18. Dezember

Auch wenn Chandler gestern nicht hätte besser reagieren können, als er es getan hat, versinkt sie an diesem Sonntag im Selbstmitleid. Sie kommt morgens nicht aus dem Bett und könnte den ganzen Tag heulen. Sie schafft es morgens nicht aus dem Bett. Ihr ganzer Körper fühlt sich wie ein einziger, riesiger Trauerkloß an. Sie fühlt sich, wie kurz nach dem Tod ihres Freundes. Sie hat nur noch im Bett gelegen und geheult. Zum Glück haben sie und Nieves bei ihren Großeltern gewohnt, sodass diese sich um sie kümmern konnten. Nun wohnt sie noch nicht allzu lange alleine, aber als es ihr langsam etwas besser ging, da wollte sie auf eigenen Beinen stehen. Nieves kommt irgendwann in Gwyns Zimmer, weil sie aufgestanden ist und Gwyn nirgends finden konnte.

"Mama?" , fragt sie vorsichtig und sieht das Gesicht ihrer Mutter, was traurig aussieht.

"Alles okay, Mama?" , fragt Nieves und legt sich zu ihrer Mutter mit ins Bett.

"Möchtest du meine Schokolade haben? Aus meinem Adventskalender?" , fragt Nieves und reicht es Gwny. Diese muss Lächeln. Ihre Tochter würde sogar ihre Schokolade für sich abgeben. Zum Glück hat Nieves noch diesen Adventskalender, denn heute würde Gwyn es den Rest geben, sich das Album anzuschauen und den Elfen herzurichten. Sie legt sich zu Gwyn dazu und die beiden kuscheln eine Weile, bis es Nieves zu langweilig wird. Gwyn fühlt sich heute aber nicht in der Lage, aufzustehen. Sie kann es einfach nicht. Sie fragt sich, wie es erst an seinem Todestag sein soll. Der rückt nämlich immer näher. Das kann sie einfach nicht. Nieves steht irgendwann auf und geht in ihr Zimmer. Nach einer ganzen Weile, die es ziemlich still ist, klopft es an ihrer Tür und diese öffnet sich. Davor steht ihre Oma Bente.

"Na, Süße?", fragt diese.

"Woher kommst du?", fragt Gwyn.

"Nieves hat uns angerufen. Sie hat Angst um ihre Mama. Was ist denn los?" , fragt ihre Oma besorgt und setzt sich auf die Kante des Bettes. Sie streicht Gwyn die Haare aus dem Gesicht und streichelt ihr den Kopf.

"Ich wusste gar nicht, dass sie schon telefonieren kann"

"Sie ist halt ein schlaues Mädchen. Sie hat darauf bestanden, dass ich komme und dir etwas zu Essen bringe" , erklärt ihre Oma.

"Wow" , antwortet Gwyn. Sie ist wirklich beeindruckt von ihrem kleinen Mädchen.

Nieves kommt hereinstolziert und hat ein viel zu schweres Tablet in den Händen.

"Frühstück ans Bett" , sagt sie stolz. Inzwischen schafft Gwyn es aus ihrer Selbstmitleidpfütze wenigstens ins Sitzen zu kommen. Sie kann die Kleine das nicht einfach umsonst gemacht haben. Auch wenn sie keinen Appetit hat, bestaunt sie, was Nieves mit ihren Großeltern auf die Beine gestellt hat, denn nun kommt auch ihr Opa zur Tür rein und sie sitzen alle gemeinsam im Bett, um das Frühstück gemeinsam zu verzehren.

"Kann ich heute einfach hier bleiben?", fragt sie. "Ich mag nicht aufstehen" , sagt sie.

"Sonntage sind dazu da, um nicht aufzustehen" , antwortet ihre Opa und legt sich dazu. Er klopft neben sich und Nieves und Oma Bente setzen sich dazu.

"Kevin allein Zuhause, Charlie und die Schokoladenfabrik oder der Grinch?"

"Weihnachtsmann und CO KG" , ruft Nieves.

"Das stand aber nicht zur Auswahl" , sagt ihr Opa streng. "Du darfst doch bestimmt jeden Abend eine Folge schauen, oder?" , fragt er seine Enkeltochter, die in seinem Arm liegt, dicht an ihn gekuschelt.

"Ja" , antwortet sie geknirscht.

"Und deine Mama soll heute entscheiden" , erklärt ihre Oma.

"Wird sie dann wieder fröhlicher?" , fragt Nieves.

"Vielleicht ein bisschen. Es wird ihr bestimmt besser gehen" , sagt ihre Oma und versucht Nieves ein bisschen zu beruhigen.

"Kevin allein Zuhaus" , sagt Gwyn. Das ist der einzige Film, der sie am wenigsten an ihn erinnert. Ihr Opa und ihre Oma haben ihren ganzen Süßigkeiten zusammengekramt und sie in der Mitte des Bettes zusammen gerafft. Daraus bedienen die vier sich nun, während sie den Film schauen. Nachdem sie die Hälfte gesehen haben, machen sie auf Pause und legen eine Pinkelpause ein. Währenddessen geht Oma Bente in die Küche und macht heiße Schokolade für alle. Sie lümmeln sich zurück in das Bett und schauen den Rest des Filmes. Währenddessen beginnt es, zu schneien und irgendwie ist die ganze Situation magisch.

"Wollen wir vielleicht noch raus gehen, ein bisschen Schlitten fahren?" , fragt Gwyn eine Weile, nachdem der Film zu Ende ist und die vier im Bett noch ein wenig schweigend zusammen gelegen und gekuschelt haben. Nieves ist sofort begeistert und hat in unter zwei Sekunden ihren Schneeanzug an, wie sie ihn sonst nie anbekommt. Ihre Stimmung hat sich auf jeden Fall gehoben.

"Das will ich am Montag auch so sehen!" , sagt Gwyn lachend zu ihrer Tochter und wirbelt sie in dem kleinen Eingangsbereich durch die Gegend. Gwyn kriegt einen Schreck, als sie im nächsten Moment noch das Album sieht. Sie klappt es auf, sieht den Elfen darin vor vier Jahren im Badezimmer. Er hat die Zahnbürste in der Hand und wischt sich damit den Po ab. Sie muss total los lachen. Vielleicht wäre es heute Morgen doch eine gute Idee gewesen, in das Album hinein zu sehen. Nieves würde sich schlapp lachen. Das weiß sie jetzt schon. Sie hat sowieso noch keine Zähne geputzt heute. Sie geht ins Badezimmer und sieht den Elfen dort schon sitzen. Ihr Opa ist einfach der Beste. Sie putzt sich die Zähne und danach umarmt sie ihren Opa einmal ganz doll.

Sie holen den Schlitten aus dem Keller und Nieves und Gwyn setzen sich gemeinsam darauf. Es hat inzwischen Unmengen geschneit, sodass sie schon über die Straßen fahren können. Opa Talin muss den Schlitten ziehen, denn Oma Bente setzt sich auch noch mit auf den kleinen, winzigen Schlitten.

"Das geht so nicht" , protestiert er, als die drei sitzen. "Ihr seit einfach zu schwer"

"Sind halt einfach nicht mehr deine Bestzeiten" , sagt Oma Bente grinsend und steht vom Schlitten auf, um Opa Talin zu helfen. Danach ziehen sie gemeinsam ihre beiden Enkel durch die Gegend. Sie ziehen sie bis zum Spielplatz, wo sie alle gemeinsam den großen Hügel hinunter rodeln. Opa Talin hat noch so eine rote Schüssel von früher gefunden, auf die er sich raufsetzt. Oma Bente nimmt er zwischen seine Beine und so fahren die beiden mit der Schüssel den Berg runter, während Gwyn und Nieves den Schlitten nehmen. Ihre Großeltern sind als erstes unten, denn die beiden fallen mitten im Rennen vom Schlitten und bleiben lachend liegen. Nieves hilft ihrer Mutter wieder auf und sie fahren noch mindestens zwanzig Mal mit dem Schlitten den Berg herunter und mindestens noch zwanzig Mal mit der roten Schüssel, die ihr Opa gefunden hat. Sie tauschen immer durch und fahren Wettrennen gegeneinander.

"Letztes rennen. Ich fahre mit Opa zusammen" , ruft Nieves schnell und schnappt sich Opa Talin, um gemeinsam mit ihm in der runden, roten Schüssel den Berg runter zu düsen. Nieves und Oma Bente rasen auf dem Schlitten den Berg runter und alle vier kommen gemeinsam zum stehen.

"Unentschieden!" , ruft Nieves und freut sich. Danach setzt sie sich auf den Schlitten und lässt sich wieder nach Hause ziehen. Opa Bente muss sie den ganzen Weg ziehen und Geschichten erzählen, während sie sich mit ihrer Oma unterhält. Als sie Zuhause ankommen, wird es draußen gerade dunkel. Oma Bente geht in die Küche und kocht ihnen Tee. Dann holt sie noch die Kekse aus dem Schrank und sie setzen sich gemeinsam ins Wohnzimmer, um Tee zu trinken.

"Das sind die Kekse, die wir gebacken haben" , freut sich Nieves und schiebt ihrem Opa einen Keks in den Mund.

"Wirklich gut" , sagt ihr Opa mit vollem Mund und lächelt seine Enkeltochter an. Er kann ihr einfach nicht widerstehen. Die beiden sitzen kurz darauf auch schon wieder auf dem Boden an der Careererbahn und spielen, während Oma Bente und sie eine Runde Mensch ärgere dich nicht spielen. Opa Talins Tee wird total schnell kalt, während er auf dem Boden mit Nieves spielt, doch es interessiert ihn nicht. Er verbringt einfach zu gerne Zeit mit ihr. Sie verbringen noch den ganzen Abend zusammen, bis es Abendbrot gibt. Heute schmieren Oma Bente und Opa Talin die Schnitten und bereiten auch das restliche Abendessen vor. Nieves und sie sollen es sich auf dem Sofa bequem machen, eine Folge Weihnachtsmann und Co KG schauen und es genießen. Ihre Kindheit genießen. Sie würden sich um das Abendessen kümmern und sie brauchen nichts tun. Die beiden sind eine ganze Weile in der Küche beschäftigt, sie scheinen gar nicht wiederzukommen. Gwyn will gerade schon schauen gehen, als die beiden in die Küche kommen. Die erste Folge, die die beiden heute gesehen haben, ist zu Ende. Gwyn drückt auf Pause und Oma Bente und Opa Talin haben ein wahres Festmahl aufgetragen.

Es gibt kleine Schnittchen. Und jede Menge davon. Kleine Schnittchen mit Frischkäse, mit vegetarischem Fleischsalat, mit Käse und außerdem haben sie kleine Spieße mit Käse und Weintrauben gemacht. Es gibt auch noch Paprikas mit Philadelphia und Salz und Pfeffer bestrichen.

"Ihr seid verrückt!" , sagt Gwyn. "Das ist doch viel zu viel!"

"Ich habe lange nichts mehr gegessen" , sagt Opa Talin grinsend und reibt sich den Bauch. Die beiden gesellen sich zu Nieves und Gwyn dazu und sie schauen beim Abendessen noch eine Folge.

"Wir haben das damals noch immer gesehen, oder Talin?" , fragt Oma Bente, doch er ist schon völlig versunken in der Serie. Sie hat auf ihn scheinbar eine genau so große Anziehungskraft wie auf seine Enkeltochter, denn sie lässt das Essen neben sich völlig unangetastet. Eigentlich haben sie auch die Regel beim Fernsehen kein Essen und zum Abendessen geht es immer in die Küche, aber heute scheint ein großer Tag der Ausnahmen zu sein. Nachdem die Folge zu Ende ist, setzten sie sich noch gemeinsam mit Nieves an den Tisch und sie isst ihr Abendbrot, bevor noch eine Geschichte von Opa Talin erzählt wird und es ins Bett geht. Heute soll Opa Talin an Nieves Bett bleiben, bis sie eingeschlafen ist. Erst nach einigen Stunden kommt er wieder aus dem Zimmer.

"Sag mal, bist du mit Nieves eingeschlafen?" , flüstert Oma Bente, als er rauskommt. "Wir wollten gerade nach dir schauen" , erklärt sie.

"Ich habe mich einfach nicht getraut, zu gehen" , erklärt er.

"Wir wollen jetzt auch los, Gwyn. Es ist schon spät" , will sich Oma Bente verabschieden.

"Ihr könnt sonst auch gerne im Gästezimmer schlafen. Jetzt ist es wirklich schon sehr, sehr spät. Ich möchte ungerne, dass ihr so spät noch herumlauft" , erklärt sie ihren Großeltern.

"Aber wir wollen dir keine Last sein. Du musst doch jetzt noch alles vorbereiten" , sagt Opa Talin.

"Nein, es ist schon alles vorbereitet. Ich hatte neulich auch Schlafgäste" , erklärt sie.

"Wer denn?" , fragt ihre Oma neugierig.

"Caspar und ein paar Freunde haben hier geschlafen"

"Kein junger Mann?" , fragt ihre Oma. Dafür bekommt sie von Opa Talin direkt einen Stoß und einen mahnenden Blick verpasst.

"Nein, nur Caspar und meine Freundinnen aus der Uni, Oma. Gute Nacht" , sagt sie und geht ins Bett. Ihre Oma möchte manchmal, dass sie einfach so weitermacht. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her und alle scheinen schon drüber weg zu sein. Aber niemand kannte ihn so, wie sie ihn kannte. Manchmal hat sie das Gefühl, dass außer ihr niemand ihn vermissen würde. Niemand außer ihr und ihrem Opa. Nieves kann sich ja noch nicht einmal an ihn erinnern. Und die anderen tun so, als wäre er nie ihr Freund gewesen. Als hätte er einfach nicht existiert. Dabei ist er der Vater ihres Kindes. Er hat existiert. Er war ihr bester Freund und sie würde alles für ihn tun. Heute noch. Der Kommentar ihrer Oma hat ihr an diesem Tag noch einmal ein Messer in die Brust gerammt und am liebsten würde sie schon wieder heulen. An diesem Abend hält sie es nicht anders aus. Sie will das ganze Fotoalbum ansehen, aber sie nimmt ein anderes. Das erste Fotoalbum, was er ihr damals zu ihrem ersten Jahrestag geschenkt hat. Sie blättert es durch und ihr Laufen schon wieder die Tränen übers Gesicht. Sie wird unterbrochen, als ihr Handy klingelt. Sie schaut auf das Display. Es ist Chandler. Sie weiß nicht, ob sie rangehen soll. Er hat richtig reagiert, aber er hat sie geküsst. Und es war so unerwartet irgendwie. Es war komisch, dass es jemand anders war. Nicht ihr Freund. Es war Chandler, der ihr so ein gutes Gefühl gibt.

"Geh ran" , hört sie auf einmal eine leise Stimme flüstern. "Er ist es wert"

Sie schaut sich im Zimmer um, doch es ist niemand zu sehen. Sie hätte schwören können, dass es die Stimme ihres Freundes war.

"Hey" , sagt sie und zieht erst einmal die Nase hoch.

"Alles okay?" , fragt Chandler sofort.

"Ja" , antwortet sie.

"Ich wollte wissen, wie es dir geht" , gibt er zu.

"Willst du die Wahrheit oder eine schöne Lüge hören?" , fragt sie.

"Die ungeschorene Wahrheit"

"Mir gehts beschissen, und dir?"

"Soll ich vorbeikommen? Ich kann einen ganzen Becher Schokoladeneis mitbringen" , erklärt er.

"Wo willst du einen ganzen Becher Schokoeis herbekommen? Es ist Sonntag!"

"Ich habe einen Zuhause. Habe ich das letzte Mal gekauft. Für Notfälle, wie diese"

"Das ist wirklich sehr lieb, aber es geht nicht"

"Warum nicht?"

"Meine Großeltern sind bei mir"

"Ich kann sie doch kennenlernen"

"Sie schlafen schon"

"Oh."

"Weißt du, wie spät es ist?" , fragt sie.

"Oh", sagt er noch einmal. "Ich wusste nicht, dass es schon so spät ist. Tut mir Leid" , sagt er.

"Schon okay. Ich bin ja eh noch wach" , sagt sie lächelnd. "Und ich mag es, mit dir zu sprechen" , erklärt sie und die beiden reden noch fast die ganze Nacht, bis sie am Telefon nebeneinander einschlafen.

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