20. Dezember
Die beiden wachen am Morgen nebeneinander auf und sind im Stress, denn sie haben den Wecker nicht klingeln gehört. Die beiden können sich gar nicht damit beschäftigen, dass sie gerade die erste Nacht gemeinsam verbracht haben, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt sind, nicht zu spät zu kommen. Die beiden putzen sich in Windeseile die Zähne und ziehen sich an. Gwyn gibt Chandler eine neue Zahnbürste, zum Glück hat sie immer Ersatzzahnbürsten Zuhause, die sie beim Zahnarzt mitgehen lässt.
"Bitte sag, dass du noch eine frische Unterhose von deinem Freund hast, die ich benutzen darf" , jammert Chandler, als er in dem Chaos steht, welches die beiden hinterlassen haben.
"Ich habe noch alles für ihn. Die Chancen stehen gut" , sagt sie und geht ins Ankleidezimmer, wo sie seine Sachen verstaut hat. Sie will sich einen Scherz mit Chandler erlauben.
"Hier" , sagt sie und wirft ihm eine Unterhose mit ihrem Gesicht zu. Die hat sie ihrem Freund einmal zu Weihnachten geschenkt. Als er sieht, was sie ihm in die Hand geworfen hat, muss er anfangen zu lachen.
"Besser als nichts" , sagt er lachend und zieht die Unterhose tatsächlich an. Sie hätte gedacht, dass er protestieren und nach einer anderen verlangen würde. Jetzt kann sie bestimmt den ganzen Tag an nichts anderes denken, als dass er eine Unterhose mit ihrem Gesicht drauf an hat.
Die beiden verlassen in Windeseile das Haus und rennen zu Caspar.
"Passiert dir das immer?" , fragt er völlig aus der Puste. Sie hat eine Kondition, die ist unglaublich. Sie muss aber bekanntermaßen ja öfter rennen. Chandler ist da eher der entspannte Typ. "Das ist ja übelst stressig"
"Nein" , sagt sie grinsend und rennt auf Caspar zu, bei dem unendlich viel los ist.
"Sag nicht, du willst dich da jetzt auch noch anstellen?" , fragt er ungläubig.
"Ich brauche meine Zimtschnecke und meinen Kaffee" , sagt sie achselzuckend. "Sonst bin ich unausstehlich" , sagt sie.
"Oh mein Gott. Kein Wunder, dass du immer zu spät dran bist." , stöhnt er. "Hast du die Schlange gesehen?"
Sie rennt zu Caspar, er hält ihr die Zimtschnecke und den Kaffee bereit und nimmt ihn entgegen. Bezahlen würde sie wie immer, später.
"Wie hast du das denn jetzt bitte geschafft?" , fragt er, als sie am Bahnsteig ankommt. Er ist schon vorgegangen, das war ja nicht zum Aushalten.
"Ich habe da so meine Tricks" , sagt sie und teilt die Zimtschnecke in der Hälfte, um sie ihm zu geben. Sie bietet ihm auch etwas von ihrem Kaffee an, doch er mag scheinbar keinen Kaffee.
"Wie jetzt? Was bist du denn für ein Unmensch?" , fragt sie.
"Ich spare mir jede menge Geld und meine Zähne bleiben schön" , sagt er grinsend.
Sie hätte jetzt am liebsten einen Spiegel, um sich ihre Zähne anzuschauen. Sie findet nichts unattraktiver, als eklige Zähne.
"Du hast schöne Zähne" , sagt er und nimmt seinen ersten Bissen der Zimtschnecke.
"Und?" , fragt sie.
"Genial" , stellt er fest. "Die ist noch besser, als die, die ich dir neulich mitgebracht habe"
"Soll ich dir morgen eine mitbringen?" , fragt sie.
"Sehr gerne" , antwortet er. Die beiden fahren noch eine ganze Weile zusammen Bahn. An diesem Tag steigt er auch wieder eine Station vorher aus. Das würde sich wohl niemals ändern. Die Kommentar gebende Frau flüstert schon wieder etwas vor sich hin, als Chandler ausgestiegen ist und und Gwyn hat langsam echt die Schnauze voll. Bisher hat sie sich aber noch nicht getraut, etwas zu sagen. Vermutlich würde sie das auch nie. Sie ist einfach zu schüchtern.
"Jetzt kommt ihr ja sogar zu zweit. Was ist denn da passiert?" , fragt sie anzüglich, als wenn Gwyn und Chandler eine Fernsehserie wären.
"Sag mal, Lady. Kennen sie die beiden jungen Herrschaften, dessen Leben sie da kommentieren?" , fragt nun ein älterer Herr.
"Nein, warum denn?" , fragt sie, als wenn sie nichts getan hätte.
"Weil sie seit Wochen alles kommentieren, was in deren Leben abgeht. Lassen Sie es! Es geht sie nichts an!" , erklärt der Mann und Gwyn sieht, wie viele Passagiere ihm nickend zustimmen. Sie ist verdammt dankbar, dass er sich getraut hat, etwas zu sagen, denn sie hätte es niemals.
"Danke" , flüstert sie ihm zu, als sie aus der Bahn aussteigt. Ein weiterer Tag ist überstanden und sie hofft, dass die Frau verschwindet oder wenigstens ihre blöden Kommentare nun für sich behält. Sie trifft sich an der Bahn mit ihren Freundinnen und sie verbringen gemeinsam den Tag zusammen.
*
An diesem Abend will Gwyn wieder lernen. Sie holt Nieves von der Kita ab, telefoniert noch einmal mit ihren Großeltern, um sich bei ihnen zu bedanken, setzt Nieves vor den Fernseher und kocht Abendessen. Danach essen die beiden gemeinsam und danach geht es für Nieves schon wieder ins Bett. Gwyn setzt sich an den Schreibtisch und holt ihre Lernsachen heraus. Sie muss unbedingt lernen, denn in ein paar Tagen sind immerhin schon die Prüfungen. Sie hat noch einiges an Stoff aufzuholen. Sie muss sich ranhalten. Sie setzt sich an den Küchentisch und breitet sich aus. Sie geht in den Discord-Raum und dort trifft sie auf Chandler, der immer noch nicht seine Kamera eingeschaltet hat. Die beiden sind dieses Mal tatsächlich nur zu zweit in dem Raum.
"Wieso schaltest du deine Kamera denn nicht an?" , fragt sie.
"Ich mag einfach nicht so gerne beobachtet werden, wenn ich lerne"
"Ist das nicht der Sinn der Sache? In den Raum zu gehen, die Kamera anzumachen und zu lernen? Den anderen zu sehen, damit er auch wirklich lernt?" , fragt sie.
"Ich lerne auch, ohne dass du mich anstarrst" , sagt er und man hört das Grinsen in seiner Stimme. Er hat sie auf jeden Fall morgens in der Bahn gesehen, wie sie ihn die ersten paar Male angestarrt hat. Die beiden lernen eine ganze Weile und kommen gut voran. Er fragt sie zwischendurch immer wieder ab und sie ist erstaunt, wie gut sie doch schon die Antworten weiß. Es ist ein gutes Zeichen für ihre Klausuren und trotzdem hat sie noch viel zu viel vor sich.
Irgendwann darauf, als sie noch im Lernraum sind, klingelt es an ihrer Haustür.
"Warte kurz, ich glaube es ist der Postbote. Ich muss einmal kurz aufmachen" , sagt sie und verschwindet, um die Tür zu öffnen. Oft kommt der Postbote an Montagen ziemlich spät. Sie glaubt, dass er es freiwillig macht. Als Nebenjob, denn er sieht ziemlich jung aus. Sie öffnet die Tür und davor steht Chandler.
"Wie?" , fragt sie. Sie ist völlig erstaunt ihn zu sehen. Erstens hat sie nicht damit gerechnet, dass er so schnell zu ihr nach Hause kommt und zweitens hat sie nicht damit gerechnet, weil er gerade mit ihr in dem Lernraum ist.
"Hast du deshalb nicht deine Kamera angemacht? Und wie schnell warst du bitte schön hier?" , fragt sie.
"Ich kann eben zaubern" , sagt er und zaubert ein Lebkuchenherz aus dem Nichts hervor, welches er ihr überreicht.
"Das ist für dich" , sagt er.
"Bringst du mir jetzt immer etwas mit, wenn wir uns sehen?" , fragt sie. Es ist irgendwie super süß.
"Vielleicht" , antwortet er.
"Danke. Willst du reinkommen?" , fragt sie. Sie weiß, dass Nieves jederzeit aus ihrem Zimmer kommen könnte und sie will es ihm wirklich sagen. Sie wird es ihm gleich eröfnnen, wenn die beiden gemeinsam auf dem Sofa sitzen. Es ihm schonend beibringen. "Wir könnten zusammen lernen" Doch da ist es zu spät. Nieves steht im Türrahmen. Sie muss das klingeln gehört haben.
"Mama?" , fragt sie und kommt zu ihr getrottet. "Wer ist das?" , fragt sie und schaut Chandler mit großen Augen an. Allein an seinem Gesichtsausdruck kann sie sehen, wie groß Chandlers Augen werden und wie groß der Schock ist, dass sie eine Tochter hat.
"Ich muss gehen" , sagt er schnell und hat sich schon schnurstracks umgedreht. Sie kann es nicht fassen, dass er es so erfahren hat und dass er einfach, ohne ein Wort zu sagen, gegangen ist. Sie hat doch alle Möglichen Vorkehrungen getroffen. Am liebsten würde sie ihm hinterher rennen und ihm alles erklären, doch das geht nicht, weil sie Nieves nicht alleine lassen kann. Sie schaut das Lebkuchenherz um ihren Hals an und könnte schon wieder losheulen. Es hat alles so gut funktioniert. Wahrscheinlich zu gut. Und jetzt hat er ein Problem mit Nieves. Mit ihrem Ein und Alles. Sie hat alles vermasselt. Sie kann nicht glauben, dass sie so dumm gewesen ist. Sie kann sich nun nicht mehr aufs Lernen konzentrieren. Sie bringt Nieves wieder ins Bett, gibt ihr noch einen Gute-Nacht-Kuss und ruft eine ihre besten Freunde an.
"Hey, Süße. Was ist los?" , fragt Donatella.
"Er hasst Nieves" , stürzt es aus Gwyn heraus.
"Wer?" , fragt Donatella mit runzligem Gesicht.
"Chandler" , antwortet sie. "Er war eben hier. Überraschend. Und dann hat er Nieves gesehen und ist abgehauen. Sofort, auf der Stelle. Er hat noch nicht einmal richtig Tschüß gesagt"
"Das tut mir Leid. Wusste er bisher noch nichts von ihr?" , fragt sie.
"Nein" , erklärt Gwyn. "Ich wollte es ihm heute Abend sagen. Schonend beibringen. Doch dann ist sie einfach im Türrahmen aufgetaucht" , versucht sie zu erklären.
"Vielleicht braucht er einfach nur ein bisschen Zeit" , versucht Donatella das Verhalten von Chandler zu erklären. "Er datet dich immerhin schon ein paar Wochen und du hast es ihm immer noch nicht gesagt. Ich glaube, da kann das eine ziemlich heftige Nachricht sein. Gib ihm ein bisschen zeit, okay?" , fragt Donatella.
"Okay" , sagt sie. "Wie viel Zeit?" , fragt sie. "Ich will es ihm erklären, aber ich konnte ihm ja nicht hinterherrennen, wegen Nieves" , sagt sie. "Und da zeigt sich wieder, wie eingeschränkt man wegen einem Kind ist. Ich glaube nicht, dass er das will. Ich hab alles vermasselt. Ich hätte es ihm früher sagen müssen. Ich bin so eine dumme Nuss" , schimpft Gwyn auf sich selbst.
"Ich kann vorbei kommen und auf Nieves aufpassen. Dann kannst du mit ihm reden" , erklärt Donatella sich bereit.
"Er ist doch schon über alle Berge. Ich weiß noch nicht einmal, wo er wohnt. Aber danke" , erklärt sie. "Ich versuche schon die ganze Zeit, ihn zu erreichen, aber er geht nicht ran, ist nirgendwo online. Ich habs verbockt"
"Gib ihm Zeit. Ich glaube, er wird sich bestimmt noch einmal bei dir melden"
"Meinst du?"
"Ganz sicher"
"Danke, Tella. Das habe ich gerade echt gebraucht" , sagt sie und gibt ihrer Freundin einen imaginären Luftkuss. Danach reden die beiden noch eine ganze Weile gemeinsam über die Uni und die anstehenden Prüfungen, bis ihnen die Augenlieder schwer werden und sie ins Bett gehen.
"Bis morgen, gute Nacht" , verabschiedet sich ihre Freundin.
"Gute Nacht" , sagt auch Gwyn, doch es wird keine Gute Nacht. Sie tut erst Stunden kein Auge zu und wenn sie einschläft, wachts sie kurz darauf in einem Alptraum, schweißgebadet wieder auf. Sie kann in dieser Nacht einfach nicht gut schlafen. Sie träumt von ihrem Freund, von dem Flugzeugabsturz, von der Beerdigung und Chandler. Sie treffen aufeinander und zerfleischen sich.
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