☆ Honigkuchenpferd- WEIHNACHTS SPECIAL ☆
Heyho! Ich hoffe, ihr seid alle gesund, wohlauf und bleibt es auch. In diesem Sinne, fröhliche Weihnachten, inklusive einer kleinen Krimi- Kurzgeschichte meinerseits!
In Gedenken an das coolste Pferd der Welt. <3
17. 12.
Ein Schlagzeilen machender Vorfall ereignete sich im städtischen Pferdestall:
Heute Morgen fanden Mitarbeiter in der Vorratskammer die Leiche eines Arbeitskollegen, die Todesursache ist bislang unklar. Erstmalig sollen sich heute Polizeibeamte und eine Privatdetektivin mit der Tragödie auseinandersetzen, welche vermutlich in der vergangenen Nacht geschah. Weshalb der Mann sich zu diesen Stunden im Gebäude aufhielt, weiß ebenfalls keiner der Befragten.
Die Leiterin des Stalls, Mandy K., äußerte sich dazu bei unseren Journalisten:
,,Dieses verhängnisvolle Ereignis bringt alles durcheinander. Nicht nur haben wir einen langjährigen Freund verloren, wir hoffen auch, dass wir uns inmitten dieses Chaos vernünftig um die Tiere kümmern können.
Ob der Fall geklärt werden wird oder nicht", beteuerte sie,
,,Uns stehen harte Zeiten bevor".
☆
Es hätte ein ganz normales Weihnachten werden können.
Ein schwarzes Auto rumpelte über die Straße, welche übersät war mit Schlaglöchern und Frost. Es kam quietschend zum Stehen und die Detektivin verließ den Wagen. Sie betrat den Pferdehof, stets darauf bedacht, nicht auszurutschen, denn zu dieser Jahreszeit bestand der Weg zum Eingang nur noch aus vereistem Schlamm.
Sie betrachtete das Anwesen. Links von ihr begangen die weitläufigen, leer stehenden Koppeln. Sie verschwanden in der Ferne hinter einer Anhöhe, sodass die Detektivin nicht ausmachen konnte, wo sie endeten. Der Pferdestall erstreckte sich zu ihrer Rechten wie eine Mauer, er war ebenso beeindruckend riesig und sah zudem sehr alt aus. Der heulende Wind ließ das Dach klappern.
Alles schien gespenstisch leblos, anders als die zahlreichen Menschen, welche sich vor dem Tor zusammengeschart hatten. Ähnlich wie die Detektivin waren sie in dicke Annoraks gekleidet, um sich gegen die Temperaturen zu wehren, die Nasen rot vor Kälte, die Wangen blass vor Schreck. Jugendliche, Rentner und Kinder: Die Mitarbeiter des Stalls bestanden aus allen Generationen.
Noch bevor sie bei ihnen angekommen war, stellte sich ihr eine Frau mittleren Alters entgegen. ,,Guten Morgen. Wer sind Sie?"
,,Alea lautet mein Name, ich bin der angeforderte Detektiv. Und Sie?"
Die Frau musterte Aleas Utensilien- Koffer, die bis unters Knie reichenden Stiefel und die karierte Jacke. Dann seufzte sie betrübt. ,,Freut mich, dass Sie uns zur Hilfe eilen. Ich bin Mandy, die Besitzerin des Grundstücks. Erst eine Mäuseplage und dann das", klagte Mandy, ,,dieses Weihnachten ist eine Katastrophe!"
Aleas Blick klebte gedankenverloren an den Koppeln. Der schmale Graben vor ihr war gespickt mit mannshohen Bäumen. Von Frühling bis Herbst schmückten gewiss saftig grüne Kronen ihre Äste, manche vielleicht sogar zartweiße Blüten oder Früchte, doch jetzt fügten sie sich in den Rest der Landschaft ein: Karg, stumm und von Raureif ummantelt.
Die Gegend wirkte in diesem Monat so trostlos wie jene Mitarbeiter des Stalls.
Alea nickte langsam. ,,Die Polizei müsste gleich eintreffen. Beginnen wir inzwischen mit den Arbeiten".
☆
Als die Kriminalpolizei das Gemäuer betrat, hatte Alea schon erste Vorkehrungen geleistet. Die Vorratskammer lag am Ende des Korridors, abseits von den Pferdeboxen. In ihr stapelten sich Mülltonnen voller Kraftfutter. Auf morschen Regalen verweilten Brot beinhaltende Tüten, sozusagen Leckerlis für die Pferde. Zumindest war das alles bis vor dem Unfall ordentlich und sortiert gewesen.
Die Leiche hatte sich in der Mitte des Raumes befunden. Alea kam es vor, als habe der Mann es sich während des Sterbens zum Ziel gesetzt, so viel wie möglich mit sich in den Untergang zu reißen. Zersplitterte Holzbalken der ehemaligen Regale bedeckten die umstehenden Tische, vier Mülltonnen waren umgefallen, deren Inhalt den Steinboden unter sich begrub.
Ein Polizist und eine Polizistin marschierten durch den Haupteingang. Begleitet wurden sie von zwei großen Spürhunden, welche ihnen bis zum Oberschenkel ragten. Eines der angeleinten Tiere war kohlrabenschwarz, sodass es in manchen Ecken mit der Dunkelheit des Korridors verschmolz. Der andere Hund wirkte noch bulliger als sein Kumpel, war braun- weiß gefleckt und schnüffelte neugierig an den Pferdeboxen herum, wobei er seinem Herrchen fast die Leine aus der Hand riss. Dem Mann gefiel das gar nicht.
,,Samson!", wies der Polizist seinen Gefährten zurecht.
,,Samsung?", fragte Alea.
,,Samson", korrigierte er sie.
Die Detektivin quittierte das mit einer Handbewegung, als wöllte sie eine Fliege verscheuchen. ,,Toller Name. Jedenfalls habe ich schon alles vorbereitet. Ein Protokoll, das uns die Todesart des Verstorbenen verrät, dürfte auch bald vorhanden sein. Die Ärzte rätseln noch".
Sowie die beiden das zur Kenntnis genommen hatten, stellten die Polizisten sich vor. ,,Ich bin Jens", meldete sich der Mann, welcher den IPhone- Hund führte. ,,Ich heiße Jasmin", sagte seine Kollegin. Mandy schüttelte ihnen die Hand und geleitete die Beamten in die Vorratskammer.
Sie studierten die mit Kreide gezeichnete Silhouette auf dem Steinboden und ließen die Hunde frei, damit diese den Raum nach Hinweisen durchwühlen konnten. Doch bevor es dazu kam, tauchte plötzlich ein junges Mädchen im Türrahmen auf. Alea schätzte sie auf maximal zehn. Die Kleine vergaß anscheinend ihr Vorhaben, als sie die ausgerüsteten Polizisten und die zerstörten Gefäße sichtete, und ließ ihren Blick überwältigt durch das Zimmer schweifen.
Die haselnussbraunen Augen des Mädchens blieben an den Vierbeinern hängen. Sie quietschte wie ein erschrockenes Kätzchen. ,,Awww, wer seid ihr denn?"
,,Samson und Oscar", antwortete Jasmin. ,,Holly", zischte Mandy, ,,Du hast hier nichts verloren". Holly erwiderte das mit einer unzufriedenen Miene. ,,Sie sind sooo niedlich. Lass mich doch wenigstens kurz..."
Sie fischte einen kleinen, halb zerfledderten Ball aus ihrer Jackentasche. Während Samson unbeeindruckt den Kopf schief legte, war Oscar sogleich Feuer und Flamme. Ehe jemand sie daran hindern konnte, pfefferte die Kleine das Spielzeug zum Ausgang hinaus und der Hund stürmte sabbernd hinterher.
,,Das nenne ich mal hoffnungslos", murmelte Mandy.
,,Und ich Personalmangel", erwiderte Alea.
☆
Als ein kitschiges Rosarot über den Bergen den Sonnenuntergang verkündete, war das einzige, das die Kriminalpolizei erreicht hatte, noch mehr ungeklärte Fragen aufzuwerfen.
Das Hunde- Duo hechelte erschöpft. Sie hatten fast pausenlos in den zertrümmerten Regalen und verwüsteten Tonnen gebuddelt, mit ihrer feinen Nase jede Spur verfolgt, doch nichts aufgespürt, das sie weiterbrachte. Weder eine Mordwaffe, noch Indizien für einen Täter. Nun ließ Oscar sich von Holly mit Streicheleinheiten verwöhnen, während Samson eine Schar Mäuse beobachtete, die sich eifrig über das ungeschützte Futter hermachte.
Mandy fuchtelte mit einem Besen herum. ,,Verzieht euch aus meinen Vorräten!", fluchte sie. Das schüchterte die Nager nur bedingt ein. Sie flohen für einen Moment in ihre Verstecke zurück, um sich im nächsten wieder auf das Festmahl zu stürzen.
,,Die sind doch süß", protestierte Holly.
,,Nix da", beharrte die Landwirtin, ,,Diese Mistviecher machen mir schon seit Herbstbeginn das Leben zur Hölle. Sie fressen alles auf, das nicht bei Drei auf dem Baum ist. Vor allem die Vorräte!"
Sie trat nach einer Maus, doch verfehlte das flinke Tierchen. ,,Jens!", rief Mandy, ,,Kann dein Köter sich mal nützlich machen und diese dreckigen Ratten fangen, statt sie anzuglotzen? Wo gibt es denn so was!"
Der Beamte war jedoch in eine hitzige Diskussion mit seinen Kollegen vertieft. ,,Ich nehme an, dass der Typ gestolpert ist und sich den Schädel an einem der Tische aufgeschlagen hat. Seine Haltung spricht dafür", erklärte er. Jasmin wandte ein: ,,In diesem Falle gebe es eine riesige Blutlache, Du Anfänger. Ich vermute, dass ihn eine Herzattacke oder Kreislaufversagen zur Strecke gebracht haben. Der Mann war immerhin schon recht alt und vorerkrankt, also im Risikobereich".
Alea zupfte an ihrem nicht existenten Bart. ,,Zumindest wissen wir, in welchem Zeitraum der Mann sich in den Stall geschlichen hat".
Die Polizisten schauten sie skeptisch an. ,,Tun wir?", fragten sie im Chor.
,,IIch habe ein paar Zeugen aufgespürt, und siehe da: Gestern war zuletzt Mandy acht Uhr abends im Stall, um die Pferde zu füttern. Heute Morgen betrat die erste Mitarbeiterin das Gebäude viertel sieben. Sie war jedoch nicht in dieser Kammer, die Leiche wurde erst eine halbe Stunde später von Mandy gefunden".
Die Detektivin wandte sich an diese. ,,Welche Aufgaben hatte der Mann hier?"
Mandy faltete bekümmert die Hände ineinander, als fiele es ihr schwer, darüber zu sprechen, was nachvollziehbar war.
,,Der arme Kurt. Er war ein bereits ein schwächlicher Greis, zwar manchmal etwas zerstreut, hat sich dennoch stets nützlich gemacht. Er half vor allem bei der Fütterung der Pferde mit, hat sich um sie gesorgt, sie gestriegelt..." Ihre Stimme zitterte.
Alea bettete mitfühlend ihre Hand auf Mandys Schulter. ,,Ich verstehe, dass es schmerzvoll ist. Für heute haben wir zumindest unser Bestes gegeben. Wir werden den Fall klären, das verspreche ich".
☆
Eine Pechsträhne zu haben, stand eigentlich nicht auf Aleas Wunschliste. Sie hatte das Gefühl, heute Morgen in einem neuen Körper aufgewacht zu sein, welcher vor allem mit Tollpatschigkeit gesegnet war.
Zuerst verschüttete sie ihren Kaffee und ruinierte sich damit eines ihrer hübschesten Hemden. Dann musste sie bei der Fahrt zum Pferdehof noch einmal umdrehen, weil sie vergessen hatte, im Labor vorbeizuschauen, um sich mit den Ärzten auszutauschen. Diese meldeten sich nämlich gestern, spät in der Nacht, um Alea auf dem Laufenden zu halten. Die Leichenschau war beendet und die Todesursache, als auch ein ungefährer Todeszeitpunkt wurden herausgefunden. Womöglich brachte diese Nachricht die Detektivin so aus dem Konzept. Leider verspätete sie sich aufgrund des Umwegs.
Als Alea in den Stall hastete, hätte ihr Gesicht zusätzlich fast Bekanntschaft mit dem Boden gemacht.
Sie bahnte sich durch die kleinen, staubigen Gänge, welche die Hintertür wie ein Labyrinth umzingelten, um zum Korridor zu gelangen. Keine Lampe erhellte sie, lediglich dunstiges Sonnenlicht drang durch das Fenster vom Arbeitszimmer nebenan. Dadurch bemerkte Alea Oscar erst, als sie über ihn stolperte.
Der Hund jaulte auf, während Alea sich einen Schrei verkniff und ihr Gleichgewicht ausbalancierte. Verdutzt drehte sie sich zu der Stelle um, an der Oscar Sekunden zuvor noch gedöst hatte.
Der Hund richtete sich auf und selbst jetzt ließ sich seine Silhouette nur mit großer Mühe von der Umgebung unterscheiden. Sein schwarzer, zotteliger Pelz war eins mit den Schatten. Lediglich seine murmelförmigen Augen reflektierten die dünnen Lichtstrahlen, die in den Gängen herumschwirrten.
,,Hallo!", piepste Holly und lugte um die Ecke. Oscar drückte sich an Alea vorbei, um sich an das junge Mädchen zu schmiegen. Er war wohl beleidigt, weil Alea ihm versehentlich auf den Schwanz getrampelt war... oder er hatte Holly einfach gern.
Alsbald Alea den massivsten Teil des Gebäudes betrat, begrüßten die schon längst anwesenden Polizisten sie mit der Frage, wo sie gesteckt hätte. ,,Entschuldigung", murmelte sie, ,,Ich habe mich heute früh sehr dusselig angestellt". Peinlich berührt räusperte sie sich und wandte sich sogleich dem Wesentlichen zu: ,,Dafür habe ich nun Informationen, welche die Ermittlungen mit Sicherheit vorantreiben werden!"
☆
,,Ich habe mehr Begeisterung erwartet", feixte die Detektivin.
,,Hm. Nicht, dass das nicht hilfreich wäre. Es ergibt nur keinerlei Sinn und das entmutigt mich", sagte Mandy besorgt, ,,Haben wir denn ein einziges Indiz gefunden, das diese Tatsachen andeuten könnte?"
,,Na ja, meine Theorie war, dass Kurt durch irgendetwas erschlagen wurde. Und ich hatte recht", prahlte Jens und Jasmin wies ihn mit ihrem Ellenbogen in seiner Hüfte zurecht.
Jens kratzte sich an der Schläfe. ,,Mandy aber auch. Was soll ihn getötet haben? Wie fahren wir jetzt fort?"
Es war kompliziert, sich zu konzentrieren und neue Pläne zu schmieden, wenn währenddessen laute Geräusche durch die Umgebung hallten. Die Zuständigen, darunter auch Holly, führten gerade die Pferde herdenweise hinaus ins Freie, damit die Tiere frische Luft schnappen konnten.
Statt dem Strom an Reitern und ihren tierischen Kameraden zu folgen, klinkte Holly sich aus und stapfte mit dem Pferd, welches sie an einem ausgefransten Strick führte, in Richtung Team. Kontrastiv zu seiner zierlichen Begleiterin war der Kaltblüter beachtlich. Seine braun- weiße Fellmusterung ähnelte der von Samson. Eine wasserstoffblonde Mähne bedeckte die rechte Seite seines Halses, vereinzelte Strähnen kräuselten sich über den halb geschlossenen Lidern. Es hatte eine schläfrige Miene aufgesetzt.
,,Das ist Mary", erklärte die Zehnjährige. ,,Sie ist total lieb".
,,Und äußerst träge", ergänzte Mandy.
,,Vielleicht ja deshalb", sinnierte Holly.
Die Hunde schnupperten vorsichtig an Mary, was diese ungefähr so wenig interessierte wie alles andere in ihrem Umfeld. Sie starrte weiterhin unberührt ins Leere, wahrscheinlich kreisten ihre Gedanken um das Mittagessen. Angesichts Marys Bauches taten sie das offenbar ständig.
Die Anwesenheit eines übermüdeten Pferdes hinderte allerdings niemanden daran, sich über seine Verzweiflung auszulassen.
,,Es fühlt sich an, als wären wir wieder bei Null", fuhr Mandy mit ihrem Bedauern fort, ,,als hätten wir uns der Lösung nicht genähert, sondern uns davon entfernt".
Jasmin seufzte. ,,Vielleicht benötigen wir eine neue Perspektive".
Alea stürzte sich ins Grübeln. Vor wenigen Minuten war sie über Oscar gestolpert, weil sie ihn in der Finsternis des Ganges nicht gesehen hatte. Vielleicht mussten sie dort suchen. Im Verborgenen zwischen den Schatten, wo man am wenigsten damit rechnete.
Das ratlose Schweigen zwischen ihnen wurde von einer berechtigten Frage unterbrochen. Holly fing an, sich irritiert im Kreis zu drehen.
Alea hatte nicht für möglich gehalten, dass eine lebendige dreiviertel Tonne so leicht verloren gehen konnte, doch sie fragte allem Ernstes: ,,Holly, wo ist eigentlich dein Pferd?"
☆
Dass Mary es sich in der Vorratskammer gemütlich gemacht hatte, wunderte niemanden. Der Raum war ohnehin schon eng, und dass Marys korpulenter Pferdehintern den Türrahmen verstopfte, sorgte erst recht dafür, dass alle anderen gnadenlos ausgesperrt wurden. Ihre lange Zunge fegte Brot von den noch bestehenden Regalen. Als Mandy schonungslos schimpfend das beste Stück der behuften Lady zur Seite schob, hatte diese sogar noch genug Zeit, den Boden abzuschlecken.
Holly entschuldigte sich derweil fieberhaft für ihre Unaufmerksamkeit. Mandy beachtete das nicht. So wie der Weg frei war, brandeten alle in das Zimmer und beäugten das Pferd mit einer Mischung aus Misstrauen und Belustigung.
,,Hat sie irgendwelche Beweise gefuttert?", erkundigte Jens sich hektisch.
,,Es gibt doch gar keine Beweise", sagte Jasmin.
Auf einen Klaps von Mandy hin hob das Tier ruckartig den Kopf. Alle erkannten, dass es mühsam auf etwas herumkaute. Ein Kloß bildete sich in Aleas Kehle. Sie wusste, welche Bisskraft Pferde hatten. Was mochte sie erwischt haben, dass nicht mal der Kiefer eines ausgewachsenen Irish Tinkers es zerteilen konnte? Mary wandte so viel Kraft auf, dass sich die Muskeln in ihrem Hals abzeichneten, wie bei den Männern, die auf der Werbung für Fitnessstudios abgedruckt waren.
,,Ich nehm's zurück", stammelte Jasmin, ,,Worauf kaut die bitte herum?"
Sogleich verschwand Mandys Hand im Maul des Tieres. Zickig schleuderte Mary den Schädel hin und her und spuckte schlussendlich ein unförmiges, nicht gerade gut riechendes Ding aus. ,,Ist das etwa ein Knochen?", würgte Holly hervor und ihr Gesicht nahm eine ungesunde Färbung an. Ihre Beschämtheit war verflogen.
Mandy begutachtete das von Speichel überzogene Etwas in ihrer Hand. ,,Das ist die Hälfte eines Brötchens", stellte sie mit hochgezogener Augenbraue fest. ,,Es ist stahlhart. Wer weiß, wie viele Monate das schon gammelt".
Erdrückende Stille. In Aleas Gehirn ratterten Zahnräder. Stahlhart. Kurt. Erschlagen. Eine neue Perspektive.
,,Mandy, reichst du mir mal deine Taschenlampe?", bat die Detektivin. Die Landwirtin durchbohrte sie nicht mit Fragen, sondern zog ohne Widerspruch eine alte Stabtaschenlampe aus ihrer Gürteltasche hervor. Sie trug sie konstant mit sich herum, benutzte das Gerät aber nur sehr selten. Wahrscheinlich war es mehr Angewohnheit als Nützlichkeit.
Alea knipste sie an und richtete den flackernden Lichtkegel auf die Decke. Zuerst war nichts Außergewöhnliches zu entdecken, lediglich hässliche, von Staub und Schmutz verklebte Spinnenweben baumelten bis zu zehn Zentimeter herab. Im Visier der weißen LED wirkten sie wie die perfekte Halloween- Dekoration. Alea ließ sich nicht aus der Fassung bringen und streifte mit der Taschenlampe weiter an der Decke entlang. Sie stoppte an einer quadratischen, hölzernen Luke. Sie war nicht vollkommen geschlossen, sondern an einer Ecke unnatürlich gekippt. Im schummrigen, gelblichen Schein der Deckenlampe hatte sie bis dato keiner bemerkt.
,,Die führt zu einer Stelle im Dachboden", informierte Mandy sie. ,,Gott, die Luke ist schon uralt. Ich kann mich nicht daran erinnern, in den letzten paar Jahren dort oben gewesen zu sein".
,,Ich war da oben ein Mal. Vor sechs, sieben Monaten", beichtete Holly und kassierte einen strafenden Blick von Mandy. ,,Was sagst du da? Du sollst doch nicht in das-" Alea unterbrach die Besitzerin des Stalls beim Beginn ihrer Standpauke.
,,Holly, Mandy, bringt mich dort hoch. Jasmin, Jens, ihr wartet hier, bis wir an der richtigen Stelle sind. Ich werde ein Experiment durchführen, also stellt euch keineswegs direkt unter das Loch. Das könnte weh tun".
Mary schnaubte und Alea tätschelte ihr liebevoll die Schulter.
,,Ach, ja. Davor schaffst du bitte das Pferd nach draußen, Holly".
☆
Der Dachboden wirkte wie ausgestorben.
Dreck bröckelte von den Wänden, selbst im Winter war es stickig. Schaltete man Mandys Taschenlampe aus, war es zappenduster und mit oder ohne Beleuchtung vor allem eins- schweinekalt.
Für den Dezember war das an sich nichts Besonderes, aber wenn man vom vergleichsweise warmen Korridor in die obere Etage kletterte, glaubte man für einen Moment, zu Eis zu erstarren.
Zumindest lohnte es sich, zu dritt in diesen Gefriertemperaturen auszuharren. Alea hatte Hollys Ball nach hier oben geschleppt, um ihre Theorie zu überprüfen. Dabei war er nicht mal nötig gewesen, denn in diesem mannshohen Kämmerchen stauten sich allerlei Dinge, die man durch die Luke fallen und auf dem Boden sieben Meter unter ihnen zerschmettern lassen konnte.
Damit meinte sie zahlreiche Ziegelsteine und ein paar einsame Brötchen, die nicht weniger hart waren als Erstere.
,,Das Brötchen ist exakt auf der Stelle gelandet, an der Kurt sich befand und wurde dabei nicht beschädigt", berichtete Jens. Er klang krächzig, als wäre seine Kehle ausgedörrt.
,,Kein Wunder, so fest wie das ist", brummte Jasmin und stupste das Versuchsobjekt mit dem Fuß an.
,,Wie ich es mir gedacht habe", flüsterte die Detektivin. Sie kauerte vor der leicht geöffneten Luke und tastete die Lagerregale zu ihren Seiten ab, in denen sich die knochenharten Ziegel und ehemalige Lebensmittel reihten. Dunst wirbelte aus ihrem Mund und ihrer Nase wie Zigarettenrauch. Ihr eigener Atem, den die Dezemberkälte sichtbar machte.
Die Holzregale waren vermutlich noch älter als ihr Inhalt und bedrohlich instabil. Da könnte es durchaus passieren, dass eines der Brote auf die gekippte Luke purzelte, herunterfiel und...
Holly schlang die Arme enger um ihren Annorak. ,,Warum ist das hier? Wozu?"
Mandy spitzte die Lippen. ,,Ich erinnere mich. Vor über fünf Jahren haben wir die Vorratskammer renoviert. Bis dahin wurde Futter für die Pferde vor allem auf dem Dachboden aufbewahrt. Diese Kabine gehörte Kurt. Wir haben das Meiste verschoben, doch an dieses Fleckchen am äußersten Ende der Etage hat wohl keiner gedacht. Hier kann ich ja nicht mal aufrecht stehen. Und ihr Inhaber war schon damals nicht mehr der Jüngste".
Alea schwenkte die Taschenlampe. Immer mehr Puzzleteile fügten sich zusammen. ,,Unzumutbar, dass dein eigenes, vergessenes Gebäck zu deinem Todesurteil wird".
Mandys Augen weiteten sich entgeistert, als sie begriff. "Das ist ja fürchterlich!"
,,Absolut", stimmte Alea ihr zu, ,,und genialer Suizid".
☆
Dass Kurt mit ziemlicher Sicherheit von einem vertrockneten Gebäck hingerichtet worden war, war schon grotesk genug. Jetzt blieb noch die Frage offen, weshalb zum Geier er nachts auf dem Grundstück herumgerannt war. Doch auch, was das anbelangte, erahnte Alea, was ihm zum Verhängnis geworden war. Wenn das Abendbrot für die Pferde immer zu einer gewissen Uhrzeit serviert wurde und das mitunter Kurts Job war, war eine Verbindung dieser Tätigkeiten nicht auszuschließen.
Das Team, inklusive Spürhunde, lungerte mal wieder im Vorratsraum herum und tauschte sich über das bereits erlangte Wissen aus. Sie hatten das morsche Lager vom Dachboden entfernt und die Luke wieder richtig befestigt. Nun ging keine Gefahr mehr davon aus.
Alea lehnte lässig am Tisch. ,,Mandy", begann sie, ,,trug Kurt eine Uhr bei sich?"
,,Ja, immer", antwortete sie und versank in Nostalgie, ,,allerdings lief sie nur manchmal korrekt. Kurt hat immer die Zeitumstellung verpennt und dann sechs Monate gewartet, bis sie wieder akkurat war".
,,Die abendliche Fütterung der Pferde findet jeden Tag um zwanzig Uhr statt, nicht wahr?", hakte die Detektivin nach.
Mandy überlegte angestrengt. Dann klatschte sie sich mit der flachen Hand auf die Stirn. ,,Aber natürlich! Die Zeitumstellung im Oktober. Was, wenn Kurt eine Stunde zu spät den Stall besuchte, weil er glaubte, er müsse noch die Pferde füttern? Doch in Wahrheit war es schon einundzwanzig Uhr und keiner war mehr da. Als er dann hier angelangte, lief er zu diesem Zimmer und..." Sie schluckte den Rest des Satzes hinunter.
Alea applaudierte. ,,Du könntest wirklich eine Karriere als Detektivin beginnen".
,,Das ergibt Sinn", meinte Jens erleichtert, ,,Und was das Todes- Brötchen betrifft, hat entweder Mary die eine Hälfte aufgefressen oder ein paar andere Wichte".
Alea deutete mit dem Finger auf zwei kleine Mäuse neben einer der Tonnen, die demonstrativ an dem Versuchsobjekt knabberten. Mandy schrie empört auf. Diesmal schnellte Samson vor und schnappte nach den grauen Bällchen, die es gerade noch schafften, sich in den nächsten Spalt zu retten. Mandy bückte sich und griff nach dem Brot. Jetzt sah es aus wie löchriger Käse.
,,Die Zähne dieser Viecher sind nicht zu unterschätzen", sagte Alea schmunzelnd.
Mandy fauchte missbilligend. ,,Wenigstens haben wir jetzt Klarheit. Ein Großteil der Mordwaffe wurde einfach weggenagt".
Jasmin rückte ihren wolligen Schal zurecht und trat vor. ,,Wir werden die Informationen umgehend an die Behörden weiterleiten. Wenn ihr recht habt, ist der Fall", sie machte eine dramatische Pause, ,,hiermit gelöst".
Zuversicht erfüllte Alea. ,,Und da wir nicht unbelehrbar sind", tadelte sie, ,,verspätet euch ja nie wieder mit der Zeitumstellung".
☆
Eine emsige Woche war vorüber, Heiligabend klopfte an der Tür. Die gesamte Stadt war festlich geschmückt, Schwibbögen glänzten hinter Fenstern, in Lichterketten eingewickelte Tannenbäume erhellten Marktplätze. Die Truppe hatte sich auf einem Plateau am Stall versammelt, nahe der Koppeln.
Jasmin und Jens plauderten über Weihnachtsgeschenke für die Familie.
Alea kramte in ihrem Utensilien- Koffer.
Mandy summte ,All I want for Christmas is you'.
Holly überschüttete Mary mit Komplimenten, weil sie das legendäre Stück Brot gefunden hatte.
Samson und Oscar, die neben ihr saßen, gafften das Mädchen mit dem eichenbraunen Schopf eifersüchtig an. Holly tätschelte die Stirn der Spürhunde. ,,Ihr habt auch gute Arbeit geleistet", lobte sie die pelzigen Komplizen tröstlich, ,,Aber ihr esst nun einmal kein Brot. Manchmal kann man nur durch Appetit einen Mordfall aufklären".
Alea schnalzte mit der Zunge. ,,Wenn das keine weisen Worte sind".
Holly hüpfte auf dem Platz herum und schenkte jedem eine Umarmung. Nicht einmal Mary wurde verschont. Die Pferde- Dame schien zum ersten Mal in ihrem Leben mehr zu empfinden als nur Vorfreude auf die nächste Mahlzeit. Als Holly ihr durch die Mähne strich, schnaubte sie zufrieden. ,,Ich werde euch alle vermissen", sagte die Zehnjährige dann an die Polizisten gewandt, ,,doch noch ist unsere gemeinsame Zeit nicht vorbei".
Mandy nickte ihr zu, das war anscheinend das Stichwort. Die Leiterin des Pferdehofs angelte eine Tupperdose aus ihrem Rucksack. Sowie sie sie öffnete, umwaberte ein süßlicher Duft die Umstehenden.
,,Kekse?", riet Jens und seine Augen funkelten.
,,Noch besser", erwiderte Mandy lächelnd, ,,Honigkuchenpferde! Wortwörtlich!"
Tatsächlich: Irgendwie hatten die beiden es zu Stande gebracht, Honigkuchen zu backen und ihm durch Plätzchen- Ausstechformen die Gestalt von Pferden zu verleihen.
,,Als Dank für eure Mühen", flötete Mandy und verteilte die Honigkuchenpferde.
Jasmin rieb sich die Hände.
Alea grinste.
Selbst die Hunde bellten entzückt.
Und Jens konnte seinen Heißhunger nicht länger bändigen. ,,Genau das, was ich jetzt brauche".
So ließen alle, die beim Aufklären der Tragödie tatkräftig geholfen hatten, es sich schmecken, während die violett- orangene Dämmerung sich über den Himmel ergoss und Schneeflocken im seichten Wind gen Erde trudelten.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top