Kapitel 101

Nein, Sarah. Ich habe nie von diesen... Zeug gehört, geschweige denn sie dir gesagt. Ich kenne diesen Zettel nicht und was da drauf steht habe ich noch nie gelesen... des hast du definitiv nicht von mir."

Was zum...?

Ich sah ihr an, dass sie ehrlich war und sie anscheinend wirklich keine Ahnung hatte, was ich gerade von ihr mit diesem Zettel wollte. Aber wie kann das sein, wenn sie es mir vor ein paar Stunden deutlich aufgelistet hatte?! Ich verstand es nicht...

Langsam zweifelte ich, ob mir diese Buchstaben und Zahlen wirklich weiterhelfen könnten. Rose stand unter enormen Schmerzen, da sagte man manchmal Dinge, die keinen Sinn machten... .

„Okay..." Seufzte ich ganze leise und lächelte sie an, „Das Essen ist glaube ich schon fertig." stand ich auf und hielt ihr eine Hand hin.

„Ich... habe keinen Hunger." Schüttelte sie nur leicht den Kopf, immerhin begann von ihrer linken Hals bzw Nackenhälfte bis zur Schulter ein großer dunkler Bluterguss.

„Wann hast du das letzte Mal gegessen?" Zog ich eine Augenbraue hoch und sah sie mehr als besorgt an. Dass sie sich kaum selbständig auf den Beinen halten konnte oder so dermaßen schwach war, lag nicht nur an den Verletzungen...

„Komm wenigstens mit runter,... die anderen machen sich wirklich Sorgen um dich... vor allem Brian und Ryan." Bei ihren Namen sah ich den Schmerz so deutlich in ihrem Gesicht,... sie bedeuteten ihr wirklich viel, immerhin waren sie bisher in den letzten Jahren die einzigen gewesen, die sie als Familie bezeichnen konnte...

Ich ging wieder zu ihr hin und setzte mich neben ihr aufs Bett: „Du weißt, dass die beiden dich wirklich über alles lieben, oder?" Sie nickte leicht. „Sie haben es verdient zu wissen, Rose."

Eher energisch schüttelte sie ihren Kopf: „Nein,... das geht nicht..." Ihre gläsernen Augen sahen mich direkt an, „Ich bin einfach gegangen, Sarah... er wird mir das nächste Mal nicht mehr einfach nur weh tun. Er wird mich bestrafen... nicht mal ich weiß wie."

Nicht mehr einfach nur weh tun?... Das, was er ihr über Jahre immer wieder angetan hatte, nannte sie einfach nur weh tun?! Was könnte er ihr noch schlimmeres antun? Sie war so oder so schon am Boden, hat jegliches Selbstwertgefühl verloren und behielt obendrein noch alles für sich. Hatte der Kerl nicht irgendwann mal genug?

„Wieso du?" Ich musste die Frage einfach stellen, „Warum hat er dich ausgewählt?" Klar, ihr Aussehen hatte dabei wahrscheinlich die Hauptrolle, aber vielleicht wusste ich eine Sache über Rose nicht, die ihn besonders reizte... da überfragte ich sie allerdings. Sie zuckte nur kaum merklich mit den Schultern und senkte ihren Blick runter auf ihre Hände.

Sie wusste also nicht mal warum er ausgerechnet ihr das alles antat, er hatte sie demnach aus eigenen Gründen oder einfach per Zufall ausgewählt.

Rose hatte keine Familie und war erst hergezogen, als das alles anfing,... sie war perfekt für ihn gewesen. Niemand, der nach ihr fragte und niemand, der sie näher kannte. Sie war damals eine sehr junge Frau gewesen, die alleine und erst seit kurzem in London lebte... demnach brauchte er sich nur noch um eine Kleinigkeit zu kümmern.

Meine beiden Hände platzierte ich jeweils an die Seiten ihres Gesichtes und strichen vorsichtig mit meinen Daumen über ihre Wangen. Ihre Lippen bebten leicht, während sie nur Zentimeter von meinen entfernt waren, als würde sie wissen, dass ich noch eine weitere Frage stellte. Eine Frage, die sie mir nicht beantworten konnte bzw. wollte... aber sie musste. Sie musste endlich, damit ich ihr helfen konnte... wieso verstand sie das nicht?

„Rose... was hat er gegen dich in der Hand? Warum bist du nicht schon längst zur Polizei gegangen?"

Sie wollte ihren Kopf wieder wegdrehen, aber ich ließ sie nicht. Ich behielt sie ganz nahe bei mir und wandte nicht einmal meinen Blick von ihr. Ich sah ihr die Verzweiflung an, ich sah ihr an, dass etwas nicht stimmt und ich sah ihr an, wie sie versuchte es irgendwie in Worten zu verpacken, aber nicht wirklich wusste wie... Sie schloss ihre Augen, denen ein paar kleine Tränen entflohen und gab sich Mühe nicht komplett das Weinen anzufangen.

Nach einer Weile schlug sie ihre wässrigen Augen wieder auf und sah verzweifelt in meine: „I-ich weiß es nicht."

Sie wollte es mir nicht sagen. War es so schlimm? Sie musste doch mittlerweile wissen, dass ich sie liebte und egal bei was bei ihr blieb... warum wehrte sie sich bloß so dagegen...

Seufzend lehnte ich meine Stirn an ihre und hielt sie weiterhin fest: „Okay,..." Mir war meine Enttäuschung anzuhören und ich spürte wie ihr Blick auf mir lag und mich förmlich durchbohrte.

„Sarah,... bitte, glaub mir. Ich weiß es wirklich nicht." Flehte sie mich mit leiser Stimme an.

Sie wusste wirklich nicht, was er gegen sie in der Hand hatte?! Wer wusste sowas nicht...? Hatte er gar keinen? Aber warum ließ sie das dann mit sich machen, wenn sie nicht musste?!

„Was...?! Wie kannst du es nicht wissen?" Entweder log sie mich an, oder sie sagte mir die Wahrheit... aber wie konnte man sowas bitte nicht wissen? .. Sie musste mich demnach anlügen...

Ich musste es anders versuchen herauszufinden... irgendetwas musste sie mir verraten.

„Dann... wie hat alles angefangen?" So lag die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich auch den Grund oder zumindest dessen Ansätze herausbekam.

Da lag ich aber falsch.

Rose Augen wanderten von meinen runter zu ihren Händen. Sie zuckte minimal mit ihren Schultern und konnte nicht verhindern, dass ihre Tränen nun auch ihre Hände nass tropften. Es war leicht zu sagen, dass sie log,... es war immerhin so gute wie unmöglich über das alles nicht Bescheid zu wissen, wenn es um einen selber ging. Aber mittlerweile kannte ich Rose. Ich konnte ihr ansehen, wann sie die Wahrheit sagte und wann nicht und hier und jetzt da... da log sie nicht.

„Du weißt es nicht?" Vermutete ich deshalb noch bevor sie mir genau die selben Wörter zur Antwort geben konnte. Entschuldigend nickte sie leicht und strich sich eine Träne mit ihrer zittrigen Hand weg: „Es tut mir -..."

„Hey,... entschuldige dich nicht." Nahm ich sie in den Arm und küsste ihre Stirn, „... Das wird schon wieder." Es war so leicht so etwas hoffnungsvolles zu sagen und so zuversichtlich zu klingen, wenn man selbst doch auch keine Ahnung hatte, wie man das alles lösen konnte. Um diesen Kerl stoppen zu können, brauchte ich so viele Informationen, wie ich nur kriegen konnte... aber wie, wenn mir Rose so gut wie nichts über ihn sagen wollte und bei manchen Themen sogar nicht konnte?

„Sarah?" Wurden wir hier oben durch einen geflüsterten Schrei von unten unterbrochen.

„Ja?" Gab ich zurück.

„Das Essen ist fertig, Weck bitte Rose." Schrie Maria im Flüsterton zurück.

Ich wusste, dass Rose nicht wirklich die Kraft dazu hatte sich den Fragen der anderen unten zu stellen und auch nicht ihre ganzen traurigen und schmerzerfüllten Gesichter ertrug, aber sie hatte keine Wahl. Sie musste runter und was essen und irgendwann auch zu den anderen gehen, die so besorgt auf Antworten warteten. Sie hatte es geschafft das alles für Jahre versteckt zu halten und dann, wenn es am schlimmsten war, wussten auf ein Mal plötzlich alle Bescheid und sie hatte keine Ahnung, wie sie am Besten darauf reagieren sollte. Ich hoffte nur, dass es nicht zu viel auf einmal war, vor allem in ihrem momentanen Zustand.

„Bereit?" Fragte ich sie und gab ihr das ermutigendste Lächeln, was ich nach diesem Gespräch aufbringen konnte.

Sie nickte nur und ließ sich von mir helfen ihren Arm um meine Schulter zu legen und sie dann auf die Beine zu heben.

„Braucht ihr Hilfe?" Tauchte Jane an der Treppe auf und kam sofort zu uns, um Rose auf der anderen Seite zu stützen. Zu zweit ging es doch um einiges schneller, aber wir beide sahen Rose an was für Schmerzen sie bei jedem einzelnen Schritt hatte... Kein Wunder, so wie ihre Beine aussahen...

Nach circa 10 Minuten kamen wir auch an dem Esstisch an, wo alle stillschweigend auf uns warteten und jeder unser Schritte bis hierher verfolgte. Man sah diese Besorgnis und die Traurigkeit in ihren Augen, die bei jeder Verletzung, die sie an Rose sahen, immer deutlicher wurde.

Jane und ich setzten sie an dem freien Platz vorsichtig ab. Ich setzte mich links neben ihr und rückte meinen Stuhl dichter an sie ran, während Jane mir kurz über die Schulter strich und den Stuhl neben Brian nahm. Es herrschte noch immer Stille, nur Brian und Ryan sahen Rose durchgehend an, darauf wartend, dass sie von alleine anfing es Ihnen zu erklären...

Wir anderen merkten es natürlich, aber wollten es Rose nicht noch schwerer machen, also suchten wir nach irgendeinem Ablenkungsthema... aber keinem viel wirklich etwas ein...

„Ähm... Rose, wie viel möchtest du?" Nahm Luke ihren Teller und gab ihr zwei Löffel der großen Suppe in den Teller. Ja, es gab Suppe. Wir dachten, dass es vielleicht das beste für sie im Moment war und da wir anderen sie mit der Suppe nicht alleine lassen wollten, aßen wir sie mit.

„Maria wie viel möch-..." Nahm Luke Marias Teller, aber wurde beim fragen unterbrochen. „Was ist passiert, Rose?" Griff Ryan das Thema auf.

Rose hingegen starrte nur auf die Suppe und Murmelte ein: „Es tut mir Leid."

„Rose,... hast du eine Ahnung was für eine Angst wir um dich hatten?!" Fragte Brian, „Ich habe noch nie jemanden so dermaßen zugerichtet gesehen, wie dich...!"

Rose schwieg. Sie wusste nicht wirklich was sie ihm sagen sollte, immerhin konnte sie Ihnen nicht die Wahrheit sagen. Wie ich die beiden kannte, würden sie auf eigener Faust nach diesem Kerl suchen und an jeder einzelnen Tür in ganz London klingeln, wenn es notwendig war. ... Wenn ich ehrlich bin, habe ich daran auch schon gedacht...

„Was ist bitte passiert? Und warum hast du wieder diese Drogen genommen? Du hast uns versprochen, dass du das nicht mehr machst...!" Erinnerte sie Ryan daran.

Es war gut möglich, dass sie Ihnen es versprochen hatte. Sie hatte auch nicht daran gedacht, dass die beiden es wieder herausfinden würden, hatten sie in den letzt Jahren ja auch nicht. Und wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass genau das hier auch passieren würde? Dass sie in ihre Wohnung kam und uns alle genau dann hier antraf?... sehr unwahrscheinlich.

„Ryan, Brian!" Brachte Marias ernste Stimme beide zum schweigen, „Könnt ihr euch diese Fragen nicht aufheben, wenn sie in einer besseren Verfassung ist?!"

„Aber -..." Wollte Brian ansetzten.

„Ja, wir wissen, dass ihr beide euch Sorgen um sie macht und sie nur beschützen wollt, dass machen immerhin große Brüder, aber sie braucht jetzt Ruhe und sollte sich schonen und nicht gleich am ersten Tag ausgequetscht werden. Sie ist noch zu schwach dafür." Ermahnte Maria die zwei Männer, die nur zustimmend ihre Münder schlossen und Rose entschuldigend ansahen. Sie wusste, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, aber ihr Beschützerinstinkt hatte nun mal die Oberhand gewonnen.

„Also... wie geht es dir?" Fragte Jane und Rose gab ihr ein schwaches Lächeln, „Es geht schon."

„Wenn du was brauchst, du weißt, dass du immer zu jedem hier, egal wann, kommen kannst." Jane sah zuerst zu Rose, aber kurz darauf wandte sich ihr Blick zu mir. Das war nicht nur an Rose gerichtet,... sie meinte damit sich mich. Sie wollte nicht, dass ich mich hilflos fühlte oder dachte mit allem alleine zurecht kommen zu müssen,... nicht so wie bei Sina. Es war gut zu wissen, dass ich die beiden hinter mir stehen hatte und jederzeit auf sie zählen konnte.

Wir aßen ungefähr eine halbe Stunde, bevor ich half mit abzuräumen und wir uns alle wieder am Esstisch versammelten und Poker spielten. Wir dachten Rose etwas abzulenken wär vielleicht das beste und schlafen wollte sie noch nicht. Sie meinte nach so etwas alleine zu sein, war das schlimmste, was man tun konnte,... also behielt ich sie hier bei mir unten und versuchte sie mit den anderen auf andere Gedanken zu bringen.

„Okay, ich bin raus." Gab sie ihr ganzes Geld nach der sechsten Runde in die Mitte.

„Was? Warum? Möchtest du hoch dich hinlegen?" Fragte Ryan besorgt, während sie auch ihre Karten unter den Stapel legte: „Nein nein,... Ich möchte einfach nur noch zuschauen." Beruhigte sie ihn sofort.

Ihre Hand griff nach meinen Stuhl, sie versuchte mich näher an sich zu ziehen, was mit ihrer momentanen Kraft so gar nicht funktionierte... also half ich ihr und rutschte so nah es ging an sie ran.

„Ist wirklich alles gut?" Fragte ich nochmal nach und bekam ein ganz kleines Lächeln mit einem Nicken, bevor sie sich etwas drehte und sich nach hinten lehnte. Ihr Kopf legte sie auf meine Schulter und ihr eines Bein legte sie vorsichtig über meines. Sie hatte es sich an mir gemütlich gemacht,... ich glaubte wirklich, dass ich um einiges bequemer für ihre Verletzungen war, als die Lehne eines harten Stuhles... Wie auch immer, mir gefiel es sehr.

„Ich liebe dich." Flüsterte sie und brachte mich seit langem wieder zum Lächeln.

„Ich dich auch." Küsste ich Ihre Kopf und legte einen Arm um sie. Wie ich wünschte, dass wir für immer so bleiben konnten...

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