XXIII
Gute drei Stunden später saßen wir zu dritt nebeneinander im Wartebereich vor Mr Holmes' Büro. Ich war noch am Tatort von Sanitätern verarztet worden und es waren eine Gehirnerschütterung, eine Platzwunde an der rechten Schläfe und posttraumatischer Schock diagnostiziert worden. Nicht schön, aber auch nicht lebensbedrohlich. Mein Kopf hämmerte noch immer, als hätte ich versucht ein Haus mit meinem Schädel einzureißen, aber ich hatte eine Aspirin bekommen, und damit ging es schon ein wenig besser. Eigentlich hatte John, der spontan zu meinem neuen Arzt geworden war, mir strikte Bettruhe verschrieben. Allerdings gab es dabei zwei Probleme. Erstens, mein Bett stand noch überhaupt nicht. Und auch Staub gesaugt hatte ich noch nicht. Und zweitens, hatte Mr Holmes uns ein Auto geschickt, was die gar nicht so subtile Aufforderung war, ihn in Vauxhall besuchen zu gehen. Also waren wir zu dritt mit dem Auto, welches tatsächlich wieder von Randy gefahren wurde, zu Sherlocks älterem Bruder gefahren, der uns allerdings jetzt seit bereits zwanzig Minuten vor seiner Bürotüre sitzen ließ.
"Okay, ich warte jetzt noch zehn Minuten und dann gehe ich.", grummelte John. "Und du kommst mit. Du gehörst in ein Bett, um deine Verletzungen zu kurieren, und nicht in den Wartebereich vor Mycroft Holmes' Büro!"
Ich nickte nur. Seit der Adrenalinrausch von vor drei Stunden abgeebbt war, war ich zum umfallen müde und es fiel mir von Minute zu Minute schwerer, meine Augen aufzuhalten. Nach weiteren fünf Minuten war ich dann allerdings wirklich zu müde und mein Kopf fiel auf Johns Schulter. Zu müde um zu reagieren, ließ ich ihn einfach dort liegen und nickte weg. Mein Kopf dröhnte und es war alles andere als bequem, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen.
"Lili, komm. Wir können endlich zu Mr Ich-Lasse-Euch-Vor-Meinem-Büro-Vergammeln Holmes." hörte ich allerdings bereits kurz darauf die ruhige Stimme von John, und verschlafen öffnete ich die Augen.
"Hm? Wie lange habe ich geschlafen?" fragte ich und gähnte erst einmal ausgiebig.
"Fast eine halbe Stunde." sagte Sherlock, der bereits neben der offenen Bürotüre stand.
"Eine halbe Stunde?!", rief ich, was sich als Fehler erwies, da mein Kopf davon noch mehr dröhnte. " Es hat sich gerade mal nach ein paar Minuten angefühlt... Ich dachte, wir wollten nur noch zehn Minuten hier bleiben?"
"Wollten wir auch eigentlich. Aber dann bist du eingeschlafen, und ich wollte dich nicht wecken. Also haben wir dich schlafen lassen." erklärte John und half mir beim Aufstehen. Dabei warf er Sherlock einen Blick zu, den ich unter normalen Umständen mit Sicherheit kommentiert hätte. Allerdings war ich wesentlich zu erschöpft dafür.
"Dann hoffen wir mal, dass ich nicht während unseres Gesprächs mit Mr Holmes einschlafe..." murmelte ich und betrat hinter Sherlock das dunkle Büro.
"Verzeihen Sie, dass Sie so lange warten mussten." entschuldigte Mr Holmes sich, sobald wir alle platz genommen hatten. Er hatte - möglicherweise aus Zuneigung zu seinem kleinen Bruder, möglicherweise aus rein pragmatischen Gründen -, einen weiteren Stuhl vor seinem Schreibtisch platzieren lassen, sodass wir nun tatsächlich alle sitzen konnten.
"Ist schon in Ordnung, denke ich. Sie hatten mit Sicherheit einen guten Grund, uns warten zu lassen." antwortete ich, weil ich davon ausging, dass weder John noch Sherlock sonderlich nett geantwortet hätten.
"Da haben Sie allerdings Recht. Ich habe dafür gesorgt, dass man Cortell in ein Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Shanghai verfrachtet."
"Warum Shanghai?" fragte ich verwirrt und blickte zu Sherlock, der nur emotionslos auf den Tisch vor ihm starrte.
"Weil das möglichst weit weg von uns ist.", grinste Mr Holmes und seufzte dann. "Wegen des Protokolls muss ich Sie jetzt leider fragen, was er Ihnen erzählt hat und ob es irgendwelche nennenswerten Vorkommnisse gab."
"Sie meinen abgesehen davon, dass ich mit einer Pfanne zusammen geschlagen, an einen Stuhl gefesselt und mit einer Pistole bedroht wurde?"
Mr Holmes kniff die Augen zusammen und ich hatte tatsächlich das Gefühl, dass er etwas wie Schuldgefühle empfand. Was mir allerdings angesichts des Eindrucks, den ich in letzter Zeit von ihm gewonnen hatte, eher unwahrscheinlich vorkam.
"Nun, da sind dennoch die ein oder andere interessante Sache... ähm... Also, er hat mir von seinem Plan erzählt, den er verfolgt hat. Ähm...", ich dachte kurz noch einmal darüber nach, damit ich nichts falsches sagte. "Er wollte sich nach Frankreich absetzen, mit seinem Sohn Charles. Dann wollte er sich eine neue Identität anschaffen und mit seinen kriminellen Machenschaften fortfahren, bevor er dann in fünf oder sechs Jahren wieder zurück nach London kommen wollte.", ich dachte erneut nach. "Ach so, und er hat davon gesprochen, dass Moriartys Netzwerk-" Ich brach ab. Jetzt fiel mir wieder ein, woher ich den Namen Moriarty kannte! John hatte ihn erwähnt, als den Grund, dass Sherlock sich "umgebracht" hatte.
"Lili, was ist mit Moriartys Netzwerk?" fragte Sherlock angespannt und ich konnte seine Aufregung nahezu riechen.
"Ähh, genau. Moriartys Netzwerk wurde wieder aufgebaut. Cortell hat das zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber ich gehe davon aus, dass der Strippenzieher wo anders sitzt."
"In Ordnung, jetzt ist es wirklich wichtig, dass Sie sich an alles erinnern, was er gesagt hat." sagte Mr Holmes ruhig, was mich allerdings ein wenig unter Druck setzte.
"Also... über Moriartys Netzwerk hat er nur gesagt, dass es schwierig war, aber sie konnten das ganze Konzept wieder aufleben lassen. Oh, und er meinte, sie hätten seltsame aber effektive Methoden. Keine Ahnung, was er dabei meinte."
"Sonst noch etwas?"
"Ja. Er wusste über meine wahre Identität bescheid. Er hat mich mit Dundis angesprochen."
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