Kapitel 3
Amilia
„Nun sag schon endlich, warum du dich heute noch weniger auf den Unterricht konzentriert hast als sonst", seufzt meine beste Freundin genervt davon, dass ich ihr ein weiteres Mal keine Antwort auf ihre Frage gegeben habe. Vielsagend grinse ich und schnappe mir meine Tasche. Es ist schon später Nachmittag. Ich frage mich, ob Cole wohl schon in dem Laden ist oder ob ich lieber noch etwas warten sollte. Wobei ich sowieso wohl nochmal nach Hause musste. Immerhin würde ich kein zweites Mal in Leder oder Pelz diese Gegend betreten.
„Ams, antworte mir endlich. Du machst mich noch verrückt", meint sie theatralisch und greift nach meiner Hand. Ich verschränke unsere Finger miteinander und ziehe sie mit. Ich habe keine Ahnung warum ich so aufgeregt bin, doch sicherlich lag es nicht nur an der Aussicht darauf meine Schokolade zu bekommen. Die würde ich schließlich in so ziemlich jedem anderen Laden bekommen. Andererseits konnte es auch nicht ausschließlich an Cole liegen. Immerhin war dieser Mann so weit außerhalb des Kreises aller möglichen akzeptablen Männer wie er nur konnte. Und ich war mir immer bewusst gewesen, dass ich mich nicht mit Menschen außerhalb dieses Kreises abgeben würde und durfte. Aber, dass ich den halben Tag an ihn gedacht habe, zeugt davon, dass irgendetwas schief mit mir gelaufen war. Mein Männergeschmack ließ nunmal zu wünschen übrig.
„Na gut, aber du musst das für dich behalten", flüstere ich geheimnisvoll und ziehe sie zu einer der unbelebteren Ecken des Schulhofes. Erwartungsvoll sieht sie mich an. Sie lässt meine Hand los und lehnt sich gegen die Wand unseres Schulgebäudes. Ich bekam mein Lächeln nicht aus dem Gesicht, selbst wenn ich an irgendwelche unschöne Dinge dachte, doch ich hatte es mittlerweile aufgegeben es zu versuchen.
„Ich habe irgendwie jemanden kennengelernt", sage ich schließlich. Ich spüre wieder, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Warum machte mich das nur so nervös? immerhin konnte ich meiner besten Freundin wohl alles sagen. Sie wäre die letzte, die mich verurteilen würde deswegen.
„Irgendwie? Wobei, eigentlich hätte ich das wissen müssen. SO bist du immer drauf, wenn du Sex hattest", seufzt sie, grinst aber.
„Wir hatten keinen Sex", sage ich protestierend. Sie hebt eine Augenbraue.
„Nicht? Hast du denn gar nicht von mir gelernt? Und jetzt spann mich nicht auf die Folter, ich möchte alles wissen", sagt sie. Ich zögere. Ich kann meiner besten Freundin sicherlich alles erzählen, dennoch tue ich mir schwer, immerhin hätte ich noch gestern Mittag gesagt, dass ich niemals so jemanden auch nur anfassen würde. Und wenn ich ehrlich bin, war es nicht viel mehr als ein nettes Gespräch gewesen. Mit einem Typen, welchen ich normalerweise nicht beachten würde. Von Kennenlernen kann man da wohl nicht sprechen, ich werde ihm lediglich seine Jacke zurückgeben und dann werden wir uns nie wieder begegnen.
Sie bleibt die ganze Zeit ruhig, selbst ihr Gesicht ist vollkommen ausdruckslos. Erst als ich zum Ende gekommen bin, seufzt sie auf. Ich sehe die Enttäuschung in ihrem Gesicht, sicherlich hatte sie auf etwas glamouröses gehofft.
„Wie gerätst du immer an solche Sozialfälle?", ich lächle unsicher. Gerne würde ich ihr widersprechen, doch irgendetwas hält mich davon ab. Wahrscheinlich, weil sie Recht hat, auch wenn ich mir das nicht eingestehen möchte.
„Also meinst du ich sollte nicht gehen?", frage ich und verberge meine Enttäuschung hoffentlich gut genug.
„Naja, das musst du wissen. Aber du hattest bis jetzt immer nur Loser. Es wäre gut mal einen richtigen Mann zu erwischen. Irgendwann leidet dein Ruf noch, Süße", meint sie nachdenklich. Ich spüre, wie sich mein Herz zusammenzieht. Sie hat absolut Recht, nichts anderes sagt mein Vater mir. Ich bin zwar noch jung, doch so langsam war es Zeit einen anständigen Mann kennen zu lernen. Einen, der eines Tages eine der Firmen meines Vaters übernehmen würde. Und so einer wäre Cole nicht. Auch wenn ich so weit sicherlich noch nicht denken würde. Aber mein Verstand sagt es mir, immerhin hatte meine Schwester genau das gemacht und sie schien ganz gut damit leben zu können.
„Vielleicht hast du Recht", flüstere ich niedergeschlagen. Gerade eben war ich noch so glücklich gewesen, doch jetzt fühlte ich mich schlecht, dass ich überhaupt sowas in Betracht gezogen hatte.
„Ich habe immer Recht, wenn es um deine Männerwahl geht. Weißt du nicht mehr, Ryan?", fragt sie Naserümpfend. Lachend sehe ich sie an.
„Ja, ich weiß. Du hast mir von Anfang an gesagt, dass er ein Arschloch ist"
„Und ich hatte Recht damit", sagt sie selbstgefällig. Ich nicke. Und wie sie Recht damit gehabt hatte. Doch an Ryan zu denken war sicherlich das Letzte, was ich wollte.
„Ja, natürlich hattest du Recht. Aber bei Cole ist es irgendwie etwas anderes", gebe ich zu.
„Jeder Mann ist irgendwie ein Arschloch", meint sie. Ich kann ihr da, aufgrund meiner jetzigen Erfahrungen, nicht widersprechen. Außerdem hat sie sicherlich mehr als genug Erfahrungen sammeln können, um das zu behaupten. Wobei sich mir manchmal die Frage stellte, ob nicht vielleicht sie da eher das Problem an der Sache war.
„Er hat sich nicht angestrengt. Er musste sich nicht anstrengen. Er hat mich einfach so zum Lachen gebracht", flüstere ich. Auch wenn ich weiß, dass das ihre Meinung nicht ändern wird. Sie stöhnt auf.
„Das sind die allerschlimmsten. Bestimmt hat er ein Dutzend Frauen, die ihm hinterherlaufen"
Ich sehe sie an und denke über ihre Worte nach. Wahrscheinlich hatte sie Recht. Auch wenn ich wünschte, dass es anders sein würde. Doch bis jetzt hatte jeder Mann, mit dem ich mich getroffen hatte, noch mindestens eine andere. Gut, bei drei Männern ist das wahrscheinlicher, als wenn ich schon hunderte gehabt hätte. Dennoch ziehe ich gerade diese Art von Männern an. Oder sie mich. Wie auch immer.
„Du siehst traurig aus, Ams", seufzt sie. Ich schüttele den Kopf. „Okay, wie wäre das: Wir gehen einfach heute Abend gemeinsam dahin. In so einer Gegend solltest du dich sowieso nicht alleine rumtreiben und ich schaue mir diesen lustigen Typen mal genau an.", Ich runzle die Stirn, wenig überzeugt davon, dass das eine gute Idee war. Immerhin kenne ich meine Freundin nur zu gut. Andererseits würde ich wirklich ungern alleine in dieses Viertel gehen. Also nicke ich.
„Dankeschön, Jen", sage ich lächelnd. Ich hoffe nur, dass sie sich einmal zu benehmen wusste.
„Wofür sind Freunde denn sonst da?", meint sie spöttisch. In diesem Moment fährt ihr Fahrer vor. Sei seufzt und zieht mich kurz an sich, küsst mich flüchtig auf die Wange.
„Ich bin um 19 Uhr bei dir", ruft sie mir zu, während sie zu dem neuen Mercedes eilt. Ich sehe ihr kurz nach. Jen war seit Jahren meine beste Freundin, was aber nicht bedeutete, dass sie nicht die anstrengendste Person der ganzen Welt war. Ihr Vater war in einem großen Medizinkonzern tätig. Ihre Mutter stammte aus einer reichen Familie, sie hatte noch nie gearbeitet. Früher hatte sie wenigstens noch so getan, als würde sie Jennifer, ihr einziges Kind, erziehen. Doch wenn man ehrlich war, taten das eher die Kindermädchen. Heute war sie hauptsächlich in Schönheitskliniken und auf Partys anzutreffen. In der Hinsicht war sie genau wie ihre Tochter. Auch Jen's restlicher Freundeskreis, zu dem ich bisher nur flüchtig gehörte, machte nicht viel außer irgendwelchen Partys beizuwohnen.
Genau genommen stammten so ziemlich alle aus meiner Schule von reichen Vätern und Müttern ab. Und ich stellte da keine Ausnahme dar. Es war wie ein unausgesprochenes Gesetz, dass sich an der Wilton High School, nur gleiche Leute versammelten. Was eventuell auch an dem extremen Schulgeld liegen könnte. Und daran, dass Stipendiaten nicht aufgenommen wurden.
Langsam mache ich mich auf den Weg nach Hause. Normalerweise würde ich auch abgeholt werden, doch ich hatte dem Fahrer frei gegeben. Genau genommen mochte ich es manchmal nach Hause zu laufen. Auch wenn unser Wohngebäude zwanzig Minuten entfernt von der Schule stand. So bekam ich meinen Kopf besser frei, als wenn ich die paar Minuten im Auto saß. Allgemein versuchte ich mittlerweile mehr Zeit draußen zu verbringen. Seit der Scheidung meiner Eltern war es definitiv besser für mich Mom's Launen nur bedingt an mich heranzulassen. Wir stritten uns sowieso andauernd. Mein Vater war immer wie eine Mauer zwischen uns gestanden. Nicht selten hatte ich darüber nachgedacht zu ihm zu ziehen, doch das ging wegen Jack nicht. Ich wollte ihn nicht zurücklassen. Und meine Mutter wollte ihn nicht gehen lassen. Deshalb ließ ich es über mich ergehen.
Ich erreiche unser Wohngebäude um halb fünf. Noch zweieinhalb Stunden, bis Jen eintreffen würde. Seufzend fahre ich hoch, in eines der mittleren Stockwerke und gebe den Code ein, um die Aufzugtüre in der richtigen Wohnung zu öffnen. Noch ist es ruhig, doch das wird sich ändern, sobald Jack aus dem Turnverein zurückgebracht wird. Kurz lasse ich mich auf die Couch fallen und schließe für ein paar Minuten die Augen. Doch eigentlich bin ich viel zu nervös, um wirklich schlafen zu können. Ich frage mich, ob Cole sich überhaupt freuen wird mich zu sehen. Immerhin konnte es sein, dass er einfach nur freundlich gewesen war. Andererseits schenkte er bestimmt nicht jeder Frau eine Blume. Eine Rose sogar. Hoffte ich jedenfalls. Doch schnell schiebe ich die Gedanken wieder von mir. An sowas war jetzt überhaupt nicht zu denken. Er arbeitete in einem Kiosk. Auf keinen Fall war er für etwas Ernstes zu gebrauchen. Und für etwas nicht Ernstes musste ich mir keine Gedanken darüber machen, ob er sich freute mich zu sehen oder nicht.
„Du bist jetzt erst zurück?", klagt mich eine etwas zu hohe Stimme an. Augenblicklich richte ich mich auf und öffne die Augen. Ich sehe in das spitze, ein wenig zu glatte, Gesicht meiner Mutter. Trotz allem war meine Mutter noch immer eine attraktive Frau, das musste man ihr lassen. Perfekter Körper, perfektes Haar, perfektes Makeup. Auch wenn sie für all das nichts konnte, war sie auf früheren Fotos schon immer schön gewesen. Doch ihre Stimme nervte mich gewaltig.
„Ich wollte laufen", antworte ich knapp. Sie verzieht das Gesicht.
„Laufen? Was sollen die Leute denken? Dass wir uns keinen Fahrer mehr leisten können?", fragt sie herrisch. Ich zucke mit den Schultern.
„Dass ich eben gerne die frische Luft genieße"
„Du meinst die Abgase, welche die anderen Fahrer produzieren?", fragt sie mich spottend und stemmt die Hände in die Hüfte.
„Wie auch immer. Ich gehe lernen", grummle ich und erhebe mich eilig, bevor sie mir noch irgendwelche Vorträge machen kann.
„Nun gut. Bist du heute zum Abendessen anwesend?", fragt sie. Ich schüttle schnell den Kopf. „Gut", meint sie zufrieden. Ich verenge die Augen. Dafür, dass sie ihre Abneigung gegenüber mir so schlecht verbarg interessierte sie viel zu sehr, was ich tat oder auch nicht tat.
„Ich treffe mich später mit Jen.", sage ich, auch wenn sie nicht danach gefragt hat.
„Mach das", meint sie, doch anhand ihrer gelangweilten Tonlage merke ich, dass sie mir gar nicht wirklich zuhört. Stattdessen setzt sie sich auf die Couch und blättert in einer Zeitschrift.
„Wir wollten auf eine Drogenparty und uns ins Koma saufen", sage ich. Sie sieht noch nicht mal hoch.
„Gut, viel Spaß"
Ich verziehe das Gesicht. Ihre Aufmerksamkeitsspanne wird immer geringer. „Gutes Gespräch, Mutter", sage ich genervt und verziehe mich nach oben. Ich knalle meine Zimmertüre zu, es interessiert mich nicht, dass es sie nervt. Sie interessiert sich nicht für mich, ich interessiere mich nicht für sie. So leben wir schon mein ganzes Leben nebeneinanderher. Kein Wunder hatte sich mein Vater von ihr scheiden lassen. Auch wenn ihre Ehe nicht an der schwierigen Kommunikation gescheitert war, sondern an ihren Außerehelichen Affären. Wobei die Öffentlichkeit davon natürlich nichts erfahren würde. Für die Außenwelt hatten sich meine Eltern scheiden lassen, weil mein Vater beruflich so eingespannt ist. Was keine Lüge ist, aber eben auch nicht die Wahrheit. Vor allem missfiel es mir, dass er der böse bei der Geschichte war. Er hatte immer versucht sich Zeit für seine Familie einzuräumen, sicherlich mehr als all die anderen Väter. Doch er hatte es auf sich genommen, auch wenn er sauer gewesen war. Doch die öffentliche Blamage hatte ihn wohl dazu gebracht all das zu ignorieren.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top