20 | seit minuten starre ich auf mein handy
Seit Minuten starre ich auf mein Handy. Mein Bein wippt nervös auf und ab, während mein Finger zögerlich über dem grünen Button schwebt.
Du hast uns alle zerbrochen. Du hast uns alle zerbrochen. Du hast uns alle zerbrochen.
Ich tippe auf den Button, hebe das Handy ans Ohr und checke noch einmal, ob meine Zimmertür auch wirklich geschlossen ist. Ist sie. Mit dem Piepen des Wähltons im Ohr, gehe ich im Raum auf und ab. Mein Herz beginnt zu rasen und ich fühle, wie sich das Gefühl der Schuld in mir breit zu machen beginnt. Energisch schiebe ich es zur Seite. Dafür habe ich momentan einfach keinen Platz.
"Hallo?"
Die tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung klingt verwirrt, doch mich beruhigt sie automatisch. Eine weitere Konstante, die ihren Weg zurück in mein Leben findet.
"Hey Felix, hier ist Liz!", antworte ich rasch. Ich bin überrascht wie ruhig und selbstbewusst meine Stimme klingt und hoffe, dass dieser Umstand das folgende Gespräch erleichtern wird.
"Liz? Bist du das wirklich? Von dir habe ich ja ewig nichts gehört! Mann, wie geht es dir?"
Nicht das schon wieder. "Gut, gut", wiegele ich ab und rolle die Augen.
"Wie schön! Gott, du bist ja wirklich die letzte Person, von der erwartet habe zu hören. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Das ist doch bestimmt schon ein halbes Jahr her! Als ich gehört habe, was passiert ist, da habe ich mich so schuldig gefühlt. Ich wusste ja von deinem Problem und habe-"
"Hör mal Felix", unterbreche ich meinen ehemaligen Mitschüler, etwas schroffer als beabsichtigt. "Ich habe nicht angerufen, um mit dir über alte Zeiten zu quatschen."
"Hast du nicht?", fragt er halb im Scherz.
"Nein, habe ich nicht."
Einen Moment herrscht Stille in der Leitung.
"Du willst Stoff?" Felix klingt zögerlich, als er diese Frage stellt, fast als habe er Angst vor meiner Antwort. Vielleicht hat er das auch.
"Ja", antworte ich schlicht und räuspere mich. "Nichts Besonderes, nur das Übliche, damit ich meinen Vorrat aufstocken kann."
Eine weitere kurze Pause, dann höre ich ein Rascheln und Felix' nervöse Stimme. "Ich dachte, du wärst jetzt clean. Du weißt schon, nach der Klinik und allem?"
Offensichtlich nicht, denke ich und versuche die Schuldgefühle, die erneut in mir aufflackern, zu verdrängen. "Halt dich da raus, ja? Das geht dich nichts an. Also, können wir uns die nächsten Tage treffen?"
Erneut schweigt Felix eine Moment lang, bevor er seufzt und sagt: "Ja, klar."
Erleichtert atme ich aus. Für einen Moment hatte ich wirklich Sorge, er könne auf einmal zum Moralapostel mutieren und sich weigern mir etwas zu verkaufen. "Ich bin momentan nicht in der Stadt, aber ich komme am Freitag wieder. Passt dir das?"
"Ja, perfekt", stimme ich schnell zu und lasse mich auf meinem Schreibtischstuhl plumpsen.
"Gut. Du kennst doch den kleinen Stadtpark, oder? Der, in der Gießenstraße?" Ich nicke, obwohl Felix das natürlich nicht sehen kann. "Da schmeißen ein paar Leute aus der Schule eine Party. Ich bin auf jeden Fall da und wenn du wirklich was kaufen willst, dann komm einfach so gegen Acht vorbei. Wir finden einander schon."
"Geht klar. Bis dann."
Ich stehe auf und will schon auflegen, als Felix in überraschend ernstem Ton fragt: "Liz?"
"Ja?" Verwirrt fahre ich mir durchs Haar und starre an die schwarze Wand mir gegenüber.
"Überlegs dir nochmal, ja? Ich weiß wir kennen uns nicht so gut, aber von dem, was ich von dir mitbekommen habe, solltest du vielleicht wirklich die Finger von Drogen lassen."
Ist das sein verdammter Ernst?
Woher nimmt dieser Typ sich das Recht, mir zu sagen, was ich tun und lassen soll? Ich spüre die Wut in mir aufkochen und muss mir heftig auf die Zunge beißen, um ihm nicht sofort die Meinung zu sagen. Beruhig dich Liz, du willst schließlich etwas von ihm!
"Wir sehen uns Freitag", sage ich also nur und lege auf.
✦ ✦ ✦
Am Freitag stehe ich wie verabredet um kurz nach acht vor dem Tor des kleinen Parks. Überraschenderweise war es gar nicht so leicht, meinen Vater dazu zu überreden mich abends rausgehen zu lassen. Ich hatte damit gerechnet, dass er noch immer an seiner 'Du-musst-mal-vor-die-Tür-kommen'-Mentalität festhielt, doch nur war er der Auffassung, dass ich mehr Zeit mit der Familie verbringen sollte. Glücklicherweise hat Leo sich für mich eingesetzt, sodass Papa schließlich einlenkte. Mit dem Versprechen, nicht allzu spät zurückzukommen und Leo anzurufen, fall etwas passierte, war die Sache geklärt.
Ich schaue an mir herunter und zupfe an dem roten Pullover, für den ich mich heute entschieden habe. Er ist aus fließendem Stoff und sitzt relativ locker, doch der tiefe V-Ausschnitt in Kombination mit den schwarzen Skinny Jeans, lassen ihn für meine Verhältnisse ziemlich gewagt aussehen. Crossover trage ich eine schwarze Bauchtasche, in der Geld, Schlüssel und Handy sicher verpackt sind. Ich atme einmal tief durch, schiebe alle Sorgen und Gedanken beiseite und betrete den Park.
Es ist nicht schwer die Gruppe zu finden, denn dazu sind die Musikboxen, die mir unbekannten Deutschrap spielen, viel zu laut. Eine Geruchsschwelle aus Schweiß, Rauch und Gras schlägt mir entgegen und spätestens jetzt weiß ich, dass ich richtig bin. Ich versuche im dämmrigen Licht, die Leute um mich herum zu erkennen. Einige meiner Mitschüler stehen an den Bänken rechts von mir, während ein paar Ältere auf dem Rasen sitzen und irgendein mir unbekanntes Trinkspiel spielen. Ich suche die Masse nach Felix ab, kann ihn aber nicht ausmachen.
Mit etwas Abstand umrunde ich die Gruppe und erkenne einige der Leute, die auch auf Laras Geburtstagsfeier waren, glücklicherweise scheint Henri allerdings nicht hier zu sein. Erleichtert atme ich auf. Er wäre nun wirklich der Letzte, mit dem ich mich heute hätte auseinandersetzen wollen.
"Liz?"
Überrascht drehe ich mich zu der Stimme um und entdecke Emil, der neben ein paar Anderen auf einer der Bänke sitzt. Er grinst und winkt mich zu sicher heran.
Verdammt, denke ich. Eigentlich wollte ich nur schnell vorbeikommen um mir die Pillen von Felix zu holen und dann wieder zu verschwinden. Kurz ringe ich mit mir und überlege, ob ich einfach so tun könnte, als hätte ich ihn in diesem Licht nicht erkannt, doch das wäre wohl wirklich kindisch. Ich reiße mich also zusammen, setze ein an angespanntes Lächeln auf und gehe ein paar Schritte auf Emils Gruppe zu.
"Hey." Ich winke in die Runde und erkenne nur den Jungen mit den Dreadlocks wieder, Linus, den Emil mir bei unserem letztes Treffen als seinen Cousin vorgestellt hat.
"Ich wusste nicht, dass du heute kommst!", bemerkt Emil, schiebt die Unterlippe hervor und wirft mir einen gespielt traurigen Blick zu. "Wir hätten doch zusammen herkommen können!"
Ich lache sarkastisch auf und verschränke die Arme vor der Brust. "Ich wusste nicht gar nicht, dass du so klammerst, mein Guter. Soll ich dir etwa alle fünf Minuten meinen Standpunkt schicken?"
Seine Freunde lachen und ziehen ihn auf, doch Emil zwinkert mir ganz lässig zu. "Das klingt gar nicht so schlecht, Lizzie-Schatz." Er wirft mir einen Luftkuss zu und ich kann nicht anders, als den Abstand zwischen uns zu überwinden und ihm gegen das Schienbein zu treten.
"Aua."
"Heul nicht rum, Schatz", erwidere ich und lächle selbstzufrieden in die Runde. Seine Freunde wirken noch immer amüsiert von unserem Geplänkel und schauen gespannt zwischen uns hin und her. Nur Linus runzelt die Stirn und betrachtet mich mit einem so intensiven Blick, dass ich betreten zur Seite schaue.
"Ich würde ja gerne noch weiter über deine anhänglichen Tendenzen diskutieren, aber ich suche jemanden. Ihr habt nicht zufällig Felix gesehen?", frage ich. Als ich ihre ahnungslosen Gesichter sehe, setze ich zu einer Beschreibung an: "Blond, um die 1,80m und hat wahrscheinlich schwarze Carharttjacke an."
"Das beschreibt so ziemlich jede der anwesenden Kartoffeln", meint der Junge, der neben Linus sitzt und dessen Haut so dunkel ist, dass seine Zähne hervorblitzen als er spricht. Seine Kumpels lachen auf und auch ich muss grinsen.
"Stimmt", gestehe ich und schiebe die Hände in meine Hosentaschen. "Ich werde ihn schon finden! Trotzdem danke."
Ich winke der Gruppe kurz zu und setze mich dann in Bewegung. Mit eingezogenem Kopf, um nicht noch einmal von irgendwem angesprochen und aufgehalten zu werden, umrunde ich den Park einmal. Gänsehaut breitet sich auf meiner Haut aus und ich bereue es, keine Jacke mitgenommen zu haben.
Schließlich entdecke ich Felix etwas abseits der Gruppe, wo er mit einem Jungen spricht, der mir den Rücken zugewandt hat. Der Fremde drückt ihm einen Schein in die Hand und Felix steckt ihm kurz darauf ein Tütchen zu, dass er rasch in seiner Hosentasche verschwinden lässt.
Bingo.
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