Kapitel 37

Langsam schlug ich meine Augen auf. Es war noch immer nicht wirklich hell, aber auch nicht dunkel. Es stürmte noch immer und man sah alles wahnsinnig unscharf was weiter als drei Meter von den Fenstern entfernt war. Man war umhüllt von Milliarden schnellen Schneeflocken und kleinen Eisbrocken, die ab und zu von einem tiefen Donner begleitet wurden. Ich hatte ganz vergessen, dass die Wetterberichte vor den großen Sturm gewarnt hatten, der über London ging. Obwohl ich es um einiges besser wusste, hoffte ich, dass es sich bald legen würde, damit ich nach Hause konnte. Rose würde mich mit Sicherheit nicht den ganzen Tag in ihre Wohnung haben wollen.

Rose lag nicht mehr neben mir. Ich war alleine im Wohnzimmer und blieb dort auch noch ein paar Minuten. Ich hatte letzte Nacht geschlafen, wie schon lange nicht mehr und doch fühlte ich mich dennoch etwas erschöpft. Ich schob es auf das Wetter und darauf, dass ich noch immer den Schmerz und die Trauer in mir hatte. Das machte einen automatisch müde und träge, ohne wirklich was gemacht zu haben.

Nach ein paar Minuten brachte ich mich dann dazu aufzustehen. Ich war noch in den selben Klamotten wie gestern und ich hatte nichts anderes zum anziehen dabei... ich musste dringend nach Hause. Aber wie? Kein Taxi, kein Bus fuhr in diesem Unwetter. Ich brauchte irgendeine Lösung...

Nachdenkend lief ich in die eine Richtung, die ich kannte. In die Küche. Ich wusste nicht, ob Rose hier war, immerhin hatte ich sie weder gesehen noch gehört, aber wo sollte sie bitte sonst sein, wenn nicht geschützt vor dem Hagel in ihrer Wohnung?

Ich lief die drei Stufen hoch, die mich von ihrem offenen Wohnzimmer in ihre halb offene Küche brachten. Alles war aufgeräumt, und nichts hatte sich wirklich verändert seit ich das letzte Mal hier war.

Trotzdem war sie auch nicht in der Küche, oder saß am Esstisch. Sollte ich weiter nach ihr suchen? Würde es zu neugierig rüberkommen? Immerhin hat sie mich mitten in der Nacht bei sich aufgenommen... ich wollte nicht undankbar rüberkommen, oder sie denken lassen, dass ich in ihrer Wohnung rumschnüffelte. Ich war sehr neugierig, aber ich hielt mich zurück...

„Hast du Hunger?"

Erschrocken drehte ich mich um, nur um von einer etwas weit entfernt stehenden Rose angesehen zu werden. Sie hatte eine schwarze Nike Jogginghose an mit einem weißen dünnen Pullover und weißen Socken. Ihre Haare waren noch etwas zerzaust und ließ sie etwas wilder aussehen, was ihr unglaublich gut stand. Ihre Hände hatte sie lässig in ihre Hosentaschen gesteckt und lehnte unbeeindruckt an der kurzen Wand in der Küche hinter mir. Sie sah wie sonst einfach nur wunderschön aus und ich verstand einfach nicht, warum sie noch Single war. ... war sie das überhaupt?!

„Sarah?" Ich sah wie hypnotisiert auf ihre Lippen, wie sie meinen Namen aussprachen. Gott, ich musste mich dringend beherrschen... einfacher gesagt, als getan.

„Äh,... ja,... ja, habe ich." Brachte ich mühevoll aus meinen eigenen Mund und fragte mich im selben Moment, wie ich das nur geschafft hatte.

„Okay, ich mache dir was. Du kannst nach oben gehen und die Tür nehmen, dort ist das Badezimmer... Alles, was du brauchst, liegt dort." Ließ sie mich wissen und ich konnte nicht anders als zu nicken. Wie konnte sie nur so einen Effekt an mir haben?!... Gezwungenermaßen drehte ich mich um und lief zur Treppe an der Wand, den so deutlichen Blick von ihr auf mir bei jedem Schritt spürend. Das Verlangen mich einfach umzudrehen und in ihre Näher zurück zu gelangen, war unmenschlich stark und so hartnäckig, dass mich nur das konzentrieren auf den Treppen davon abhielt.

Ich verstand es einfach nicht. Es ist doch quasi vorherbestimmt, dass man einen perfekten Partner findet, den das Leben eben geben konnte. Einen einzigen, der einem wichtiger als Sauerstoff an sich war... Einen einzigen, dem man sein komplettes und nacktes Herz offenbarte und ihm die Macht gab es zu jedem Zeitpunkt zu zerstören... Einen einzigen, der dein Leben erst wirklich lebenswert machte... Warum passierte es mir dann ein zweites Mal? Warum gab es in meinem Leben zwei dieser Personen?! Ich wollte es nicht wirklich. Ich wollte nicht, dass die Gefühle zu Rose die von Sina überdeckten... Sina war und blieb auch für immer meine ersten Liebe und meine einzige wahre Liebe... Aber warum dann Rose?

Ihre Augen gaben mir zwar nicht im geringsten was mir Sinas' gaben, aber der Rest war einfach unbeschreiblich. Ihre Berührungen, ihr kleines sehr seltenes Lächeln, ihre Art mit mir umzugehen, ihre kleinen Narben, ihr so süßer Duft,... einfach alles war, als hätte ich eine zweite Chance bekommen,... die ich trotzdem nicht ganz wollte. Ich sah noch immer Sina, wenn ich meine Augen schloss. Ich hört noch immer Sinas Lachen, wenn ich eines im Hintergrund hörte. Ich tastete noch immer suchend auf die andere Bettseite, wenn ich alleine im Bett lag... Ich war noch nicht hinweg über die und ehrlich gesagt, glaubte ich auch es nie wirklich zu sein.

Leise vor mich hin seufzend kam ich oben an und stand schon im Schlafzimmer anscheinend. Links mir war eine verdunkelte Glaswand mit einer etwas geöffneten Tür. Rechts von mir war ein langes und ziemlich breites ‚Zimmer'. Ihr Schlafzimmer war praktisch so groß, wie ihr komplettes Wohnzimmer unten, wenn nicht noch größer. Mit einem eher gräulichen Parkettboden auf dem ein weißes Bett an der Wand stand. Gegenüber des Bettes waren an der Wand fünf untereinander platzierte lange ebenfalls graue Bretter befestigt, die Unmengen von Bücher auf sich trugen. Links vom Bett, um die sieben Schritte entfernt stand auf einem weißen Teppich ein Glastisch mit einer kleinen Couch dahinter in grau. Rechts vom Bett war die komplette Wand aus Glas und man hatte noch eine schönere Aussicht auf London, als in der Bibliothek. Es war wirklich wunderschön hier... mit ganz London direkt vor seinen Augen und den vielen pausenlos fallenden Schneeflocken.

Ich legte meine Hand automatisch auf die Kette, die so gut wie immer um meinen Hals hing, seit mehr als vier Jahren... es erinnerte mich hier so an sie und musste lächeln, als ich daran dachte, wie sehr es ihr hier gefallen würde.

Langsam ging ich hinter zur Glastür und schob sie ganz auf. Dort war wirklich das Badezimmer ganz in Weiß... mit allem drinnen, sogar einer Badewanne... Auf einem dünnen Schrank lag ein Stapel Sachen. Ich nahm an es waren Klamotten und Handtücher mit einer Zahnbürste. Ich wusste gar nicht, wie sehr sie auf Aussichten stand, oder ob es schon so war, als sie es gekauft hatte. Wenn man sich nämlich in der Badewanne setzte, hatte man ebenfalls eine Wahnsinns Aussicht auf London.  Diese Wohnung war hübsch... und wenn man die Wohnungsnachfragen hier in London und die Preise anschaute, musste sie einigermaßen gut verdienen...

Ich schloss die Tür hinter mir, sie zusperren tat ich allerdings nicht. Ich bezweifelte doch stark, dass Rose hier reinkommen würde, wenn sie doch wusste, dass ich hier drinnen war und jemand anderes gab es hier nicht.

Erleichtert schloss ich die Augen, als ich unter der Dusche war und das heiße Wasser auf meine Haut prallte. Es gab nichts besseres, als eine heiße Dusche oder ein heißes Bad nach einer anstrengenden Nacht und die hatte ich definitiv gehabt. Die Dusche war ebenfalls aus Glas und der Dampf versperrte mir so langsam die Sicht... aber ich wollte noch lange nicht raus. Sonst war die Dusche immer der Ort gewesen, an dem ich komplett abschalten konnte, mich entspannen und irgendwie ein bisschen sicher fühlen konnte. Aber jetzt... jetzt war es nicht mehr meine erste Wahl. Es gab einen anderen Ort, an dem ich mich wirklich fallen lassen und mir sicher sein konnte, dass ich auch aufgefangen werden würde. Nur war dieser Ort jemand, den ich nicht immer da hatte, wann ich ihn brauchte... ich wusste nicht recht, ob Rose das hier als Ausnahme sah, oder mir einfach das zurückgeben wollte, was ich ihr vor einigen Tagen gegeben hatte.

Wie sich immer,... Rose konnte mir wirklich helfen. Mehr als alle anderen zusammen und genau deswegen wollte ich sie nicht mehr gehen lassen, zumindest nicht ohne Kampf. Sie brauchte mich genau so sehr, wie ich sie. Ich hoffte, dass verstand sie auch...

Das Wasser floss und floss immer weiter auf mir runter, aber ich konnte mich einfach nicht wirklich darauf konzentrieren. Sonst wollte ich nie aus der Dusche raus, aber jetzt? Das einzige was ich mehr wollte, oder als einziges wollte, war so schnell es nur ging wieder runter zu Rose zu gehen und einfach in ihrer Nähe zu sein. Alles in mir drängte mich dazu das Wasser abzudrehen, dennoch dauerte es mehr als 10 Minuten, dass ich wirklich aus der Dusche draußen war. Ich nahm eines der Handtücher und trocknete meine Haare, das andere benutzte ich um meinen Körper abzutrocknen. Die Klamotten, die dort lagen waren eine Leggings und ein weißer Pullover. Rose war nur wenige Zentimeter größer als ich, daher passten mir ihre Sachen ziemlich gut und ich liebte es, wie ich bei jedem Atemzug ihren Geruch von ihren Klamotten in meiner Nase hatte. Irgendwie erinnerte mich ihr Geruch an zu Hause... Ich konnte mir nicht erklären warum, aber das tat es.

Eher nachdenklich putzte ich meine Zähne und kämmt kurz meine Haare... Ich realisierte erst da, wie müde und verweint ich aussah. Ich dachte, dass nach jedem vergangenen Tag, das alles in mir besser werden würde und ich Tag für Tag wieder glücklicher und stärker ausschauen würde... aber da hatte ich mich Jahre lang geirrt. Jeder Tag der vorüberging machte mich nur noch mehr kaputt und immer schwerer das zu verbergen. Ob es sich eines Tages ändern würde? Ich bezweifelte es... konnte nur hoffen und beten...

Das letzte Mal im Spiegel schauend, ging ich dann aus dem Badezimmer und sah noch einmal über das Schlafzimmer, bevor ich die Treppe nach unten nahm.

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