11: Von fliegenden M&M's und bösen Vorahnungen
❝ Schon irgendwie süß, wie Leute glauben man wäre dumm, nur weil man ihnen gegenüber höflich bleibt, obwohl sie einen verarschen.❞
❮ LEXY❯
Ich wusste nicht was es war, wusste nicht, welche Laus über die Leber meiner älteren Schwester gelaufen war, doch diese permanente Angespanntheit, dieses ständige Gemecker, es machte mich wahnsinnig! Was bitte hatte ich verbrochen? Ginny war nie, wirklich nie eine Meisterin der Entspannung gewesen, doch mit Owen war ein wenig Ruhe in sie gekehrt. Moment mal. Vielleicht war gerade Owen das Problem?
„Sag mal, hattest du schlechten Sex oder was soll das?" zischte ich ihr noch im Fahrstuhl zu. Wieder einmal hatte ich erst gesprochen und danach gedacht. Aber um ehrlich zu sein, war es mir in diesem speziellen Fall herzlich egal.
Gerade war ich dabei gewesen ein paar bestellte Snacks zu Harry und Emma in den Kinosaal zu bringen, als meine Schwester mich meckernd und zeternd abgefangen und in den Fahrstuhl gezerrt hatte. Dabei ließ sie nicht mit einer Silbe verlauten, was ich schon wieder angestellt haben sollte.
„Warum kannst du dich nicht einmal deinem Alter entsprechend benehmen?"
„Warum musst du immer einen auf Übermutti machen?"
Und so ging unser Gespräch weiter. Wobei ‚Gespräch' für unser, für mich unsinniges' Gezicke doch sehr hochgestochen ausgedrückt war. Es war schlicht weg ein Hin und Her an unbegründeten Vorwürfen, sinnfreien Behauptungen und noch bescheuerteren Verteidigungsversuchen.
Kurz bevor wir den Treppenaufgang erreicht hatten, blieb ich ruckartig stehen, verschüttete – dem Himmel sei Dank – keine der M&Ms und funkelte Ginny böse an. „Mensch, jetzt sag mir doch endlich mal, wo schon wieder dein Problem ist!" Ich wollte wirklich abgefuckt klingen. Ehrlich, ich hatte es mir fest vorgenommen. Meine Stimme sah das allerdings anders. Ich hörte mich verzweifelt an und leider schwang auch meine Kränkung mit durch. Ja, ich war gekränkt. Warum ging meine ältere Schwester eigentlich immer vom Schlimmsten aus? Konnte sie mir nicht einmal in ihrem Leben vertrauen? Zugegeben, ich hatte schon viel Scheiße angestellt aber dass sie mir trotzdem einfach nie irgendetwas zutrauen konnte, fuchste mich mehr, als ich es zugeben wollte.
„Ich will nur wissen, was du schon wieder angestellt hast! Wieso drückt mir Robbie Williams persönlich diesen Umschlag in die Hand? Ist das eine Klage oder was? Mensch, Lexy, warum musst du immer so dämlich sein?"
Das war jetzt nicht wirklich ihr ernst. „Ist dir vielleicht auch mal für eine Sekunde der Gedanken gekommen, dass ich gute Arbeit geleistet haben könnte und er sich bei mir bedanken will?" Sicher, ich wunderte mich selbst, warum Robbie diesen Umschlag für mich abgegeben hatte aber dennoch hätte ich schon wieder einfach nur breit lächeln können, als ich an den schönen Moment mit Teddy, Emma und dem King persönlich dachte. Allerdings tat ich es nicht. Ginnys Blick verbot es mir. Ich wollte ihr nicht erklären müssen, was passiert war. Es sollte mein Moment, meine schöne Erinnerung bleiben.
Meine Schwester ging mit mir durch dick und dünn, das hatte sie die letzten Jahre bewiesen. Andernfalls wären wir niemals vor fünf Jahren hier in New York gelandet. Egal, ob hell oder dunkel, meine große Schwester war für mich da. Dass die Zeit allerdings so dunkel war, damit hatte ich nicht gerechnet, denn ihre Antwort traf mich härter, als ich es ihr gegenüber je zugeben würde. „Nicht eine Sekunde. Sorry Lex, aber so doof, wie du dich manchmal anstellst. Du stolperst sogar über Grashalme!"
„Ich bin nicht blöd, verdammt!", keifte ich schrill zurück und versuchte so keck, so selbstsicher, so gar nicht verletzt, wie nur irgend möglich zu klingen, als ich aufgesetzt lächelnd sagte: „Ich hab nur ein bisschen Pech beim Denken!" Ruckartig drehte ich mich um. Ich wollte hier weg, wollte meine Ruhe und Harry und Emma ihre blöde Schokolade bringen, damit wenigstens die beiden keinen Scheißtag hatten. Und dabei rannte ich prompt in irgendjemanden rein, als sich im selben Moment die Eisentür öffnete. Die M&Ms verstreuten sich quer über den Flur. Und meine Schwester hatte ihre Bestätigung. Ich war eben doch dämlich.
„Du hast nicht nur Pech beim Denken, wie es aussieht", zischte sie und dampfte, triefend vor Genugtuung, ab. Den Umschlag ließ sie fallen und hastig stopfte ich ihn in die Innenseite meiner Uniformjacke. Später würde ich mehr Nerven haben, dieses Ding zu öffnen. Jetzt war ich nur noch damit beschäftigt nicht zu explodieren.
Trotz der Tatsache, dass ich ziemlich dämlich war, konnte ich dennoch mal Glück haben. So auch jetzt. Ich war in kein hohes Tier hinein gerannt. Sondern in einen blondgefärbten Iren, dessen schiefes Lächeln mich ein klitzekleines Bisschen aufmunterte.
„Die kannst du ja mit mir aufsammeln und deinem Kumpel geben", meinte ich ruhig an Niall gerichtet. Es brachte ohne hin nichts, mich noch weiter über meine Schwester aufzuregen und mir den Kopf zu zerbrechen, wo schon wieder ihr verdammtes Problem lag. Es würde sich ohnehin nichts ändern. „Der hat gerade sein Date, was du sicher weißt", fügte ich noch hinzu. Als ich mich das nächste Mal zu ihm umdrehte, gerade hatte ich das letzte unversehrte Schokoteilchen zurück in die Schüssel gesteckt, ließ er sich einfach auf den Hintern plumpsen und klopfte einladend neben sich.
„Also, du kannst mir jetzt einerseits erzählen, was passiert ist und warum deine Schwester schon wieder so zickig ist oder aber du gibst dich mit der Tatsache zufrieden, dass ich auch ganz, ganz oft Pech beim Denken habe", sprach er leichthin und strippte sein linkes Hosenbein ein bisschen hoch. Sofort fiel mein Blick auf eine lange Narbe, die sich über sein gesamtes Knie, bis hin zur Mitte seines Schienbeins erstreckte. Kurz dachte ich darüber nach sie sanft zu berühren, verbot es mir jedoch selbst. Ich wollte nicht, dass er mich für einen noch größeren Freak hielt, als er es ohnehin schon tat. Verwundert musterte ich ihn und grinste schließlich: „So sieht es also aus, wenn ein Horen Pech beim Denken hat, huh?"
Ich wusste nicht, warum ich es tat. Aber Niall machte es einem Menschen unglaublich einfach ihm zu vertrauen. Einige Stars, die sich hier im Hotel niederließen schauten einfach herablassend auf das Personal hinab, beachteten uns in den meisten Fällen nicht einmal. Von Respekt ganz zu schweigen. Ich hatte bisher keinen Star kennengelernt, der sich neben eine dumme Angestellte auf den Fußboden setzen würde. Außer Robbie, würde ich es keinem anderen zutrauen. Und aufgrund von Nialls einfacher Art begann ich meine Bluse aufzuknöpfen – immerhin trug ich ein weißes Top unter der hässlichen Arbeitsbluse – und streckte ihm meinen linken Arm entgegen. „Deshalb trage ich keine kurzen Shirts", meinte ich und sah, wie er verwundert auf meine Narbe schaute. „Wie hast du denn das fertig gebracht?" Vorsichtig nahm er meinen Arm in seine warmen Hände und drehte es ein kleines Bisschen, um sich meine wirklich hässliche Narbe genauer zu betrachten. Erst jetzt fiel mir – aus welchem Grund auch immer – seine dicke, schwarze Brille auf, die dafür sorgte, dass seine eisblauen Augen noch klarer, noch heller wirkten. Die kleine Gänsehaut ignorierte ich gekonnt und wand mich aus seinem Griff, bevor ich mich noch unwohler fühlen konnte. „Ich bin früher oft Motocross gefahren. Zuhause, etwa elf Meilen von Halifax entfernt gab es eine Motocross Strecke, die ich mit meinem Vater oft und gerne gefahren bin. Ich war vielleicht 16 Jahre alt oder so, als ich angefangen habe und zu meinem 18. Geburtstag hat er mir eine Arrow 225902 in mattschwarz geschenkt, wir sind zur Piste gefahren und ich war ein wenig übermütig. - " Dass ich dabei war Niall anzulügen, tat mir nur wenig Leid. Er war ein netter, sympathischer und von Grund auf ehrlicher Mensch. Doch och immer tat es weh, aber er musste ja nicht unbedingt wissen, dass mein mit einem Mann flirtender Vater mich so sehr aus dem Konzept gebracht hatte, dass ich eine Kurve nicht richtig erwischt hatte. „ - Und dachte, ich würde die Kurve mit ein bisschen mehr Speed auch schaffen. Ich wollte fliegen, weißt du? Dabei bin ich nicht richtig aufgekommen, weggerutscht und wortwörtlich geflogen. Und das voll auf die Fresse. Dabei habe ich mir den Ellenbogen gebrochen. Die Ärzte haben dran herumgedoktert und die Wunde hat sich entzündet, deshalb ist die Narbe so hässlich." Die Situation war mir von Sekunde zu Sekunde immer unangenehmer geworden, somit fuhr ich mir durch die Haare, seufzte und zog mich endlich wieder an. Wer wusste, was andere denken würden, wenn ich hier mit halb offener Bluse herum saß. Die Wärme auf meinen Wangen ignorierte ich gekonnt und überschlug meine Beine, um von meinem Gesicht abzulenken.
Statt auf meine Geschichte einzugehen – und darüber war ich irgendwie mehr als nur froh – schaute Niall mich fragend an. „Moment mal. Halifax? Kommst du auch aus West Yorkshire?"
„Hebden Bridge, um genau zu sein", antwortete ich und wartete absichtlich, bis Niall von alleine Eins und Eins zusammengezählt hatte. „Heißt das, du kennst-" „Ed aus der Schule, ja", fuhr ich ihm nun doch dazwischen, nachdem der Groschen endlich gefallen war. „Deshalb hast du ihn so komisch angeguckt, als wir uns das erste Mal gesehen haben!" Clever, wie er war, hatte er alle Teile zusammengefügt und lächelte, fast schon stolz, darüber. „Moment Mal!" sprach er lauter, als zuvor. „Warum hat er dich nicht erkannt?"
„Tja, mein Lieber. Für die Story bin ich nicht betrunken genug. Meine ganze Lebensgeschichte erzähle ich ja nicht jedem daher gelaufenen Popsternchen, also was denkst du denn von mir", lachte ich keck und stand auf. Ich fühlte mich besser. Deutlich besser.
Als ich mich herum drehte, erwischte ich ihn dabei, wie sein Blick flink nach oben wanderte, so als wäre nichts gewesen. Hatte er mir gerade auf meinen Arsch geschaut?
„Dann müssen wir das ändern", grinste er frech und streckte mir die Hand hin, womit ich ihn nach oben ziehen sollte.
„Und wie gedenkt, Mr. Horan daran etwas zu ändern."
„Du könntest mich auf Eds Party begleiten und wir ziehen dem Ginger die Ohren lang?" schlug er vor. Und ich lachte.
Zumindest, bis ich seinen Gesichtsausdruck bemerkte. „Ach du meinst das ernst?" fragte ich erstaunt. „Ja sicher", lächelte er sofort, wirkte allerdings auch irgendwie verunsichert.
„Eh...okay?" Mehr fragend, als wirklich zustimmend sagte ich ihm zu und verabschiedete mich schließlich, mit der Ausrede, ich müsste Harry und Emma nun versorgen.
Eine Lüge war das nicht. Der charmante Sänger hatte mich tatsächlich angesprochen, ob ich mich um sein Date kümmern könnte, nachdem Emma meinen Namen erwähnt hatte. Nur deshalb konnte ich dafür sorgen, dass sie ungestört und romantisch unter sich waren. Allerdings würde ich den beiden sicher nicht die heruntergefallen M&M's bringen. Aufgrund Harrys immensen Geldbeutels, konnte mir niemand etwas anhaben, dafür, dass ich ihm seinen Extrawunsch gestattet hatte.
Immer wieder, egal, zu welchen sinnlosen Aufgaben man mich rief, immer wieder fragte ich mich, was genau ich auf einer Party voller A – Promis zu suchen hatte. Die Klamotten-Frage war noch mal eine ganz andere. Darüber würde ich mir später Gedanken machen müssen. Vorher musste ich dringend Caspar auftreiben und ihn, um seinen Wohnungsschlüssel bitten. Vorausgesetzt, er hasste mich nicht. Verübeln könnte ich es ihm nicht, sollte es der Fall sein. Sein Date war kein Knoblauch-Fan. Absolut nicht.
Absolut fertig schaffte ich es Niall um 18 Uhr 30 eine kleine Notiz unter der Tür durchzuschieben, auf welcher ich ihm mittteilte, dass ich mich noch immer wahnsinnig freute und, wie besprochen um 20 Uhr vor seiner Zimmertür warten würde. Ob er die Nachricht wirklich lesen würde, wusste ich nicht, allerdings wollte ich nicht wirklich bei meiner Schwester an der Rezeption vorbeischneien und eine andere Möglichkeit bot sich mir nicht. Also nahm ich mir von dem Trinkgeld, welches eine freundliche Dame heute für mich gegeben hatte, ein Taxi, nachdem ich unerkannt an der Rezeption vorbeigehuscht war. Anschließend musste ich noch einen Block weiter laufen, bevor ich bei meiner Wohnung ankam.
Völlig zu meiner Überraschung traf ich den Vermieter natürlich nicht an und nein, auch die Rohre waren nicht repariert worden. „Gott, dieser unfähige Wichser", zischte ich leise fluchend, beim Aufschließen meiner Tür und trat in die arschkalte Wohnung. Mit Caspar hatte ich ausgemacht, dass ich zuerst meine Kleidung holen und anschließend zu ihm fahren würde.
Schlecht, war unser Plan nicht gewesen.
Er hatte nur einen Haken.
„Ich hab überhaupt nichts zum Anziehen!" seufzte ich auf und ließ mich rücklinks aufs Bett fallen. Es war eine absolute Schnapsidee gewesen mich auf seine Einladung einzulassen. Ich meine, was hatte ich denn geglaubt, wer ich – die Türklingel überraschte mich völlig. So gut, wie nie bekam ich Besuch. Außerdem war jetzt ein ganz, ganz furchtbarer Zeitpunkt. Gestresst trampelte ich also zur Tür, riss sie auf und pampte direkt drauf los: „Was zum Teufel, willst du - Owen?!" Völlig verwirrt riss ich die Augen auf, als ich meinen Schwager in Lederjacke und schwarzer Röhrenjeans vor mir stehen sah. Mit einem selbstbewussten Grinsen trat er einen Schritt zur Seite und gab so den Blick auf einen entschuldigend dreinblickenden Caspar frei. Mit seinen Lippen formte er ein stummes ‚Sorry' und umklammerte einen Kleidersack fester mit seinen Fingern. „Willst du uns nicht herein bitten?" Die Tonlage gefiel mir nicht. Sie gefiel mir ganz und gar nicht.Genau so wenig, wie mein Bauchgefühl. Nichts von alle dem gefiel mir hier.
Das würde nichts; nein, das konnte - so rein physikalisch und logisch und generell und überhaupt - nichts Gutes bedeuten.
Fuck.
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