9 | er trägt eine rote wollmütze
Er trägt eine rote Wollmütze. Aus irgendeinem Grund ist das das Erste, was mir an ihm auffällt. Vielleicht liegt es daran, dass es draußen trotz fortgeschrittener Uhrzeit noch immer warm ist, und die Mütze somit völlig fehl am Platz wirkt, oder einfach an der Tatsache, dass mein Gegenüber darin unwahrscheinlich lächerlich aussieht. In jedem Fall sticht die verdammte Wollmütze hervor. So sehr, dass ich beinahe vergesse, dass der Junge etwas gesagt hat.
"Ähm, hallo zurück?", stammele ich, als ich mich endlich von seiner verwirrenden Erscheinung losreißen kann. Betreten räuspere ich mich und gehe ein paar Schritte auf Wollmütze zu.
"Schon genug von Prinzessin Laras Beweihräucherung?"
"Wie bitte?" Verwirrt blicke ich ihn an. Zumindest versuche ich es, denn es ist so dunkel, dass ich eigentlich nur schemenhafte Umrisse ausmachen kann. Der Junge kichert und ich beobachte fasziniert, wie er den leuchtenden Glimmstängel an seine Lippen führt und tief einatmet.
"Die Party. Du wirktest nicht gerade als hättest du Spaß, schließlich hast du ziemlich laut geschrien, wenn ich mich recht erinnere." Er pustet den Rauch aus, sodass er eine Wolke zwischen uns bildet, und lacht erneut auf, offensichtlich amüsiert von der Situation.
Ich bin es nicht.
Das Blut steigt mir unweigerlich in die Wangen und ich kann mich gerade noch davon abhalten, das Gesicht in den Händen zu vergraben. Hoffentlich verdeckt die Dunkelheit mein Erröten. Mich jetzt vor einer weiteren Person zu blamieren, fehlt mir gerade noch um den Tag vollends zu ruinieren. Viel fehlt nicht mehr.
"Lass uns so tun, als wäre das nie passiert, okay?", gebe ich in gespielt lässigem Ton zurück. "Ich hatte einfach genug von der Beweihräucherung und Flucht schien mir die einzige Option."
Bedeutend halte ich mein Handy in die Höhe und entsperre es, um eine kurze Nachricht zu tippen. Mein Vater war zwar begeistert von der Idee einer kleinen Feier, hatte allerdings darauf bestanden, mich wie ein Kleinkind hin und zurück zu chauffieren. Ein Blick auf die Uhrzeit, sagt mir, dass er, selbst wenn er sich sofort losmacht, frühestens in fünfzehn Minuten hier sein wird.
Genervt lehne ich mich neben dem Jungen ans Geländer und starre, von der Veranda aus, auf den idyllischen Vorgarten. Der Rasen wächst wild und auch die Hecke könnte mal wieder gestutzt werden. Die Blumen wachsen wirr, farblich völlig durcheinander und von Unkraut umgeben. Der Anblick ist wunderschön.
Wollmütze lehnt sich lässig ein Stück zu mir herüber und streckt mir demonstrativ die Hand entgegen. "Emil."
Zögerlich blicke ich erst auf seine Hand und dann in sein Gesicht. Nun wo ich direkt neben ihm stehe, fallen mir seine dunkle Haut und die ebenso dunklen Augen auf. Sie sind lächerlich hübsch, mit langen Wimpern und einem Funkeln, das mir nur allzu bekannt ist. Hier heißt es, renne so schnell du kannst oder mach dich auf Chaos gefasst.
"Liz." Hastig schüttele ich die mir gebotene Hand und erwidere sein ansteckendes Grinsen.
Ich war noch nie bekannt für meine klugen Entscheidungen.
"Es ist mir eine Ehre, Liz." Emil deutet eine Verbeugung an und hält mir seinen halb aufgerauchten Joint fragend entgegen. "Magst du?"
Keine gute Idee, Liz. Gar keine gute Idee.
"Gerne."
Sämtliche Instinkte ignorierend, greife ich nach dem Glücklichmacher und beschließe, dass ein Zug ja eigentlich nicht schaden kann. Ich ziehe den Rauch mit einem tiefen Atemzug in meine Lungen und genieße das leichte Brennen, das sich langsam in mir ausbreitet. Erleichtert lasse ich die Schultern sacken, atme tief aus und lege den Kopf in den Nacken.
"Ich teile mein Weed nicht mit jedem, weißt du?" Neckisch stupst mein Gönner mich von der Seite an und zwingt mich, ihm wieder meine Aufmerksamkeit zu schenken. Die lächerliche rote Mütze ist etwas verrutscht und ich entdecke kurzgeschorenes Haar darunter.
"Und womit habe ich mir deine Großzügigkeit verdient?" Abwägend drehe ich den vorbildlich gerollten Joint zwischen meinen Fingern. Da hat jemand offensichtlich Übung.
Emil zuckt mit den Schultern. "Du sahst so aus, als könntest du es gebrauchen."
"Du hast ja keine Ahnung wie sehr.", stoße ich automatisch hervor und die Erinnerungen an das hinter mir liegende Fiasko stürzen erneut auf mich ein. Hastig nehme ich einen weiteren langen Zug, bevor ich Emil den Glücklichmacher bestimmt reiche.
"Also, was ist so schlimm gewesen, dass du den Drang, deine Wut in die Welt zu schreien, nicht unterdrücken konntest?" Ich starre stoisch auf meine Füße, dennoch spüre ich seinen intensiven Blick auf mir.
"Mein bester Freund ist ein Arschloch.", gebe ich knapp zurück. "Ein verdammt egozentrisches unsensibles Arschloch."
Ich werde ihm sicherlich nicht erörtern, wie ich zu diesem Schluss komme, aber es fühlt sich irgendwie gut an es auszusprechen. Real. Ich mag übertreiben und bin wahrscheinlich sogar im Unrecht, aber das weiß dieser Kerl nicht. Er hat keine Ahnung wer ich bin und was ich getan habe. Für einen Augenblick kann ich meine Gefühle wirklich fühlen ohne mich für sie zu schämen oder zu rechtfertigen.
"Das klingt nicht unbedingt nach der Art Mensch, die man zum besten Freund haben will."
"Nope." Ich lasse das P ploppen und verschränke die Arme vor der Brust. Für einen Moment herrscht bis auf die dumpfe Musik, die durch die Wände schallt, Ruhe. Ich richte den Blick gen Himmel, bewundere die vereinzelten Sterne und bade in der friedlichen Stille. Man gönnt sie mir nicht lange.
"Also, Liz,", beginnt Emil im Plauderton, "warum habe ich dich noch auf keiner Party gesehen? Ich bin mir ziemlich sicher, auf jeder noch so kleinen Feier in diesem Kaff gewesen zu sein und doch habe ich dein hübsches Gesicht noch nicht erblicken dürfen."
Ich lache heiser auf. Das glaube ich ihm gern! Irgendetwas sagt mir, dass Emil nicht der Typ ist, der seine Freizeit Zuhause verbringt. Und das liegt nicht nur an seinen flapsigen Worten. "War in letzter Zeit nicht so in Partylaune, Herr Charmeur."
"Wie das? Ich bin immer in Partylaune.", gibt er frech zurück. "Wenn man nur lang genug sucht, findet sich immer irgendein Grund zum Feiern." Emil grinst mich verschlagen an und zuppelt seine Mütze zurecht, was anscheinend seine Version von Henris Durch-die-Haare-fahren ist.
Geflissentlich ignoriere ich den Schwachsinn, den mein Gegenüber von sich gibt. "Ich habe dich auch noch nie gesehen und ich bin mir ziemlich sicher alle jungen Leute in diesem Kaff zu kennen." Was bei knapp zweitausend Einwohnern nicht besonders schwer ist. "Also, was hat dich hierher verschlagen?"
Emil zieht tief an seinem Joint und lässt sich seine Zeit mit dem Antworten.
"Meine Eltern haben sich vor ein paar Monaten getrennt.", gesteht er schließlich mit ruhiger Stimme. "Aus heiterem Himmel konnten sie es keinen Moment länger zusammen aushalten und aus irgendeinem Grund, war meine Mutter der Auffassung, dass in ihre Heimatstadt zu ziehen eine gute Idee ist. Bisher kann ich diese These nicht unterstützen. Alles was ich von diesem Dorf gesehen habe, finde ich absolut und schmerzlich langweilig."
Oh.
"Das tut mir leid.", flüstere ich zögerlich. Die plötzliche Ernsthaftigkeit unserer Unterhaltung überfordert mich etwas und ich weiß ehrlich gesagt nicht so recht, was ich antworten soll. Tröstende Worte sind nicht mein Fachgebiet - dafür habe ich Therapeuten.
"Trennungen sind scheiße.", gebe ich dann, wenig hilfreich, zurück und beobachte Emil aus dem Augenwinkel.
Er setzt sich aufrecht hin, zuppelt erneut an seiner Mütze herum und wendet sich dann mit einem Grinsen an mich.
"Passt schon. Ist wahrscheinlich für alle Beteiligten besser und so bekomme ich zum Geburtstag immerhin doppelt Geschenke!"
Ich war zehn als meine Eltern sich getrennt haben, also habe ich nicht allzu viel davon mitbekommen. Ich weiß nur noch, dass ich unsagbar froh war, als das Geschrei im Haus aufhörte. Die Stille war mir willkommener als doppelte Geschenke.
"Das mit deinem besten Freund tut mir leid.", meint Emil noch bevor ich mit einer ungeschickten Antwort um die Ecke kommen kann. Innerlich danke ich ihm dafür, das Thema so schnell gewechselt zu haben. "Willst du nochmal?" Er hält mir den Jointstummel entgegen und lehnt sich näher zu mir herüber.
Ein warmes Kribbeln breitet sich in mir aus und für einen Augenblick denke ich daran, wie es wäre, all meine Vorsätze über Bord zu werfen und nach dem Joint zu greifen. Wie beflügelnd es wäre, high zu sein. Wie gut es sich anfühlen würde und wie einfach alles wäre. Der Sturm in mir würde für ein paar Stunden ruhen, während ich mich der Droge hingebe. Die Nacht würde verlaufen wie so viele zuvor. Ich würde rauchen und trinken und tanzen. Ich würde in den Armen irgendeines Typens landen, vielleicht sogar in Emils, und die Wärme genießen, die mir sonst verwehrt bleibt. Ich würde in ihr baden, in der Liebe, die so schmerzlich kurz ist.
Und dann würde ich aufwachen.
Allein in einem fremdem Bett, mit einem Kater und gähnender Leere im Herzen.
Ist es das wert?
Ein Hupen lässt mich aufschrecken und mein Blick schießt zum blinkenden Auto meines Vaters. Erleichtert atme ich auf und stoße mich von der Veranda ab. Heute ist nicht der Tag, an dem ich herausfinde, wie schwach ich wirklich bin.
"Mein Chauffeur ist da." Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, als ich Emil, in all seiner süßen Versuchung, einen letzten Blick zuwerfe. Er grinst.
"Komm gut heim.", sagt er und zieht mit funkelnden Augen am Joint, ohne den Blickkontakt zu brechen. "Wir sehen uns."
Ich kann gar nicht schnell genug über den Rasen auf die Straße laufen. Hastig reiße ich die Autotür auf und lasse mich auf den Beifahrersitz fallen. Kurz schaut mein Vater zu mir rüber, mustert mich und rümpft die Nase.
Er sagt nichts.
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