4 Besuch
Ich sitze im Zug.
Der schlafende Mann rechts gegenüber von mir. Der Zug bleibt stehen und ich warte. Stillstand.
Ungeduldig starre ich die Kabinentür an. Sie müsste doch aufgehen und jeden Moment die Dame erscheinen, doch niemand kommt.
Stattdessen nimmt der Zug wieder Fahrt auf.
Der Mann ist plötzlich verschwunden. Ich bin allein. Es wird dunkel.
Panik breitet sich in mir aus.
Ich wache auf.
Langsam richte ich mich auf. Was für ein merkwürdiger Traum. Was wohl gewesen wäre, wenn...
Ich schüttle den Kopf. Nein darüber willst du nicht nachdenken und du sollst auch nicht, ermahne ich mich selbst, heute gehst du einkaufen und richtest dein Zimmer ein!
Gemütlich stehe ich auf.
Der Blick durchs Fenster verrät mir, dass ich mich wahrscheinlich auf Regen einstellen muss. Der Himmel ist eine reinste graue Wolkendecke.
Wieder dieses Grau. Jedesmal wird mir die Farbe –Korrektur, es ist immer noch keine richtige Farbe, aber egal– unsympathischer.
Nachdem ich frische Kleidung aus dem Koffer gefischt habe, gehe ich ins Bad.
Auf dem Flur ist es leise. Generell herrscht Stille in der WG. Anscheinend bin ich als einziger wach.
Da ich aber keine Ahnung habe wie spät es ist, könnte es auch sein, dass alle schon unterwegs sind, was für einen Samstag Morgen ziemlich ungewöhnlich wäre.
Erste Notiz an mich selbst:
Kaufe eine Uhr für dein Zimmer. Am besten ein Wecker.
Wie auch immer, ich beeile mich mit duschen, weil ich möglichst früh in die Stadt will und zudem vermeiden möchte Eric zu begegnen. Nicht, dass ich Konflikte scheue, aber irgendwie muss ich in der nächsten Zeit mit ihm klar kommen. Deshalb möchte ich die Gemüter ein wenig abkühlen lassen,
zumal Stress mit Eric wohl am Ende zu Stress mit allen in der WG führt.
Geduscht und mit frischen Klamotten gehe ich in die Küche. Es ist aufgeräumt.
Ich dachte immer niemand würde sich in einer WG an den Putzplan halten?
Habe mich wohl getäuscht.
Aber hier lief bis jetzt sowieso noch nichts normal.
Automatisch tragen mich meine Füße in Richtung Kaffeemaschine. Wenn man richtig wach werden will darf ein guter Kaffee nicht fehlen.
Doch es ist kein Kaffeepulver zu finden.
Egal wo ich nachschaue, es will sich nicht auftreiben lassen.
Mein Kopf steckt schon zum zweiten Mal im selben Schrank, da höre ich eine
Stimme: "Suchst du was bestimmtes?"
Ich erschrecke mich und knalle heftig mit dem Kopf gegen einen der Böden im Schrank.
Vor Schmerz halte ich meine Hand auf die Stelle an meinem Kopf.
Welcher Idiot meint mich so erschrecken zu müssen?
"Alles in Ordnung?", kommt die Frage.
Kannst du dir das nicht selbst beantworten, Mädel.
Mädel...
Eine Frau? In der WG? Niemand sagte etwas über eine Frau in der WG.
Ich bewege meinen Kopf aus dem Schrank raus und drehe mich in die Richtung aus der die Stimme kam.
"Ich habe dich wohl mächtig erschreckt, was?"
"Kann man so sagen", entgegne ich und reibe die schmerzende Stelle, "niemand hat mich vor weiblichen Besuch gewarnt."
Ich hebe den Blick.
Sie hat nur Unterwäsche an.
Verlegen schaue ich schnell woandershin.
"Und deine Ausrede?", frage ich.
"Ich dachte alle wären schon weg und niemand hat mich vor dir gewarnt. Ich wusste nicht, dass du hier bist. Als ich Geräusche hörte, dachte ich es wäre ein Einbrecher."
Sie lacht.
"Und dem kann man ja in Unterwäsche über dem Weg laufen?", kommt es leicht gereizt von mir.
"Wenn das nicht funktioniert hätte, dann wäre der hier zum Einsatz gekommen."
Ich wende mich ihr wieder zu.
Ein Baseballschläger? Die ist mal krass drauf.
"Aber soweit müsste es zum Glück nicht kommen.
Ich geh mich mal umziehen und helfe dir dann mit deiner Beule."
Ich schaue sie verwirrt an.
Ich habe doch keine...
Sie lacht wieder.
"Ich meine die an deinem Kopf, du Idiot. Ihr Männer seid alle gleich."
Sie dreht sich um und geht.
Sprachlos schaue ich ihr hinterher.
Die kann doch nicht...
Mein Kopf brummt. Er fühlt sich an als wäre ein Auto rübergefahren. Besser zum Nachdenken hinsetzten.
Kaum sitze ich, ist sie auch schon wieder da.
Ihre blonden Haare sind zu einem Zopf gebunden und sie trägt T-Shirt auf Jeans. Nur ihre Füße tippeln noch nackt über dem Boden.
"Da bin ich wieder." Sie lacht mich an.
Ich würde wirklich gerne irgendwas erwidern, doch mein Gesicht will sich nicht so wirklich regen.
"Ich sehe schon, als erstes müssen wir was gegen die Kopfschmerzen machen."
Umgehend geht sie durch die Küche und kommt mit ein paar Sachen in den Händen wieder.
Sie stellt mir ein Glas mit Wasser vor die Nase und daneben legt sie eine Tablette.
"Einwerfen und austrinken."
Ich befolge ihre Anweisungen.
Anschließend reicht sie mir einen Beutel mit Eiswürfeln. Als ich ihn auf die schmerzende Stelle lege, verspüre ich eine Minderung des Schmerzes.
Ich entspanne mich.
Es dauert eine Weile, bis der Schmerz abklingt.
Auch sie setzt sich nun hin.
"Wieso bist du eigentlich hier?", frage ich und versuche dabei nicht allzu neugierig zu klingen.
Sie schaut mich an: "Ich bin Erics Schwester. Kleiner Familienbesuch."
Mir fällt die Kinnlade runter.
Ich bin fassungslos.
Von wegen es wird besser. Es wird nichts besser!
Ich kann es nicht verhindern und es rutscht mir vor lauter Entsetzten ein "Oh" raus.
Verflucht.
"Keine Sorge, dem werde ich das hier bestimmt nicht erzählen", zum dritten Mal ertönt ihr Lachen.
Wenigstens das erspart sie mir.
Ich bemerke wie sich mich und meine Reaktion beobachtet.
"Du und mein Bruder könnt nicht so gut miteinander, oder?" Kann sie Gedanken lesen oder ist es so offensichtlich?
Egal, vorsichtshalber einen auf ahnungslos machen Max, lass dir nichts anmerken. Komm, du schaffst das.
"Wie kommst du drauf?"
"Mein Bruder ist ein Mistkerl. Mit dem kommt niemand klar."
Ich mache große Augen. Das habe ich echt nicht von ihr als Antwort erwartet. Doch kann ich ihr Glauben schenken?
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