12. Dezember
An diesem Montag ist sie wieder spät dran. Nieves hat verschlafen, was sehr sehr selten vorkommt, aber aus diesem Grund ist auch Gwyn nicht aus dem Bett gekommen. Die beiden konnten nicht mal mehr Frühstücken und deshalb quengelt Nieves auf dem ganzen Weg in den Kindergarten. Gwyn kann es ihr nicht verübeln. Sie ist auch unausstehlich, wenn sie morgens nicht gegessen hat. Zum Glück hat sie gestern noch Frühstück für den Kindergarten eingepackt. Sie würde die Erzieherin bitten, es Nieves schon vor dem Frühstück im Kindergarten zu geben, denn das wäre erst in einigen Stunden und so lange kann Nieves nicht warten. Sie kommen außer Atem beim Kindergarten an. Heute haben sie das Fahrrad genommen, weil sie sonst nicht mehr angekommen wären. Gwyn hat Nieves auf den Rücksitz geschnallt und ist los geradelt. Nun radelt sie damit weiter zu Caspar und kommt tatsächlich noch vor dem Ansturm an, aber nur einige Minuten. Sie hat ihr Rad noch nicht angeschlossen, weshalb sie auch gerade noch drankommt, bevor die vielen Leute auf den Stand einströmen. Kurz darauf schließt Gwyn ihr Rad an. Sie hätte auch mit dem Rad zur Uni fahren können, aber das wären weitere zwanzig Minuten gewesen und sie hat sowieso keine Ausdauer. Außerdem hofft sie, Chandler zu treffen. Der junge, gutaussehende Mann hat endlich einen Namen und sie kann immer noch nicht glauben, dass er ein und dieselbe Person ist. Sie steigt ein, als ihr Atem sich schon wieder etwas beruhigt hat und er sitzt tatsächlich auf einem der Sitze und liest ein Buch. Es scheint ein anderes zu sein, als letzte Woche noch, denn es hat ein eine andere Farbe. Er schaut kurz auf, als sie einsteigt und winkt ihr. Gleich darauf ist er aber schon wieder in seinem Buch versunken. Er will wohl nicht mit ihr reden, weshalb sie stehen bleibt. Er steigt wieder eine Station vor ihr aus und sie fragt sich, weshalb, denn er studiert auch Medizin. Allerdings erst im ersten Semester. Vielleicht hat er einfach andere Kurse, die an dieser Station näher zu erreichen ist. Er zwinkert ihr noch einmal zu, als er aussteigt und die Frau, die sonst auch immer mit den beiden Bahn fährt, klopft wieder ihre Sprüche. Darauf kann Gwyn gut verzichten und ist froh, als sie endlich aussteigen kann und ihre drei Freundinnen schon von weitem sieht. Die vier begrüßen sich freudig.
"Und, wie siehts mit dem Date heute Abend aus?" , fragt Donatella in die Runde. "Ich freu mich schon total" , sagt sie. Das Date hatte Gwyn total vergessen. Sie hatte jetzt überhaupt niemanden, der auf ihre Tochter aufpassen würde und dies scheint die perfekte Gelegenheit zu sein, es ausfallen zu lassen, denn sie hat sowieso gar keine Lust darauf.
"Ich kann leider nicht. Ich habs leider total vergessen und habe jetzt gar keinen Babysitter für Nieves" Diese Ausrede kommt Gwyn sehr gelegen.
"Die kannst du doch für ein paar Stunden alleine lassen", gibt Donatella zurück.
"Sie ist erst vier! Das kann ich nicht" , widerspricht Gwyn.
"Ach. Hab ich vergessen. Sie werden doch immer so schnell groß" , sagt Donatella und muss jetzt ins Gelächter ausbrechen. Sie kann es einfach nicht mehr halten.
"Tut mir Leid. Der musste einfach sein" , sagt sie, doch Gwyn findet das alles andere als lustig.
"Frag doch deine Großeltern" , schlägt Tindra vor.
"Ich kann sie nicht so kurzfristig fragen" , erklärt Gwyn.
"Fragen kostet doch nichts" , sagt Fiamma und Donatella drückt Gwyn ihr Handy in die Hand. Sie hat schon gewählt. Gwyn bleibt nun also nichts anderes mehr übrig, als ihre Großeltern zu Fragen. Sie verflucht, dass sie kein Codewort für solche Situationen ausgemacht haben.
"Hallo, Oma" , sagt sie zerknirscht.
"Alles okay, Schätzchen?" , fragt ihre Oma besorgt.
"Ja, alles gut. Ich wollte bloß fragen, ob du und Opa heute Abend ein paar Stunden auf Nieves aufpassen könnt?" , fragt sie mit leiser Stimme.
"Ja, klar. Wir nehmen Nieves immer gerne. Sie kann auch hier schlafen, wenn du willst. Sie wollte ja eh einmal die Woche herkommen" , antwortet ihre Oma. Verdammt.
"Ne, das ist nicht nötig" , sagt sie. Mit Nieves hätte sie wenigstens eine Ausrede gehabt, warum sie los musste, wenn das Date schrecklich ist, doch sie kann sich nicht rausreden, denn alle ihre Freundinnen haben es gehört, nicken wild und zeigen alle zwei Daumen nach oben.
"Okay, ja. Danke" , sagt sie und rollt mit den Augen. Nieves würde also heute Abend bei ihren Großeltern übernachten und sie hätte ein Date.
"Okay, und jetzt müssen wir uns beeilen, sonst kommen wir zu spät" , sagt sie und ihre Schritte werden schneller, als sie aus der Unterführung herauskommen.
Als sie in der Pause in der Cafeteria sitzen, kommen die Jungs von neulich wieder an ihren Tisch.
"Ist hier noch frei für uns?" , fragt Aubin und setzt sich neben Donatella. Auch die beiden anderen Jungs setzen sich neben die anderen.
"Ich freue mich schon richtig auf unser Date heute Abend" , flüstert Aubin ihr zu.
"Was machen wir eigentlich?" , fragt Fiamma.
"Ich dachte, wir gehen vielleicht Schlittschuh laufen" , sagt Janus.
"Bitte nicht" , stöhnt Gwyn. Sie ist eine absolute Niete im Schlittschuhlaufen. Und wenn sie schon ein Date hat, auf welches sie keine Lust hat, dann kann es doch wenigstens etwas entspannendes sein und nicht etwas, was sie absolut nicht beherrscht.
"Komm, das wird lustig" , versucht Tindra sie aufzumuntern.
"Dann hast du mich noch nie Schlittschuh laufen sehen"
"Apropro. Wo ist eigentlich euer Kumpel. Der, der mit Gwyn ausgehen soll?" , fragt Tella.
"Musste aufs Klo" , erklärt Aubin.
"Kommt der noch?" , fragt Gwyn nach einer Weile, als der besagte Mann immer noch nicht aufgetaucht ist.
"Heute wohl nicht mehr" , sagt Aubin. Es ist seither eine halbe Stunde vergangen und die nächsten Vorlesungen gehen in wenigen Minuten los.
"Langsam glaube ich ja, euren Freund gibt es gar nicht"
"Dann wird das heute Abend wohl ein Blind Date" , erklärt Aubin grinsend. Das ist das letzte, was Gwyn gebrauchen kann. Nach der Uni ruft sie ihre Oma an und fragt, ob sie Nieves schon vom Kindergarten abholen kann. Ihre Großeltern haben einen Schlüssel für die Wohnung. Falls Sachen fehlen sollten, können sie sie holen. Eigentlich sollten sie aber alles bei sich Zuhause haben. Ihre Oma ist sofort einverstanden und Gwyn hofft, dass Nieves ihr es nicht übel nimmt, aber sie ist eigentlich super gerne bei ihren Großeltern, weshalb Gwyn es nicht glaubt. Nachdem sie von der Uni nach Hause kommt, räumt sie ihren kompletten Kleiderschrank aus und ist total überfordert damit, was sie anziehen soll. Nach ein paar Minuten schüttelt sie über sich selbst den Kopf. Es ist ein Blind-Date, auf welches sie keine Lust hat. Weshalb ist sie dann so aufgeregt und will gut aussehen? Im Endeffekt zieht sie einfach ihre dicke Leggins an, die schön warm hält und ihren Lieblingspullover drüber. Im Endeffekt noch den Mantel und die Haare noch einmal kämmen und zu einem praktischen Zopf flechten. Am Ende setzt sie noch eine Mütze auf, die ihre Ohren schön warm halten, denn in dieser Eishalle wird es wahrscheinlich noch kälter sein, als draußen. Sie wird sich so oder so blamieren. Da macht das Outfit auch nichts mehr wett. Sie macht sich auf den Weg und läuft durch die Straßen, denn sie wollen sich an der Eishalle treffen, die mitten in der kleinen Kleinstadt liegt. Als sie ankommt, sind ihre Freundinnen natürlich alle schon wieder da und sie scheint von allen die letzte zu sein. Alle ihre Dates scheinen auch schon da zu sein und sie kann es nicht glauben, als sie sieht, wer der vierte Junge im Bande ist. Es stehen Aubin, Janus und Yule neben ihren drei Freundinnen und abseits von Ihnen, auf Sie wartend, steht Chandler.
"Fröhliches erstes Date" , sagt er, als er sie erblickt und hat tatsächlich einen Strauß Blumen in der Hand.
"Du wusstest, dass ich es bin?" , fragt sie.
"Jep" , sagt er grinsend.
"Das ist so fies. Du weißt immer mehr, als ich" , erklärt sie.
"Wollen wir reingehen?" , fragt Yule.
"Wir kommen gleich nach" , erklärt Chandler schnell und schaut Gwyn in die Augen. Die anderen machen sich schon einmal auf den Weg. Sie brauchen sowieso länger, denn sie müssen sich noch Schlittschuhe ausleihen. Gwyn und Chandler haben ihre eigenen dabei.
"Du bist einfach unmöglich, weißt du das?" , fragt sie und haut ihm freundschaftlich gegen den Arm und riecht schließlich an den Blumen.
"Und verdammt süß" , nuschelt sie noch. Er kann es gerade noch so hören und sein Grinsen wird noch breiter. "Danke" , bedankt sie sich und die beiden gehen auch in die Eishalle und stellen sich an. Die anderen sind tatsächlich gerade dabei, sich die Schlittschuhe auszuleihen. Gwyn ist froh, dass sie die Sachen angezogen hat, die sie angezogen hat, denn sie fühlt sich total wohl. Mit Chandler scheint alles gleich viel einfacher zu sein.
"Ich muss dich vorwarnen" , sagt sie, als die beiden sich die Schuhe anziehen. "Ich bin eine absolute Niete. Ich kann das so null. Also wirklich zu null Prozent, okay?" , fragt sie.
"Du kannst kein Schlittschuh laufen?" , fragt er lachend, aber es klingt nicht abwertend, eher so, als könne er es gar nicht glauben.
"Ich liebe es. Ich könnte den ganzen Tag nichts anderes tun"
"Willst du mich verarschen? Jetzt hab ich auch noch einen Profi als Date erwischt? Na vielen Dank auch. Mein Leben hasst mich" , sagt sie und die beiden gehen in Richtung Eis. Schon jetzt hat Gwyn Schwierigkeiten, sich auf den beiden Beinbrechern zu halten.
Chandler hüpft quasi auf die Eisfläche und legt eine beeindruckend schnelle Runde hin. Als er wieder bei ihr ankommt, ist sie gerade dabei, wieder hochzukommen, denn als sie aufs Eis wollte, ist sie erst einmal schön auf den Hintern geplumst. Mit Rekordgeschwindigkeit. Ihr Po tut drei Minuten später immer noch weh.
"Komm, ich nehme dich an die Hand" , sagt er und reicht ihr eine Hand.
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich bei dir so wohlfühle. Oder ob ich eher Angst habe" , sagt sie, nimmt aber zögerlich seine Hand. Nachdem er sie an die Hand genommen hat und sie noch ganz nah am Rand fahren, wo sie keine Idioten umfahren können, klappt es nach einer Weile tatsächlich sogar ganz gut. Nach einigen Stunden beginnt Gwyns Magen zu knurren.
"Hast du Hunger?" , fragt Chandler lachend und sie nickt.
"Dann komm, gehe wir was essen" , sagt er, lässt aber ihre Hand los und ist in sekundenschnelle am Eingang angekommen.
"Hey!" , ruft sie. "Das ist unfair" , schreit sie, sieht ihn jedoch am Eingang bloß grinsen.
"Komm, du schaffst das! Alles für die Pommes" , erklärt er rufend.
Sie versucht einen Schritt vorwärts, doch landet schon wieder auf dem Po.
"Scheiße" , flucht sie und stemmt sich wieder hoch. Das muss verdammt dämlich aussehen. Sie fällt gleich noch einmal hin und robbt sich schließlich zum Rand, wo ihr ein Zunge ausstreckender Chandler entgegen schaut. Sie zeigt ihm ebenfalls die Zunge und zieht sich am Rand entlang zum Eingang, wo sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen hat. Sie setzt sich erst einmal auf einen der Bänke und verschnauft. Am liebsten will sie die Dinger unter ihren Füßen sofort wieder loswerden, aber sie weiß nicht, wie lange die anderen sich dieses Abenteuer hier gedacht haben. Auf einmal kommt Chandler mit zwei Pommes an den Tisch und stellt eine ihr vor die Nase.
"Ich wusste nicht, ob du Majo oder Ketchup willst, also hab ich dir beides besorgt. Ich dachte, eine kleine Stärkung würde dir ganz gut tun" , sagt er grinsend und setzt sich ebenfalls an den Tisch.
"Danke" , sagt sie und stopft sich eine Pommes in den Mund. Sie konnte sich nie entscheiden, ob sie Ketchup oder Majo besser findet, weshalb dies perfekt ist. Die beiden essen gemeinsam die Pommes und als sie aufgegessen haben, kommen auch die anderen zu ihnen.
"Schon die Schnauze voll?" , fragt Gwyn und hofft auf eine positive Antwort.
"Wir wollen noch etwas essen und dann abhauen" , sagt Donatella und schaut ihren Aubin ganz verliebt an. Die beiden würden heute definitiv gemeinsam nach Hause gehen.
"Wir haben auch beide echt genug" , sagen die anderen beiden. Ein Glück.
"Und du, Gwyn? Willst du nicht noch liebend gerne eine Runde fahren?" , fragt Chandler grinsend.
"Doofkopf" , sagt Gwyn nuschelnd. Die anderen setzten sich noch zu Ihnen und essen auch eine Pommes, bevor sie sich alle gemeinsam auf den Weg nach draußen machen. Die anderen geben ihre Schlittschuhe ab und dann trennen sich ihre Wege. Inzwischen ist es schon Dunkel draußen. Die anderen sind schon weg, als Chandler und Gwyn noch vor der Eishalle stehen. Gwyn hat die Blumen von ihm in der Hand.
"Soll ich dich noch nach Hause bringen?" , fragt er auf einmal.
"Das musst du nicht" , sagt sie.
"Aber es ist schon stockdunkel und ich würde es gerne" , sagt er.
"Nein, ich möchte nicht so gerne nach Hause gebracht werden"
"Warum nicht?" , fragt er.
"Ich mag es einfach nicht so gerne. Du kannst mich ein Stück bringen, aber nicht bis ganz nach Hause, wenn es dir dann besser geht, okay?" , fragt sie.
"Ich würde dir nicht auflauern oder Überraschungsbesuche starten, falls du davor Angst hast"
"Ich möchte einfach nicht so gerne, dass quasi eine fremde Person weiß, wo ich wohne. Das ist gruselig"
"Okay, dann bringe ich dich eben nur ein Stück" , gibt er nach, auch wenn er es eigentlich nicht mag, sie im Dunkeln alleine gehen zu lassen. Die beiden gehen eine ganze Weile, bis Gwyn stehen bleibt. Es ist noch ein Stück, aber er soll nicht wissen, in welcher Umgebung sie wohnt. Sie hat einfach Angst, dass er von Nieves erfährt, bevor sie es ihm sagen kann. Wahrscheinlich wird er es sowieso erfahren, es ist eine Kleinstadt. Aber man muss kein unnötiges Risiko eingehen.
"Ich hoffe, dein Blind-Date war kein Reinfall"
"Nein, es hätte nicht besser sein können" , sagt sie lächelnd. Wobei, eine Person hätte sie noch lieber bei ihr gehabt, aber dies ist nicht mehr möglich, deshalb ist dies die bestmögliche Option.
"Da bin ich aber froh. Ich hatte echt Schiss" , gibt er zu, als die angekommen sind und er fragt die entscheidende Frage.
"Ich würde dich eigentlich gerne küssen, aber ich finde das beim ersten Date immer etwas übergriffig, deshalb frage ich dich. Möchtest du ein zweites Date mit mir?" , fragt er und kratzt sich verlegen am Ohr.
"Warum magst du andere Menschen nicht beim ersten Date küssen?" , fragt sie ehrlich interessiert, lässt ihn aber ein wenig zappeln. Er ist schon ganz nervös.
"Weil ich nicht weiß, ob sie auch wirklich Interesse an mir haben oder ob sie das Date völlig blödsinnig fanden" , erklärt er.
"Ich hätte mir kein besseres Date für meine Eiskunst wünschen können" , sagt sie grinsend.
"Ist das ein ja?" , fragt er mit leuchtenden Augen.
"Ja" , sagt sie grinsend. "Jetzt muss ich aber wirklich dringend verschwinden" , sagt sie und gibt ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie in der Nacht und schließlich in die Wohnung verschwindet und die Tür hinter sich fallen lässt. Sie muss bis über beide Ohren grinsen, als sie sich im Hausspiegel ansieht. Sie kann es kaum glauben, dass Chandler, ihr Chandler das Blind-Date war. Besser hätte es heute Abend echt nicht laufen können. Chandler steht noch völlig verdattert vor der Ecke, um die sie gebogen ist und fasst sich unglaublich an die Wange.
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