15. Dezember

An diesem Morgen scheint Gwyn das gleiche Schema zu verfolgen, wie die anderen Tage ihres Lebens auch. Sie ist zu spät dran, nachdem sie für Nieves den Elfen hergerichtet hat, sich das Album vorher angeschaut hat und sie zum Kindergarten gebracht hat. Sie muss schon wieder rennen, um rechtzeitig bei Caspar zu sein und eine Zimtschnecke und einen Kaffee zu bekommen. Als sie außer Atem bei ihm ankommt, sieht sie die endlos lange Schlange. Sie stöhnt auf, denn heute ist sie so spät, dass Caspar denken könnte, sie würde gar nicht mehr kommen, weil Nieves oder sie krank sind. Doch als sie an seinem Stand ankommt und sich in die lange Schlange stellen will- jetzt macht es auch keinen Unterschied mehr, wenn sie noch später kommen würde- ruft Caspar ihren Namen und drückt ihr den Becher und die Schnecke in die Hand.

"Du bist der Beste", ruft sie und wirft ihm eine Kusshand hinzu. Er ist echt, wie ein Vater für sie. Die Leute in der Schlange beschweren sich schon wieder, aber so sind die Leute in Lenancia nun mal. Da kann man nichts machen. Sie sprintet weiter und bekommt die Bahn gerade noch. Sie ist völlig außer Puste und als sie in die Bahn einsteigt, sieht sie zuerst die Kommentar gebende Frau. Danach sieht sie Chandler und er kann sich das Grinsen nicht verkneifen. Von einem Ohr zum Anderen grinst er, mit seinem dicken Buch in der Hand, welches schon wieder ein anderes ist, als letzte Woche. Er nimmt seine Tasche von dem Sitz neben sich, sodass sie sich dort hinsetzen kann.

"Mein rechter, rechter Platz ist frei, ich wünsche mir die Gwyn herbei" , sagt er grinsend und klopft auf den Sitz. Tatsächlich nuschelt die Frau, die immer ihre Kommentare gibt, etwas vor sich hin. Immerhin spricht sie die beiden noch nicht an. Würde sie aber bestimmt noch. Da ist sich Gwyn sicher.

"Hast du am Freitag Zeit?" , fragt Chandler sie, nachdem sie sich begrüßt haben und ein wenig über ihren Morgen geredet haben.

"Freitag geht es leider nicht. Freitag ist bei uns Freunde-Tag"

"Was ist ein Freunde-Tag?" , fragt er.

"Jeden Freitag sehe ich meine Freundinnen und wir unternehmen etwas gemeinsam" , erklärt sie ihm.

"Und was macht ihr dann so?" , fragt er.

"Das ist immer unterschiedlich. Neulich haben wir Kekse gebacken. Mal Schlittschuh laufen gehen, wie du gesehen hast" , sagt sie lachend. "Filme schauen, shoppen gehen, Spielenachmittage. Alles mögliche. Auf Konzerte gehen. Je nachdem, worauf wir Lust haben" , erklärt sie.

"Sollte man eigentlich Mal mit seinen Freunden einführen" , grübelt er vor sich hin.

"Was hörst du denn gerne so für Musik?" , fragt er sie.

"Ich würde sagen, am liebsten Deutsch und Englisch-Pop. Ed Sheeran mag ich echt gerne" , antwortet sie und die beiden reden noch die ganze Bahnfahrt miteinander, bis er wieder aussteigen will.

"Triffst du dich jetzt eigentlich mit deinen Freunden?" , fragt sie.

"Jep, an der Bahnstation" , erklärt er.

"Ich treffe mich auch an meinem Bahnsteig mit meinen Freundinnen" , sagt sie grinsend und die beiden verabschieden sich voneinander. Sie wäre am liebsten mit ihm mitgegangen, aber sie will sich nicht aufdrängen. Gerade, wenn er sich jetzt mit seinen Freunden trifft. Sie sollen noch ohne einander können. Es gibt sie nicht nur im Doppelpack.

"Ich würde das Gespräch gerne noch weiterführen" , sagt er. "Aber ich muss raus" , sagt er und steigt aus. Prompt, als Chandler außer Hörweite ist gibt die Frau ihren Senf dazu.

"Na, da hast du es endlich geschafft" , sagt sie. "Bist du nun mit ihm zusammen?" , fragt sie.

"Was geht Sie das an?!", fragt Gwyn empört ist und froh auszusteigen. Diese Frau hat sich nicht in ihr Leben einzumischen. Sie ist froh, als sie rauskommt und ihre besten Freundinnen vor ihr stehen. Sie begrüßen sie mit einer Umarmung und sie hält sich ein bisschen länger als nötig an Ihnen fest.

"Alles okay?", fragt Fiamma sofort.

"Ja, da ist nur so eine unmögliche Frau in der Bahn" , erklärt sie. Sie atmet noch einmal tief durch. "Lass uns gehen"

*

Der Unitag ist super anstrengend gewesen und es fällt noch mehr Stoff für die anstehenden Prüfungen an. Nachdem der Tag zu Ende ist, geht sie erst einmal in die Unibibliothek, weil sie sich dort manchmal einfach besser konzentrieren kann, als Zuhause, wo überall Kinderspielzeug herumliegt. Außerdem ist es irgendwie eine andere Atmosphäre. Sie setzt sich an einen der Schreibtische und holt ihre Lernsachen hinaus. Sie setzt sich drei Stunden an die Sachen, bis sie sich nicht mehr konzentrieren kann. Als sie ihre Sachen allerdings einpackt, hat sie so einiges geschafft. Sie ist richtig zufrieden mit dem Tag, denn sie hat den restlichen Stoff nun auch auf ihre Karteikarten geschrieben und hat eine ganze Menge wiederholt. Nun braucht sie aber erst einmal eine Pause, nur für sich, bevor sie Nieves vom Kindergarten anholt und die beiden sich gemeinsam einen schönen Abend machen.

Sie packt ihre Sachen in der Bibliothek ein, gibt die Bücher ab, die sie sich ausgeliehen hat und macht sich auf den Weg zu einem ihrer absoluten Lieblingsorte- dem Zauberladen. Sie tritt in den Laden hinein und ist sofort in einer anderen Welt. Sie liebt diesen Laden einfach. Die Lichter sind gedimmt und überall brennen Kerzen. Es sieht total mystisch aus. Der Besitzer hat jede Menge verrückte Sachen. Von Tarotkarten, über alte Legendensachen bis hin zu Kristallen und Edelsteinen. Er hat einfach alles, was in entferntester Weise mit Magie zutun hat. Gwyn kommt in den Laden hinein, durch den alten lila Vorhang und ihr fällt sofort der neue Tisch auf, den jemand dekoriert haben muss. Auf ihm steht ein silberner Kerzenständer mit schwarzen, brennenden Kerzen und auf dem Tisch liegt jede Menge Zeug. Dort liegen einige Kerzen, die man Kaufen kann, einige Bücher, sowie ein paar Kristalle und Tee- und Kräutermischungen. Er sieht wirklich sehr schön angerichtet aus. Sie ist total verträumt und versunken in den Anblick des Tisches. Sie malt sich in ihrem Kopf eine Geschichte dazu aus- die mit Hexen zutun hat. Manchmal spielt ihre Fantasie in diesem Laden einfach verrückt und sie kommt auf die wildesten Gedanken. Sie ist einfach in einer anderen Welt. Daraus wird sie herausgerissen, als sie jemand anspricht.

"Kann ich Ihnen helfen?" , fragt die dunkle Stimme. Sie hört den jungen Mann erst gar nicht, weil sie zu sehr in ihren Gedanken gefangen ist. Er fragt es noch einmal und erst da taucht sie aus ihrem Gedankenkarussel auf und schaut ihn an. Sie blickt in tiefgrüne Augen, die den Ozean in sich widerspiegeln.

"Gwyn?" , fragt der junge Mann, der definitiv nicht der Besitzer des Ladens ist. Der hätte sie allerdings auch nicht angesprochen. Er weiß, dass sie stundenlang herkommt, um einfach an diesem Ort zu sein und sich Sachen anzusehen, bis sie sich schließlich nach einigen Stunden für eines der Dinge entschieden hat oder eben wieder geht. Sie ist eine seiner besten Kunden und er will sie nicht stören. Er weiß, dass sie nicht angesprochen werden mag, sondern schauen will. Der Besitzer ist generell eher ein stiller Mann und spricht seine Kunden kaum an.

"Chandler?" , fragt sie. "Was machst du hier?" , fragt Gwyn überrascht. Mit ihm hätte sie an diesem Ort irgendwie am wenigsten gerechnet. "Interessierst du dich etwa auch für den ganzen Kram?" , fragt sie, denn es wäre definitiv ein Pluspunkt auf der langen Liste, die sie inzwischen in ihrem Kopf angelegt hat.

"Ein bisschen. Aber ich arbeite eigentlich hier, um irgendwie meine Miete bezahlen zu können" , sagt er grinsend.

"Er hat einen neuen Mitarbeiter eingestellt?" , fragt sie empört.

"Ja, mich. Und ich werde der Mitarbeiter des Monats sein" , sagt Chandler mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

"Pf. Mich wollte er damals nicht. Jetzt bin ich beleidigt" , sagt sie und will sich das nächste Mal beim Besitzer beschweren, denn er scheint heute nicht da zu sein.

"Mach das. Was willst du denn hier?" , fragt nun Chandler sie.

"Das ist einer meiner Lieblingsorte" , gibt sie zu.

"Wow. Ein wirklich schöner Lieblingsort" , gibt Chandler zurück.

"Kann ich dich irgendwie beraten?" , fragt er.

"Chandler, sei mir nicht böse, aber ich hasse es von Verkäufern angequatscht zu werden. Kannst du mich bitte einfach schauen lassen? Ich werde schon zu dir kommen, wenn ich etwas gefunden habe, okay?" , fragt sie vorsichtig, weil sie nicht weiß, wie er darauf reagieren wird.

"Klar. Entschuldige. Ich bin noch neu. Ich warte einfach da hinten hinter dem Tresen" , erklärt er und verschwindet. Das er sie aber durchgehend ansieht, macht es nicht besser. Sie fühlt sich total beobachtet. Es ist nicht gerade schön, dass sie die einzige Kundin in diesem Laden ist.

"Er geht immer ins Lager, wenn ich hier bin" , erklärt sie.

"Aber ich muss doch sehen, ob du etwas klaust"

"Ich werde schon nichts klauen. Ich bin seine Stammkundin. Aber ich kann verstehen, wenn du hierbleiben willst. Aber bitte starre mich nicht an" , sagt sie lachend.

"Oh, entschuldige. Ich wusste nicht, dass ich dich so anstarre. Ich kann meinen Blick einfach nicht abwenden, weil du so schön bist"

Nun wird Gwyn ganz rot und schaut immer weiter auf den Kristall, den sie in der Hand hat. Sie hat ihn sich schon zu genüge angeschaut, aber sie wagt es nicht hochzuschauen, geschweige denn ihn anzusehen und muss ihn sich klagende fünf Minuten oder so angesehen haben. Auf einmal steht er wieder vor ihr.

"Du musst darauf nicht antworten und es muss dir auch nicht unangenehm sein" , gibt er ihr eine weitere Antwort. "Willst du den Kristall kaufen? Du hast ihn nun schon so lange angeschaut. Ich finde ihn wirklich schön" , sagt er. Eigentlich hat sie sich gefreut, dass er im Laden ist, aber nun ist es irgendwie unangenehm und sie will ganz schnell raus.

"Ja, ich nehme ihn" , sagt sie und die beiden gesellen sich wieder zum Tresen. Sie kauft den Kristall und verschwindet schnell aus der Tür, an der eine goldene Glocke hängt, die bimmelt, als sie den Laden verlässt. Sie ist froh, als sie an die frische Luft kommt und die kalte Luft ihr entgegen schlägt. Sie steckt den Kristall in ihre Tasche und macht sich auf den Weg, um Nieves abzuholen. Sie bleibt nicht noch einmal stehen, um sich den Laden noch einmal vor Augen zu führen, wie sonst, sondern geht schnurstracks davon weg, in die entgegen gesetzte Richtung. Sie ist froh, wenn der Besitzer wieder da ist und sie in Ruhe stöbern kannst. Vielleicht muss Chandler einfach noch in den Beruf hineinfinden, denn er kann dort noch nicht lange arbeiten. Gwyn ist mindestens einmal die Woche dort und hat ihn noch nie gesehen. Sie holt Nieves vom Kindergarten ab und heute gibt es kein Drama, dass sie dort bleiben will und auch sonst verläuft der restliche Abend ruhig. Die beiden essen gemeinsam Abendbrot am Esstisch. Gwyn macht Kartoffelmuss mit Gemüse und vegetarischen Dinonuggets. Sie richtet den Kartoffelmus als einen Vulkan an, daraus kommt die Soße und die Dinos sind unten am Vulkan. Manchmal hat sie einfach Spaß an solchen Sachen. Sie richtet total gerne Essen an und macht dies auch einmal im Monat gerne für Nieves, wenn sie die Zeit dazu findet. Heute Abend hat sie irgendwie Lust dazu und schnappt sich ein paar Sachen, um das Frühstück ihrer Tochter für den morgigen Tag für den Kindergarten vorzubereiten. Sie setzt Nieves vor den Fernseher, denn sie darf ihre Weihnachtsmann und CO Kg Folge schauen. Währenddessen sticht Gwyn aus den Gurken mit Keksausstechern kleine Tannenbäume aus und aus dem Brot werden zwei Weihnachtsmänner. Außerdem bekommt sie noch ein paar Cracker mit. Als sie nach einigen Minuten damit fertig ist, setzt sie sich zu Nieves dazu und die beiden schauen kuschelnd den Rest der Folge. Gwyn hat die Folgen früher auch jedes Jahr geschaut und kann schon mitsprechen. Diese Serie ist einfach ihre Definition von Kindheit. Die beiden schlafen gemeinsam vorm Fernseher ein, der irgendwann von alleine ausgeht.

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