Neue Bekanntschaften (Vicar)
Das Auto hält direkt vor unserer Nase. Ich mache die Tür auf und Seoul schiebt X auf den Rücksitz. X keucht, als sein Knöchel an die Tür stößt. Seoul steigt schnell ein, ich direkt hinterher. Der Fahrer wartet nicht einmal drauf, dass ich die Tür schließe, sondern fährt los. Ich drehe mich um und muss schlucken. Die Crawler sind keine fünf Meter von uns entfernt gewesen! Auch jetzt ,,verfolgen" sie uns noch, fallen aber rasch zurück.
Ich drehe mich um, zum Fahrer. Ich sehe sein Gesicht nicht, aber er wird so alt wie wir sein, so 15 oder 16 Jahre. ,,Danke, Mann", fing ich an, ,,das war echt knapp!"
Er drehte seinen Kopf. Jep. Vermutlich 15, struppiges, blondes Haar. ,,Ich vermute mal, du hast noch keinen Führerschein?"
Er grinste. ,,Nein, komischerweise nicht. Aber vielleicht verleiht einem die Zombieapokalypse eben so einen Führerschein wie Red Bull Flügel.". Seoul neben mir muss lachen. Der Humor von Jugendlichen wird auch nach der Apokalypse nicht besser. Langsam erholt sich auch X. ,,Also, wie heißt du?", fragt er. Das Lächeln unseres Chauffeurs schwindet ein wenig. Aber sofort ist es wieder da. ,,Namen gehören nicht hierher. Wir haben sie in der alten Welt bekommen, da gehören sie hin. Bis jetzt wurde es auch nicht nötig, mir einen posthum - Namen zuzulegen, da ich einfach immer ich war.''
X lacht, stößt jedoch mit dem Knöchel an meinen Fuß und stöhnt. ,,Sorry'', sage ich. ,,Meine Schuld'', sagt X mit schmerzverzerrtem Gesicht. Ich schaue vorne aus der Windschutzscheibe. Die Häuserblocks rauschen an uns vorbei. Ab und zu weichen wir einem Zombie aus. Ich frage mich, wo die vielleicht 30 000 (ehemaligen) Einwohner Kulmbachs alle sind. In diesem Moment schaltet sich Seoul ein. ,,Inventur'', sagt er. Gute Idee. Diese Aktion haben wir eingeführt, um zu vermeiden, dass wir nach einem Beutezug zu spät bemerken, dass uns etwas fehlt, was wir unbedingt hätten besorgen müssen. Ich öffne meinen Rucksack und bemerke zufrieden, dass er bis oben mit M870-Schrotflinten-Munition angefüllt ist. ,,Ich schätze, es sind so 300-500 Schuss'', sage ich. Seoul kommt nach kurzem Zählen auf 25 Magazine plus 100 lose Extrapatronen, X auf 22 Magazine mit 50 Extrapatronen. Jeder von uns hat eine schallgedämpfte Beretta und insgesamt haben wir 76 Magazine dafür. In diesem Moment höre ich einen Knall und der Wagen springt ein wenig hoch. ,,Was war das?'', frage ich. Der Junge vorne sieht mich an und deutet auf die Windschutzscheibe. Erst jetzt fällt mir auf, dass er an der Seite des Autos anscheinend schräg aufwärts führend zwei Metallstangen angebracht hat, die er etwas vor der Motorhaube in etwa 1,50 Meter Höhe mit einer weiteren, quer befestigten Metallstange verbunden hat. ,,Wofür ist das gut?'', frage ich. Der Junge lächelt und hält volle Kanne auf einen Zombie in der Mitte der Straße zu. Es kracht, aber anstatt dass der Zombie über die Motorhaube fliegt, rammt die quere Metallstange seinen Brustkorb, ihn legt es hin und wir überfahren ihn. ,,Cool'', sage ich. ,,Also, wie kommen wir hier aus der Stadt raus?''
,,Wir dürften in ein paar Minuten draußen sein. Mit etwas Glück treffen wir bis dahin auf keine größeren Zombiehorden!''
Er biegt um die Ecke, wir sehen einen großen Marktplatz.
Vollgestopft mit Zombies. So ungefähr ein paar Tausend. Und alle sehen uns an.
,,Oh'', sagt der Junge.
Er schaltet in den Rückwärtsgang, in dem Moment, in dem sich die Jumper von den Crawlern lösen und auf uns zuhalten. Das Auto wendet und wir fahren in die andere Richtung, aber nicht fähig, die Jumper abzuschütteln. Seouls Augen leuchten auf, er ist wieder in seinem Element. ,,Fahr weiter, wir halten die auf, die zu nahe rankommen!''. Er kurbelt das Fenster runter und lehnt sich raus, ich genauso. Ich entsichere das M870 und lade durch. In diesem Moment kommt ein Jumper aus der Menge gefährlich nahe an das Auto heran und ich drücke ab. Die Schrotmunition trifft ihn mitten ins Gesicht, er fällt um und wird totgetrampelt. Dem nächsten, der näherkommt, schießt Seoul durch den Hals. Die restliche Horde ist ungefähr 10 Meter von uns entfernt. ,,Ein Königreich für eine Granate'', murmele ich. In dem Moment fährt der Wagen scharf rechts und ich fliege fast aus dem Auto. Mit großen Augen drehe ich mich um. ,,Kleine Vorwarnung, bitte!'', keuche ich. ,,Sorry!'', kommt es von vorn.
Ich sehe wieder aus dem Fenster und keuche. Die Jumper kommen näher. Ein paar haben sich abgesetzt und rennen nur zwei Meter hinter dem Auto! Seoul und ich schießen, nicht fähig, alle abzuknallen, da springt der erste aufs Auto. ,,Ich kann ihn nicht erreichen'', ruft Seoul. Der Jumper kriecht aufs Dach und beginnt darauf einzuschlagen. Ich seufze und greife nach meiner schallgedämpften Beretta. ,,Was hast du vor?'', fragt X. ,,Du willst doch wohl nicht...''
Ich schenke ihm ein Lächeln. ,,Nur eine Sekunde!''. Dann wende ich mich nach vorne. ,,Warn mich vor, wenn du bremst oder ne Kurve fährst!''
,,Mach ich, du Wahnsinniger!''
Ich klettere aus dem Fenster. Langsam, vorsichtig schiebe ich mich nach oben und halte dem Gegenwind stand. Der Zombie liegt auf dem Dach und hämmert wie ein Wahnsinniger darauf ein. Ich hebe die Pistole und schieße ihm in die Schläfe. Sein Körper erschlafft und fällt vom Auto. In dem Moment springen zwei weitere Jumper auf das Dach und ich hieve mich vollends hoch.
Die Jumper erfassen mich mit ihren blutgeränderten Augen und kreischen. Ich hebe die Waffe, schieße beiden durch die Brust und sie fallen vom Auto.
Es ist echt schwierig, selbst auf den Knien das Gleichgewicht zu halten. Der Fahrtwind schlägt mir wie eine Faust in den Rücken. ,,KURVE'', kommt es von unten. Ich stecke sofort die Pistole weg, lege mich flach hin und halte mich an den Kanten rechts und links vom Dach fest. Als die Kurve kommt, werden mir fast die Arme ausgekugelt.
Die Kurve ist vorbei und ich knie mich wieder hin. ,,Nie wieder'', keuche ich. Zwei weitere Jumper springen mit einem Riesensatz auf das Dach. Ich erschieße den einen und richte die Waffe auf den zweiten.
Klick.
Munition alle. Ausgerechnet. Der Zombie brüllt und stürzt sich auf mich. Mich haut es rücklings aufs Dach, beide Hände an seiner Kehle - oder besser, ihrer, wie ich jetzt sehe. Das wollte ich eigentlich gar nicht genauer wissen. Wenn man sich zu viele Gedanken darüber macht, wer die Zombies früher waren, bringt man es nie fertig, sie zu erschießen!
Ein weiteres Brüllen des Zombies bringt mich zurück in die Gegenwart. Sein Mund kommt meinem Hals immer näher. Ich schiebe mich ein wenig zur Seite.
Jetzt.
Ich drücke mich zur Seite und packe den Hinterkopf des Jumpers. Sein eigener Schwung und meine Hilfe lassen sein Gesicht in das Dach krachen. Es knackt, aber ein Schädelbruch muss ihn nicht zwingend aufhalten, deshalb packe ich den Dachrand für besseren Halt und ramme mein Knie in seine Hüfte. Er rutscht vom Dach und kracht in eine vorbeirauschende Laterne.
Ich atme durch. Das war heftig! Da höre ich von unten Freudenschreie und sehe, dass wir aus der Stadt raus und auf einer Landstraße sind! Der Fahrer drückt das Pedal durch und die Zombiemeute wird immer kleiner. Nach zehn Minuten ist sie komplett aus meiner Sichtweite verschwunden.
Da taucht plötzlich Seoul neben mir auf. Bevor ich ihn aufhalten kann, klettert er zu mir hinauf. ,,Sorry, aber das sieht aus, als würde es Spaß machen'', sagt er vergnügt. ,,Das war ja ein ganz schöner Lärm gerade.''
,,Eine Frau wollte unser Dach nicht verlassen!''
,,Was macht denn die Holde?''
,,Du sitzt auf ihrem Blut.''
Er schaut angeekelt nach unten und ich lache, bis mir die Tränen kommen.
,,Weißt du, wenn du sowas überlebst, musst du echt einen Freund da oben haben!'', sagt er nachdenklich. Ich schaue ihn amüsiert an. ,,Meine Auffassung zu dem Thema kennst du ja'', sage ich. Er lacht. ,,Sowieso! Aber ich beneide dich echt darum, dass du etwas hast, wofür du kämpfst!''. Plötzlich wird er nachdenklich. Ich gebe ihm einen Klaps auf die Schulter und verliere dabei fast das Gleichgewicht. ,,Das, wofür ich kämpfe, der Grund warum ich weiterleben will, ist ganz einfach meine christliche Lebenseinstellung! Das ist nichts was ich besitze, das kann jeder sich aneignen. Oder angeeignet bekommen.''
Er will gerade etwas entgegnen, da unterbricht ihn ein Ruf von unten. ,,BRRRREMSEN!'', kommt es von unserem Chauffeur extra militärisch. Seoul kann sich gerade noch festhalten, ich jedoch purzle trägheitsbedingt die Windschutzscheibe runter und falle auf den Boden, keine zehn Zentimeter vom Rad weg, das gerade angehalten hat. ,,Aua'', mein geistreicher Kommentar.
Seoul hüpft herunter und hilft mir auf die Beine. ,,Das, mein Guter, war knapp!''
,,Danke, habe ich mitbekommen!''
Jetzt steigen auch die anderen Beiden aus. Der Fahrer stützt X, damit er nicht hinfällt. ,,Ihr beiden habt so einen Knall, warum klettert ihr bitte aufs Dach?'', sagt X mit einem milden Lächeln. Ich lächle zurück und begutachte die Gegend. Aha. Deshalb haben wir angehalten. Ein Farmhaus mitten in der Pampa.
,,Wir müssen es von Infizierten reinigen und dann drinnen bleiben. Der Zombiemob dürfte ein wenig an uns vorbeilaufen, wenn sie weiter in die Richtung laufen, in der sie uns zuletzt gesehen haben, aber wir sollten trotzdem eine sichere Bleibe haben.'', sagt der Fahrer. Mann, ich habe es so satt, ihn so zu nennen! ,,Langsam brauchen wir für dich schon einen Namen! Welcher wäre dir denn am Liebsten?'', frage ich. Seoul schreitet mit einem Grinsen ein. ,,Oh nein, wir haben es immer so gemacht, dass die anderen den Namen bestimmen. Ich wäre für Redlight, und ihr?''
X nickt. ,,Passt'', sage ich. Ich wende mich an X. ,,Bitte sei uns nicht böse, du kriegst bestimmt auch irgendwann einen gescheiten Spitznamen!''. Er lacht.
,,Na dann, auf nach innen! Der Mob dürfte bald da sein!'', kommt es von Redlight. Mir läuft ein Schaudern über den Rücken. Also dann.
Eine Viertelstunde später ist das Haus gesichert. Es war nur ein Zombie drinnen, im Bad im ersten Stock, und dem hat Seoul mit seinem Baseballschläger ein schnelles Ende bereitet. Das Haus umfasst ein Wohnzimmer, eine Küche, ein Bad und ein Kinderzimmer im Erdgeschoss und ein Bad und zwei Kinderzimmer im ersten Stock. Offenbar hatte hier eine recht glückliche Familie gehaust.
Wir sitzen auf einem Sofa im Erdgeschoss im Wohnzimmer und essen Kekse, die wir im Lagerraum gefunden haben. Seoul hat den Kamin angezündet, alle Rolläden sind unten. Insgesamt recht gemütlich.
,,Und'', fragt X Redlight, ,,wie hast du überlebt?''
,,Kulmbach war relativ schnell überrannt, mein Vater hat mich auf seine Arbeit ins Max-Rubner-Institut mitgenommen, als draußen die erste Stampede durch die Stadt gerast ist. Er ist rausgegangen. Ich habe ihn nie wieder gesehen.''
Ich zucke zusammen und sehe zu Seoul hinüber. Sein Gesicht ist steinhart. Klar, hat er ja schließlich auch seine Eltern an die Zombies verloren. Doch Redlight redet mit zitternder Stimme weiter. ,,Seitdem habe ich mich darin versteckt, es ein wenig sicherer gemacht. Hin und wieder kleine Plünderungen gemacht, so wie zur Polizei, wo ich für etwaige Überlebende auch ein wenig... aufgeräumt habe.
Das Auto, das ich fahre, stand einfach vor dem Institut. Glücklicherweise hatte mir mein Vater schon ein paar private Fahrstunden gegeben, bevor ich siebzehn war. Ich habe es aufgemöbelt und gewartet, bis ich es brauche.
Irgendwann habe ich gemerkt, dass die Zombies wussten, dass irgendwo hier etwas sein musste. Immer mehr sind um das Institut herumgelaufen. Ich wusste, irgendwann muss ich weg, aber ich habe noch gewartet.
Dann, schließlich, als ich schon fast den Entschluss gefasst hatte, habe ich einen Lärm in der Stadtmitte gehört. Erst ein Klirren, dann später Kreischen von Jumpern. Ich wusste, da müssten irgendwo Überlebende sein. Ich bin zum Auto gerannt, habe zwei oder drei Crawler mit meiner Beretta erschossen und bin losgefahren. Den Rest... kennt ihr ja.''
Ich pfeife annerkennend. ,,Da hast du ja ganz schön was hinter dir. Was hast du so an Zeug mitgenommen, außer der Beretta?''
Er nickt. ,,Ein paar Konserven, Munition und meine MP5 im Rucksack.''. Ich will gerade etwas erwidern, da höre ich etwas. Ein... Kreischen und Trampeln, leise. ,,Feuer aus'', zische ich. ,,sie kommen!''
Redlight schüttet den bereitgestellten Eimer Wasser ins Feuer, Seoul eilt zum Fenster und zieht die Rolläden etwas hoch. ,,Kannst du was sehen?'', fragt ihn X. ,,Ja.'', antwortet Seoul, ,,draußen ist hellster Vollmond. Die Zombies laufen etwa einen Kilometer von uns weg nordwärts.''
Ich seufze erleichtert und lasse mich zurück ins Sofa sinken. ,,Die sehen wir so schnell nicht wieder'', sage ich. ,,Na los, schlaft 'ne Runde.''
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top