesen dieses Jahr übernehmen würde. Ihr Opa und Caspar haben das einfach schon zu oft gemacht. Sie will, dass Nieves die beiden dabei hat, an Weihnachten. Es wird vielleicht das erste Weihnachten sein, an welches sie sich später erinnern kann. Da sie Chandler noch nicht kennt, wird sie sich an ihn wahrscheinlich sowieso nicht erinnern. Aus seinen Erzählungen raus denkt sie, dass er sein Weihnachten nicht mit seiner Familie verbringen wird. Vielleicht hat er noch keine Pläne. Sie wird ihn heute in der Bahn fragen. Sie bringt Nieves in den Kindergarten und kauft wieder zwei Zimtschnecken und einen Kaffee bei Caspar. An diesem Tag sitzt er in der Bahn und wartet schon grinsend auf sie. Er zieht sich die Mütze vom Kopf und steckt diese, sowie sein Buch in die braune Tasche.
"Hey" , begrüßt er sie.
"Hey" , sagt sie lächelnd und setzt sich neben ihn. Er hält den Sitz neben sich immer für sie frei. Er sitzt jeden Tag auf dem gleichen Platz. Wie auch immer er das anstellen kann. Und jeden Tag setzt sie sich an ihrer Station dazu. "Hier, für dich" , sagt sie und drückt ihm beides in die Hand.
"Danke" , antwortet er und bekommt große Augen. "Das sind die besten Zimtschnecken der Welt" , stellt er noch einmal fest.
"Ich weiß" , sagt sie grinsend.
"Ich will dich was fragen"
"Also ist es eine Bestechung?" , fragt er.
"Nein" , antwortet sie schmunzelnd. "Obwohl.. vielleicht ein bisschen"
"Was willst du fragen?" , fragt er.
"Zwei Sachen" , erklärt sie.
"Erstens. Willst du heute Abend meine Begleitung zum Weihnachtsessen der Stadt sein?" , fragt sie ihn.
"Es gibt ein Weihnachtsessen der Stadt?" , fragt er.
"Jep, jedes Jahr" , sagt sie.
"Okay, ich lass mich überraschen. Ich bin gerne dabei" , antwortet er und ihr fällt schon der erste Stein vom Herzen.
"Und die zweite Frage?" , fragt er.
"Kannst du mein Weihnachtsmann sein?" , fragt sie.
"Dein Weihnachtsmann?" , fragt er lachend.
"Ja, an Weihnachten" , erklärt sie.
"An Weihnachten?"
"Jep. Hast du da schon was vor?" , fragt sie.
"Soll ich nur dein Weihnachtsmann sein oder darf ich auch den restlichen Tag mit euch verbringen?" , fragt er.
"Willst du Nieves kennenlernen?" , fragt sie.
"Ja" , erklärt er.
"Heute?" , fragt sie.
"Heute" , antwortet er.
"Wenn sie dich mag, dann darfst du auch den Rest des Tages mit uns verbringen" , sagt sie.
"Wie gnädig" , sagt er lachend.
"Tut mir Leid" , erklärt sie.
"Sie wird mich lieben" , manifestiert er.
"Aber ich bin dein Weihnachtsmann. Auch wenn ich den restlichen Tag nicht mit euch verbringen dürfte. Ich hoffe, deine Tochter mag mich"
"Ich hoffe auch. Aber eigentlich sollte sie dich mögen. Wenn ich dich mag, mag sie dich bestimmt auch. Und sonst, versuch es mit Bestechung. Das klappt bei ihr immer" , sagt Gwyn grinsend.
"Danke" , sagt sie und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Nachdem sie ihr Gespräch über das Weihnachtsfest beendet haben, muss Chandler schon aussteigen und sie fährt noch eine Station weiter, um sich mit ihren Freundinnen zu treffen.
"Ich hole dich dann heute Abend ab" , sagt er noch, bevor er die Bahn verlässt.
*
Nach der Uni setzt sich Gwyn noch einmal hin, um zu lernen. Morgen würden die Prüfungen anstehen und ihr Herz pocht jetzt schon wie verrückt. Sie kann schon jetzt kaum stillhalten. Nieves ist noch im Kindergarten und sie muss sich die restliche Zeit gut einteilen, bevor sie zum Fest muss. Das Fest ist sozusagen eine Pflichtveranstaltung, wenn man in Lenancia wohnt und sie freut sich jedes Jahr darauf. Sie ist total in ihre Lernsachen vertieft, als es auf einmal an der Tür klingelt. Sie steht auf und macht im größten Schlabberlook der Geschichte die Tür auf. Davor steht Chandler, in einem Anzug, total herausgeputzt.
"Willst du so gehen?" , fragt er lachend.
"Oh scheiße. Wie spät ist es?" , fragt sie panisch.
"Achtzehn Uhr" , erklärt er.
"Scheiße. Scheiße. Scheiße" , flucht sie vor sich hin und hüpft in der Wohnung herum.
"Du kannst reinkommen. Mach die Tür zu" , sagt sie.
"Scheiße" , flucht sie noch einmal. Sie hat noch viel zu viel zutun und in einer halben Stunde würde das Essen beginnen. "Ich hab Nieves im Kindergarten vergessen" , sagt sie. "Ich hab die scheiß Zeit vergessen" , flucht sie. Eigentlich wollte sie noch duschen gehen, sich ein bisschen schick machen und eben ihre Tochter abholen. Die wartet schon im Kindergarten. Sie wollte sie auch noch schick machen.
"Ich werde nie mehr für alles Zeit haben" , sagt sie panisch.
"Ich gehe auch so mit dir dahin" , sagt er und zeigt auf ihr Outfit. "Wie kann ich dir helfen?" , fragt er.
"Kannst du vielleicht Nieves abholen?" , fragt sie.
"Aber sie kennt mich doch gar nicht. Und die Erzieher auch nicht. Bekomme ich da nicht Schwierigkeiten?" , fragt er unsicher.
"Ich werde anrufen, mit Nieves sprechen und dir noch einen Zettel mitgeben. Dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen""Eigentlich?" , fragt er nun panisch.
Kurz darauf steht sie tatsächlich unter der Dusche und dies in Rekordzeit. Zum Glück ist es Winter und sie kann sich eine Strumpfhose anziehen, sodass sie sich nicht die Beine rasieren muss. Das hätte nun einfach viel zu viel Zeit gekostet. Er steht unsicher vor dem Kindergarten, mit dem Zettel von Gwyn in der Hand.
"Hallo" , sagt er unsicher zur Erzieherin.
"Sie müssen sicher Chandler sein, oder?" , fragt sie.
"Ähm, ja. Ich soll Nieves abholen" , erklärt er.
"Ja, kommen Sie mit" , sagt sie.
"Dürfen Sie Kinder einfach so anderen Menschen mitgeben? Das ist doch total gefährlich" , erklärt er.
"Wir haben jegliche Sicherheitsstufen gewählt. Gwyn hat uns einen Zettel mitgegeben, sie hat Nieves Bescheid gegeben und wir haben auch ein Foto von Ihnen bekommen. Wir wissen also, dass sie wirklich von der Mutter geschickt wurden sind. Bei Gwyn ist es aber auch eine Ausnahme. Sie ist ein bisschen verpeilt, wenn man das so sagen kann. Sie ist alleinerziehend und da kann es öfter mal vorkommen, dass andere Personen Nieves abholen. Wenn sie mit Nieves zusammen sind, dann werden wir sie bestimmt bald noch öfter sehen. Das ist ja jetzt auch eine ungewöhnliche Situation" , erzählt die Erzieherin und erschlägt Chandler fast mit ihrem Redeschwall. Nieves kommt tatsächlich auf ihn zugelaufen und umarmt ihn, obwohl sie ihn gar nicht kennt.
"Du bist der Mann, der bei uns war. Du bist weggelaufen. Aber jetzt wieder da" , sagt sie und begrüßt ihn.
"Hey" , sagt er und nimmt ihre Hand ,Sie zeigt ihm ihre Sachen an der Garderobe.
"Du riechst gut" , sagt sie.
"Danke" , sagt er lächelnd und ist total überfordert mit der Situation. Das letzte Mal, als er etwas mit Kindern zutun hatte, war, als er selbst noch jung war und das waren seine Geschwister.
"Welches ist dein Haken? Der mit der Giraffe?" , fragt er.
"Ja, woher weißt du das?" , fragt sie.
"Ich weiß alles" , sagt er lachend.
"Wirklich? Warum sind die Bananen krumm?" , fragt sie und zaubert eine Banane hinter ihrem Rücken hervor, die er vorher noch gar nicht gesehen hatte.
"Weil die Affen drauf schaukeln" , erklärt er und bringt sie damit zum Lachen. Er hilft ihr beim Anziehen und dann verlassen die beiden den Kindergarten. Er hat sie an der rechten Hand und irgendwie fühlt sich das sogar gut an, was er nicht gedacht hätte. Er mag Nieves. Sie hat einen gewissen Charme, dem er einfach nicht widerstehen kann. Er weiß gar nicht, weshalb er sich Sorgen gemacht hat. Als die beiden Zuhause ankommen, klingeln sie und Gwyn ist verwandelt. Innerhalb von weniger als einer halben Stunde hat sie sich schick gemacht.
"Sag mal, kannst du zaubern?" , fragt Chandler sie.
"Du sahst vorher schon toll aus, aber jetzt" , sagt er und weiß gar nicht, wie ihm geschieht.
"Mama, ich mag den Mann" , verkündet Nieves und Chandler fällt ein Stein vom Herzen.
"Kannst du mit ihr ein Kleid raussuchen? Ich mache mich noch schnell ganz fertig. Und dann können wir los, okay?" , fragt sie und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Es ist, als wären die beiden schon ewig zusammen.
"Komm, Nieves. Was willst du für ein Kleid anziehen?" , fragt Chandler und sie zeigt ihm ihr Zimmer und den kleinen Kleiderschrank darin.
"Findest du das schön?" , fragt er.
"Nein"
"Und das?"
"Nein"
"Das vielleicht?"
"Nein"
"Das?"
"Nein"
"Nieves, wir haben jetzt alle Kleider durch und du willst keins davon anziehen" , sagt er.
"Ich will so aussehen, wie du" , sagt sie.
"Einen Anzug?" , fragt er.
"Ja"
"Aber du hast keinen Anzug"
"Doch" , sagt sie und holt einen kleinen Anzug aus dem Schrank.
"Woher hast du denn den?" , fragt sie.
"Hab ich mit Papa gekauft" , erklärt sie.
"Mit deinem Papa?" , fragt er. Er ist erstaunt, dass sie sich an ihn erinnern kann, denn vor einem Jahr war sie erst drei Jahre alt.
"Ja" , sagt Nieves.
"Meinst du, du passt da noch rein?" , fragt er.
"Mein Papa ist im Himmel" , verkündet sie dann.
"Das tut mir Leid"
"Da geht es ihm besser" , sagt sie. "Da passt er nun auf uns auf. Auf dich jetzt auch" , sagt sie.
"Auf mich auch?" , fragt Chandler sie.
"Ja. Er mag dich, weil du Mama glücklich machst"
"Das freut mich"
"Also, dann wollen wir Mal schauen, ob du in den Anzug noch hineinpasst" , sagt er und hilft der kleinen in den blauen Anzug hinein. Der Anzug passt tatsächlich perfekt.
"Bist du kein Stück gewachsen?" , fragt sie.
"Doch. Aber der Anzug wächst mit mir mit" , sagt sie stolz. "Papa hatte Zauberkräfte" , erklärt sie.
"Komm, wir zeigen uns mal deiner Mama" , sagt er und Nieves läuft schon aus dem Zimmer heraus. Gwyn ist im Badezimmer und kommt gerade heraus.
"Nun müssen wir aber schnell los. Seit ihr fertig?" , fragt sie.
"Immer bereit" , ruft Chandler. Nieves rast auf ihre Mutter zu.
"Du siehst ja großartig aus. Wolltest du kein Kleid anziehen?" , fragt sie.
"Nein" , sagt Nieves.
"Du siehst toll aus" , sagt Gwyn und nimmt nun Nieves an die eine Hand und Chandler an die andere.
"Du siehst übrigens auch toll aus" , sagt Chandler. "Aber ich finde du siehst immer toll aus" , erklärt er.
"Danke" , sagt sie.
"Du siehst auch toll aus"
"Du musst das nicht sagen"
"Es stimmt aber" , sagt sie lächelnd. Die beiden gehen Händchen haltend zum Dinner. Die beiden kommen in der alten Rathaus an und setzten sich zu ihren Freunden, die alle auch gemeinsam dort sind. Dann beginnt das Essen. Sie treffen die ganze Stadt dort und unterhalten sich nett. Nieves spielt mit den anderen Kindern der Stadt und sitzt am Kindertisch. Sie stellt Chandler ihren Großeltern vor und die beiden mögen ihn auch auf Anhieb. Sogar ihr Großvater, der ihren Freund verehrt hat. Ihre ganze Familie mag ihn einfach und das ist ein weiteres gutes Zeichen, denn sie ist schon total verschossen in ihn. Sie essen gemeinsam und haben eine Menge Spaß an dem Abend.
"Willst du tanzen?" , fragt Chandler nach einer Weile, als das Essen schon vorbei ist und sie sich mindestens jeweils drei Nachtische reingezogen haben.
"Ich muss definitiv tanzen, wenn ich noch mehr Nachtisch essen will. Also los gehts" , sagt sie lachend und die beiden schwingen das Tanzbein auf der Tanzfläche. Er wirbelt sie total herum und beeindruckt sie mit seinen Tanzskills. Sie spielen tausend Weihnachtslieder und irgendwann kommt ein rockiges Weihnachtslied von Elvis Presley, bei dem er auf einmal heraushaut, dass er Rock n Roll tanzen kann. Es macht ihn nur noch attraktiver. Sie liebt Jungs, die tanzen können. Sie hätte nicht gedacht, dass sie an diesem Abend so viel Spaß hat, wie sie im Endeffekt hat, doch mitten in der Nacht knockt es sie doch noch aus. Sie spielen ein ganz bestimmtes Lied, während Chandler und sie um Mitternacht noch auf der Tanzfläche sind.
Dieses Lied, eines, welches ihr Freund abgöttisch liebt, welches ihr gemeinsames Lied war, wird gespielt und sie kann nicht mehr. Sie bricht in Chandlers Armen zusammen und bricht in Tränen aus.
"Hey" , sagt er und fängt sie auf. "Hey, was ist los?" , fragt er. "Sollen wir rausgehen?" , fragt er. Eigentlich will sie das Lied zu Ende hören und einen Moment an ihn erinnert werden. Sie darf ihn nicht vergessen. Nicht an diesem Tag. Sie muss zumindest diese drei Minuten an diesem Tag an ihn denken. Sie schüttelt den Kopf und drückt ihren Kopf an Chandlers Brust. Die Tränen lässt sie einfach laufen. Er hält sie bloß in seinen Armen.
"Es ist okay" , flüstert er in ihr Haar und küsst sie auf den Scheitel. "Es ist in Ordnung" , flüstert er und hält sie.
Das Lied "Dance with somebody" , von Conor Maynard wird gespielt. Es ist ein Cover, welches gespielt wurden ist, als die beiden sich das erste Mal gesehen haben. Das Lied bedeutet ihr alles. Nachdem das Lied zu Ende ist, gehen die beiden nach draußen an die frische Luft.
"Sollen wir uns setzten?" , fragt Chandler und die beiden setzten sich auf ein paar Strohballen, die vor dem Rathaus aufgestellt wurden sind.
"Das war unser Lied. Ich hatte echt Schiss vor diesem Tag. Und je näher, der vierungszwanzigste kommt, desto schlimmer wird es. Er ist am vierungszwanzigsten Dezember gestorben" , erklärt sie. "Und damals habe ich ihn das erste Mal in dieser Scheune gesehen. Auf diesem Fest. Ich kann ihn sehen" , sagt sie. "Da haben sie diesen Song gespielt. Danach sind wir gemeinsam zur Schule gegangen. Ich fand ihn von Sekunde eins an faszinierend und dann hats endlich gefunkt, als wir uns das erste Mal geküsst haben. Wir waren beide in der Theater-AG und haben Romeo und Julia gespielt. Ich bin ausgerastet, als ich es erfahren habe. Als er mich als Romeo geküsst hat, hat er mich danach nach einem Date gefragt und wir sind zusammen gekommen. Ich war sechszehn, er war siebzehn. Und dann waren wir zusammen. Bis letztes Jahr. Wir hatten unser Leben durchgeplant. Wir haben beide unser Abi durchgezogen, dann ist der Idiot zum Wehrdient gegangen, als Soldat in den Krieg gezogen, wieder nach Hause geflogen und gestorben. Er hat Nieves und mich allein gelassen" , sagt sie.
"Nieves kann sich an ihren Papa erinnern" , sagt er. Vielleicht tröstet das Gwyn ein wenig, denkt er.
"Wirklich?" , fragt sie mit großen Augen.
"Ja, sie hat mir vorhin von ihm erzählt" , sagt er, erwähnt aber nicht, dass sie seltsames Zeug geredet hat, dass ihr Papa ihn mag. Das muss Gwyn nicht wissen.
"Danke, Chandler" , sagt sie und umarmt ihn.
"Wofür?" , fragt er.
"Für alles" , antwortet sie.
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