6. Ansatz
Der vergangene Abend war eine verschwommene Erinnerung für Hongjoong. Seonghwas kühle Haut an seinem Körper, sein Rücken gegen die Brust des Nachtwandlers gepresst und die sanften Hände des Mannes an seinen Hüften. Hongjoongs Körper erinnerte sich lebhaft an das Gefühl sanfter Zähne in seiner Haut, die Weichheit seiner Umarmung.
Hongjoong seufzte tief in die Kissen, rundum entspannt und friedlich in seinem warmen Bett. Als er die Augen öffnete, war Seonghwa an seiner Seite, selbst bereits tief im Land der Träume.
Hongjoong starrte seinen Nachtwandler kurz in Wunder an und blinzelte dann einmal scharf, formte einen festen Gedanken in seinem Kopf.
Er würde das jetzt klären. Ihr ständiges umeinander herum Getanze musste aufhören.
So leise und determiniert wie möglich schwang er seine Beine vom Bett und zog sich an, huschte dann absolut lautlos aus dem Raum. Es war bereits gegen Mittag, er hatte viel zu lange geschlafen, aber die anderen waren mit Sicherheit schon wach.
In der Tat traf er im Gang draußen Mingi, der so ertappt aussah, dass Hongjoong vermutete er war gerade auf dem Weg zu ihnen gewesen. Der große Amphibris grinste ihm sonnig entgegen.
"Guten Morgen, Captain!"
Hongjoong musste ebenfalls grinsen, trat etwas näher, um dem anderen Mann grüßend gegen die Schulter zu boxen.
"Hey. Was machst du hier, rumschleichend, als würdest du eine List aushecken?"
"Ganz ehrlich? Ich engagiere mich gerade als Doppeltspion.", kicherte er verschwörerisch in Hongjoongs Richtung und der rückte sofort etwas näher, sah sich misstrauisch im leeren Gang um.
"Ja? Wie kommt es?"
Mingi beugte sich etwas (deutlich) tiefer, um ungefähr mit Hongjoong auf einer Höhe zu sein, eine Hand um seinen Mund gelegt.
"Ich vermisse Seonghwa und dich, aber ich verstehe auch Wooyoungs Sicht. Weil ich mich aber nicht persönlich betroffen fühle und nur mit euch allen abhängen will, fange ich jetzt an als Mittelfigur zu arbeiten.", flüsterte er in seiner tiefen, erheiterten Stimme und Hongjoong imitierte sofort seine Pose.
"Eine ausgezeichnete Entscheidung, Pirat. Dann geh du doch mal los und warte in der Küche auf mich, ich muss gerade kurz mit Wooyoung sprechen."
Mingis Augen wurden groß und er wandte überrascht den Kopf. Hongjoong konnte durch seine leicht geöffneten Lippen die langen, spitzen Eckzähne und seinen leicht schiefen Vorderzahn erkennen.
Süß.
"Ihr werdet euch nicht gegenseitig abschlachten, ja?"
"Bitte. Ich gewinne haushoch."
Hinter der nähesten Tür war ein gedämpftes Lachen zu hören und Mingi grinste sonnig bei Yeosangs Stimme, absolut nichsahnend.
Hongjoong hingegen warf einen empörten Blick auf die Tür.
"Gut, dann mache ich dir Kaffee, als Preis." Mingi nickte einmal und huschte dann mit der Grazie eines riesigen Aliens an die nächste Wand, achtsam auf seinen scharfen Rückenkamm, als er daran entlangglitt, um bis zur Küche zu kommen. Hongjoong beobachtete noch, wie er absolut professionell hinein rollte und ein erschrockenes Quietschen von Jongho zu hören war, dann machte er sich kopfschüttelnd wieder auf den Weg.
Ihm ging es genauso. Die Schlucht zwischen ihnen störte ihn.
San war es, der öffnete, als Hongjoong zaghaft an Wooyoungs Tür klopfte und er entschuldigte sich auch sofort, ließ die beiden allein. Mit einem Kuscheltier im Arm wanderte er den Gang hinab, ließ die Tür hinter sich zu gleiten. Hongjoong ließ sich seufzend neben dem angespannten Lashunta auf dessen Bett fallen, piekte schwach dessen Wange.
"Du musst mir jetzt endlich sagen, was du denkst, Woo. Ich weiß, du willst Seonghwa nicht verlieren und hast keinen persönlichen Anteil an dessen Vergangenheit. Ist es, weil er ein Nachtwandler ist? Wir können daran arbeiten, San hat es auch geschafft."
Wooyoung gab ein Murren von sich und ließ sich rückwärts in seine Kissen fallen, vergrub sich in den Bergen weichen Stoffes von Decken und Sans Kuscheltieren. Für einen langen Moment presste er nur schweigend seine Handballen in seine Augen, dann ließ er die Arme an seine Seiten fallen, starrte leer an die Decke.
"Es geht nicht um mich. Es geht um Yeosang."
Wooyoung sah müde aus, müde und wehleidig. Hongjoong bezweifelte, dass der Lashunta daran dachte, dass Yeosang mitlauschte.
Taemin hatte allerdings recht behalten.
"Yeo hat nie etwas von Familie gesagt und ich... Ich wurde neugierig, weißt du? Ich habe nach ihnen gesucht."
Hongjoong wusste bereits, worauf das hinauslief und biss nervös seine Lippe, rutschte näher zu dem schlaffen Mann.
"Ich habe sie nicht gefunden, bevor du das denkst. Aber da war etwas anderes. Sie habe ihm etwas hinterlasssen, auf der Pirateninsel. Etwas, das zerstört wurde, durch die E27. Ich war so nah dran, Cap. So nahe, aber so- Es ist nicht zu ersetzen."
Hongjoong lauschte aufmerksam, die Augen pausenlos auf Wooyoungs Gesicht. Draußen war alles still.
"Ich habe mir so lange Vorwürfe gemacht es nicht früher gesucht zu haben, nicht schneller gewesen zu sein, all diese Dinge. Wie soll man den Toten böse sein, nicht? Aber Seonghwa, er- er war verantwortlich, er hatte das Kommando. Und er hat es nicht gestoppt. Und keine Ahnung, was er tatsächlich alles angerichtet hat.", sprach er in einem gebrochenen Ton in den Raum hinein, wagte es nicht ihn anzusehen.
"Es ist nur fair, dass ich ihn töten wollte, oder? Er hat Yeosang getötet."
Hongjoong schmeckte Blut, als seine stumpfen Zähne sich letzten Endes doch durch seine Lippe bohrten, er sich abrupt wieder auf der Erde fühlte.
Wooyoungs Worte waren nicht nur wie ein Schlag in die Magengrube oder ein Schwall kalten Wassers. Er hätte Hongjoong ebenso den Kopf von den Schulter nehmen können.
Alles in ihm zog sich zu einem unangenehmen Knoten zusammen.
Yeosang schützen.
"Ich weiß, wie sehr du ihn schützen willst, ich weiß es.", schaffte es Hongjoong erstickt hervorzuwürgen, versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr seine Hände zitterten. "Aber Seonghwa weiß genau, was er alles ruiniert hat. Wie viele Leben er beendet hat, auf egal welche Art. Vielleicht wusste er nicht davon, aber- Seonghwa bereut es tief, Wooyoung. Seonghwa hasst sich dafür. Und Seonghwa würde sofort williglich in eine Klinge laufen, wenn es bedeuten würde, dass Yeosang sich gerächt fühlt. Also bitte... Du musst vorsichtig mit ihm sein, sonst könnten wir ihn in der Tat ganz verlieren. Das wollen wir nicht."
Wooyoung setzte sich auf, dunkle Schatten unter seinen Augen und die Fühler lose um sein Gesicht hängend.
"Wenn ich Seonghwa getötet hätte... Würdest du mich nicht auch hassen?"
"Nicht wenn du keine Wahl gehabt hättest. Nicht, wenn du es in falschem Glauben getan hättest. Aber die Sache vor ein paar Tagen auf der Brücke? Dafür, ja."
Wooyoung sah ihn nur schweigend an - oder eher durch ihn hindurch - und seufzte dann tief.
"Yeosang hat-"
"Was habe ich?"
Hongjoong fuhr schier aus seiner Haut, schlug sein Knie unsanft an das von Wooyoung, als er zusammenzuckte. Mit großen Augen wandte er sich zu Yeosang um, bereit sich zu beschweren, aber er verstummte sofort, als er den anderen Mann sah.
Die Tür war nie aufgegangen und dennoch stand Yeosang vor ihnen, als sei er nie fort gewesen. Aber er sah wütend aus, absolut zornig. Jeder einzelne seiner sanften, ausgeglichenen Züge war mit feuriger Wut verzerrt und seine beunruhigend dunklen Augen gefährlich.
Wooyoung war mit einem Satz auf den Beinen, ging mit beruhigend gehobenen Händen auf seinen Freund zu.
"Hey, du hast gesagt du machst das nicht mehr. Du brauchst nicht wütend zu sein. Hier geht es um meine Gedanken, wenn du damit zurecht kommst, geht das mich nichts an."
"Wooyoung du hast einen Mann mit einem Messer angegriffen! Ein Crewmitglied! Einen Freund! Und wegen was? Kein verzwickter Sinn nach Gerechtigkeit und Schutz, wie wir alle denken, sondern wegen mir?!" Seine Stimme war ebenfalls aufgebracht und schrill, brach hier und da von der rauen Behandlung.
Unruhig kam auch Hongjoong auf die Füße, für den Moment verloren.
"Du wusstest, dass ich so reagieren würde! Unter keinen Umständen wusstest du das nicht!"
"Du kannst nicht wegen mir gute Leute angreifen, Wooyoung! Ich bin der einzige, der damit ein Problem haben könnte und das habe ich offensichtlich nicht!"
"Entschuldige, wenn ich mich um meine Freunde kümmere? Um dich? Er hat dir das Leben genommen, Yeo!"
"Es ist nicht so, als hätte ich es jemals gehabt, mir geht es fabelhaft! Du hilfst mir nicht, indem du meine Freunde umbringst!"
Hongjoong war so verloren. Was war denn Yeosang nun? Es würde vermutlich helfen die Situation zu verstehen. Aber mit dem Wissen, dass Yeosang... tot war, könnte Yunho bestimmt arbeiten.
"Ich habe dich um die eine Sache gebeten! Mein Leben in Ruhe zu lassen, meine Vergangenheit, meine Familie, meine Art. Warum schaffst du das nicht, Wooyoung?! Warum zerstörst du einen guten Mann für etwas, das längst vergeben ist?!"
"Du magst es ihm vergeben haben, aber nicht ich!" Wooyoung trat vedrohlich noch näher an Yeosang heran, war beinahe Nase an Nase mit ihm. "Er hat so viel ruiniert! Er hat dir alles genommen! Du weißt genau, wie ich für dich gefühlt habe, jahrelang gehofft habe! Er war es, der-"
Hongjoong zuckte zusammen, als Yeosangs flache Hand Kontakt mit Wooyoungs Wange machte, seinen Kopf von sich schleuderte. Es wurde eindeutig Zeit zu gehen, aber die beiden standen vor der Tür und-
Gespannt beobachtete er weiter, kaute weiter auf seiner Lippe.
"Das war vor Jahren und wir haben uns beide damit abgefunden, Wooyoung. Du hast jetzt San, ich bin zufrieden mit meinem Leben. Wag es nicht diese alten Dinge auszugraben. Das war zwischen uns, es hat nicht mit Seonghwa zu tun."
Wooyoung hielt sich die Wange, die betrogenen Augen auf Yeosangs Gesicht, aber er schien abgekühlt, wieder klar im Kopf. Auch Yeosangs Stimme war zu einem warnenden Flüstern herabgesunken.
Hongjoong wusste, dass es definitiv Zeit zu gehen war, als die ersten Tränen begannen über Wooyoungs Wangen zu rollen. Er wartete kaum, bis Yeosang auf den anderen zu getreten war, um ihn in eine weiche Umarmung zu schließen, dann huschte er bereits an ihnen vorbei, floh.
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