Kapitel 39
Ich nahm die letzte Stufe und roch schon gleich das Essen. Erst da merkte ich wirklich, wie hungrig ich war. Das letzte Mal, dass ich etwas gegessen hatte, war gestern Mittag und seit dem hatte ich nur ein Tee getrunken...
Ich nahm also den direkten Weg in die Küche und sah schon vom Wohnzimmer aus Rose, wie sie vor dem Herd stand und leise mit der Musik im Hintergrund mit pfiff. Sie hatte mich noch nicht bemerkt und ich betete, dass sie es auch nicht bald tat. Sie sah so glücklich, so normal aus, ohne diese ständige Abwehrhaltung, als würde sie sich vor etwas schützen wollen, dass ihr starke Schmerzen verursachte... Ich wusste nicht vor was sie solche Angst hatte, keiner wusste es und ich bezweifelte, dass es irgendjemand aus freien Stücken von ihr auch erfahren würde. Sie war noch zu jung, um so zu leben, sie war doch erst 20... Aber wovon redete ich da. Ich war gerade mal 21 und musste schon durch die Hölle und wieder zurück. Ich hatte keine Ahnung ob meine Schmerzen vergleichbar mit ihrer waren. Dafür müsste ich erstmal ihre Geschichte wissen und dann konnte ich es ehrlich gesagt immer noch nicht wissen,... Ihr Schmerz war mir mit Sicherheit fremd und woher sollte ich das dann wissen, wenn ich es selber noch nicht mal durchlebt hatte?
Aber im Moment genoss ich einfach die schmerzlose, fröhliche Rose... Mir war klar, dass diese Rose selten rauskam. Diese Seite an ihr blieb wohl die ganze Zeit tief in ihr verschlossen, so tief, dass die meisten von ihrer Existenz nicht mal wussten und das allein brach mir das Herz. Was war so schlimm, dass man die eigene Persönlichkeit verbergen musste? Was jegliche Lebenslust oder Gefühle aus den Augen saugte? Was immer es war, Rose hatte es nicht verdient und irgendwie musste ich ihr da raus helfen, da es anscheinend ja sonst keiner machte... ich musste nur ihr Geheimnis wissen,... was quasi unmöglich war.
Ich wollte ihr unbedingt helfen... Sie sah so oft so kaputt aus, so unendlich erschöpft. Als würde sie selber gerne schlafen, nur Angst davor habend nie wieder aufzuwachen. Als würde sie nicht mehr wirklich wissen, was das alles bedeutete... als würde sie nichts anderes kennen, außer diese einen Gefühle, die sie Tag und Nacht mit in sich trug. Als wäre es eine starke, langfristige und hartnäckige Krankheit, die sie immer und immer mehr zerstörte, bis nichts mehr von ihr noch da war...
Soweit konnte ich es nicht kommen lassen, dafür war sie mir in den letzten Tagen zu wichtig geworden... was ich am Anfang nie gedacht hatte, aber ja, ich wollte sie nicht leiden sehen und ignorieren wollte ich es auch nicht.
Nach fast fünf Minuten, die ich damit verbrachte jedes kleinste Detail von ihr einzuprägen, tat ich die letzten sechs Meter in ihren Blickfeld. Sobald sie mich sah, hörte sie auf zu pfeifen und gab mir ein kleines Lächeln, das man ebenfalls eher selten sah. Ich konnte nicht anders, als es zu erwidern und mich an den Tisch zu setzten.
„Geht es dir besser?" Ging sie die Konversation an und mein Herz stoppte wortwörtlich, als ich die Besorgnis in ihrer Stimme hörte.
„Ich denke schon." Es war nicht gelogen, ich wusste es wirklich nicht. Es war, als würde mein Mund so sehr lachen wollen, aber meine Augen nichts anderes als weinen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass mein Körper in zwei Teilen aufgeteilt ist und sie im ständigen Kampf miteinander waren und doch immer die trauernde Seite gewann... Nur Rose konnte mich irgendwie da jedes Mal rausholen, allein durch ihre Präsenz.
„Du hättest gestern einfach klopfen oder klingeln können, Sarah." Meinte sie, während sie mich kurz ansah, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Essen richtete. Es roch so gut und ich fieberte hin es endlich vor mir zu haben.
„Ich wollte nicht stören..." Es war nicht falsch, aber auch nicht die volle Wahrheit und das schien sie zu bemerken, denn sie hob eine Augenbraue, als sie den Teller mit Eiern, Bacon und Toast vor mir hinstellte.
Ich seufzte, ich hatte so oder so keine Kraft auch noch sie anzulügen: „Ich war mir sicher, dass du mich nicht da haben wolltest." Ich vermied jeglichen Blickkontakt, ich hatte wirklich keine Ahnung, wie sie darauf reagieren würde und irgendwie hatte ich Angst davor.
„Klopf das nächste Mal einfach." Antwortete sie nur.
... Das nächste Mal... also war das eine indirekte Erlaubnis wieder vorbeikommen zu dürfen? Oder nur, wenn ich wieder nahe eines Nervenzusammenbruches war und ich sonst nirgendwo hin konnte? Ich nickte nur wortlos und fing an zu essen. Es schmeckte fantastisch... ich hatte ehrlich nicht erwartet, dass es so gut schmecken würde, aber das tat es wirklich.
Sie sah mich eher etwas nervös an, während ich meine ersten Bissen nahm. Sie war angespannt, wie ich es finden würde und irgendwie war es super süß sie Happen pro Happen zappeln zu lassen... Trotzdem musste ich zugeben, dass ich nicht gedacht hatte, dass sie so gut kochen konnte und das ließ ich sie auch nach langen probieren wissen. Etwas erleichtert wandte sie sich dann ihrem Teller zu und da fiel mir erst auf, dass ihre Portion um einiges kleiner war, als meine. Die einzige logische Lösung war, dass sie schon zuvor gegessen hatte, während ich noch geschlafen hatte. Immerhin war es gerade schon fast 15 Uhr und Rose sah nicht wirklich nach jemanden aus, der besonders lange im Bett blieb. Das erkannte ich relativ schnell an ihrem Verhalten, als wäre ihr Körper auf Energiesparmodus. Nur konnte ihr Körper es viel besser wegstecken bzw. verheimlichen als meiner. Sie überspielte es ziemlich gut, trotzdem nicht gut genug um mich zu täuschen.
Ich wollte jedoch weder ihren angeblichen, von mir her fantasierten, Schlafmangel ansprechen, oder diese kleine Portion auf ihren Teller. Sie akzeptierte mich vollständig in ihrer Wohnung und hatte sich bisher noch kein einziges Mal deutlich unwohl gefühlt... das wollte ich nicht schon jetzt komplett zerstören. Das wäre erst ein Thema, wenn wir uns etwas öfter getroffen hatten und uns um einiges besser kannten.
Außerdem musste ich langsam nach Hause. Es war schon komisch genug, dass mein Handy nicht von Anrufen von Jane und Luke explodierte, da ich die ganze Nacht schon weggewesen war und mich bis jetzt nicht bei Ihnen gemeldet hatte... Sie mussten wohl gerade wahnsinnig sein und mich wahrscheinlich dafür hassen...
Nach dem letzten Stück Bacon entschied ich mich wirklich nach Hause zu gehen, ich konnte schließlich nicht noch den kompletten Tag hier bei Rose bleiben. Sie wollte wahrscheinlich vieles, aber nicht mich... Es war hart, die Realität war an sich immer hart und ich sollte in gewissermaßen daran gewöhnt sein, aber trotzdem tat es doch jedes Mal aufs neue weh.
Rose stand ebenfalls auf, nahm meinen Teller und ging in die Küche, um das Geschirr in der Waschmaschine einzuräumen. Währenddessen ging ich zur Haustür und sah nach meinen Schuhen und meiner Jacke. Was sollte ich jetzt eigentlich Rose sagen? Niemand zuvor hatte etwas vergleichbares, nachdem er oder sie mich erst weniger als drei Wochen kannte, gemacht. Ich war so oder so überrascht, dass ausgerechnet sie sowas machte...
„Was machst du da?" unterbrach mich diese so zarte und doch starke Stimme von hinten. Warum fragte sie das? Es war mehr als offensichtlich und sie wollte es immerhin auch.
„Ich gehe." Antwortete ich und richtete meinen Blick auf Rose, die aber nur den Kopf schüttelte und eher leiser als zuvor sagte: „Ich lasse dich nicht gehen."
„Warum?" War ich mir nicht ganz im Klaren,...
Sie senkte etwas ihren Blick und hielt ein paar Sekunden inne: „Ich möchte nicht, dass du alleine raus gehst, wenn das Wetter so schlecht ist... Ich...Ich kann dich nach Hause bringen, wenn du willst, oder..." sie kratzte sich am Hinterkopf, „... oder du kannst auch bleiben." Ich hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme während des letzten Parts.
Ich war wirklich überrascht und etwas geschockte, dass sie nicht wollte, dass ich alleine in diesem Umwetter unterwegs war und mir sogar anbot weiterhin bei ihr bleiben zu können. Rose überraschte mich immer und immer mehr, umso länger ich Zeit mit ihr verbrachte. Ich verstand das meiste zwar nicht an ihr, aber ich war mehr als nur bereit zu lernen sie zu verstehen. Ich weiß es brauchte Zeit und sehr viel Geduld und Feinfühligkeit, doch für Rose würde ich es durchhalten, egal wie hart es werden würde und wie oft ich mit den Gedanken spielen würde aufzugeben,... sie war es wert und irgendwas in mir wusste, dass ich nicht anders konnte und es das richtige war.
„Warum... bietest du mir an zu bleiben?" Ich war nur neugierig, dass sie mir die Möglichkeit anbot. Sie machte es zumindest nicht aus Mitleid, ich sah wirkliche Besorgnis kn ihren Augen, aber auch etwas anderes... verborgenes. Nur was es war konnte ich nicht wirklich sagen.
Diese Frage jedoch brachte sie etwas aus dem Konzept. Sie vermied jeglichen Augenkontakt und schien mit sich selbst zu diskutieren, was sie darauf antworten sollte.... ich hab ihr die Zeit die sie brauchte und wartete geduldig, bis sie leise von sich gab: „Ich möchte nicht wieder alleine sein."
Das brach mir förmlich das Herz. Rose war eher eine Einzelgängerin und verschlossen gegenüber jeden, der ihr nur im entferntesten zu nahe kam, aber das hatte definitiv einen Grund. Diese Haltung die sie hatte und auch ihr Verhalten zeigten nichts anderes als Vorsicht und Angst... nicht umsonst zuckte sie bei jeder Bewegung zusammen. Nicht umsonst sah sie immer wieder um sich und machte jede Person in ihrer Umgebung aus. Nicht umsonst war sie immer so müde... Nur konnte ich mir nicht ganz erschließen, warum sie ausgereicht mich hier haben wollte. Sie hatte immerhin noch Ryan oder Brian und was war mit ihrer Familie? ... egal wo jetzt alle waren, ich konnte und wollte Rose nicht hier alleine in dieser Wohnung alleine zurück lassen. Mit niemand anderen, als sich selbst... das war nicht richtig.
Ich musste nicht zwei Mal überlegen, zog meine Schuhe wieder aus und hing meine Jacke zurück. Sie hatte noch immer nicht aufgehört auf den Boden zu starren und da war mir klar, dass ich wohl die erste seit langer Zeit war, der sie so etwas gesagt hatte. Egal wie schlecht sie mich irgendwann mal behandelt hatte, ich sah so langsam die wahre Rose Smith und die brauchte meine Hilfe... keine Ahnung mit was und ob es überhaupt schlimm war, aber ich würde bleiben. Das stand schon mal fest.
Ich lief langsam zu ihr hin und legte zögerlich eine Hand auf ihre Schulter. Wie erwartet, zuckte sie unter meiner Berührung zusammen und sah erschrocken auf meine Hand, als wäre sie etwas Gefährliches. Aber sobald sie mir in die Augen sah und ich ihr so viel Sicherheit versichern konnte, wie es möglich war, entspannte sie sich langsam. Irgendetwas muss sie kn sich verborgen halten, etwas, über das sie wohl mit niemanden sprechen wollte oder konnte... Was war es nur?
„Wenn du mich hier brauchst, werde ich nirgendwohin gehen, Rose. Ich bleibe bei dir, solange du mich brauchst." Sagte ich mit einfühlsamer Stimme. Sie nickte leicht, ich sah ihr jedoch an, dass sie mit nicht zu 100% glaubte...
Ich musste ihr irgendwie doch helfen können...
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