Kapitel 102
Wenn man jemanden sagte, dass man ihn/ sie liebte,... wie fühlte der-/ diejenige sich dann?
Vielleicht sicher? Nicht allein? Geschmeichelt? Glücklich? Oder einfach nur erleichtert?
Wenn man jemanden sagte, dass man noch nie jemanden so sehr geliebt hat, wie ihn/ sie,... wie fühlte er/ sie sich dann mit diesem Geständnis?
Besonders? Wirklich geliebt?
Aber was ist, wenn man jemanden sagte, dass es da jemanden gab, den man genauso sehr liebte, wie ihn/ sie? .... Wie fühlte er sich dann?
Enttäuscht? Gekränkt? Nicht besonders?
Ich wusste es nicht. Mit mir hatte es noch nie jemand gemacht... zu mir kam noch nie jemand und meinte, dass ein Teil seines Herzens noch immer der verlorenen Liebe gehörte.
Ein paar würden jetzt sagen, Sina is tot. Jemand totes ist keine wirkliche Konkurrenz für Rose,... und langsam glaubte ich, es stimmte. Nach fünf Jahren verblasste Sinas Gesicht langsam in meinen Erinnerungen. Ich sah ihr Lächeln nur noch verschwommen, ihre Augen verloren immer weiter an Farbe und ihre Konturen waren nicht mehr wirklich dieselben. Der Klang ihres Lachens war nur noch schwer auszumachen und an manche Situationen mit ihr erinnerte ich mich nur noch brüchig.
Stattdessen füllten die ganzen Erlebnisse mit Rose mein Gehirn und waren präsenter als ich je gedacht hätte.
Das Essen war zwei Tage her. Rose musste sich überwiegend ausruhen und schonen und schlief größtenteils. Ich blieb immer an ihrer Seite, beruhigte sie, wenn sie aufgebracht und panisch nachts aufwachte oder blieb einfach so lange mit ihr wach, bis sie müde genug war um wieder zu schlafen. In manchen Momenten wusste ich echt nicht, wie Rose das alles über Jahre ganz alleine geschafft hatte, wenn ich jedesmal sah, wie eingeschränkt sie mit den ganzen Verletzungen und der Droge im Blut war.
Brian und Ryan wollten heute bei Rose bleiben und mit ihr einen ‚Bro' Tag machen... ja, ich glaube die beiden haben einfach keinen anderen passenden Namen gefunden, also haben sie die Tatsache, dass Rose eigentlich eine Frau ist einfach weggelassen. Die Logik der Männer.
Also besuchte ich Dorothea. Wir hatten uns seit einigen Tagen nicht mehr gesehen und ich vermisste sie echt,... sie wusste immer, was ich zu tun hatte und half mir einfach bei jedem Problem. Vielleicht könnte sie mir auch bei Rose Problem weiterhelfen.... außerdem hatte ich noch zwei Bücher abzugeben.
Es regnete fürchterlich, es regnete wirklich so stark, dass ich ein Taxi rufen musste und die vier Schritte von der Haustür zum Auto mit einem Regenschirm gelaufen bin.
„Zur Bibliothek, bitte." Schnallte ich mich an.
„Die in der Conway Road?" Fragte der Mann im fortgeschrittenen Alter.
„Ja, Conway Road 7."
Keine 10 Minuten später öffnete ich also wieder meinen Regenschirm und lief genau sechs Schritte zur Eingangstür der Bibliothek.
Zu meiner Überraschung wusste Dorothea über den Vorfall Bescheid. Zwar nicht über die Vergewaltigung, aber immerhin, dass sie ernsthaft verletzt war und selber nicht mehr weiter wusste.
„Sie hat mich gestern Abend angerufen, so um halb neun ungefähr..." Gab sie mir eine Tasse Kaffee und setzte sich mir gegenüber. Um halb neun war ich duschen, da hatte sie mehr als genug Zeit um Dorothea anzurufen.
„Was wollte sie?" Fragte ich nach und bekam ein kleines eher trauriges Lächeln: „Das was sie immer macht, mir nur Bescheid geben, dass sie wieder in der Stadt war und ich mir keine Sorgen machen müsste, weil es ihr gut ginge." Sie seufzte leise, „Das ist gelogen oder?"
Sollte ich es ihr sagen?... Rose sah zu ihr auf, wie als wär sie ihre eigene Mutter, rief sie an, sobald sie wieder da war und versicherte ihr, dass alles gut mit ihr war. Warum sagte sie ihr dann nicht, was wirklich los war?
„Ich weiß, was du denkst." Nahm sie einen Schluck von ihrem Tee, „Aber redest du mit deinen Eltern über wirklich persönliche Probleme, was die Art und Weise, wie sie dich als Tochter sehen, ändern könnten? .. Rose ist stur und hat manchmal einen wahnsinnigen Dickkopf, aber sie ist jemand, der nicht möchte, dass andere in ihren Problemen mit reingezogen werden. Sie versucht uns alle nur zu beschützen und ist nebenbei eine schlechte Lügnerin."
„Aber warum? Wir könnten ihr da raus helfen...!" Wollte ich verzweifelt wissen und sie legte nur eine Hand auf meine: „Sie ist es gewohnt alles alleine zu machen, Sarah. Sie wird sich nicht freiwillig einfach so helfen lassen, vor allem nicht, wenn euch dabei etwas passieren könnte und das kann es, habe ich Recht?" Ihr Griff verstärkte sich leicht um meine Hand, als hätte sie Angst vor der nächsten Frage: „Wie schlecht geht es ihr? Bitte, sei ehrlich."
Dieser Blick... Sie sah Rose wirklich als Tochter an, sie liebte sie genauso so, machte sich genauso um sie Sorgen und ihr tat es genauso weh, wenn sie sie verletzt oder mit Schmerzen sah.
Sah so meine Mom aus, als ich damals in dieses Loch war? Als ich die Gedanken und manche erfolglose Versuche hatte alles endlich zu beenden? ... Ich wollte es nicht wissen. Ich wollte nicht wissen, was ich meiner Familie damit angetan hatte... wenn ich Dorothea so sah, wollte ich diesen Gesichtsausdruck nie wieder bei meinen Eltern sehen.
Ich schüttelte leicht meinen Kopf und nahm dieses Mal ihre Hand.
Seufzend presste sie ihre Lippen zusammen: „Es sind nicht nur die Drogen, oder?" sah sie mich weniger fragend, sondern eher wissend an, „... Diese ganzen Verletzungen kann sie nicht jedes einzelne Mal haben, wenn sie sich die Drogen besorgt."
„Dorothea..." Versuchte ich sie irgendwie davon abzulenken.
„Der Arzt hat doch damals gesagt, dass es eine sehr seltene und hoch gefährlich Droge ist, die es nur in sehr kleinen Mengen in México gibt. Es muss wahnsinnig teuer sein sich die zu besorgen und sehr sehr schwierig sie nach London zu bekommen,... das kann Rose nicht alleine geschafft haben. Sie hat dafür nicht annähernd genug Geld und nicht die richtigen Kontakte. Also,... wer ist diese andere Person?"
Sie hatte weitergedacht als alle anderen... sie hatte wahrscheinlich schon frühere Vermutungen gehabt als alle anderen... aber gab mir das das Recht es ihr zu erzählen?
„Ich kann es dir nicht sagen,..." Meinte ich entschuldigend und sie nickte verständnisvoll: „Ich weiß, sie vertraut dir... aber du kannst nichts dafür, wenn ich es errate."
Sie hatte also einen Weg gefunden, dem allen zu umgehen und trotzdem an die Lösung zu kommen. So gesehen war es eine Möglichkeit ihr wenigstens etwas zu erzählen... so war es zumindest besser direkt um ihren Rat zu fragen...
„Es ist ein Kerl?" Fing sie an noch bevor ich mich auf eine Entscheidung festlegen konnte.
„Kannten sie sich schon davor?" Fragte sie weiter und da musste ich mit den Schultern zucken. Rose hatte nie auch nur ein Wort über seinen Charakter, Aussehen oder ihre Beziehung zu ihm gesprochen. Nie, nicht ein mal. Ich konnte ihn mir nicht mal wirklich vorstellen, wie sah so jemand aus?
„Verletzt er sie?" Kam die nächste und wieder nickte ich nur.
Leicht zitternd strich sie sich über die Stirn und atmete tief ein, bevor sie mich wieder ansah: „Tut... T-Tut er ihr mehr an?" Sie wollte auf die Missbräuche hinaus und ich sah ihr an, wie sehr sie gerade betete, dass ich den Kopf schüttelte... aber ich konnte nicht. Sie wollte die Wahrheit und ich gab sie ihr. Nach all den Jahren war ich die erste, die ihr wirkliche Antworten geben konnte...
Also nickte ich einmal ganz leicht und sah zu wie sie in Tränen ausbrach.
„Ich habe es... schon ge-ahnt..." Schluchzte sie leise, „... Aber habe gehofft, dass... dass es nicht wahr ist."
Sie versuchte sich mit wenig Erfolg die Tränen wegzuwischen: „Wie willst du ihr helfen?"
„Ich weiß es ehrlich nicht..." seufzte ich, „...Ich weiß nicht, wie er aussieht, wie er heißt, wo er herkommt, wie er überhaupt auf Rose gekommen ist,... ich weiß gar nichts."
„Ich nehme an, du hast sie schon gefragt?" stand sie auf und brachte unsere Tassen zurück in die kleine Küche.
„Ja, schon mehrmals,... aber sie sagt mir nicht eine Kleinigkeit über ihn." Folgte ich ihr verzweifelt.
„Hast du es mit ihrem Handy versucht?" Fragte sie mit gerunzelter Stirn.
„Dorothea... ich weiß ihren Code nicht."
„Oh... genau. Diese Handys heut zu Tage sind ja verschlüsselt." Schüttelte sie den Kopf, „Weil keiner mehr Vertrauen zu den anderen hat. Schlimm."
Ich musste mir wirklich einen Lacher verkneifen, immerhin hatte sie es ernst gemeint.... ja, Dorothea war noch old School und begriff den Hype um die gesamte Technik noch nicht... aber es war mehr als unterhaltsam ihr dabei zuzuhören.
„Okay, Schätzchen. Hilfst du mir die Bücher einzusortieren? Solange können wir nach einer Lösung suchen..."
„Klar." Nahm ihr ihr den Karton Bücher ab und stellte ihn auf den Tisch.
„Jedes Buch hat hier seine Einordnungszahl, die Abkürzungen stehen für Reihe, Nummer und Gang und dann suchst du nur noch den richtigen Platz für das jeweilige Buch." Erklärte sie kurz und öffnete den Karton.
„Wieso geht sie nicht zu Polizei?" Fragte sie sich eher selber, etwas, was ich auch nicht verstand: Ich weiß es nicht. Es hätte alles so schnell vorbei sein können."
Ich nahm ein dickes Buch raus und dessen jeweiligen Zettel.
G 03.
R 11
N 395
„Aber wieso gibt er ihr diese Drogen? Was bringen die?... Zumindest die Absicht ihr den Schmerz zu lindern, hat er ja nicht..."
Ich stand schon im Gang 03 und suchte gerad e nach dem freien Platz mit der fehlenden Nummer: „Die Droge macht genau das Gegenteil,... Rose hat höllische Schmerzen deswegen,... aber warum verpasst er ihr dann eine Überdosis, wenn er doch weiß, wie gefährlich sie ist?"
Ich hörte sie seufzen, während ich zurück zum Karton lief um mir ein neues Buch zu holen: „... Wir haben irgendwie keine einzige Antwort auf unsere Fragen, Sarah. Das is alles andere als gut."
„Ich weiß,... langsam verzweifle ich." strich ich mir ein Haar hinters Ohr und griff nach dem möchten Buch.
...
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top