Kapitel 118

„Ich weiß, wo er ist."

„Was?... Wie du weißt wo er ist?" Fragte ich verwirrt, „... woher?"

„Ich kenn den Code von Rose IPhone... verrate es ihr aber nicht." Meinte sie und schloss hinter sich meine Zimmertür.

„Und?.... Wo ist er?" Ich war nervös... hatte nicht wirklich mit so einer Information gerechnet... und dann schon so bald.

„In einem Apartment... 45 Belgrave Road. Auf der anderen Seite Londons." Flüsterte sie, als bestehe die Gefahr, dass sie jemand hören könnte...

„45 Belgrave Road?... da war ich noch nie."

„Hat auch seinen Grund, Liebes..." Seufzte sie, „... Das Viertel Londons in dem die Polizei immer erst dann ankommt,... wenn schon alles vorbei ist."

Was?... was meinte sie damit?

„... Die meisten Verbrechen geschehen dort, Sarah. Kein Wunder, dass er sich dort aufhält. Allein der Weg dorthin vom Stadtzentrum aus dauert sehr lange und bis Hilfe dort ist.... sind die Täter alle weg und keiner kann was nachweise."

Solche Viertel kannte ich aus New York... da hielt man sich lieber nicht auf, wenn man eine Wahl hatte...

„Das Problem ist... wir haben keine Zeit mehr."

Ich drehte mich zu ihr, wartend, dass sie weiter redete...

„... Er wird übermorgen früh nach Tokio verreisen. Soweit ich weiss, überlegt er Rose entweder mitzunehmen oder nachfliegen zu lassen."

„Er will sie mitnehmen?" Das veränderte die Situation enorm... und der Zeitdruck half nicht wirklich.

„Und sie wird mitgehen... das weißt du."

Sie wird keine Wahl haben... er wird sie zwingen und sie mir ein erneutes Mal aus meinem Leben reißen. Als hole mich die Zeit ein... und würde alles aufs neue geschehen lassen... mir beim scheitern zusehen und mich endgültig in dem Loch versinken sehen wollen.

Also blieb mir nur noch morgen. Morgen sollte sich also alles entscheiden... und es lag ganz alleine an mir.

„Sarah... und kannst dort nicht alleine hin. Glaub mir bitte... ich lebe schon lange genug hier."

Selbst wenn ich auf sie hören würde, nicht in das Viertel gehen würde... bräuchten wir einen Plan B und den hatten wir nicht und so kurzfristig würden wir nichts zustande bringen.

Ich wollte und konnte dieses mal nicht einfach tatenlos daneben stehen und zusehen, wie mein Leben ein erneutes Mal vor meinen Augen zerrissen wird,... durch die selbe Person.

Ich konnte einfach nicht... da konnte mich weder die Belgrave Road, noch Josh... noch Rose oder Sina davon abhalten.

Ich tat das hier nicht nur für mich,... nicht nur für Rose... oder den Santos. Ich tat es für Sina... und in was war man nicht am besten, als den Personen, die man am meisten liebt, zu helfen? ... Und darin wird mich Josh maßlos unterschätzen...

„Danke für alles, Dorothea... wirklich." Ich hatte einfach das innere Bedürfnis ihr nach all den Monaten zu danken. Ihre Bibliothek und die vielen Gespräche hatten mir wahnsinnig geholfen... und schlussendlich hat sie mich zu Rose geführt... wohl eher gezwungen. Aber nie habe ich ihr dafür gedankt.

Wann wäre ein besserer Zeitpunkt als jetzt?

„Pass auf dich auf, Kleines." Umarmte sie mich innig, als wolle sie so ein letztes Mal versuchen mich davon abzuhalten...

Sie ließ mich wieder los, ließ mich ein Stück von Mom in ihrem besorgtem Gesicht erkennen, bevor wir zurück zu den anderen ins Wohnzimmer gingen.

Sie unterhielten sich über verschiedenstes, wusste nicht wirklich ob ich überhaupt versuchen wollte mich miteinzuklinken. Das einzige was ich wollte, war mich hinzusetzen und ihnen allen beim reden zuzusehen... es hörte cringe an, ja.... aber ich genoss es einfach.

Also setzte ich mich neben Rose, die eher überfordert versuchte allen auf einmal zuzuhören...

Ich ließ sie,... nahm einfach ihre Hand in meine und legte meinen Kopf auf ihrer Schulter. Roch ihr Parfum, dass ich so liebte und spürte ihre Wärme an mir... es war verrückt, wie sehr man einen Menschen lieben konnte und man für nichts anderes als dieses Gefühl mit ihr/ihm leben wollte...

Ihr Daumen strich über eine kleine Narbe an meiner Hand.... die Narbe, die ich mir damals beim kochen mit Sina geholt hatte... und solche kleinen Gesten machten mir klar, dass ich morgen Sina wieder zurück ins Leben holte... mit oder ohne mich. Zumindest hatte dann ihre Familie ihre Tochter bzw. Schwester wieder zurück... das mindeste was ich tun konnte.

Ein ehrliches Lächeln lag auf Louras Lippen jedesmal wenn sie zu Rose sah... und selbst wenn Rose es im Moment nicht wusste, wurde sie von sechs Augenpaaren mit purer Liebe und Hoffnung angesehen...

Ich wollte diesen Moment einfrieren... ihn nie beenden müssen... seit langem waren wir nicht mehr in dieser Konstellation zusammen gewesen,... hatten uns unterhalten können und niemanden vermissen müssen.

Laura, Sophie, Luke, Jane, Sina und ich... wie in alten Zeiten... als wir dachten wir könnten die Welt in unseren Händen halten und jeden bezwingen, der sich uns in den Weg stellte... unwissend, was die Zukunft für uns bereit hielt. Unwissend, wie schnell man auseinandergerissen werden konnte... unwissend, wie gutmütig das Schicksal sein konnte...

Ich behielt meinen Blick auf Rose Hand inmitten meiner... und genoss dieses warme Gefühl in mir... ich genoss jede einzelne Sekunde mit ihr...

_____

Es war soweit.

Die Zeit zeigte kein Erbarmen und schlug weiter und weiter... ließ den Abend näher und näher kommen und die Stimmung angespannter werden.

Der Tag für eine Revanche war da... und ich war nervös. Die Nacht konnte ich kaum schlafen, zu sehr beschäftigte mich der Gedanke wie ich so viel wie nur möglich aus Josh rausbekommen konnte... ohne, dass er irgendwie Verdacht schöpfte.

Ich hatte nur eine Chance... und der Druck stieg.

Ich stand seit einer viertel Stunde im Bad... sah in den Spiegel vor mir und versuchte meine Angst zu kontrollieren... zu wissen, dass ich mich eventuell das letzte Mal sah... half nicht wirklich.

Müde Augen und tiefe Augenringe vollendeten den Look, als würde ich auf den Weg sein etwas sehr dummes zu machen... irgendwie passend...

Ich wünschte ich würde wissen wie der morgige Tag aussah... wissen, ob ich noch leben würde... und ob Josh gestoppt worden war...

Nur für einen kleinen Augenblick... aber wünschte sich das nicht jeder?...

Ich griff nach meinem Handy, sah Sinas Gesicht auf dem Display erscheinen und hielt inne. Ihr kleines Lächeln, das mir so oft das Herz gebrochen hatte... zeigten mir heute nur Zuversicht. Sie nahm mir die Angst, nahm mir das unwohl Gefühl in mir und erinnerte mich für wen ich das alles tat. Ich tat das richtige... und wenn es so kommen sollte, werde ich das tun, was Sina für mich getan hatte...

Für die Liebe ging man bis in den Tod... deswegen war es das gefährlichste Spiel im Leben... es konnte alles genauso schnell vorbei sein, wie es für einen begonnen ist... c'est la vie.

Ein letztes Mal durchatmend, ging ich dann raus aus dem Bad... zur Tür an der alle vier standen... mit der selben Besorgnis im Gesicht geschrieben, wie ich es mir gedacht hatte.

So etwas sollte ich ihnen nicht zumuten müssen... aber ganz alleine würde ich es doch nicht schaffen... worüber ich insgeheim doch irgendwie froh war. Zu wissen, dass vor dem Gebäude in einem kleinem Van die Personen saßen und auf mich warteten, mit denen ich mein ganzes Leben verbracht hatte... beruhigte mich etwas. Ich fühlte mich so doch weniger allein... und gewissermaßen auch sicher, so unlogisch wie es klingen mag.

„Können wir?" Öffnete ich die Tür und nahm die Treppe runter... Es war für uns alle besser, wenn zumindest ich so tat, als wäre es kein großer Deal für mich... Vielleicht linderte ich so minimal ihre Angst... und meine eigene konnte ich so eventuell täuschen.

Hoffte ich.

Luke startete den Wagen und fuhr los. Im Auto war es still, nur das leise Summen des Radios hielt uns alle in der Realität fest, verhinderte irgendwie, dass wir uns in unseren Sorgen und Vorstellungen verloren. Es war schwer an ein gutes Ende zu denken, umso näher wir dem Viertel kamen...

Ich nahm mein Handy und schaltete den Audio Recorder an... es lief... hoffte, dass mein Plan funktionierte... und klebte es mit Klebeband an meinem Fußknöcheln. Es hielt fest, rutschte nicht, sondern blieb bei jeder Bewegung an seinem Platz. Vorsichtig zog ich meine Hose drüber und sah es an. Kaum zu erkennen... es könnte wirklich klappen...

„Können wir den Plan nochmal durchgehen?" Brach Jane dann unser aller Schweigen nervös.

„Jane..." Sah ich zu ihr hinter, „... bleib ruhig."

Ich hatte gut reden,... ich wollte nichts lieber, als Luke sagen, dass er umdrehen und uns soweit weg von hier wie nur möglich bringen sollte... ich hörte mein eigenes Herz schlagen... viel zu schnell schlagen... aber saß hier und versuchte so ruhig wie nur möglich zu wirken... nur um ihnen glauben zu lassen, ich wüsste was ich täte...

... tat ich aber nicht... ich war unsicher, ob mein Plan wirklich gut durchdacht war... es könnte so vieles passieren, dass ich nicht mit einkalkuliert hatte...

Luke hielt. Schaltete den Motor aus und ließ den Regen ungehindert auf die Scheibe runter prasseln... man erkannte kaum das Ende der Straße, nur wenn man sich anstrengte konnte man vereinzelte Gebäude oder Fahrzeuge ausmachen... nur um festzustellen, dass das Auge sich der Vorstellungskraft bediente und man falsch lag.

Der Abend konnte unserer Stimmung nicht gerechter werden...

„Wenn ihr nach einer Stunde nichts von mir hört... fahrt ihr weg und ruft die Polizei." Ich hatte es ihnen schon mindestens 20 mal gesagt,... aber ich wiederholte es lieber erneut... ging auf Nummer sicher.

„Habt ihr verstanden?"

Sie nickten alle... außer Sophie.

Sie sah aus dem Fenster und schloss kurz darauf ihre Augen. Kleine Tränen flossen still ihre Wange entlang und färbten vereinzelte Stellen ihrer Jeans dunkler.

Ich wollte nicht einmal wissen, wie sie sich fühlen musste...

„Versprich mir, dass du wieder kommst..." Behielt sie ihre Augen weiterhin geschlossen, „...versprich es,... bitte, Sarah."

Sie wusste ich konnte es nicht... wie sollte ich ihr ein Versprechen geben, dass ich wusste ob ich es halten konnte?...

Ich beugte mich hinter und zog sie an mich, drückte sie so fest wie ich nur konnte und nickte: „Versprochen."

Sie hielt mit beiden Händen mein Gesicht... sah mich an, als sähe sie mich mit 12 Jahren vor sich, als ich zurück von einem längeren Schulausflug kam...

„Sag Mom oder Dad nichts hiervon, okay?" Versuchte ich sie etwas aufzumuntern, „...Sie werden mich einsperren und nie wieder raus lassen..."

Es half, sie lachte und nickte etwas: „Werd ich nicht..."

Sie ließ mich los und strich mir noch eine Strähne aus dem Gesicht: „Ich bin stolz auf dich..."

„Und ich bin stolz drauf in ein paar Wochen deine Trauzeugin sein zu können..." Ich zog meinen Mantel an, „... und ob du willst oder nicht, ich werde jede einzelne deiner peinlichen Geschichten erzählen..."

„Zuerst müssen wir erst euren Junggesellenabschied feiern..." Erinnerte Luke uns noch daran und Jane lachte: „Alkohol bis zum sicheren Tod..."

„Nein... ich will meine Hochzeit nicht mit einem Kater verbringen müssen..." Meinte Sophie sofort, aber Loura legte ihren Arm um sie: „In guten und in schlechten Zeiten, schon vergessen?"

„Oh mein Gott... ihr seid so süß!" Sah sie Jane grinsend an.

Und das waren sie auch... ich war mehr als nur glücklich, dass meine Schwester Loura bald offiziell als Frau hatte... sie hatten sich mehr als verdient.

„Schon überlegt wo ihr feiern wollt?" Kam von Luke, „... Ich wär für was großes... sehr großes... ihr könntet an sich den ganzen Central Park in New York mieten... oder ihr kauft euch den Eifelturm... kann man den überhaupt kaufen?"

„Gott, Luke... halt mal die Luft an...." Stoppte ihn Loura...

„Hey... wir reden darüber weiter, wenn ich zurück bin, okay?..." Öffnete ich meine Beifahrertür, „... und ich wär für eine Hochzeit in Griechenland... die sollen die schönsten Strände haben...."

„Kommt mit auf die Liste."

„Okay..." Ich mochte Griechenland... ich war da zwar noch nie, aber ich wollte es unbedingt.

„Sarah...." Hielt mich Sophie nochmal auf, bevor ich gehen konnte,... „... Sei bitte vorsichtig..."

Ich würde mein Versprechen halten.... sowohl an Sophie als auch an Sina....

„Mach ich... bis später." Gab ich ihnen ein letztes zuversichtliches Lächeln, bevor ich die Tür zuschlug und auf die andere Straßenseite rannte. Der Regen hatte ziemlich nachgelassen und verschonte mich die paar Meter bis zur Haustür des 45ten Hauses.

Ein renoviertes Gebäude... war ziemlich groß, wohnten wahrscheinlich mehrere Mieter hier in schätzungsweise vier Wohnungen?...

Dorothea hatte mir verraten, dass Josh Wohnung die dreiste war... also ging ich rein, steig in den Fahrstuhl und drückte auf den Knopf auf dem eine drei stand...

Die Sekunden fühlten sich verzögert an... meine Hände zitterten... aber ich versuchte mich zu konzentrieren.

Ich hatte nur diese eine Chance...

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